Literatur und die eigene Existenz. Eine Umfrage

  • Hallo,


    in ihrem Beitrag zur Diskussion über Musils Mann ohne Eigenschaften hat – Leserin- von "Lebensbüchern“ gesprochen. Ich interpretiere das so, dass einige literarische Werke für sie eine existentielle Bedeutung haben, quasi lebensbegleitend sind, und das bringt mich auf die Idee euch Forenmitwirkende zu fragen, ob es auch für euch auch Bücher gibt, die für euere Existenz oder Entwicklung wenigstens zeitweise bedeutsam waren oder noch sind. Ich meine damit nicht Hilfsliteratur, wie Wörterbücher, Lexika, Ratgeber oder ähnliche.


    Als meine "Lebensbücher“ nenne ich zunächst:


    Karl May: Winnetou II
    James A. Coleman. Relativitätslehre für Jedermann
    Fridtjof Nansen: In Nacht und Eis
    Franz Werfel: Die 40 Tage des Musa Dagh
    Thomas Mann: Der Zauberberg


    Ich würde mich freuen, wenn einige von euch darüber nachdenken und mitmachen würden.


    lost

  • Tricky. Es gibt viele Bücher, die mir sehr gefallen / wichtig sind. Aber "Lebensbücher" mit vollem Pathos? Hm. Schwierig. Bücher, die mich bei der ersten und späterhin mehrfachen Lektüre sehr stark beeinflusst haben (unabhängig davon, dass ich manches heute mit 47 anders sehe, da haben sich ein paar Dinge verschoben :-))


    Stevenson: Schatzinsel
    Verne: Reise zum Mittelpunkt der Erde
    Karl May: Winnetou I
    Arno Schmidt: Leviathan
    Karl Kraus: Die Dritte Walpurgisnacht
    Schopenhauer: Die vierfache Wurzel ...
    Hans Wollschläger: Herzgewächse
    Erich Kästner: Der 35. Mai

  • Lebensbücher sind Lebensbegleiter, auf die ich immer wieder zurückkomme, die mich bestürzt, be-und entgeistert haben, niedergeschmettert und wieder emporgehoben, aufregende und erschütternde Zeugnisse der menschlichen Fähigkeit etwas zur Sprache zu bringen, das unsagbar scheint. Mein Leben ist bevölkert von Büchern, die sich in mir eingenistet und mich bereichert haben, aus deren Quelle ich unausgesetzt schöpfe.
    Da sind zunächst die Werke meiner 4 Säulenheiligen:


    Samuel Beckett
    Paul Celan
    Friedrich Hölderlin
    Franz Kafka


    Und gleich danach kommen die großen Unverzichtbaren: Thomas Bernhard, Proust, Musil, Rilke, Dostojewskij, Shakespeare, Homer, Camus, Joseph Roth, Kleist, Büchner, Melville, Emmanuel Lévinas und Imre Kertész.
    Erst dann kommen die vielen anderen, die ich auch brauche...


    Die Leserin

  • Ja, "Lebensbücher" - solche, die mich schon lange begleiten und auf die ich immer wieder, angeödet von der zeitgenössischen Literatur, zurückgreife, habe ich auch einige:


    Friedrich Hölderlin, Hyperion
    Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften
    Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands
    Uwe Johnson, Jahrestage
    Virginia Woolf, Die Wellen
    das Gesamtwerk von René Schickele und Lion Feuchtwanger und (aus neuerer Zeit) W. G. Sebald
    Jorge Semprun, Antonio Tabucchi, Italo Svevo


    und immer wieder Gedichte, Gedichte, Gedichte (Hölderlin, Novalis, Trakl, Rilke, Celan, Bachmann, Meister u.v.a.m.)

  • Moin, Ihr Lieben,


    keine leichte Frage ... Hier trotzdem der Versuch, einem innersten Kern nachzuspüren:


    T. Mann: Der Zauberberg, Der Tod in Venedig
    E.A. Poe: The Raven, The Fall of the House of Usher
    Kafka: Der Prozeß, Das Schloß, Die Verwandlung
    H. Melville: Moby Dick
    Tolstoi: Krieg und Frieden
    Rilke: Malte Laurids Brigge, div. Gedichte
    Trakl: div. Gedichte
    Beaudelaire: Les fleurs du mal
    Storm: Der Schimmelreiter
    Scott Fitzgerald: Zärtlich ist die Nacht
    Capote: Kaltblütig
    Mailer: Die Nackten und die Toten
    Conrad: Herz der Finsternis
    O. Wilde: Dorian Gray, Salomé
    Stevenson: Die Schatzinsel


    Es grüßt


    Tom

  • Ich habe eine existenzielle, oder wahrscheinlich richtiger gesagt: essentielle Angst davor, dass mich die mehr oder weniger intensive, aber unsystematische Beschäftigung mit Literatur letztendlich doch nicht nachhaltig prägen wird.


    Der Literatur verdanke ich aber doch vieles, vor allem den Büchern, die ich im Alter von 15 und 16 gelesen habe, das waren u. a. Hesse, Kafka, Thomas Mann, Thomas Bernhard. Obwohl ich Thomas Mann damals kaum verstanden habe, bin ich ihm vieles schuldig, da ich bei seinen Büchern begonnen habe, mir unbekannte Wörter im Wörterbuch nachzuschlagen. Meine Schulleistung fuhr in dieser Zeit rasant hinauf, sodass ich im Alter von 14 noch fürchten musste, sitzen zu bleiben, vier Jahre später aber als einer der besten Schüler mit Auszeichnung maturiert habe.


    Damals las ich auch Max Frisch' "Stiller". Einen schönen Satz von Unseld will ich zitieren: "Ich möchte noch einmal ,Stiller' zum ersten Mal lesen können."


    Dostoevskij nannte die Psalmen; das religiöse Verständnis haben mir wohl Ps 51 und Ps 44 (das Ende) näher gebracht, am meisten aber Nikolaus von Kues' "De visione Dei" (Über das Schauen Gottes).


    Gruß

  • ...sorry, hab noch ein paar ganz wichtige Namen und Werke vergessen:
    Franz Kafka (alles, insbesondere seine Tagebücher)
    Fernando Pessoa (vor allem "Das Buch der Unruhe")
    Cesare Pavese


    und vielleicht fällt mir noch etwas ein, wenn ich länger an den Bücherschränken entlangschleiche... :zwinker:

  • Herzlichen Dank an alle, die sich bis jetzt schon geäußert haben.


    Ich bin überrascht über die Teilnahme an der "Umfrage"


    Teilweise sind es ja recht umfangreiche Listen und viele Bücher die euch bewegt und begleitet haben. Beachtlich!


    Scardanelli:


    Nein,Nein, nicht sammeln.! Die Augen zu machen und nachdenken: Wo hat mich eine Lektüre aus der Bahn geworfen, wo hat es geholfen mich auf meinen Weg zu bringen, das war gemeint, und diese Bücher sind in deinem Kopf und nicht nur im Regal ;-)




    Wäre schön, wenn noch welche dazu kommen.

  • Bücher habe ich nicht im Kopf, das geht auch gar nicht (wer kann ein ganzes Buch behalten?); im Kopf habe ich Zitate, einzelne Passagen - oft nicht einmal wortwörtlich, weil schon das unmöglich ist - und Gedichte, Gedichte, Gedichte...


  • Bücher habe ich nicht im Kopf, das geht auch gar nicht (wer kann ein ganzes Buch behalten?); im Kopf habe ich Zitate, einzelne Passagen - oft nicht einmal wortwörtlich, weil schon das unmöglich ist - und Gedichte, Gedichte, Gedichte...


    Entschuldigung scardanelli :winken:


    Ich hätte: Buchtitel schreiben müssen, daran hatte ich gedacht.


    giesbert:


    An so was wie "Zettels Traum" würde ich mich nie wagen, Kompliment !

  • Hallo,


    ein schönes und interessantes Thema!


    Ich weiß, es mag merkwürdig und etwas überhoben klingen, aber am meisten beschäftigten mich in meinen Leben, unter anderem natürlich, Goethes Faust, Benns gesamtes Werk, Jean Paul (ich glaube - Er machte aus mir einen etwas besseren Menschen), dann dieser niemals auszulesende Tristram Shandy und das Werk (und das Schicksal) Hölderlins.


    Und seltsamerweise greife ich dann immer wieder einmal gern zu so genannten Kinderbüchern wie Moby Dick (in einer guten Übersetzung), oder die Schatzinsel und selbst den Tom Sawyer oder Stifters grüne Steine (das Buch war damals als "Kinderbuch" gedacht) nehme ich immer wieder gern zur Hand.


    Was ich eigentlich wirklich sagen wollte, ich kaufe immer weniger Bücher der "neueren Schriftsteller" und lese immer öfter lieber einen der "Alten", ist schon alles sehr merkwürdig.


    Grüß


    Peter


  • Nur Mut :zwinker: Weder "Moby Dick" noch "Die Schatzinsel" waren als Kinderbücher konzipiert, sie sind nur von mehr oder weniger geschäftstüchtigen Verlegern dazu gemacht worden. Den Rückgriff auf solche Werke kann man also durchaus nachvollziehen.


    Und was das Bevorzugen älterer Werke gegenüber Zeitgenossen angeht, empfinde ich das ganz ähnlich (und überhaupt nicht merkwürdig, sondern verständlich).

  • Und was das Bevorzugen älterer Werke gegenüber Zeitgenossen angeht, empfinde ich das ganz ähnlich (und überhaupt nicht merkwürdig, sondern verständlich).


    Na ja - einen Grund muss es ja haben, dass wir uns in einem Klassikerforum herumtreiben ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Bibel
    Homer: Die Odyssee
    Sophokles: König Ödipus; Antigone
    Thukydides: Geschichte des peloponnesischen Kriegs
    Platon: Der Staat
    Dante: Göttliche Komödie
    Montaigne: Essais. Zweites Buch (Eichborn)
    Shakespeare: Tragödien
    Cervantes: Don Quijote
    Sterne: Tristram Shandy
    Moritz: Anton Reiser
    Goethe: Briefwechsel mit Schiller
    Goethe: Faust, Wahlverwandtschaften
    Dostojewskij: Die Brüder Karamasow, Böse Geister
    Joyce: Ulysses
    Kafka: Erzählungen, Der Proceß
    Thomas Mann: Buddenbrooks, Zauberberg, Josephs Romane, Dr. Faustus
    Musil: Mann ohne Eigenschaften
    Doderer: Strudlhofstiege


  • Nur Mut :zwinker: Weder "Moby Dick" noch "Die Schatzinsel" waren als Kinderbücher konzipiert


    Moby-Dick nicht. Die Schatzinsel schon eher. Das ist von Anfang als Jugendbuch geplant gewesen. Oder als ein Buch, das Jugenderinnerungen aktualisiert (was Moby-Dick definitiv nicht tut):


    Dem zögernden Käufer


    Wenn Seemansgarn zur Seemansweise,
    Sturm, Abenteuer, Hitz' und Kält',
    Wenn Schoner, Inseln, Sklavenreise,
    Bukanier und vergrab'nes Geld
    Und was dazugehört, erhellt
    Auf die romantisch alte Art,
    Dem jungen Volk noch heut gefällt,
    Wie's mir ehdem gefallen hat:


    - So sei es, und greift zu! Doch sollt
    Erpicht nicht mehr die Jugend sein
    Auf das, was früher sie gewollt,
    Kingston, den wack'ren Ballantyne
    Und Coopers Wald und Wogen fein:
    So sei es auch! Dann will ich nun
    Mit meinen Filibustern sein,
    Wo sie mit ihren Helden ruhn!


    (Widmung zu "Schatzinsel", üb. v. Friedhelm Rathjen)

  • Wobei mir einfällt: Robinson Crusoe. Habe ich als Kind während eines Nordseeurlaubs gelesen, in der vermutlich ungekürzten, jedenfalls sehr dicken Fassung. Ob das zu meinen "Lebensbüchern" gehört? Weiß ich nicht. Beeindruckt & geprägt hat es mich allerdings sehr.


    Und noch ein paar Titel aus etwas späteren Jahren:


    Ludwig Marcuse: Das Märchen von der Sicherheit.
    Thomas Mann: Doktor Faustus
    Jean Paul: Siebenkäs / Flegeljahre / Titan (und der Rest eigentlich auch)
    Cooper: Satanstoe (in Arno Schmits Übersetzung)
    Stephen King: Es
    Nietzsche: Der Anti-Christ
    Nestroy: Diverse Stücke
    EA Poe: Der Untergang des Hauses Usher
    Wilhlem Raabe: (Vieles)
    Eckhard Henscheid: Geht in Ordnung. Sowieso. Genau
    Gottfried Benn: (Manches)


    Und ganz am Anfang und immer wieder und immer noch: Carl Barks, Donald Duck


  • "Die Bibel" hat mich übrigens nie gereizt. Als Kind las ich eine "Kinderbibel", aber dann kam mir Gustav Schwab unter die Finger. Und gegen den Olymp hat der lahme Monotheismus natürlich verloren.


    Herrlich!


    Die Bibel gehört für mich zu den "Weisheitsbüchern", nun gut, aber dazu gehören dann für mich auch das Tao Te King, viele Schriften des Mahajana Buddhismus (Zen), die Gita, natürlich die Edda und vieles mehr. Hatte ich vergessen unter den - "Existenzialen" mit aufzuzählen.
    (Hoffentlich liest hier kein "Fundi" mit :breitgrins:)


    Grüße


    Peter