Juni 2008 - Karl Gutzkow: Die Ritter vom Geiste

  • War May vielleicht ein begeisterter Gutzkow-Leser?


    Ich weiss nichts davon; ich vermute aber, es geht eher auf die beiden gemeinsame Lektüre von Sue zurück. (Allerdings muss ich gestehen, dass ich von Sue noch nichts gelesen habe.)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    inzwischen in II,9 angelangt kann ich nichts so recht Neues sehen und erwähnen. Abweichend zu dir, sandhofer, empfinde ich Dankmar Wildungen nicht so als Gutmenschen: Er ist durchaus von Geltungstrieben beseelt und spiegelt sich auch recht gern in seiner neu entstandenen Freundschaft zum Prinzen, die ihm trotz seiner demokratischen Gesinnung doch recht schmeichelt. Auch seine Suche nach den Erbpapieren wirkt trotzt der auctorialen Beteuerungen des Gegenteils nicht selbstlos.


    Auch Melanie wird mir weiterhin nicht sympathischer, wohingegen ich mich an den Nebenfiguren, dem Jäger, der Pfannenstielsippe durchaus erfreuen kann.


    Schau'n wir mal. Schönes Wochenende!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • War May vielleicht ein begeisterter Gutzkow-Leser?


    Ich habe mal gesucht. In der Karl-May-Chronik wird nur ein Theater-Besuch erwähnt - "Uriel Acosta".

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)

  • So, unterdessen habe ich in Buch 5 doch wieder ein schönes Kapitel gefunden: Das Gespräch zwischen dem angeblichen Engländer Murray und der Maler-Guste. Das könnte direkt aus Victor Hugos Les Misérables stammen. Leider hat Gutzkow nur ausnahmsweise den Drang nach vorne, den Hugo so ausgesprochen zeigt. In Punkto Trivialität ist der Franzose nämlich, wenn wir mal das reine Skelett der Handlung betrachten, um einiges schlimmer: Unmögliche Zufälle werden auf noch unmöglichere Zufälle gehäuft, der Protagonist ist ein Gutmensch, vor dem selbst Old Shatterhand verblasst - - - aber, aber, aber ...: Hugo treibt die Geschichte unterbittlich nach vorne, auch und gerade, wenn er eine seiner beliebten Abschweifungen integriert. Gutzkow begnügt sich damit, seine Protagonisten labern zu lassen.


    So auch in dem Kapitel, als die Geheimgesellschaft der Ritter vom Geiste zum ersten mal skizziert wird. Immerhin: Wir sind nun in der Mitte des Romans und endlich, endlich zeichnet sich die titelgebende Sozietät wenigstens als Gedankenspiel mal am Horizont der Handlung ab ... :breitgrins:


    Danke, BigBen, fürs Nachschlagen der Verbindung May-Gutzkow. Ich meine aber, mich zu erinnern, dass die Lektüre Mays nicht in allen Einzelheiten überliefert ist. Es könnte also schon noch sein, dass er Die Ritter vom Geiste tatsächlich gelesen hatte.


    A propos Verbindungen zu andern Autoren: Weiss man etwas über eine eventuelle Gutzkow-Lektüre Thomas Manns? Gutzkow stellt ja nachgerade penetrant die beiden Organisationen der Jesuiten und der Freimaurer als welt- bzw. geistesgeschichtliche Antagonisten einander gegenüber. Das erinnert mich schon ein bisschen an den Zauberberg mit den beiden Antagonisten Settembrini und Naphta ...

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  • So, das erste Buch ist geschafft. Die Anspielungen auf die Beziehung zwischen Melanie und Hackert finde ich sehr interessant. Auch Melanie selbst wurde im letzten Kapitel des Buches facettenreicher.



    Danke, BigBen, fürs Nachschlagen der Verbindung May-Gutzkow. Ich meine aber, mich zu erinnern, dass die Lektüre Mays nicht in allen Einzelheiten überliefert ist. Es könnte also schon noch sein, dass er Die Ritter vom Geiste tatsächlich gelesen hatte.


    Es gibt ein Verzeichnis seiner Bibliothek. Leider habe ich dieses nicht online finden können.

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  • Ich tummle mich unterdessen in Buch 6. Es gab in Buch 5 noch einmal eine gut gemachte Szene, wo Pauline von Harder im selben Raum ihr Tagebuch schreibt, wie ihre Unterhaltungsdame das Menu zusammenstellt für einen kommenden Anlass. Beide sind nicht imstande, zu schreiben ohne dabei sich selber zu diktieren. Das kommt dann ganz witzig 'rüber.


    Es gibt ein Verzeichnis seiner Bibliothek. Leider habe ich dieses nicht online finden können.


    Das gibt es auch nicht on-line. Im übrigen spiegelt das Verzeichnis in etwa den Stand von 1930, wenn ich mich nicht irre. Sprich: Die gute Witwe Mays hatte Gelegenheit (und hat sie auch genutzt) Bücher zu eliminieren, die ihr peinlich waren. (Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die von Gutzkow sein könnten :breitgrins: .)


    (Abgesehen davon, wie Du ja besser weisst als ich, bedeutet, dass ein Buch in der Bibliothek von Herrn XY zu finden ist, noch lange nicht, dass er es auch gelesen hat.)

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  • Hallo,


    ich halte zwischen euch, BigBen und sandhofer, ungefähr die Mitte - na, näher zu BigBen - und bin in III,1. Nun habe ich Pauline von Harder kennen gelernt, die ich sehr plastisch gestaltet finde. Diesen Charakter hat Gutzkow sehr gut ausgemalt und dabei, zumindest für den Moment, mehr die Handlungsebene als den auktorialen Kommentar benutzt. III,1 bietet auch eine schöne Chrakterisierung Paulines durch die Kontrastierung ihrer dreigeteilten Privatgemächer.


    Auch Melanies Scherze haben in dem Kapitel "Melanie-Späße" (II, 12) zwar noch die gleiche egomanische, aber eine doch witzigere Qualität gewonnen.


    Insgesamt habe ich im Moment den Eindruck, dass Gutzkow besser schreibt, da wo es städtischer wird. Als Publizist ist er wohl auch eher ein urbaner denn ein ländlicher Typ gewesen. Und Pauline scheint ihm zu liegen, denn da kommen ja wohl noch ein paar nette Szenen, wie du, sandhofer, andeutest.


    Inzwischen habe ich ein wenig in Gutzkows Biografie gesurft und geblättert: Der Mann muss für seine Umgebung und sich ein ziemlich schwieriger Charakter gewesen sein. Das tut seinem Dankmar ganz gut: Er wird dadurch nicht ganz so gut, sondern vertraut den und verdächtigt zum Teil die falschen Personen, handelt dann auch unkonsequent, z. B. bei Hackert und den Spitzkugeln. Ich finde nicht, dass das Gestaltungsfehler sind, sondern genauso inkonsequent - mal skrupulös, mal leichtsinnig, auch unbarmherzig verhalten sich nun mal viele Menschen.


    Regina, wo bist du denn abgeblieben? Hast du den Schinken schon durch oder dir eine "Zwangs"pause verordnet?


    Zunächst euch allen einen schönen Restsonntag


    HG
    finsbury

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    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • ich halte zwischen euch, BigBen und sandhofer, ungefähr die Mitte - na, näher zu BigBen - und bin in III,1.


    Na gut, dann mache ich halt das Schlußlicht. :zwinker: Ich bin jetzt in II.3.
    Der olle Gutzkow war ja ein richtiger Chauvinist. Wäscheaufhängen ist eine weibische Tätigkeit. Der hätte mir mal zwischen die Finger kommen sollen. :grmpf:



    So auch in dem Kapitel, als die Geheimgesellschaft der Ritter vom Geiste zum ersten mal skizziert wird. Immerhin: Wir sind nun in der Mitte des Romans und endlich, endlich zeichnet sich die titelgebende Sozietät wenigstens als Gedankenspiel mal am Horizont der Handlung ab ... :breitgrins:


    In II.2 unter dem Haselstrauch hat Dankmar schon mal von der Notwendigkeit einer vereinigenden Gesellschaft sinniert. Ich denke, das ging schon in die Richtung.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym (2001)


  • Na gut, dann mache ich halt das Schlußlicht. :zwinker: Ich bin jetzt in II.3.


    Den Titel reklamiere ich für mich, gerade zum Spion in I.8 umblätternd. Die Nacht im Heidekrug war lang und in der Tat langweilig, und ich habe nicht den Eindruck, dass mir dieses mit politisch klingenden Schlagworten durchsetzte Gerede viel vom geschichtlichen Hintergrund erleuchtet hat: außer, dass auch damals Nachweise der eigenen Bildung durch beiläufige Verweise auf anderleuts Dramen zur Konversationsstrategie gehörten. Die Rahmenhandlung ist weiterhin das interessanteste an dem Roman.


    Ich habe inzwischen doch - in der Verwandtschaft - die Geheimnisse von Paris meines Vaters aufgetrieben und bin versucht, einen Ausflug dorthinein zu machen. Bei Gelegenheit tippe ich den dort gefundenen Zeitungsauschnitt von 1982 für den Materialordner ab. In der gleichen Aufmachung des Verlags Ralph Suchier haben sich auch noch die Elenden des Victor Hugo gefunden, die ebenfalls gelesen werden wollen ...


  • Die Nacht im Heidekrug war lang und in der Tat langweilig, und ich habe nicht den Eindruck, dass mir dieses mit politisch klingenden Schlagworten durchsetzte Gerede viel vom geschichtlichen Hintergrund erleuchtet hat: außer, dass auch damals Nachweise der eigenen Bildung durch beiläufige Verweise auf anderleuts Dramen zur Konversationsstrategie gehörten.


    Das verblüffende an solchen und ähnlichen Passagen (und letztlich an der ganzen Romanstruktur) ist ja, dass das für Gutzkow wohl ganz ernstgemeinte Beiträge zum politischen Diskurs seiner Zeit waren. Die Ritter vom Geist sind ein politischer Roman, da werden "drängende Fragen der Zeit" erörtert, analysiert und gelöst (wie beim "Zauberer" übrigens auch). "Verblüffend" deshalb, weil ein über mehrere Jahre erscheinender Roman für dergleichen ein eher untaugliches Mittel zu sein scheint. Gutzkow wollte mit seinen Roman ganz direkt Einfluss nehmen auf die gesellschaftliche Entwicklung, das ist gewissermaßen Agitprop-Literatur ;-)


    Auch wenn Arno Schmidt Gutzkow zu einem Prosakünstler stilisieren und in seine Ahnenreihe zwingen wil: Gutzkow war viel zu sehr Journalist, als dass er einen Roman gewissermaßen um des Romans willen geschrieben hätte.

  • und bin in III,1. Nun habe ich Pauline von Harder kennen gelernt, die ich sehr plastisch gestaltet finde.


    Buch 3 ist - ich bin immer noch in Buch 6 - bis jetzt m.M.n. das erzählerische Highlight des Romans, und das erste Kapitel der Stirndiamant in der (relativen) Perlenkrone ;).


    Der olle Gutzkow war ja ein richtiger Chauvinist. Wäscheaufhängen ist eine weibische Tätigkeit. Der hätte mir mal zwischen die Finger kommen sollen. :grmpf:


    Na ja, Du musst ihm schon die 150 Jahre Differenz zu Gute halten, die er älter ist als wir ... Der Feminismus war gerade erst erfunden, Pauline von Harder wird ihn später sogar ansprechen. (Oder war's die Emanzipation? Egal, einen der beiden Begriffe hat sie verwendet.) Im übrigen finde ich Gutzkows Frauengestalten eigentlich verblüffend emanzipiert. Die b...en da in der Weltgeschichte herum, ohne grössere Gewissensbisse zu haben als die beteiligten Männer, eher sogar kleinere ...


    Auch wenn Arno Schmidt Gutzkow zu einem Prosakünstler stilisieren und in seine Ahnenreihe zwingen wil: Gutzkow war viel zu sehr Journalist, als dass er einen Roman gewissermaßen um des Romans willen geschrieben hätte.


    So wirkt es auch auf den heutigen Leser. Das muss übrigens schon vor rund 100 Jahren so gewesen sein. Meine antiquarisch erstandene Ausgabe wimmelt von Bleistiftanstreichungen - - - in der ersten Hälfte des ersten Bandes. Im zweiten Band habe ich, glaube ich, noch eine gefunden. Propagand ermüdet einen irgendwann ... ;)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • was sich seit den 150 Jahren aber geändert hat, ist, dass heute niemand mehr - wie die blaue Blouse in Kapitel I.8 - über die Franzosen lästert, weil sie, unverändert wie seit 150 Jahren, schon mit 50 in Rente gehen und von ihrem (an der Börse erspekulierten) Ersparten bis zu ihrem Ableben mit 70 gut leben, also bis zu dem erst Jahrzehnte später von Bismarck eingeführten deutschen Renteneintritssalter. Und "die Arbeit als eine Quelle der höchsten Freuden" (S. 191) würde nach den KdF- und Arbeit-macht-frei-Kampagnen des Dutzendjährigen Reich heute auch keiner mehr auszusprechen wagen.


    Interessant, einen so alten Schmöker in so gut lesbarer, wohlgesetzter und liebevoll gebundener Ausgabe heutzutage lesen zu können.

  • In Buch 6 hat unterdessen ein politisches Referat ein im übrigen schön beschriebenes Gartenfest beinahe ruiniert - auch für die Organisatorinnen übrigens. Dann aber wird's wieder melodramatisch. Nachdem zuerst die beiden Wildungen in dieselbe Tussi verschossen waren, haben wir nun Mutter und Tochter Wälsungen, die beide in Wildungen Zwo verliebt sind. Ne, wart mal ... Wildungen Eins ist's, glaube ich. Und zuguterletzt diese Räume, die aufgrund ihrer speziellen Konstruktion so gut abgehört werden können, und wo unsere Konspiratoren nun offenbar Ernst zu machen gesinnt sind mit ihrem Orden der Ritter vom Geiste. Ähnliche Räumlichkeiten hat auch Karl May in Winnetou IV eingesetzt ...

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  • Ich bin mittlerweile bis II.6 vorgedrungen. Man erfährt einiges über die Vergangenheit des Prinzen. Auf seiner Wanderung von Genf nach Lyon ist er ja auch fast bei mir vorbeigekommen. Und da ich die Gegend durch mein Hierwohnen ein wenig kenne, fiel mir auch ein kleiner Fehler Gutzkows auf. Man kann, wenn man rückwärts blickt, zwar den Mont Blanc sehen, aber auf keinen Fall das Chamonixtal.

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  • So, jetzt habe ich das wohl als zentrales angelegte Kapitel gelesen, wo Wildungen (ich glaube: Zwo) die Statuten und den Vereinszweck der Ritter vom Geiste umreisst. Witzig finde ich, wie zuerst über das freimaurerische Ideal sich lustig gemacht wird, das verlangt, dass man sich selbst bessere, um die Welt zu bessern, oder über die Arbeitervereinigungen, die konkrete Änderungen der Lebensumstände einfordern - um dann ein Ideal aufzustellen, dass jenseits jeder Realisierbarkeit steht. Zu ideal, zu schwammig ... echt deutsch halt ... :breitgrins: :winken:

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  • Hi,


    wie sandhofer schon schrieb, das Buch III gehört wohl zu den Höhepunkten. Hier geht's richtig zur Sache und die Handlung schreitet voran. Bin jetzt in III, 7, und selbst die politischen Kapitel sind recht kurzweilig gestaltet.


    Bis denne


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)