Juni 2008 / Lampedusa - DER LEOPARD


  • Bei diesem wunderschönen Stil kann man nur von einem großen erzählerischen Talent sprechen, da mag die Konstruktion des Romanes sein, wie sie will.


    Seinen Erzählstil finde ich auch sehr gut. Die einzelnen Teile sind spannend und abwechslungsreich und enthalten viele Gedanken. Wahrscheinlich ist der Text wirklich einfach fragmentarisch konstruiert, ob das nun so von Lampedusa beabsichtigt war, oder nicht.



    Das wäre ganz interessant. Da fehlt mir aber noch der Rest des Buches, um da den vollen Überblick zu haben...


    Viele Grüße
    thopas


  • Vom Frauenwahlrecht in Sizilien weiß ich so gut wie nichts. In Österreich gibt es dieses auch für Frauen seit 1918.


    Im Schweizer Kanton Appenzell Innerrhoden musste dieses Recht 1990 (!) gerichtlich durchgesetzt werden ... :breitgrins:


    Und Europas letzte Hexe wurde nicht in Österreich, nicht in Deutschland und auch nicht auf Sizilien hingerichtet, sondern in der Schweiz (1782 im Kanton Glarus).


    Nix für Ungut, liebe Schweizer Nachbarn. Ich mag Euch - wirklich!


    Viele Grüße


    Sir Thomas


  • ... wird die Atmosphäre mit einer gewissen Erotik aufgeladen.


    ... wobei auch pikante Noten nicht ausgespart werden (wie bspw. das auf S. 173 geschilderte "Spezial-Etablissement") und etwas später die katholisch bewährte Reinigung nach den Ausschweifungen auch gleich mitgeliefert wird ("Neben dem göttlichen Leichnam hing an einem Nagel eine Peitsche ... und es schien ihm wohl, als ob die Tropfen seines Blutes auf die Felder regneten, sie zu erlösen, ... als ob diese Erde nur mittels dieser sühnenden Taufe wirklich sein Eigentum werde, Blut von seinem Blut, Fleisch von seinem Fleisch ..." (S. 174/175).


    Weitere Kommentare spare ich mir ...


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Ja , Madeleine, Deine Vermutung war richtig. Das 4. Kapitel ist in der italienischen Schulausgabe um rund 16 Seiten von S.166 ("Dann umarmte er sie nochmal") bis"An einem jener Tage..."(S.182) gekürzt! Unglaublich, dabei ist gerade diese Passage köstlich und stilistisch virtuos. Schade für die Schüler !


    sir thomas, heute:
    ... wobei auch pikante Noten nicht ausgespart werden (wie bspw. das auf S. 173 geschilderte "Spezial-Etablissement") und etwas später die katholisch bewährte Reinigung nach den Ausschweifungen auch gleich mitgeliefert wird
    Ja, sir thomas , man fühlt sich an Maquis de Sade erinnert.

  • Ja, sir thomas, und zwar sein erstes Buch : "Justine ou les malheurs de la vertu"("Justine oder das Elend der Tugend" o.ä.), vor vielen Jahren. Heute nichts Besonderes, aber zur Zeit des marquis unglaublich radikal und die Freiheit der französichen Revolution auf die Spitze treibend.
    Der Palast, in dem Tancredi und Angelica das Spezialetablissement und die Utensilien finden, ist ja aus der Zeit des ausgehenden 18.Jahrhunderts.


  • sir thomas, heute:
    ... wobei auch pikante Noten nicht ausgespart werden (wie bspw. das auf S. 173 geschilderte "Spezial-Etablissement") und etwas später die katholisch bewährte Reinigung nach den Ausschweifungen auch gleich mitgeliefert wird
    Ja, sir thomas , man fühlt sich an Maquis de Sade erinnert.


    Wobei Reinigung höchstens bei der Figur Justine vorkommt, die ja gegen ihren Willen in diese Ausschweifungen verwickelt wird. Die eigentlichen Täter fühlen sich zu keiner Reinigung verpflichtet, wenn ich mich richtig erinnere. :smile:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Entschuldigt bitte meine verspätete Einmischung. Ich hatte bisher keine Zeit, mich zu beteiligen. Dies ist meine erste Leserunde. Es sollte ein Buch sein, das ich bisher noch nicht gelesen habe und das mich schon länger interessiert. "Der Leopard" ist der erste Lesevorschlag, auf den das zutrifft.
    Jetzt bin ich tief im dritten Kapitel. Nach den ersten Seiten war ich fasziniert und bin jetzt ganz eingetaucht in diese Welt des vornehmen Untergangs und des Verfalls. Es ist ja ein Buch über das Sterben, das Absterben einer Welt, einer Epoche, einer Klasse. (darin durchaus verwandt mit den Buddenbrooks, wie Sir Thomas schon erwähnt hat) Alles strömt den Geruch von Morbidität aus. Vor dem endgültigen Dahinscheiden dieser inzwischen untergegangenen Welt, das Lampedusa ja selbst erlebt hat, wird noch einmal alles heraufbeschworen, was diese Welt ausgemacht hat. Mich überrascht, wie es Lampedusa gelingt diesem sowohl sprachlich als auch inhaltlich ganz im 19.Jahrhundert verwurzelten Buch mitunter Modernität einzuhauchen. Wenn plötzlich Flugzeuge oder Freud erwähnt werden, schreckt man richtig auf. Mit der Figur des Fürsten (in seiner Stärke und Zartheit) ist es Lampedusa gelungen, jemanden zu schaffen, der in aller Abwehr, die man ihm gegenüber hegen muss, doch Sympathien auf sich zieht, ist er doch der einzige, der die Situation richtig einschätzt und überschaut. Permanent vollzieht er Abschiede. Überhaupt ist es ein Buch über die Kunst des Abschiednehmens, so scheint es mir bisher. Soviel zunächst in aller Kürze. Ich konnte noch nicht alle eure Beiträge verfolgen, werde das aber nachholen.
    Viele Grüße von der Leserin


  • "Justine ou les malheurs de la vertu"("Justine oder das Elend der Tugend" o.ä.), vor vielen Jahren. Heute nichts Besonderes, aber zur Zeit des marquis unglaublich radikal und die Freiheit der französichen Revolution auf die Spitze treibend.


    Jetzt hast Du mich richtig neugierig gemacht, Gontscharow! Der Marquis geistert ja immer wieder durch die Litaraturgeschichte, aber bislang war ich der Meinung, ihn nicht näher kennen lernen zu wollen. Mal sehen, ob ich meine Meinung ändere ...


    Viele Grüße


    Sir Thomas


  • Mit der Figur des Fürsten (in seiner Stärke und Zartheit) ist es Lampedusa gelungen, jemanden zu schaffen, der in aller Abwehr, die man ihm gegenüber hegen muss, doch Sympathien auf sich zieht, ist er doch der einzige, der die Situation richtig einschätzt und überschaut. Permanent vollzieht er Abschiede. Überhaupt ist es ein Buch über die Kunst des Abschiednehmens ...


    Liebe Leserin,


    schön, mal wieder etwas von Dir zu lesen!


    Aus Deinem Beitrag habe ich mir eine Stelle herausgesucht, die mich zum Nachdenken angeregt hat. Die Frage, ob der Fürst Sympathien (Bewunderung, Respekt, Mitleid, ...) oder eher Abscheu verdient, habe ich mir schon des öfteren gestellt - ohne bislang eine Antwort zu finden. Meine Tendenz geht in Richtung Respekt, zur Bewunderung reicht es (noch) nicht. Besonders beeindruckt hat er mich mit seinen Ausführungen im vierten Kapitel - dazu vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mehr (ich will jetzt nicht vorgreifen, wenn Du im dritten steckst).


    Viele Grüße und weiterhin viel Freude mit unserem Kätzchen


    Wünscht


    Sir Thomas

  • Jetzt hast Du mich richtig neugierig gemacht, Gontscharow! Der Marquis geistert ja immer wieder durch die Litaraturgeschichte, aber bislang war ich der Meinung, ihn nicht näher kennen lernen zu wollen. Mal sehen, ob ich meine Meinung ändere ...


    Oh ... de Sade gehört unbedingt gelesen. Er ist nämlich alles andere als die billige Pornografie, als die er allgemein gilt ;) ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Oh ... de Sade gehört unbedingt gelesen. Er ist nämlich alles andere als die billige Pornografie, als die er allgemein gilt ;) ...


    Ja, wenn das so ist, dann müßte man sich um den Herrn doch näher kümmern.
    Kann man seine Ausführungen einer Leserunde zumuten oder sind sie nur für die einame Lektüre gedacht?


    Mir wird der Fürst mit fortschreitender Lektüre immer sympathischer.
    Er vertritt seinen Stand doch in aller Würde ohne die Zeichen der Zeit zu übersehen.


    Als große Katzenfreundin werde ich mich heute noch etwas mit unserem Kätzchen beschäftigen, wie Sir Thomas das so nett ausgedrückt hat.


    Eine gute Nacht wünscht allseits


    Madeleine

  • Ja, wenn das so ist, dann müßte man sich um den Herrn doch näher kümmern.
    Kann man seine Ausführungen einer Leserunde zumuten oder sind sie nur für die einame Lektüre gedacht?


    Ich nehme an, die einsame Lektüre ist hier dem Rudelverhalten eindeutig vorzuziehen ... :breitgrins:


    Liebe Grüße


    Sir Thomas

  • Ich nehme an, die einsame Lektüre ist hier dem Rudelverhalten eindeutig vorzuziehen ... :breitgrins:


    Würde ich nicht behaupten ... ;) - übrigens: bevor die Frage auftaucht: Dieses Jahr liegt bei mir wohl kaum noch eine Leserunde drin ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich komme leider nicht so schnell voran, wie ich will, bin gerade mitten im dritten Kapitel, aber die Geschichte ist wirklich sehr interessant.


    Leider komme ich derzeit nicht zum Lesen, bin am Abend total im Freizeitstress, aber ich hoffe, dass ich mich morgen ein wenig der Lektüre widmen kann :breitgrins:


    Katrin

  • Ich bin auch erst heute wieder zum Lesen gekommen und habe mittlerweile den siebten Teil beendet. Das Kapitel über den Tod des Fürsten fand ich sehr gut gemacht; alles aus der Sicht des Fürsten heraus geschildert. Und es stimmt, der Fürst nimmt eigentlich immer schon Abschied von allem, nicht erst in diesem Kapitel.


    Mir ist der Fürst inzwischen ganz sympathisch geworden. Wenn ich es genau betrachte, ist eigentlich niemand wirklich unsympathisch (außer ein paar Nebenfiguren, aber die sind oft einfach nur vom harten Leben gebeutelt).


    Sehr schön und vor allem so üppig und detailreich fand ich das Kapitel über den Ball. Da hat man die ganze Dekadenz direkt vor Augen. Und es ist sicher auch kein Zufall, daß die Fürsten sich alle weigern, ihre Paläste modernisieren zu lassen. Die uralten Einrichtungen müssen auf alle Fälle beibehalten werden. Diese Unfähigkeit, sich an moderne Zeit anzupassen, bricht ihnen letztendlich wohl das Genick. (Andererseits aber auch wieder gut, denn sonst wären heutzutage keine alten Schlösser und Paläste mehr zu besichtigen :zwinker: )


    Wunderbar fand ich übrigens die Beobachtungen des Fürsten auf dem Ball, als er durch die Salons wandert und sich über die "heutige" Jugend Gedanken macht.


    Viele Grüße
    thopas

  • Liebe Katzenfreunde,


    vielen Dank für deine herzliche Begrüßung, Sir Thomas,


    das 4. Kapitel habe ich nun beendet, das Buch liest sich ja so weg. Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre ich längst durch. Meine bisherigen Eindrücke haben sich teilweise bestätigt. Mit dem ersten Teil des 4. Kapitels war ich nicht so glücklich. Wo sich der Fokus vom Fürsten zu anderem Personal hin verlagert, bleiben die Charaktere schablonenhaft und vermögen mich nicht recht zu interessieren. Das verändert sich erst im zweiten Teil des 4. Kapitels, wenn "der Leopard" wieder in den Mittelpunkt rückt. Zu deiner Frage nach der Bewunderung, Sir Thomas, kann ich nur sagen, ich finde nichts an ihm, dass bewundernswert wäre, dafür weckt er Anteilnahme. Er hat mit allem abgeschlossen, und das ganz ruhig, besonnen und nüchtern. Es sind ihm keine Illusionen über seine Mitmenschen und über sich selbst geblieben. Er läßt sich nichts vormachen und macht sich selbst nichts vor. In gewissem Sinne ist er wirklich wie ein starkes Tier, dessen gefesselte Kräfte dabei sind zu schwinden, da sie nicht mehr benötigt werden. Er ist die einzige Figur, die mich wirklich interessiert. Der Fürst ist jemand, der Angst verbreitet, ohne dass Gefahr von ihm ausgeht, und der nur die schätzt und mit Wohlwollen betrachtet, die ihn nicht fürchten, Tancredi, Angelica und den Hund.
    Noch ein Wort zu de Sade, an den sich manche von euch, wahrscheinlich durch die vielen Peitschen, erinnert gefühlt haben: Warum sollte man seine Bücher, die so abgrundtief trostlos sind, wie seine mit zwanghaften Zählritualen verbrachten Jahre hinter den Mauern von Charenton, lesen? Früher habe ich gedacht, man sollte alles kennen, aber heute denke ich, man sollte sich manches lieber ersparen. Die leeren Wüsten des Marquis gehören definitv zu dem, auf das ich hätte verzichten können.
    Grüße von der Leserin

  • Bis jetzt habe ich nicht den Eindruck, dass der Fürst Angst und Schrecken verbreitet. Ich glaube mich sogar an zwei Stellen erinnern zu können, wo betont wird, dass er über Schulden und auch kleinere Diebstähle seiner Untergebenen hinwegsieht.
    Ich sehe in ihm vielmehr einen angenehmen Vertreter des Adelsstandes, dem durchaus Respekt entgegengebracht wird.


    Interessant ist aber auch das Gespräch des Pater Pirrone mit dem Kräutersammler Don Pietrino. Mir ist so vorgekommen, als wolle der Pater für sich selber bestätigen, dass sich auch für den geistlichen Stand nichts ändert. Das faßt er in Beantwortung der Frage des Kräutermannes zusammen, was denn der Fürst zur Revolution sage. Er sagt, es habe keine gegeben und alles wird bleiben, wie es war. Damit ist wiederum Pietrino nicht zufrieden, denn sogar er bemerkt an den Zahlungsforderungen des Bürgermeisters für die Kräuter, die er in Gottes freier Natur sammelt, dass sich etwas getan haben muss.


    Die leeren Wüsten des Marquis de Sade interessieren mich zunehmend. Erst wenn ich mehr darüber weiß und auch etwas von ihm gelesen habe, kann ich mir eine Meinung bilden.


    Jetzt muss ich aber auf den fürstlichen Ball,


    und wünsche allen meinen lieben Mitlesern einen schönen Samstagabend,


    liebe Grüße
    Madeleine