Juni 2008 / Lampedusa - DER LEOPARD


  • Vielleicht sei mir auch ein kurzes Wort gestatter, obwohl ich hier nicht mit schreibe, aber ich möchte meiner (bibliomanischen) Freude einmal Ausdruck geben, denn diese Leserunde gehört mit zu den besten und schönsten Leserunden, die ich in diesem Forum bis jetzt las.
    Entschuldigt die etwas gestelzte Ausdrucksweise, aber an gewissen Montagen sollte man von mir nicht mehr erwarten.


    Liebe Grüße


    Peter


    Hallo Peter!
    Das hast Du sehr schön formuliert.
    Durch die Beiträge bin ich auf so manches aufmerksam geworden, was ich bei einsamer Lektüre sicher überlesen, falsch oder gar nicht interpretiert hätte.
    Fast habe ich das Gefühl, als bekämen die Figuren dadurch, dass wir uns so intensiv mit ihnen befassen, Leben eingehaucht.
    Schöner läßt sich Literatur kaum noch erleben.


    Liebe Grüße,


    Madeleine.

  • Liebe Katrin!
    Ich verbringe auch viel Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln, so gut wie immer lesend, aber der "Leopard" ist keine Lektüre für die laute Welt. Ich glaube, Du hättest mehr davon und könntest Dich auch besser auf die Feinheiten konzentrieren, wenn Du ihn in möglichst ruhiger Atmosphäre liest.


    Leider gibt es Zeiten im Leben, wo einem nicht der Sinn nach einer so völlig anderen Welt steht.


    Mir geht es manchmal auch so, mit zunehmendem Alter Gott sei Dank jedoch immer seltener, sodass ich die Lektüre auf einen späteren Zeitpunkt verschiebe.
    Das wirkt oft Wunder und die "Pardelkatze" - wie Sir Thomas sie so schön genannt hat - würde Deine volle Aufmerksamkeit verdienen.


    Liebe Grüße


    Madeleine.

  • [quote='thopas','http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/&postID=32092#post32092']
    Auch ich schließe mich an: schade, daß das Buch schon vorbei ist. Trotz des eher traurigen Themas hatte es viele eindrucksvolle Szenen, an die ich mich bestimmt noch länger erinnern werde.


    Irgendwie bin ich jetzt schon fast versucht, einmal wieder die Buddenbrooks zu lesen...


    Viele Grüße
    thopas


    Wie darf man das mit den "Buddenbrooks" denn auffassen? Könnte sich daraus womöglich...??
    Aber ich will gar nicht vorgreifen.

    Eventuell sind noch nicht alle mit dem "Leoparden" fertig und außerdem gibt es da noch eine "Sirene"...


    Eine gute Nacht,

    wünscht Madeleine.

  • OT:


    Danke, sandhofer, dass Du auch auf die Form achtest, aber da habe ich in der Eile wohl etwas falsch gemacht.


    Ach - es ist weniger der Form halber ... aber wenn ich mich so durch die Threads scrolle und alleine für einen Beitrag von Dir meinen Finger dreimal bewegen muss ... :breitgrins: Du hast übrigens auch jetzt in Deinen Beiträgen zuunterst sehr viel Leerraum, sprich leere Zeilen. Verfasst Du Deine Beiträge via Copy&Passte? :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo,


    ich bin jetzt auch durch und habe gestern noch die letzten drei großartigen Kapitel gelesen. Sehr gut gefallen hat mir das Kapitel mit dem Ball, atmosphärisch dicht und herrlich melancholisch. Die beiden Schlusskapitel sind ganz großartig, bewegend der Tod des Fürsten sowie die erst 1910 wieder einsetzende Handlung um die drei Schwestern herum. Großartig auch die Schlusspointe mit dem Hund.


    Man hat nur 319 Seiten gelesen und dennoch nimmt man das Gefühl mit, ein großes Panorama präsentiert bekommen zu haben. Dennoch frage ich mich, ob der Roman nicht durchaus einige Seiten mehr gut verkraftet hätte. Ich finde beispielsweise die Liebesgeschichte um Angelica und Tancredi etwas zu blass. Auch die Stimmung in den Salons hätten sicher noch detaillierter geschildert werden können, mir persönlich hat da zwar nichts gefehlt, habe aber das Gefühl, dass ich andere gelesene Romane (insbesondere Prousts Schilderung der Gesellschaftsabende) in meine Vorstellungswelt mit hinein transportiert habe.


    Zum Schluss bleiben folgende Fragen:


    1. Welche Rolle spielt der Hund?
    2. Welche Rolle spielen die Reliquien?
    3. Welche Rolle spielen die Einschübe des Erzählers aus dem 20. Jh? Plötzlich tauchte dort der Bau der Atom(?)-Bombe auf. Mich hat dieser Halbsatz sehr nachdenklich gemacht. Ist es gar ein Roman, der die "Urkatastrope" des 20. Jh. behandelt?


    Schöne Grüße,
    Thomas


  • Ich muss meine Unwissenheit eingestehen, aber ich hatte vorher noch nie etwas von Lampedusas Leoparden gehört.
    ...
    Gerne nehme ich deshalb Dein Angebot an, uns über PN auszutauschen.


    Hallo, Madeleine,


    ich hätte nicht gedacht, dass es möglich ist, von diesem Werk noch nie etwas gehört zu haben. Aber deshalb von Unwissenheit zu sprechen, würde mir im Traum nicht einfallen.


    Die Sache mit der PN (wie Du es nennst) behalte ich im Hinterkopf.


    Einen schönen Tag wünscht


    Sir Thomas


  • Zum Schluss bleiben folgende Fragen:


    1. Welche Rolle spielt der Hund?
    2. Welche Rolle spielen die Reliquien?
    3. Welche Rolle spielen die Einschübe des Erzählers aus dem 20. Jh? Plötzlich tauchte dort der Bau der Atom(?)-Bombe auf. Mich hat dieser Halbsatz sehr nachdenklich gemacht. Ist es gar ein Roman, der die "Urkatastrope" des 20. Jh. behandelt?


    Hallo, Thomas,


    interessante Fragen.


    Die Reliquien sind Symbole für all die Illusionen und Lebenslügen der Damen Salina, die von dem Kardinal mit einem Handstreich weggewischt werden. Zu Deiner dritten Frage eine Gegenfrage: Was meinst Du mit der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts?" Den 2. Weltkrieg? Normalerweise wird bereits der 1. Weltkrieg unter dieser Rubrik geführt ...


    Und der Hund? Dazu fällt mir im Augenblick nichts Intelligentes ein.


    Viele Grüße


    Sir Thomas


  • Zu Deiner dritten Frage eine Gegenfrage: Was meinst Du mit der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts?" Den 2. Weltkrieg? Normalerweise wird bereits der 1. Weltkrieg unter dieser Rubrik geführt ...


    Die Bombe behandelt ja eher den 2. Weltkrieg, auch Überschallflugzeuge gab es wohl eher erst später. Da das Buch aber 1910 endet, könnte es auch schon auf den 1. Weltkrieg hindeuten. Gerade der Schluss-Satz lässt einen deprimiert zurück und wir wissen ja heute was dann gefolgt ist (der Autor wusste es auch).


    Hätte Lampedusa die Einsprengsel aus dem 20. Jh. weggelassen, hätte ich das schon als merkwürdige Geschichte empfunden. Warum erzählt man so eine Geschichte im Jahr 1957 in einer Tradition wie es Proust oder Mann viele Jahre zuvor getan haben? Aber selbst mit den Bezügen aus dem 20. Jh. fällt eine Antwort nicht leicht.


    Gruß, Thomas

  • Hallo, Thomas,


    ich habe irgendwo aufgeschnappt, "Der Leopard" sei ein ausgesprochen politischer Roman. Ich kann das nicht so ohne Weiteres anerkennen, zumindest habe ich ihn völlig unpolitisch gelesen. Ich glaube vielmehr, dass Lampedusa keine politischen Absichten verfolgte. Er hat (soviel ich weiß) ein sehr kontemplatives und vor allem lesendes Leben geführt und dürfte sich deshalb weniger für die politischen Themen seiner Zeit interessiert haben. Insofern genieße ich all die Dinge, die Du angeführt hast (Atombombe, Überschallflugzeuge), mit einer gewissen Vorsicht. Für mich haben sie keine tiefere Bedeutung, zumindest erkenne ich sie nicht.


    Liebe Grüße


    Sir Thomas


  • Also wenn du so fragst :zwinker:. Ich wäre einer Leserunde zu den Buddenbrooks nicht abgeneigt, muß ja nicht gleich sein. Auch die anderen Bücher auf Sir Thomas' Liste wären durchaus interessant. Du langweilst uns also keineswegs mit deinem persönlichen Geschmack, Sir Thomas :winken:.


    Viele Grüße
    thopas


  • Hallo, Thomas,


    ich habe irgendwo aufgeschnappt, "Der Leopard" sei ein ausgesprochen politischer Roman. Ich kann das nicht so ohne Weiteres anerkennen, zumindest habe ich ihn völlig unpolitisch gelesen.


    Zunächst mal müsste man klären, was ein politischer Roman ist. Nur weil Schlagworte wie Atombombe oder Überschallflugzeuge eingebracht werden, handelt es sich nicht um einen politischen Roman, auch wenn diese Begriffe durchaus auch dort verankert werden könnten. Man kann diese Schlagworte auch unpolitisch interpretieren, sie könnten ein Nachdenken darüber auslösen, was sich dadurch am eigenen Leben geändert hat.


    Politische Elemente wie die gefälschte Wahl enthält er aber durchaus. Dennoch habe ich den Roman überwiegend auch als unpolitisch gelesen. Es geht mehr um den einzelnen Menschen und seine von Politik fast unabhängige innere Verfassung, obwohl außenherum jede Menge Politik stattfindet. Wer macht nicht die Erfahrung, dass die reale Politik das eigene Leben eigentlich kaum berührt.


    Gruß, Thomas


  • ... Es geht mehr um den einzelnen Menschen und seine von Politik fast unabhängige innere Verfassung, obwohl außenherum jede Menge Politik stattfindet. Wer macht nicht die Erfahrung, dass die reale Politik das eigene Leben eigentlich kaum berührt.


    Hallo, Thomas,


    sehr schön, besser hätte ich das nicht formulieren können. Ich unterschreibe jeden einzelnen Satz!


    Viele Grüße


    Dein Namensvetter


  • Also wenn du so fragst :zwinker:. Ich wäre einer Leserunde zu den Buddenbrooks nicht abgeneigt, muß ja nicht gleich sein. Auch die anderen Bücher auf Sir Thomas' Liste wären durchaus interessant. Du langweilst uns also keineswegs mit deinem persönlichen Geschmack, Sir Thomas :winken:.


    Hallo, thopas,


    vielen Dank für das nette Kompliment (Madeleine hat sich ähnlich geäußert, vielen Dank auch Dir). :smile:


    Den "Buddenbrooks" bin ich sehr zugetan, zumal sich dort interessante Vergleiche zu unserer aktuellen Katzenrunde ergeben können. Wesentlich geeigneter für eine Leserunde ist meiner Meinung nach allerdings "Der Tod in Venedig", den man, aufgrund der erfreulichen Kürze, mit weiteren Erzählungen aus der Dekadenz-Phase Manns anreichern könnte. Sehr reizvoll!


    Ich überlasse Euch gern die Initiative, etwas anzuleiern und sichere meine Unterstützung zu.


    Liebe Grüße


    Sir Thomas


  • Der Fürst ist für mich genauso unnahbar wie in der ersten Szene und auch die anderen Personen haben sich mir noch nicht ganz erschlossen. Ich hoffe, dass das im Laufe des Buches noch kommt.


    Nein, ich denke nicht, dass sich die Personen einem voll erschließen oder sie in irgendeiner Weise lieb gewinnt. Das liest man ja im großen Forum häufiger, dass Leser vor allem die Identifikation mit einer der Figuren erwarten. Das ist bei 300 Seiten natürlich kaum möglich, es werden nur einzelne Spots auf die Figuren gesetzt. Es ist mehr eine etwas diffuse Gesamtstimmung (besser kann ich das nicht formulieren), durch die der Roman lebt.


    Gruß, Thomas


  • Den Hund halte ich zumindest nicht für die Hauptfigur wie vom Autor behauptet. Das ist für mich Don Fabrizio, obwohl er schon im vorletzten Kapitel abtrittt.


    Das ist richtig. Trotzdem geht mir der zu Staub verfallende Hund nicht aus dem Kopf. Möglicherweise ist dies nur ein weiteres starkes Symbol für den endgültigen Abstieg des Hauses Salina in die Bedeutungslosigkeit oder ein bewusster Abschied von den letzten Illusionen früheren Glanzes.


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Das ist richtig. Trotzdem geht mir der zu Staub verfallende Hund nicht aus dem Kopf. Möglicherweise ist dies nur ein weiteres starkes Symbol für den endgültigen Abstieg des Hauses Salina in die Bedeutungslosigkeit oder ein bewusster Abschied von den letzten Illusionen früheren Glanzes.


    Viele Grüße


    Sir Thomas


    Ja, so würde ich das auch sehen. Der Hund ist eher ein Symbol für die Familie Salina bzw. den Adel allgemein. Früher lebhaft und mit eher sinnlosen Tätigkeiten beschäftigt, die ihn sehr erfreuten; später dann zu Staub zerfallener Bettvorleger (o.ä.), völlig zwecklos, und wird von Concetta nur zum Andenken aufbewahrt, obwohl er eigentlich schon längst entsorgt gehört hätte...




    Den "Buddenbrooks" bin ich sehr zugetan, zumal sich dort interessante Vergleiche zu unserer aktuellen Katzenrunde ergeben können. Wesentlich geeigneter für eine Leserunde ist meiner Meinung nach allerdings "Der Tod in Venedig", den man, aufgrund der erfreulichen Kürze, mit weiteren Erzählungen aus der Dekadenz-Phase Manns anreichern könnte. Sehr reizvoll!


    Ich überlasse Euch gern die Initiative, etwas anzuleiern und sichere meine Unterstützung zu.


    Stimmt, eine Buddenbrooks-Leserunde würde sich wohl einige Zeit hinziehen... Was meinst du Madeleine? Lieber der Tod in Venedig oder die Buddenbrooks? Ich kenne beides schon, würde aber beides durchaus nochmal lesen.
    Und dann natürlich die Frage: wann?


    Viele Grüße
    thopas

  • Liebe Mitgefangene, hätte ich beinahe gesagt, da ich annehme, dass der Roman euch genauso wie mich gefangen genommen hat,


    Erst ein Wort zu Madeleine:
    Angst und Schrecken muss der Fürst gar nicht erst verbreiten. Das ist wie bei einem leibhaftigen Leoparden, wir fürchten ihn einfach deshalb, weil er das ist, was er ist. Ebenso reagieren die Kinder des Fürsten, seine Dienerschaft, seine Frau, sobald er sich nähert. Sie unterbrechen ihre Tätigkeiten, zollen ihm Respekt und schauen zu ihm auf. Von seinem Sohn Paolo heißt es im ersten Kapitel "er hatte allen Mut zusammengenommen und wünschte ihn zu sprechen." Vom Essen wird berichtet: "Während man schweigend aß, blickten des Fürsten blaue, unter den halbgeschlossenen Lidern etwas verengte Augen die Kinder, eines um das andere, scharf an und ließen sie dadurch vor Furcht endgültig verstummen." Das er, während er sie anschaut, denkt, "alles schöne Kinder", wissen sie nicht und es würde an ihrer Haltung auch nichts ändern. Seine Tochter Concetta wagt es nicht, direkt mit ihm zu sprechen, wenn um ihre Gefühle zu Tancredi geht. Man könnte noch viele Beispiele anführen. Der Fürst ist eben nicht nur, wie er selbst es allen Sizilianern zuschreibt, ein Gott, sondern Gottvater Zeus.

    "Die großen Herren waren zurückhaltend und schwer zu durchschauen, die Bauern deutlich und klar; doch der Teufel wickelte beide gleicherweise um den kleinen Finger." Ein wichtiger Satz, ein Gedanke, der vieles relativiert, in diesem enormen Totentanz, den Lampedusa da vor uns entwirft.


    Doch inzwischen bin ich am "Ende von allem" angekommen und bin bewegt von diesem düsteren, traurigen "Endspiel". Ich fühle mich an Virginia Woolf erinnert, die Liebe zu Stendhal ist unverkennbar. Bei Virginia Woolf ist es auch so, das Menschen dir in ihrer ganzen Lebendigkeit vor Augen gebracht werden, von denen es im nächsten Kapitel dann nur noch lapidar heißt, sie seien vor Jahren verstorben, wie es hier mit der Fürstin, mit Pater Pirrone und Tancredi passiert.
    Wirklich ein meisterliches, tief empfundenes und eindrucksvolles Werk!
    Doch jetzt werde ich erst einmal eure Kommentare lesen, dazu bin ich leider noch gar nicht gekommen.
    Viele Grüße von der Leserin

  • Nein, ich denke nicht, dass sich die Personen einem voll erschließen oder sie in irgendeiner Weise lieb gewinnt. Das liest man ja im großen Forum häufiger, dass Leser vor allem die Identifikation mit einer der Figuren erwarten.



    Es ist für mich mehr oder weniger eine neue Erfahrung, dass ich mich mit keiner der Figuren wirklich identifizieren kann. Da merkt man eben, dass ich mehr die Roman-Schiene lese, wo es gute und böse gibt und dann eben die Schattenfiguren, bei denen man nicht weiß wohin sie gehören. Da kann man sich seine Figuren aussuchen. Hier ist das ganz anders, und ich finde das sehr reizvoll.


    Katrin