Klassiker-Warnungen

  • So, es ist mal an der Zeit, eine Strang mit Warnungen vor Klassikern zu beginnen. Nicht jedes Buch, das im Kanon steht und weihevoll weitergereicht wird, ist die Lektüre wert.


    Heute: Finger weg von Henry David Thoreau: Walden. Ein bigott-verlogener Quatsch aus Fünfpfennigweisheiten und eitlen Dümmlichkeiten. Nach ca. 50 Seiten habe ich aufgegeben. Nichts gegen Prediger. Aber etwas origineller und schlauer sollten sie schon sein, damit man sie liest.


    (Walden ist, keine Frage, ein historisch immens wichtiger Text. Aber das macht das Buch ja nicht unbedingt zu einer angenehmen oder gar empfehlenswerten Lektüre.)


    (Nächstes Mal: Stifters Wittiko.)

  • Ich mag Walden. Zugegeben: Ich habe ihn immer ein wenig à la Arno Schmidt gelesen. Das heisst, in polarisiertem Licht (mit dem Wissen im Hinterkopf, dass dieses Leben abseits der Zivilisation nur möglich war, weil ihm sein Freund Ralph Waldo Emerson die Infrastruktur gratis zur Verfügung stellte; und mit dem Wissen im Hinterkopf, dass sooooo weit weg von der Zivilisation dieses Walden auch nicht war). Und das heisst, Dir gerne zugebend, dass man einen grossen Teil des Werk "opfern" muss. Aber es hat ein paar schöne Landschaftsbeschreibungen. Für mich als Liebhaber des leicht Schrägen und Abseitigen war Walden eine Delikatesse. :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    die Idee, einen Klassiker-Warn-Thread aufzumachen, finde ich prima. :-)


    Zitat von "Dostoevskij"


    Mir erging es ebenso. Nach 50 Seiten war Schluß.


    Dann bist Du ja nicht einmal bis zum dritten Kapitel gekommen, das die Überschrift "Lesen" trägt. Das hättest Du Dir als notorischer Bibliomane eigentlich nicht entgehen lassen dürfen. :breitgrins:


    <i>Walden</i> habe ich eigentlich gar nicht als so schlimm in Erinnerung, man muß das ja nicht von vorne bis hinten lesen, sondern kann sich einzelne Kapitel herauspicken, die eine interessant klingende Überschrift haben.


    Den <i>Witiko</i> habe ich mir nur deswegen gekauft, weil ihn Arno Schmidt so schön niedergemacht hat. :breitgrins: Gelesen habe ich ihn allerdings bis heute nicht, nur stellenweise. Ziemlich beunruhigend finde ich die merkwürdige Emotionslosigkeit der Figuren, das hat teilweise etwas Roboterhaftes. Der Ton des ganzen Romans ist ja sehr getragen und ernsthaft, dadurch entsteht manchmal eine unfreiwillige Komik. Einige Dialoge sind ziemlich seltsam:



    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Ich finde Warnungen - vor welchen Büchern auch immer - ebenfalls ganz prima, weil ich diese Bücher dann immer unbedingt lesen muss. So wird es sicher auch manchen nicht ganz so gläubigen Katholiken mit dem "Kanon der Verbotenen Bücher" ergangen sein.


    Aber hier soll ja nur in aller Freundschaft gewarnt und nicht verboten werden. Allerdings gereicht dem einen zur Delikatesse, was der andere verabscheut.
    Und in den Thoreau, den ich nur dem Namen nach kenne, muß ich nun wenigstens hineinlesen.

  • Aha, wohl so eine Art von - Klassikerplattmachordner?


    Persönliche Animositäten vorausgesetzt? Der Geschmack dann wohl auch, oder wohl mehr der literarische "Nachgeschmack"?


    Kenn ich, bei mir wäre das dann Thomas Mann, was habe ich mich da oft gequält um wenigstens den Zauberberg..., naja, ich sage mal einfach so: Der Zauberberg war und ist für mich ein entsetzlich langweiliges Buch aus den Zeiten spezieller Mannischer Befindlichkeiten, aber eigentlich "befand" er sich immer im Zustand der gewollten Goetheanischen Nachfolge und so liest sich dann auch vieles, aber wie gesagt - die Geschmäcker.


    Übrigens schaffte ich den Witiko damals nur bis ungefähr Seite einhundert, oder so, was mich aber nicht daran hindern wird, dieses doch etwas umfangreiche Werk noch einmal in die Hand zu nehmen.


    Grüße


    Vult

  • Und für mich gehört "Der Zauberberg" zu den schönsten Büchern, die je geschrieben wurden.
    Absolute Lieblingslektüre!
    Aber so ist das mit den Geschmäckern!


  • Den <i>Witiko</i> habe ich mir nur deswegen gekauft, weil ihn Arno Schmidt so schön niedergemacht hat. :breitgrins: Gelesen habe ich ihn allerdings bis heute nicht, nur stellenweise. Ziemlich beunruhigend finde ich die merkwürdige Emotionslosigkeit der Figuren, das hat teilweise etwas Roboterhaftes. Der Ton des ganzen Romans ist ja sehr getragen und ernsthaft, dadurch entsteht manchmal eine unfreiwillige Komik. Einige Dialoge sind ziemlich seltsam:



    Schöne Grüße,
    Wolf


    Ich fand gerade diese Dialoge ganz besonders hübsch, und nach dem Lesen des Romans war es für mich äußerst traurig, dass im Alltag niemand so redet, oder dass man im Alltag mit niemandem so reden kann. Die Witiko-Bertha-Dialoge waren für mich ein Ausdruck der vollsten Harmonie der beiden, denn dass man das Scherzhafte mit wahrhafter Liebe vermischt und so ausspricht, scheint mir nur unter einander Liebenden möglich, und das schien mir hier der Fall zu sein. Es ist so töricht und dennoch so schön! Und also freue ich mich auf giesberts nächste Warnung.

  • Ja, ich weiß, es gehört ein gerüttelt Maß an Mut dazu, sich - nicht - zu Thomas Mann zu Bekennen.


    Seit ich seine Tagebücher las, da kommt mir dann oft der Gedanke, was wäre aus Th. Mann geworden, wenn die Nazis ihn (noch 1934 oder 1935) alles zurück gegeben hätten (Haus, Privatvermögen und vieles mehr), ihn wieder in "Amt und Würden" eingesetzt hätten, er hätte keinen Augenblick gezögert wieder nach Deutschland zu gehen, die Tagebücher geben da eindeutig Zeugnis.
    Aber das ist nur eine Spekulation von mir, und aus diesem Grunde mag man mir vielleicht Verzeihen.


    Zurück zu Witiko, Hermann Hesse sprach von Witiko als einem Epos, einem modernen Epos, auf Hesse und seine Buchbesprechungen gab ich immer sehr viel, lernte mich der gute Hermann Hesse doch (im eigentlichen Sinn) erst so richtig das Lesen.


    Grüße


    Vult

  • Moin, Moin!


    Dann bist Du ja nicht einmal bis zum dritten Kapitel gekommen, das die Überschrift "Lesen" trägt. Das hättest Du Dir als notorischer Bibliomane eigentlich nicht entgehen lassen dürfen. :breitgrins:


    Gut, daß du mich erinnerst. Das dritte Kapitel war sogar der Grund, warum ich es doch einmal mit "Walden" probieren wollte. Beim Abbruch habe ich mir dann gesagt, daß ich dieses dritte Kapitel separat lesen und für das LB verwerten will. Das steht noch aus.


  • Einige Dialoge sind ziemlich seltsam:


    Du hast die stärksten Stellen des Witiko gleich entdeckt. Gerade diese Dialoge vermitteln doch eine Stimmung, wie man sie sonst nicht findet.


    Hier gewinnt man das Gefühl, dass man sich noch ausreden lässt und zudem scheint man live dabei zu sein. Daher muss jedes Detail über Seiten beschrieben werden ohne dass der Erzähler eine Sekunde ausblendet. Ich habe diese Langsamkeit genossen. Wo gibt es das sonst noch?


    Zugegebenermaßen hat der Witiko auch ein paar Längen, aber wer ist schon perfekt? Alle großen Bücher haben Längen.


    Gruß, Thomas

  • Also mir reicht es, dass mittlerweile in gewissen Ländern schon auf jeder Flasche Wein draufsteht, der Genuss des Inhalts schade der Gesundheit. Ich brauche das für Bücher nicht auch noch!

    Das Universum, das andere die Bibliothek nennen [...] (J.L. Borges, Die Bibliothek von Babel)

  • Ob "Walden", "Witiko" oder "Der Zauberberg": Jeder hat wohl einen oder mehrere ganz persönliche "Lass die Finger von-Klassiker". Ich würde das nicht pauschal als Schelte bezeichnen und begrüße Giesberts Initiative, ohne Scheuklappen den einen oder anderen Titel als deutlich überschätzt einzuordnen.


    Ich habe natürlich auch nachgedacht, welcher Titel für mich in Frage kommt, und bin schließlich bei Goethes "Werther" gelandet. Sorry, aber ich konnte dieses Buch nicht genießen und finde es sterbenslangweilig, was natürlich nichts über die Qualität des Werks, sondern über meinen Geschmack aussagt.


    @ Vult: Ich glaube nicht, dass heute noch sehr viel Mut dazu gehört, sich nicht zu Thomas Mann zu bekennen (außer vielleicht in einigen Hardcore-Germanisten-Clubs) ...


    Ein schönes Wochenende wünscht


    Sir Thomas


  • Also mir reicht es, dass mittlerweile in gewissen Ländern schon auf jeder Flasche Wein draufsteht, der Genuss des Inhalts schade der Gesundheit. Ich brauche das für Bücher nicht auch noch!


    Nehme es doch mit ein wenig Humor, uhu, denn wer gerne Klassiker liest, der sollte doch erst recht das haben, was man ansonsten bei vielen, zu vielen Menschen leider vermisst, den wirklichen - Humor meine ich jetzt!
    (Leider gibt es auch so "Klassikliebhaber" die über jeden Ottonormalleser leicht angewiedert die Nase rümpfen, ja, die gibt es auch).


    Grüße


    Vult


  • Ich würde das nicht pauschal als Schelte bezeichnen und begrüße Giesberts Initiative, ohne Scheuklappen den einen oder anderen Titel als deutlich überschätzt einzuordnen.


    Sir Thomas


    Richtig, Thomas, ich schließe mich dem an. Ist doch wirklich ein interessantes Thema.


    Grüße


    Vult

  • Nehme es doch mit ein wenig Humor, uhu, denn wer gerne Klassiker liest, der sollte doch erst recht das haben, was man ansonsten bei vielen, zu vielen Menschen leider vermisst, den wirklichen - Humor meine ich jetzt!
    (Leider gibt es auch so "Klassikliebhaber" die über jeden Ottonormalleser leicht angewiedert die Nase rümpfen, ja, die gibt es auch).


    Ich weiss nicht genau, was das mit Humor zu tun hat und wieso bei Klassikliebhabern der Humor besonders ausgeprägt sein soll (aber das kommt vielleicht daher, dass ich davon nicht viel habe, sagt mir meine Frau manchmal auch :zwinker:).


    Dennoch, ich bleibe dabei: nichts gegen persönliche Wertungen von Büchern und einen Gedankenaustausch darüber. Dafür ist dieses Forum ja da. Und schliesslich kann nicht jeder jeden Klassiker gerne mögen oder gut finden. Deswegen ist man noch nicht gleich ein Klassikermuffel. Ich selbst kann z.B. mit Stifters Nachsommer herzlich wenig anfangen. Aber den Warnfinger zu erheben und so Abschreckungspolitik zu betreiben, finde ich fehl am Platz.


    Klar gibt es Klassikliebhaber, die über Ottonormalleser die Nase rümpfen. Das ist ziemlich arrogant. Ich bin selbst sehr oft Ottonormalleser (Grisham, Carofiglio, Peter Berling, Robert Harris, Ian Fleming, ...) und habe damit kein Problem. Jedes Ding zu seiner Zeit.


    Gruss


    Uhu

    Das Universum, das andere die Bibliothek nennen [...] (J.L. Borges, Die Bibliothek von Babel)

    Einmal editiert, zuletzt von uhu ()

  • Aber den Warnfinger zu erheben und so Abschreckungspolitik zu betreiben, finde ich fehl am Platz.


    Hm ... das sehe ich jetzt nicht ganz so. Und das hat für mich nicht mal was mit Humor zu tun. Sondern damit, dass wir hier mündige Leser sind.


    Des weiteren: Zum einen gilt wohl sinngemäss auch in unserem Forum, was seinerzeit beim Literarischen Quartett und da wieder vor allem bei Reich-Ranicki galt: Selbst ein Verriss - ja gerade einer! - fördert den Umsatz. Zum andern gibt es - da gebe ich Giesbert recht - duchaus so etwas wie "überschätzte Klassiker", individuell wie kollektiv. Wenn also Giesbert als der Reich-Ranicki des Klassikerforums amten will, so ist er hiermit herzlich willkommen ;).

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Ich weiß nicht genau, was das mit Humor zu tun hat und wieso bei Klassikliebhabern der Humor besonders ausgeprägt sein soll (aber das kommt vielleicht daher, dass ich davon nicht viel habe, sagt mir meine Frau manchmal auch :zwinker:).


    Nimms leicht, guter uhu, denn ich meine - gerade Klassikerliebhaber haben einen besonders ausgeprägten Humor, denn würde ich sonst Sterne so lieben, oder Jean Paul, auch der Heini Heine und der..., ja selbst bei Thomas Mann findet man diesen, aber immer wieder anders und das ist gut so!


    Also, uhu, alles wird nicht so heiß gekocht wie es gegessen wird, oder so ähnlich...


    Liebe Grüße


    Vult

  • Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass man Bücher mit zunehmendem Alter anders beurteilt.


    Als ich mit 17 Jahren den Werther zum 1. Mal gelesen habe und gerade auch den 1. Liebeskummer hinter mir hatte, schlug mein Herz im Gleichklang mit dem armen Unglücklichen, und sein Schicksal hat mich zu Tränen gerührt. Und als ich ihn so um die 40 wieder las, habe ich mich über den lebensuntüchtigen, überempfindlichen Kerl nur noch geärgert.


    Ich finde diesen Klassiker- Warnungen-Thread nicht schlecht, aber noch mehr würde ich mich über Klassiker-Empfehlungen freuen.
    Gerade nicht so ganz bekannte Namen wären da für so manchen Neueinsteiger eine Bereicherung.


    Vielleicht hätten die versierten Leser und Leserinnen dazu Lust!? Liebe Grüße, Madeleine.