Aug. 07 - Aug. 09: Amerikanische Frauen (Chopin, Jewett, Cather und Wharton)

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    New York und Newland - eine symbolische Verwandtschaftliche Verbindung, könnte man daraus schließen


    Newland soll eine Reminiszenz an Henry James sein und sich zusammensetzen aus Isabel Archer in The Portrait of a Lady und Christopher Newman in The American.


    Old New York und die neuen New Yorker (die Neureichen wie Rockefeller, Vanderbilt u.a.) scheinen sich wohl nicht untereinander verheiratet zu haben. Es gab z.B. in der alten Oper die "boxes" = Séparées ?, die den Old New Yorker vorbehalten waren, also den Nachkommen der Holländer oder den ersten Siedlern. Erst in der neuen Metropolitan-Oper erhielten die neuen New Yorker ebenfalls Zugang zu den "boxes". Es scheint also eine regelrechte Aristokratie gegeben zu haben.


    Die feine Ironie gefällt mir auch sehr gut. Blumen scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen, so trägt May ein Boukett aus Lilies-of-the-Valley (Maiglöckchen), die in der Blumensprache Unschuld, ein verletztes Herz oder innige Liebe ausdrücken, allerdings auch in Brautsträußen verwendet wurde.


    Gruß von Steffi

  • Hallo nochmal !


    Ich habe noch vergessen zu erwähnen, dass Age of Innocence der Titel eines Gemäldes von Joshua Reynolds ist. Das kleine Mädchen verkörpert das wirkliche "Alter" der Unschuld.


    Interessant auch, dass Wharton den Roman direkt nach dem Ende des 1. Weltkrieges schrieb - ob das von Bedeutung ist ?


    Im Nachwort steht noch, dass drei verschiedene gesellschaftliche Schichten präsentiert werden: die van Luydens repräsentieren als Nachkommen der Holländer die älteste; der nächste Rang sind die holländisch-amerikanischen Familien wie die Minotts, Wellands und Archers; die dritte sind dann die Familien Beaufort und Struthers.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    finde ich ja interessant, daß der Name "Newland" eine Reminiszenz an Henry James sein soll.


    Wie kommst Du mit dem englischen Original zurecht? Ich habe es mir vom Project Gutenberg heruntergeladen und nach einigem Herumlesen darin bin ich doch froh, eine deutsche Übersetzung lesen zu können.


    Ich habe nun schon 14 Kapitel hinter mir und Newland Archer gefällt mir jetzt viel besser als zu Beginn - nicht nur, weil man nun erfährt, daß er einer der wenigen ist, die einen Sinn für Bücher und Literatur haben. ;-) Er erkennt immer klarer die gesellschaftlichen Zwänge und Unfreiheiten, in denen er lebt. Als seine Verlobte ihm ein Kompliment machen will, indem sie ihn "originell" nennt, bricht es aus ihm heraus (10. Kapitel)


    Zitat


    »Originell! Wir sind einander gleich wie Puppen, die man aus demselben gefalteten Papier ausschneidet. Wir sind wie Schablonen, die man an die Wand malt [...]


    Und später bei einem Gespräch mit seiner Mutter und seiner Schwester:


    Zitat


    »Ach, Familie, Familie!« sagte er wegwerfend.
    »Newland - gibst du denn gar nichts auf Familie?«
    »Keinen Pfifferling.«


    Das klingt ziemlich aufmüpfig, aber ihm selbst ist eigentlich klar, daß er aus dieser Gesellschaft nicht einfach ausbrechen kann.


    Nochmal zurück zum 4. Kapitel, da gibt es eine wunderbare Beschreibung der erfurchteinflößenden Mrs. Mingott, die so beginnt:


    Zitat


    Die ungeheuren Fleischmassen, die sie in der Mitte ihres Lebens überschwemmt hatten wie Lava eine zum Untergang verurteilte Stadt, hatten aus einer drallen aktiven kleinen Frau mit zierlich geformten Fuß und Knöchel etwas so Gewaltiges und Erhabenes wie eine Naturerscheinung gemacht.


    In diesem Stil geht dann die Beschreibung noch weiter, das ist ein echtes Highlight. :-)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen,


    Steffi, danke für die vielen Informationen (auch für deine Links in den "Leserunden-Materialien", schade dass von den Biographien, die Hermione Lee schrieb, so wenig übersetzt wurden, eigentlich bisher nur die von "Virginia Woolf").






    Interessant auch, dass Wharton den Roman direkt nach dem Ende des 1. Weltkrieges schrieb - ob das von Bedeutung ist ?



    ich glaube schon, dass die Kriege ihr Leben beeinflusste. Immerhin ist sie in eine vom Bürgerkrieg entzweite Welt hineingeboren und nach dem Bürgerkrieg gabs eine Wirtschaftskrise, so dass viele New Yorker ihre Besitztümer vermieteten und nach Europa gingen, wo das Leben billiger war. So auch die Whartons.


    Mich würde interessieren, inwieweit der 1. Weltkrieg die gehobene New Yorker Gesellschaft veränderte. Wollte Edith Wharton einen realistischen, gesellschaftkritischen Roman schreiben oder einen Roman, wie es einmal war, nämlich die Zeit in den 70igern des 19. Jahrhunderts. Gabs die Standesdünkel in dem Ausmaße auch noch nach dem 1. WK?


    Zitat von "Steffi"

    so trägt May ein Boukett aus Lilies-of-the-Valley (Maiglöckchen), die in der Blumensprache Unschuld, ein verletztes Herz oder innige Liebe ausdrücken, allerdings auch in Brautsträußen verwendet wurde.


    und sehr passend zum Buchtitel. Ob uns noch öfters die "Unschuld" in Symbolen unterkommt?



    Wolf,
    Totemgesetze, Hieroglyphenwelt" - mit einer solchen Wortwahl überrascht mich die Autorin immer wieder. Ich finde das sehr ausdrucksstark, neben ihren gekonnten Beschreibungen von Menschen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo Wolf,
    hallo JMaria !



    Wie kommst Du mit dem englischen Original zurecht? Ich habe es mir vom Project Gutenberg heruntergeladen und nach einigem Herumlesen darin bin ich doch froh, eine deutsche Übersetzung lesen zu können.


    Langsam :breitgrins: Nein, es geht eigentlich - über manche Wortwahl stolpere ich und muss dann ein bißchen nachdenken. Ich bin erst bei Kapitel 7 angekommen. Schön ist, dass es Kommentare gibt, darin wird deutlich, dass Wharton sehr viele Hinweise versteckt hat. Die Beschreibungen der Personen lese ich auch mit größtem Vergnügen !


    Der ungezwungene Stil gefällt mir auch gut. Aber bei aller Gesellschaftskritik steht mir doch auch dieses Haus vor Augen, in dem Wharton lebte. Sie lebte ja ebenfalls auf der reichen Seite und ich kann sie noch nicht so richtig einordnen. Lesen wir hier eine richtige Kritik oder doch mehr ein Abbild ? Das sind genau die Fragen, die du auch hast, JMaria ! Ihr Stil ist ja - wenn ich mal einen Vergleich zu Proust, Woolf oder Joyce ziehe, eher konventionell.


    Nochmal zum Namen - hab ich das richtig verstanden, Newland war der Mädchenname seiner Mutter ? Tsts, komische Sitten !


    Ist euch aufgefallen, dass die Damen Archer lieber Henry James lesen als Dickens - klar, der eine schreibt über die Arbeiter, der andere über gutsituierte Bürger. Wie genau ist das beobachtet !


    Gruß von Steffi

  • Hallo Steffi,


    Zitat von "Steffi"


    Nochmal zum Namen - hab ich das richtig verstanden, Newland war der Mädchenname seiner Mutter ? Tsts, komische Sitten !


    ja, das fand ich auch auffällig, daß hier ein Nachname zum Vornamen gemacht wurde, aber in den USA ist die Vornamenwahl ziemlich uneingeschränkt, und heutzutage kann man dort beispielsweise auch "Rachitis", "Ten Sixty Nine" oder "Y" heißen (alles Beispiele aus dem dtv-Atlas für Namenkunde). Insofern ist Newland da noch ziemlich gut weggekommen. ;-)


    Zitat von "Steffi"


    Ist euch aufgefallen, dass die Damen Archer lieber Henry James lesen als Dickens


    Sie lesen, glaube ich, doch eher Bulwer als Henry James, oder? :-) Bei Henry James würde es auch zeitlich etwas knapp (wir sind ja erst am Anfang der 1870er Jahre). Kurz mal im englischen Gutenberg-Text nach "Dickens" gesucht, hier ist die Stelle:


    Zitat


    (They preferred those about peasant life, because of the descriptions of scenery and the pleasanter sentiments, though in general they liked novels about people in society, whose motives and habits were more comprehensible, spoke severely of Dickens, who "had never drawn a gentleman," and considered Thackeray less at home in the great world than Bulwer—who, however, was beginning to be thought old-fashioned.)


    Schöne Grüße,
    Wolf




  • Lesen wir hier eine richtige Kritik oder doch mehr ein Abbild ? Das sind genau die Fragen, die du auch hast, JMaria ! Ihr Stil ist ja - wenn ich mal einen Vergleich zu Proust, Woolf oder Joyce ziehe, eher konventionell.


    Abbild - genau, das frage ich mich.
    Ihr Stil ähnelt ja dem von Henry James, der auch ihr literarisches Vorbild gewesen ist.
    Interessant ist, dass viel in diesem Roman an Edith Whartons Leben orientiert ist, sie verknüpft darin doch eigene Erlebnisse.
    Sie beschreibt z.B. Ellen sehr natürlich in ihrer Erscheinung und als Heranwachsende war diese Ellen eher ein Wildfang. Wenn man sich Bilder von Edith Wharton anschaut, dann sieht man nur auf einem Bild, und da ist sie 5 Jahre alt, in einer ganz natürlichen Pose und langes offenes rotes Haar. Die Fotos danach wirken in Pose gestellt und sehr ernst, immer mit Hütchen und eingeengt. (Sie ließ Ellen in der Oper auch ohne Korsett auftreten!, oder wie sagte dazu Newlands Schwester .......in der Oper trug sie dunkelblauen Samt, ganz einfach und flach - wie ein Nachthemd)


    Auch der Kuss, den Ellen als Kind Newland gab, gab es in ihren Kindheiterinnerungen. Als sie an der Hand ihres Vaters in NY spazierenging, begegnete ihnen ein Cousin, ein kleiner Junge ungefähr in ihrem Alter und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. Sie war erst 4 Jahre alt, doch sie erzählte später, dass sie in dem Moment durch die gewaltigen Kräfte Liebe und Eitelkeit zum bewußten Leben erweckt wurde. Sie war eine sehr sinnliche Person. In der Biographie heißt es von ihr: Bücher verursachten bei ihr manchmal heftige erotische Reaktionen, die sie erschreckten und deren sexuellen Charakter sie erst später in ihrem Leben erkannte.




    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)



  • Sie lesen, glaube ich, doch eher Bulwer als Henry James, oder? :-) Bei Henry James würde es auch zeitlich etwas knapp (wir sind ja erst am Anfang der 1870er Jahre).



    und die Damen Archer lesen Quidas Romane. Ich habe noch nicht herausgefunden um wen es sich dabei handelt. Weiß das jemand von euch?


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)



  • kein Wunder, dass ich nichts fand ;-)
    die Autorin kenne ich allerdings auch nicht.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Ja, Wolf, du hast Recht, nicht Henry James ! Aber Thackeray würde auch viel besser passen :breitgrins:


    Zitat von JMaria

    (Sie ließ Ellen in der Oper auch ohne Korsett auftreten!, oder wie sagte dazu Newlands Schwester .......in der Oper trug sie dunkelblauen Samt, ganz einfach und flach - wie ein Nachthemd)


    Ach, das war gemeint, ich wunderte mich schon !


    Ouida sagt mir auch nichts !


    Gruß von Steffi


  • Hallo Maria,


    das mit den jahrtausendealten "Totemgesetzen" fand ich auch auffallend, hier werden die europäischen Einwanderer in eine Reihe mit den amerikanischen Ureinwohnern gestellt. Im 6. Kapitel wird die moderne New Yorker Gesellschaft mit den "Primitiven" verglichen, bei "denen die Braut unter lautem Geschrei aus dem elterlichen Zelt geschleppt wird." Bei den New Yorkern ist davon noch ein ritualisiertes Sich-Sträuben vor der Heirat übriggeblieben.


    Hallo Wolf,
    hallo Steffi,


    und im Kapitel 9 gehts um die "eingefangenen Männer".


    ....trennte Archer sich von seiner Braut mit dem Gefühl, er sei wie ein schlau in die Falle gelocktes wildes Tier vorgeführt worden.



    Die Autorin beabsichtigt wohl dieses Bild des primitiven Überlebenskampf.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Steffi und Maria,


    wie ich Euren Beiträgen entnehme, lest ihr parallel zum Roman auch noch Biographisches über die Autorin, sehr interessant.


    Das im Roman geschilderte New York wirkt ganz anders als eine moderne Großstadt, nichts von anonymen Massen und Vereinzelung, sondern wie in einer Kleinstadt kennt jeder jeden, nichts bleibt unbeobachtet, jeder muß damit rechnen, daß sich gesellschaftliche Verfehlungen sofort herumsprechen. Allerdings geht es nur um das New York der Oberschicht, andere Gruppen werden nur am Rande erwähnt. Diese zusammenhängende Gesellschaft war damals anscheinend schon in Auflösung begriffen. Im 6. Kapitel etwa heißt es:


    Zitat


    Man sei, meinte Mrs. Archer, heute nicht mehr so eigen wie früher, und wenn die alte Catherine Spicer das eine Ende der Fifth Avenue und Julius Beaufort das andere Ende beherrsche, könne man nicht erwarten, daß die alten Traditionen noch lange gültig blieben.


    Die räumliche Trennung der Häuser ist hier ein Zeichen für die Lockerung der gesellschaftlichen Bindungen. Ellen Olenska wohnt ja auch in einem Stadtteil, in dem man in diesen Kreisen normalerweise nicht wohnen sollte:


    Zitat


    Es war allerdings ein seltsames Viertel zum Wohnen. Kleine Schneiderateliers, Tierpräparatoren und »Leute, die schreiben« waren ihre nächsten Nachbarn


    Sehr hübsch finde ich die Umschreibung »Leute, die schreiben« ("people who wrote"), offenbar ist das Schriftstellerdasein derart anrüchig, daß man das Wort "Autor" nicht in den Mund nehmen will. Newland Archer mag aber diese Menschen; in diesem "seltsamen Viertel" wohnt auch ein Freund von ihm, der Autor und Journalist ist. Im 12. Kapitel heißt es über Newland Archer:


    Zitat


    Er wußte, daß es Gesellschaften gab, in denen Maler, Dichter, Schriftsteller, Gelehrte und selbst bedeutende Schauspieler ebenso gesucht waren wie Herzöge. [...] Doch so etwas war in New York unvorstellbar, und der bloße Gedanke daran beunruhigte ihn. Archer kannte die meisten »Leute, die schreiben«, die Musiker, die Maler: er traf sie im »Century« oder in den kleinen Musik- und Theaterklubs, die eben in New York aufkamen.


    Auch Ellen Olenska mag diese Leute, in ihrem Haus liegen jede Menge Bücher herum, in denen sie gerade liest und die Newland Archers Interesse erregen, es handelt sich um seinerzeit neue Namen wie Paul Bourget, Huysmans und die Brüder Goncourt. Dagegen liest Newlands Verlobte eigentlich nur das, was er ihr selbst gegeben hat.


    Zitat von "JMaria"


    und im Kapitel 9 gehts um die "eingefangenen Männer".


    ....trennte Archer sich von seiner Braut mit dem Gefühl, er sei wie ein schlau in die Falle gelocktes wildes Tier vorgeführt worden.


    Die Autorin beabsichtigt wohl dieses Bild des primitiven Überlebenskampf.


    In diesem Zusammenhang werden auch "anthropologische Schriften" erwähnt, die Newland Archer liest. Später fällt der Name Herbert Spencer, von dem er sich ein neues Buch gekauft hat. Im 10. Kapitel werden "wissenschaftliche Bücher" erwähnt, und Newland vergleicht seine Braut May mit einem blinden Höhlenfisch, von dem er gerade gelesen hat:


    Zitat


    But how many generations of the women who had gone to her making had descended bandaged to the family vault? He shivered a little, remembering some of the new ideas in his scientific books, and the much-cited instance of the Kentucky cave-fish, which had ceased to develop eyes because they had no use for them. What if, when he had bidden May Welland to open hers, they could only look out blankly at blankness?


    (aus dem englischen E-Text zitiert, damit ich mir das Abtippen spare ;-))


    Es gibt viele solcher Stellen, in denen die hochstehende New Yorker Gesellschaft als im Grunde "primitiv" (= unentwickelt; nicht progressiv) dargestellt wird. In einem späteren Kapitel ist von einem "prähistorischen Ritual" die Rede.


    Im 16. Kapitel gibt es eine aufschlußreiche Szene, in der May Welland an Format und menschlicher Tiefe gewinnt, nachdem sie vorher eher als blind und unwissend dargestellt wurde.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo Wolf,
    hallo JMaria !


    Ich mache mir schon länger ein paar Gedanken um May. So "wie ein unbeschriebenes Blatt Papier", das Newland noch füllen kann, kommt sie mir nämlich gar nicht vor. Vielleicht spielt sie ein bißchen die naive Rolle, die ihr die Gesellschaft vorgibt. Immer weiß sie eine passende Antwort und bugsiert Newland in die richtige Richtung, d.h. in die gesellschaftlich richtige Richtung. Ich bin gespannt, wie sich das noch weiterentwickelt.


    Newland, scheint mir, steht gedanklich zwischen den althergebrachten Sitten und den anfangenden neuen Zeiten. Allerdings beschäftigt er sich bisher nur gedanklich mit den wissenschaftlichen Autoren (die Stelle mit dem blinden Fisch hat mir ausnehmend gut gefallen :smile:), sobald seine Stellung in der Gesellschaft gefordert wird, z.B. als Vermittler zwischen Ellen und dem Anwalt ist er zur Stelle und will sein bestes geben. Ob er letzendlich dazu bereit ist, diese Gesellschaft aufzugeben ?


    Ellen Olenska wird ja als sehr exotisch beschrieben - auch ihr Haus ist ja außergewöhnlich eingerichtet und sie trägt Pelz am Abend ! Sie sagt, dass sie sich der Gesellschaft unterordnen will, aber ihr Verhalten scheint das Gegenteil zu meinen.


    Zitat

    Es gibt viele solcher Stellen, in denen die hochstehende New Yorker Gesellschaft als im Grunde "primitiv" (= unentwickelt; nicht progressiv) dargestellt wird. In einem späteren Kapitel ist von einem "prähistorischen Ritual" die Rede.


    Es könnte vielleicht auch ein Hinweis sein, dass beide Gesellschaften - Old New York und die Indianer - auch eine sehr starre Struktur vorweisen, feste Rangordnungen, Rituale und Ansichten, und die neue, kommende Gesellschaft individueller und auch demokratischer ist.



    Zitat

    wie ich Euren Beiträgen entnehme, lest ihr parallel zum Roman auch noch Biographisches über die Autorin, sehr interessant.


    In der Penguin-Ausgabe ist neben den Anmerkungen auch eine Kurzbiografie und ein interessantes Vorwort enthalten. Eine Biografie über Edith Wahrton wäre aber sicher interessant.


    Gruß von Steffi



  • wie ich Euren Beiträgen entnehme, lest ihr parallel zum Roman auch noch Biographisches über die Autorin, sehr interessant.


    ja, ich lese eine Biographie über Edith Wharton von Shari Benstock. Gibt es leider nur noch gebraucht. Sie liest sich gut. Die Autorin umreisst kurz
    am Anfang die New Yorker Gesellschaft, die damalige politische Situation, die Familie mit all ihren "Geheimnisse" und Skandale und geht dann auf Edith Wharton ein.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen,


    so könnte das Kleid ausgesehen haben, das Newland an Ellen bewunderte und ihn an ein Porträt von Carolus Duran erinnerte, man kann aber den Pelz unter ihrem Kinn nur erahnen:


    Portrait of Mademoiselle X, 1873


    und ihre Arrangement der 2 Jaqueminotrosen in ihrem Zimmer, sind natürlich dunkelrot:


    Jaqueminot


    ich komme zur Zeit nur langsam voran, da es mir gerade nicht gut geht.
    Komme zu Kapitel 14.



    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    Zitat von "JMaria"


    ich komme zur Zeit nur langsam voran, da es mir gerade nicht gut geht.


    das ist ja unerfreulich, ich wünsche Dir, daß es Dir möglichst schnell wieder gut geht. :winken:


    Zitat von "JMaria"


    Komme zu Kapitel 14.


    Ich habe gerade das 20. Kapitel abgeschlossen. Darin ist eine Stelle, die sich auf die "Funktion" der Kleidung bezieht:


    Zitat


    und wieder fiel ihm [= Newland Archer] die fast religiöse Ehrfurcht der ganz und gar nicht weltlich gesinnten Amerikanerinnen vor dem gesellschaftlichen Nutzen von Kleidung auf.


    »Sie ist eine Rüstung«, dachte er, »eine Wehr gegen das Unbekannte und gleichzeitig dessen Herabsetzung.«


    Eine gute Idee von Dir, im Netz nach Bildern von Carolus Duran zu suchen, das habe ich jetzt auch mal gemacht, da bekommt man einiges Anschauungsmaterial zur damaligen Mode. Auf ihrer dreimonatigen Hochzeitsreise verbringt May einen Monat bei den Pariser Schneidern, um sich mit neuen Kleidern einzudecken. ;-) Aber auch für Newland sind immerhin 14 Tage in London eingeplant, "in denen er seine Kleidung bestellte", wie es im 20. Kapitel heißt.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Hallo zusammen !


    Ach, da bin ich ja schon etwas vorgeprescht - komme zum 25. Kapitel.


    Newland entscheidet sich nun, aus Gründen die May sehr treffend beobachtet, für die Hochzeit. Und mit Hilfe der Familie geht das wieder mal ruck-zuck.


    Der zweite Teil fängt ganz vielversprechend an:
    The day was fresh, with a lively spring wind full of dust. Der Staub scheint auch symptomatisch für Newlands Befinden zu sein, denn so ganz zufrieden ist er mit seinem geordneten Leben nicht.


    Zitat

    Auf ihrer dreimonatigen Hochzeitsreise verbringt May einen Monat bei den Pariser Schneidern, um sich mit neuen Kleidern einzudecken.


    Das war bei dem damals berühmten Couturier Worth. Die Damen mussten sich übrigens jedes Jahr mit neuen Roben eindecken ...
    Während May ihre sportliche Seite mit dem neuen, noch extravaganten Rasentennis entdeckt, schwelgt Newland immer noch in Bücher. Besonders bei seinem Gespräch mit M.Rivière in London sind es eben nicht die französische Mode sondern die französischen Ideen, die ihn interessieren. ...who thought the life of ideas the only worth living. Newland passt sich immer mehr dem gängigen Leben an, das Leben, das man von ihm erwartet. Aber noch immer lässt ihn Ellen Olenska nicht los.


    Gruß von Steffi


  • Wenn ich mal kurz OT darf:



    Auch von mir die besten Wünsche!



    Das ist nett von euch. Lieben Dank !


    zu Whartons Zeit der Unschuld:
    das Buch ist ja gespickt mit anderweitige Literatur. Hier merkt man die Liebe der Autorin zum Buch.
    Beim Erzählen einer Geschichte mußte Edith Wharton sich bewegen, beim Lesen jedoch saß sie ganz still da, wie erstarrt. Ein Roman konnte sie auch so sehr beeinflussen , dass sie krank wurde. Als sie bereits in der Rekonvaleszenz war, nach einer Typhus Erkrankung, las sie eine Räubergeschichte und erlitt einen Rückschlag und fühlte sich in Lebensgefahr. Danach litt sie unter Angst vor der Dunkelheit. Diese Phobie begleitete sie noch recht lange in die Pupertät hinein.


    Zitat von "Steffi"

    Newland, scheint mir, steht gedanklich zwischen den althergebrachten Sitten und den anfangenden neuen Zeiten.


    ich finde, die Autorin führt Newland etwas ungeschickt durch die gedankliche "Rebellion". Irgendwie recht plump. *grübel*
    Vielleicht tut sich die Autorin mit dem männlichen Part etwas schwer?



    Zitat von "Wolf"

    Im 16. Kapitel gibt es eine aufschlußreiche Szene, in der May Welland an Format und menschlicher Tiefe gewinnt, nachdem sie vorher eher als blind und unwissend dargestellt wurde.


    dass May eine Aussprache einleitet, hat mich auch sehr überrascht. Leider hat Newland noch nicht begriffen, wie es um ihn steht. Sobald eine Frau sich wie eine edle Frau offenbart, dann ist er ganz in seiner romantischen, ritterlichen Vorstellung gefangen.


    Schöne Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)