Emile Zolas Romanzyklen

  • Hallo,
    von Zola kenne ich den frühen Roman "Thérèse Raquin", dann von dem eigentlichen Romanzyklus "Germinal", "Die Erde" und "Nana": Ich finde alle diese Bücher sehr eindrucksvoll, am besten gefielen mir "Germinal" und "Die Erde", beides überzeugende Darstellungen der "kleinen Leute " in all ihrem Elend, ihren Gemeinheiten und ihrer Größe. Keine sehr leicht fallende Lektüre, aber sehr lohnend!


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()


  • habe kürzlich "Das Paradies der Damen" gelesen. Ich glaube, das ist in der Serie einer seiner gemäßigten Romanen, wenn es um den hier genannten harten Realismus geht. Die Geschichte hat mich fasziniert.


    Ich war im Mai in Paris und bin sogar extra durch die Straßen gelaufen in denen das "Paradies der Damen" und der Vorgängerroman "Ein feines Haus" spielen. Die Straßen sind viel kürzer und schmaler, als sie mir vorgestellt hatte. Auch der "place gaillon" ist ziemlich klein.


    In Lissabon hat übrigens jemand in kleinem Stil Octave Mourets Laden nachgebaut (auf französisch heißt er "au bonheur des dames"). Das ist mir schon vor ein paar Jahren aufgefallen:


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  • "Thérèse Raquin"


    ... ist bislang meine einzige Zola-Erfahrung, die mich nachdenklich gemacht hat.


    Obwohl ich nichts gegen den harten Naturalismus / Realismus (den Zola mit seinem Landsmann Flaubert teilte) habe, finde ich Hugo und Balzac sehr viel lesenswerter, weil sie nicht so nüchtern und kalt sind, sondern Geschichten mit Herzblut und Emotionen erzählen. Das Schicksal der Thérèse Raquin hingegen hat mich nicht sehr berührt, weil Zola hier erstmals seinem Credo gefolgt ist, die menschliche Seele und deren Leidenschaften quasi "naturwissenschaftlich" schildern zu müssen (was m.W.n. ein Hauptanliegen der Naturalisten war).


    Interessanter Ansatz, aber nicht ganz meine Welt ...


    Grüße an die Zola-Gemeinde


    Sir Thomas

  • Hallo Sir Thomas,
    hallo zusammen !


    Thérèse Raquin halte ich für eines der schwächeren Bücher - zumindest von den Romanen, die ich bereits gelesen habe. Es war ja sozusagen das erste Ausprobieren seines Stils und die Personen sind noch nicht so subtil geschildert und es steht auch kein gesellschaftskritisches Thema im Mittelpunkt. Gerade diese Verknüpfung zwischen menschlichem Schicksal und der Gesellschaft gefällt mir aber besonders. Bei Zola darf man auch nicht vergessen, dass die Personen nicht unbedingt "lebensfähig" sind, ich glaube, dass sie mehr als Prototypen angelegt sind.


    Bei Balzac sind mir dann die Emotionen schon wieder zu viel, ich empfand mich da mehr als Zuschauer während ich bei Zola die Emotionen selber in mir spüre. Ich habe allerdings nur Eine Frau von dreißig Jahren und Ein Junggesellenheim von Balzac gelesen.


    Gruß von Steffi


  • Thérèse Raquin halte ich für eines der schwächeren Bücher ...


    Hallo Steffi,


    welches Zola-Werk ist Dein persönlicher Favorit? Es fällt mir schwer, aus dem Riesenfundus gezielt das eine oder andere auszuwählen.


    Liebe Grüße


    Sir Thomas

  • Hallo,


    Zola ist nicht immer kalt. In "Germinal" kann man sehr wohl seine Sympathie für die ausgebeuteten Bergarbeiter spüren ebenso wie seine Empörung über den hemmungslosen Kapitalismus jener Zeit. Für mich bisher das eindrucksvollste Werk Zolas.
    Ich denke, auf amerikanischer Seite und zu späterer Zeit ist "Germinal" am ehestens Upton Sinclairs Werk entgegenzusetzen.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo !


    Germinal habe ich erst kürzlich als Hörbuch gehört und war sehr beeindruckt, sowohl vom Text als auch vom Sprecher. Das hat meine Zola-Lust wieder geweckt.
    Auch "Das Werk", ein Roman über die Pariser Kunstszene (ein bißchen Vorbild war wohl Cézanne, mit dem Zola befreundet war) hat mir sehr gut gefallen, ebenfalls "Der Bauch von Paris".


    Zitat

    Ich denke, auf amerikanischer Seite und zu späterer Zeit ist "Germinal" am ehestens Upton Sinclairs Werk entgegenzusetzen.


    Wobei ich "Der Dschungel" von Sinclair noch etwas düsterer bzw. erschütternder empfand - oder vielleicht bin ich mit den Jahren abgestumpft ? Fatal finde ich ja, dass man vorher denkt, dass diese schlimmen Zustände ja überholt sind, aber beim Lesen merkt man, dass es leider so aktuell wie vor über 100 Jahren ist.


    Gruß von Steffi


  • Fatal finde ich ja, dass man vorher denkt, dass diese schlimmen Zustände ja überholt sind, aber beim Lesen merkt man, dass es leider so aktuell wie vor über 100 Jahren ist.


    Ja, die Karawane ist weiter gezogen - nach Osteuropa, Russland, China, Afrika ...


    Viele Grüße


    Sir Thomas

  • Nun muss ich mal wieder ein bißchen von Zola schwärmen:


    Im Moment lese ich nämlich gerade "Der Totschläger", Band 7 aus dem Les Rougon-Macquardt-Zyklus. Seltsamerweise brauche ich immer eine Weile, bis ich mich für einen neuen Zola-Roman entscheide, irgendwie traue ich ihm immer nicht, dass mich das Thema gefangennimmt. Und doch, sofort bin ich drin in der Pariser Welt Mitte des 19. Jahrhunderts, den engen, schmutzigen Gassen, den eitlen, lebenshungrigen, tüchtigen, mitleidigen, eifersüchtigen, phantasielosen, hoffnungsfrohen, desillusionierten, frechen Menschen, diesmal mit dem Wäschermädchen Gervaise, mit bescheidenen Hoffnungen auf ein glückliches Leben. Gervaise, die Mutter der berühmteren Nana (Band 9) kann dieses Glück jedoch nicht halten, auch aufgrund des umgreifenden Alkoholismus der Männer.


    Ich bin immer wieder verblüfft, wie Zola doch in jedem seiner Charaktere noch die winzigste menschliche Regung aufspüren und schildern kann, dazu, trotz der Hoffnungslosigkeit und des Elends, der akribischen Alltagsbeschreibungen z.B. der Arbeitsvorgänge in einer Wäscherei, einer ärmlichen Hochzeit und den Lebensumständen, die Schönheit des Augenblicks und des kleinsten Glücks aufspürt.


    Gruß von Steffi

    Gruß von Steffi

    Einmal editiert, zuletzt von Steffi ()

  • Hallo Steffi,



    Nun muss ich mal wieder ein bißchen von Zola schwärmen:


    Obwohl ich sehr frankophil bin, konnte ich mich für Zola bislang nicht richtig erwärmen. Nach "Therèse Raquin" (eher mittelmäßig, die Verteidigung des Romans im Vorwort der 2. Auflage ist interessanter als das Buch selbst) habe ich es mit "Germinal" versucht und war ebenfalls wenig begeistert. Es mag an den geschilderten, mir fernen Milieus liegen (ein Grund, warum ich Sues "Mystères ..." schnell aufgegeben habe), auch der Stil Zolas will sich mir nicht als sonderlich aufregend erschließen. Irgendwie schade, aber nicht zu ändern.


    Schöne Grüße


    Tom


  • Hallo !


    Germinal habe ich erst kürzlich als Hörbuch gehört und war sehr beeindruckt, sowohl vom Text als auch vom Sprecher. Das hat meine Zola-Lust wieder geweckt.
    Auch "Das Werk", ein Roman über die Pariser Kunstszene (ein bißchen Vorbild war wohl Cézanne, mit dem Zola befreundet war) hat mir sehr gut gefallen, ebenfalls "Der Bauch von Paris".


    Gruß von Steffi


    Hallo Steffi,


    so, jetzt wo ich wieder aus dem Schrank raus bin, in den ich verkrochen hatte, als ich dein Posting las und mir einiger Maßen sicher bin, dass es sich nicht um einen Scherz von BigBrother oder den kleinen grünen Männchen handelt, kann ich es Dir ja sagen:


    Genau heute habe ich das Werk und einen neuen Germinal bekommen. .. Und fünf Minuten später, das Buch war gerade ins Regal gewandert, da lese ich Deinen Beitrag.


    Paranoid? ÜÜüühhch???? Nööö :redface:


    Aber was für ein Zufall. Vielleicht sollten wir die alle mal zusammen lesen nächstes Jahr.


    Liebe Grüße Poppea



    @ Sir Thomas


    Nach längerem Nachdenken komme ich zu der Erkenntnis, die Bücher Zolas immer erst im Nachhinein gern gelesen zu haben. Vielleicht komme ich deshalb immer wieder gern zu ihnen zurück. Das Lesen selbst ist zwar nicht zäh oder langweilig, aber der Text hat immer eine gewisse Sprödigkeit, die durch das Sujet wiederum wettgemacht wird. Der eigentliche Genuß liegt aber in der Erinnerung an das jeweilige Buch. Seltsam.

  • Hallo,


    Frage an die Zola-Experten, was kann man oder frau zum Einstieg empfehlen. Der (harte) Naturalismus/Realismus schreckt mich nicht, da
    ich z.B. Alesxander Tisma sehr gern mag.
    Bei den Franzosen bin ich sowieso ziemlich unterbelichtet, außer Maupassant den ich in meiner Jugend las, kenne ich da
    kaum etwas.


    Gruß, Lauterbach


  • An Germinal kommt man meiner Auffassung nach bei Zola nicht vorbei. Neben den viel besprochenen Büchern z.B. "Der Bauch von Paris", "Nana" ist "Geld" noch meine Empfehlung. Ein Experte bin ich aber nicht. Zola hat ein umfangreiches Werk hinterlassen.


  • @ Sir Thomas


    Nach längerem Nachdenken komme ich zu der Erkenntnis, die Bücher Zolas immer erst im Nachhinein gern gelesen zu haben. Vielleicht komme ich deshalb immer wieder gern zu ihnen zurück. Das Lesen selbst ist zwar nicht zäh oder langweilig, aber der Text hat immer eine gewisse Sprödigkeit, die durch das Sujet wiederum wettgemacht wird.


    Ja, das finde ich gut ausgedrückt, "eine gewisse Sprödigkeit". Das ist es, was mich immer ein Weilchen davon abhält, zum nächsten Zola zu greifen. Allerdings mag ich diese detaillierten Beschreibungen des gewöhnlichen Alltags sehr und auch die Hoffnungslosigkeit bzw. die enttäuschten, unerfüllten Hoffnungen auf ein besseres Leben.


    Sir Thomas: Nicht alle Schriftsteller können einem gefallen. Thérèse Raquin halte ich auch für einen seiner schwächeren Romane, Germinal kenne ich nur als Lesung, was mir gefallen hat, allerdings dieses kämpferische Milieu ist nicht unbedingt mein Fall. Am liebsten mag ich von Zola die Romane, die in Paris spielen, (Der Bauch von Paris, Paradies der Damen, Das Werk, Der Totschläger, Nana - das sind die, die ich bisher gelesen habe) dessen Atmosphäre wunderbar beschrieben wird, mit den oft starken Frauen, den vielschichtigen Charakteren und den kleinen Alltagsträumen. Germinal hat ja schon wieder ein größeres Ziel vor Augen.


    Besonders in "Der Totschläger" fallen mir die vielen, kleinen, aber ausführlichen Beschreibungen auf: die Hochzeit, wenn man nicht mal das nötige Geld dafür hat, der Besuch im Louvre, die Feier eines Namenstags, die Arbeit im Waschhaus und in der Schmieden, die sozialen Beziehungen in einem großen Mietshaus. Ich lese das gerne, aber ich verstehe auch, wenn einem das zu trivial und zu viel ist.


    Lauterbach: Ich las zum Einstieg "Nana", würde aber "Der Totschläger" oder "Der Bauch von Paris" zu Anfang empfehlen. Alle Romane der Rougon-Macquart sind in sich abgeschlossen, wobei natürlich das Lesen in der Reihenfolge auch nicht zu verachten ist, weil dann die verwandschaftlichen Verhältnisse und die Persönlichkeitsentwicklung noch zusätzlich eine Reiz ausmachen.


    So ist z.B. Nana die Tochter der Gervaise, die im "Totschläger" die Hauptperson ist und man erfährt nebenbei, unter welchen Umständen sie aufwächst und kann dann in "Nana", zwei Bände weiter, dies in die Beurteilung miteinfließen lassen.


    Poppea: Ja, das ist schon wirklich ein fast unheimlicher Zufall. "Das Werk" habe ich inzwischen auch schon gelesen - viel Spaß dabei !


    Gruß von Steffi

  • "Nana" steht schon etwas länger auf meiner Liste. Es ist bestimmt interessant, wie Zola mit dem Mythos (Edel-)Prostituierte umgeht. Bei Balzac spielen diese Damen eine große Rolle (Glanz und Elend der Kurtisanen), Dumas' Schmachtfetzen "Die Kameliendame" widmet sich ihnen ausschließlich, und auch Flaubert hat den "leichten Mädchen" in der Person Rosanettes (Éducation sentimentale) ein literarisches Denkmal gesetzt. Wenn man Dumas (dem Jüngeren) glaubt, waren die käuflichen Geliebten aus dem Pariser Gesellschaftsleben des 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken.


    Es grüßt


    Tom


  • Danke Steffi für die Hinweise,
    dann werde ich demnächst wohl "Der Totschläger" oder "Der Bauch von Paris" in Angriff nehmen.


    Gruß, Lauterbach

  • Hallo,


    mein erstes Buch von Zola war "Das Paradies der Damen" .
    Von ihm heißt es, dass er der erste Kaufhausroman der Weltliteratur sei. Beinhaltet sogar eine zarte Liebesgeschichte und ist somit ein etwas gemässigter Zola, könnte man sagen, wenn auch darin sein nüchterner Stil zu tragen kommt. Ernüchternd auch die Arbeitssituations der Frauen in der Welt des modernen Konzept des Kaufhauses.


    Kann ich Zola-Anfängern empfehlen.


    ungelesen habe ich noch "Das Werk" und "Nana" .


    Steffi,
    danke für den Hinweis, dass es im "Todschläger" u.a. um die Mutter von "Nana" geht. Ich glaube, hier halte ich die Reihenfolge besser ein.



    Edit:
    mein Gedächtnis. :redface:
    Mein erster Zola war ebenfalls "Thérèse Raquin". Gerade fällt es mir wieder ein.
    Doch "Paradies der Damen" ist mir besser in Erinnerung geblieben. Obwohl das in Thérèse Raquin erwähnte Nähgeschäft in dieser dunklen Unterführung etwas sehr unheimliches hatte.


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • Hallo,


    mein erstes Buch von Zola war "Das Paradies der Damen" .
    Von ihm heißt es, dass er der erste Kaufhausroman der Weltliteratur sei. Beinhaltet sogar eine zarte Liebesgeschichte und ist somit ein etwas gemässigter Zola, könnte man sagen, wenn auch darin sein nüchterner Stil zu tragen kommt. Ernüchternd auch die Arbeitssituations der Frauen in der Welt des modernen Konzept des Kaufhauses.


    Die Geschichte ist übrigens die Geschichte der in Frankreich sehr berühmten Kaufhauskette Le Bon Marché. Zolas Roman gehörte früher zur Schullektüre in Frankreich, ich weiß leider nicht, ob das heute noch so ist.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Le_Bon_March%C3%A9


    Es ist mein liebster Zola. Die Geschichte ist Zeugnis der Herkunft unserer modernen Konsumtempel. Allzuleicht vergessen wir, wieviel Tante-Emma-Läden unserem großen Supermarkt zum Opfer gefallen sind, wie Einzelhändler zum Beispiel heute darunter leiden, dass jede Marke ihren eingenen Shop in einem Shoppingcenter eröffnet, die vorher z.B. alle im "KofferhausXY" unter einem Dach geführt wurden....

  • Danke Steffi für die Hinweise,
    dann werde ich demnächst wohl "Der Totschläger" oder "Der Bauch von Paris" in Angriff nehmen.


    Gruß, Lauterbach


    Viel Spaß - und lass bitte hören, wie es dir gefallen hat !


    Gruß von Steffi

  • Hallo,


    von Zola las ich bisher "Thérèse Raquin", "Germinal", "Nana" und "Die Erde". Obwohl sehr düster und herunterziehend fand ich "Germinal" und "Die Erde" am eindrucksvollsten. Ersterer Roman behandelt das Schicksal einer Bergarbeiterfamilie, der andere das harte und erbarmungslose Leben von Bauern. Beide Lektüren sind schon so lange her, dass ich die Handlungsdetails vergessen habe, aber einzelne Szenen sind mir sehr eindrücklich im Gedächtnis geblieben. "Die Erde" ist auch heute noch ein Lehrstück dafür, wie materielle Interessen das Verhältnis von Familienmitgliedern zerstören kann.



    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)