Flaubert

  • Hallo Gnorry,


    "Die Erziehung der Gefühle" (so lautet der Titel der Übersetzung, die ich gelesen hatte), fand ich als Roman ganz gut, aber wie auch Du nicht sehr spannungsbeladen oder stilistisch besonders interessant geschrieben. Ich denke der Autor wollte auch durch seine Schreibweise die Lebenseinstellung der Hauptperson zum Ausdruck bringen.


    "Salambo" beispielsweise ist von der Sprache her viel blumiger und lebendiger geschrieben. Ich denke Flaubert hat seinen Stil auch immer der Thematik angepaßt.


    Viele Grüße,
    Zola

  • Hallo zusammen,


    Flaubert wird bei uns selten genannt, fällt mir auf, da ich nun seine "Drei Erzählungen" (Trois Contes) die letzten Tage gelesen habe. Lest ihr ihn gern oder fristet er eher ein vergessenes Dasein in eurem Bücherregal?
    Ich kenne kaum etwas von ihm, außer Madame Bovary und nun Drei Erzählungen.


    "Drei Erzählungen"
    Darüber heißt es im Klappentext.... In diesen drei Erzählungen vereint Flaubert auf dem Höhepunkt seines Schaffens die charakteristischen Elemente seiner Romane: die Welt der biblischen Antike, die mittelalterliche Legende und die Moderne...


    Ich nehme mal an, diese Aussage stimmt durchaus. Mir haben die "Drei Erzählung" gut gefallen. Die biblische Geschichte und die mittelalterliche Legende haben mich an Thomas Mann erinnert, der sich auch gern aus diesen Elementen bediente.


    Was könnt ihr von Flaubert empfehlen?


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo Maria,
    Hallo zusammen


    Empfehlen kann ich nichts, aber gelesen habe ich, zumindest bis zur Hälfte, Madame Bovary,
    dann hat es mich einfach nur gelangweilt. Mir hat sich damals auch nicht erschlossen,
    warum dieser Roman so hochgelobt wurde und wird.


    Gibt es einen Grund, ihm, d.h. Flaubert, noch eine Chance zu geben?


    Gruß, Lauterbach

  • Hallo Lauterbach,


    Ich kann Dir den Roman "L’Éducation sentimentale" empfehlen, den ich für weitaus besser halte als "Madame Bovary", obwohl er sehr handlungsarm ist. Auf Deutsch ist er unter den Titeln "Lehrjahre des Gefühls", "Die Erziehung des Herzens", oder - bei älteren Ausgaben - "Erziehung der Gefühle" erschienen.


    Gruß
    Anna

  • Ich denke, dass man den Essay Nabokovs über Flaubert und "Madame Bovary" lesen sollte, um sich den Roman zu vollem Genuß zu erschließen - insbesondere, wenn man noch kein Kenner ist. Wer bei Flaubert Nähe zum Autor und eine Art von Freundschaft sucht, ist fehl am Platze. Flaubert hat, in Madame Bovary annähernd, in der Education sentimentale ein wenig weitergehend, geschafft, ein objektiver, dh anonymer Autor zu sein - wie Gott in der Schöpfung, nirgends sichtbar, und überall zu ahnen.


    Während zB Balzac ein Autor für den Schnellleser ist, ist Flaubert etwas für den, der Romane als Kunst des Erzählens wahrnehmen kann.


    Nochmal Nabokov - "Auf das "Na und" gibt es letztlich keine vernünftige Antwort".


    Gruß
    Christian

    "Man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von verschiedenen, wechselnden Paradiesen, die doch alle verloren sind, bevor man stirbt, und in denen man sich selbst verloren fühlen würde." ("A la recherche du temps perdu")

  • P.S.: Zum Einstieg auch zu empfehlen: "Flauberts Papagei" von Julian Barnes.


    Und für den fortgeschrittenen Einsteiger: Bruno Ganz und Otto Sander lesen "Flaubert und Turgenjew - Briefwechsel".


    Gruß
    Christian

    "Man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von verschiedenen, wechselnden Paradiesen, die doch alle verloren sind, bevor man stirbt, und in denen man sich selbst verloren fühlen würde." ("A la recherche du temps perdu")

  • Hallo Anna Magdalena,


    dann werde ich vielleicht Flaubert noch einmal eine Chance geben. Danke für den Tip.


    Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, warum Madame Bovary mich damals so gelangweilt
    hat, so könnte ich eine bessere Begründung geben.
    Handlungsarmut schreckt mich eigentlich nicht, wenn es denn gut erzählt ist.


    Gruß, Lauterbach

  • Hallo Maria,


    L'education sentimentale habe ich vor langer Zeit gelesen. Er gehört zu den Romanen,
    die ich unbedingt wiederlesen möchte. An die Handlung kann ich mich zwar so gut wie
    gar nicht mehr erinnern ;-) ... aber mein Eindruck war, dass hier der "Realismus" auf
    die Spitze getrieben wird gleichzeitig seine Demontage begonnen wird. Präzision im
    Detail, auch in der psychologischen Beobachtung, und insgesamt das Gefühl der
    Desillusionierung, einer Art Leere, die mir sehr modern vorkam.


    Wie gesagt, dies ist nur aus der Erinnerung rekonstruiert. Zweitlektüre ist geplant.


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Übrigens, Bouvard und Pécuchet kann man sich m.E. sparen. Salammbô dagegen
    ist der Hammer - definitiv nichts für schwache Nerven. Wobei es nicht so sehr die
    vielen Grausamkeiten sind, die einen schockieren, sondern die Genüßlichkeit, mit
    der Flaubert sie vor seinem Publikum ausbreitet.


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen,


    nochmals zu L'education sentimentale, die ich leider in der Übersetzung lesen muß, da ich der französischen Sprache nicht Herr bin.
    Jetzt fand ich folgende Übersetzungen:



    Insel Verlag: Lehrjahre des Gefühls
    [kaufen='9783458344766'][/kaufen]



    Diogenes Verlag: Die Erziehung des Herzens
    [kaufen='9783257207231'][/kaufen]



    und eine Neuübersetzung, Fischer Verlag: Die Erziehung der Gefühle
    [kaufen='9783596902460'][/kaufen]


    von dieser heißt es:
    Zitat - Buchnotiz zu : Die Zeit, 14.12.2000
    Matthias Altenburg findet große Worte für diesen Roman: es ist seiner Meinung nach eines der Bücher "die bei Lektüre ihren Zauber aufs Neue" entfalten. Jetzt ist er in einer neuen Übersetzung von Cornelia Hastings erschienen, die zwar "nicht immer elegant klingt, aber näher am Original bleibt als ihre Vorgänger".



    was meint ihr? Könnt ihr mir eine Kaufempfehlung in Bezug auf die Übersetzung geben?


    Wenn eine Übersetzung gut ist, denn das Alter einer Übersetzung mag ja nicht automatisch als schlecht gelten, mag ich im Grunde lieber die elegantere Art.
    z.B. Leseproben haben mir gezeigt, dass ich mir die alte Übersetzung von "Licht im August" von Franz Fein von 1935 besser gefiel als die Neuübersetzung von Frielinghaus/Höbel . Das war für mich die bessere Wahl. Ich war sehr mit der alten Übersetzung zufrieden.


    Edit:
    Harald, ich seh gerade deinen weiteren Beitrag. "Salammbô" habe ich noch ungelesen im Regal stehen. Werde ich sicherlich lesen :-)



    Librerio
    Wer bei Flaubert Nähe zum Autor und eine Art von Freundschaft sucht, ist fehl am Platze.



    das wäre kein Problem. Diese Distanz zum Leser spürt man auch in den "Drei Erzählungen".
    Ist "Flauberts Papagei" von Julian Barnes eine Art Romanbiographie?


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Hallo,


    ich habe gerade seine "Reisetagebücher" in einem schönen Schuber von Kiepenheuer in meinem Bücherregal entdeckt, an die ich schon nicht mehr gedacht habe. Flaubert fristet wirklich bei mir ein tristes Dasein. Das muß sich gründlich ändern.


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)


  • Flaubert fristet wirklich bei mir ein tristes Dasein. Das muß sich gründlich ändern.


    Unbedingt! Meine Beschäftigung mit Flaubert (Madame Bovary, Lehrjahre des Gefühls) stammt aus meiner frankophilen Zeit - und die ist eine kleine Ewigkeit her.



    Mein allgemeiner Eindruck: Sehr präzise und klar geschrieben,
    trotzdem (oder gerade deshalb?) irgendwie...blutarm.


    Das entspricht in etwa meinen Erinnerungen.



    "Salammbô" habe ich noch ungelesen im Regal stehen. Werde ich sicherlich lesen :-)


    Ich auch. "Salammbo" gilt als Flauberts farbenprächtigster Roman, dessen Ästhetik großen Einfluss auf die Wahrnehmung des Orients sowie die Entwicklung der Dekadenz-Literatur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte.


    Zeit für einen Leserundenvorschlag, nicht wahr?


    Viele Grüße


    Tom


  • Zu Flaubert gibt es heute in der NZZ einen Artikel zu einem Buch über eine Interpertation seiner Romane.
    [Barbara Vinken: Flaubert. Durchkreuzte Moderne. Fischer Verlag, 2009]


    vielen Dank, Babur.
    In dem Artikel steckt ja eine Menge Stoff, den werde ich mir während des Lesens von "Salammbo" noch genauer durchlesen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo,


    Salammbô:
    weiß jemand, ob es mehr Künstler gibt, wie J.M.W. Turner, die sich von Karthago (nicht Salammbô als Motiv, derer gibt es viele u.a. Buchillustrationen) inspirieren ließen? Meine Suche ist nicht gerade von Erfolg gekrönt. Würde mir gerne dieses Karthago besser vorstellen können.


    [url=http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Turner,+Joseph+Mallord+William%3A+Dido+gr%C3%BCndet+Karthago;+oder+der+Aufstieg+Karthagos]Turners Dido gründet Karthago; oder der Aufstieg Karthagos[/url]


    Edit:
    Flaubert verbreitet eine gewaltbereite Atmosphäre, die mich erschaudern lässt. Wenn Massen die Kontrolle verlieren.... Diese Gewalt wird erschreckend greifbar beschrieben.


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

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  • Flaubert verbreitet eine gewaltbereite Atmosphäre ...


    Hallo Maria,


    ich stecke auch mitten in "Salammbo" und finde die Atmosphäre nicht nur gewalttätig, sondern nahezu sadistisch. Dieses Flaubertsche Phantasie-Karthago ist ein steinerner, gieriger Moloch - geschaffen, um die Völker ringsherum zu unterwerfen und auszubeuten. Die Karthager sind hinterlistige Kaufleute, die vor Betrug und anderen Schändlichkeiten nicht zurückschrecken. Flaubert entwirft ein wahrhaft grausiges Bild der orientalischen Antike und ich frage mich, aus welchen Quellen er seine Weisheiten nimmt.


    Maria, Du erwähntest Flauberts "Reise nach Karthago". Dieses Buch kann ich nicht finden. Ist es vielleicht ein Ausschnitt der "Reisen in den Orient"?


    Viele Grüße und einen guten Start in die Woche von


    Tom


  • Maria, Du erwähntest Flauberts "Reise nach Karthago". Dieses Buch kann ich nicht finden. Ist es vielleicht ein Ausschnitt der "Reisen in den Orient"?


    Hallo Tom,


    ich habe diese ----->Reisetagebücher in 3 Bänden. (ISBN 3-378-00529-7) Im Band 1850 - 1858 ist die "Reise nach Karthago" als letzte Reise Flauberts aufgezeichnet. Im Schuber sind außerdem enthalten:


    Band 1 // 1840 - 1847 // Die Pyrenäen, Korsika, Italien, Über Feld und Strand
    Band 2 // 1849 - 1850 // Ägypten, Palästina, Rhodos
    Band 3 // 1850 - 1858 // Kleinasien, Konstantinopel, Griechenland, Italien, Die Reise nach Karthago.


    Reise nach Karthago:
    Auf seiner Reise stellt Flaubert fest, dass es Bräuche gibt, die sich über die Jahrhunderte gehalten haben (z.B. die Hyänenjäger, geteerte Dromedare...) . Auch die Landschaft ist noch sehr urwüchsig. Seine Notizen über die Landschaft sind detailiert.



    Auszug:
    Wir kommen wieder unter den Ölbäumen her und an dem reizenden Dorfe vom Sonntag vorbei; wir lassen die Straße nach Utika rechts liegen und ziehen um das Gebirge herum. – Nymphäen, Schilf, Schildkröten (Laliah), Ölbäume, rechts das Meer, links die Berge; sie sehen aus, wie große grüne Wogen, die zurückgeflutet sind und hinabströmen und ihre Bewegung wieder aufnehmen wollen. Hinter den Ölbäumen eine Ebene. Dann gelangt man auf den Strand des Meeres oder besser geagt des Golfes von Porto-Farina. Nopalhecken, die von anderem Grün durchwucherts sind (zur Linken), viele Mandelbäume, Kassien.....


    Wir überschreiben den „Fluß ohne Wasser“, das ehemalige Bett der Medjerdah....


    In Salammbo bin ich nun bei der Szene, in der der Eunuch und Priester Schahabarim Salammbo überzeugt, dass sie ins Lager Mathos zieht. Ich lese mit Schrecken weiter.



    Zitat von “Sir Thomas“

    Dieses Flaubertsche Phantasie-Karthago ist ein steinerner, gieriger Moloch - geschaffen, um die Völker ringsherum zu unterwerfen und auszubeuten


    inbesondere geht das von den „Alten“ aus. Und ein weiteres Mal wird Hamilkar übergangen als er gegen das Barbarenheer zieht. Geschichtlich gesehen wurde dieser Söldneraufstand zwar niedergeschlagen, doch Hamilkars Prophezeiung, die Flaubert ihm in den Mund legt, hat sich dann ja auch erfüllt: „Du wirst fallen Karthago“. Hamilkar träumt von einem neuen Karthago auf Sizilien.


    Auf S. 158 (Diogenes TB) kommt ein Zitat vor, das sich auch in der Bibel findet:
    ...Und zu viele Kreter: das sind Lügner!....


    Ein Zitat das Paulus von Unbekannt benutzt in Titus 1,12f: Einer von ihnen hat gesagt, ihr eigener Prophet: Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche....


    Dieses Paradoxon hat auch Philosophen wie Bertrand Russell beschäftigt. Falls es dich interessiert, hier gibt es mehr Auskunft:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Paradoxon_des_Epimenides
    http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCgner-Paradox


    ein umgekehrtes Bibelzitat ist auf S. 102 (Diogenes TB) zu finden:


    ...holten ihre alten Waffen, die man versteckt hatte, aus den Höhlen und schmiedete Schwerter aus den Pflugscharen...


    Jesaja 2,4:
    ... Und er wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen


    ein Zitat für den Völkerfrieden, das auch in der UN Charta festgeschrieben wurde. Plastisch sieht es so aus: Skulptur von Jewgeni Wutschetitsch und steht im Garten der UN.


    siehe auch Micha 5, 1-4


    hier noch eine Landkarte:
    http://www.vanderbilt.edu/AnS/…tunisia/tunisia%20map.JPG
    und die Geschichte Karthagos:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Karthagos


    wie weit bist du?


    Viele Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo Maria,



    ich habe diese ----->Reisetagebücher in 3 Bänden. (ISBN 3-378-00529-7)


    vielen Dank für den Hinweis.


    ...inbesondere geht das von den „Alten“ aus.


    Flauberts Verachtung gilt, wie schon in "Madame Bovary" und später in "Education sentimentale", dem Groß- und Besitzbürgertum. Die "Alten" Karthagos sind Vorläufer der verhassten Großbourgeoisie.



    wie weit bist du?


    Kapitel 7. Hamilkar hat seinen ersten Aufritt vor dem Großen Rat der Republik.


    Viele Grüße


    Tom