Friedrich Hölderlin


  • es gibt ja eine ziemlich bekannte Biografie über Hölderlin von Peter Härtling (wurde hier vielleicht schon mal erwähnt?). Ich las es mit Genuß und Gewinn.


    Oh, nicht doch! Hölderlin und Härtling ist fast so schlimm wie Hölderlin und Heidegger!


    Es gibt derzeit keine wirklich zufrieden stellende Hölderlinbiografie. Man näherst sich ihm am besten durch Monografien und Aufsatzsammlungen.


    Hier findet man, was man braucht:


    http://hoelderlin-gesellschaft.de/index.php?id=2


    Gruß F.Maibaum

  • De gustibus...


    Vor vielen Jahren habe ich die klassische Biografie von Wilhelm Michel erstanden; daneben ist für einen ersten Einblick die Monografie von Ulrich Häussermann ganz brauchbar. Die Materialien, die Pierre Bertaux zusammenstellt, brauchen einen zustimmenden Leser; Aufsätze (etwa von Martin Walser) und kleinere Einblicke wie der von Gerhard Wolf "Der arme Hölderlin" ergänzen das Bild, das durchaus eine Grundierung durch den Roman - keineswegs eine Biografie - Peter Härtlings erfahren darf.
    Heidegger und - auf anderer Ebene - auch Gadamer gehen eher philosophisch an das Werk heran; das verhilft aber durchaus auch zu Einsichten...


    Also: Suum cuique...

  • Inzwischen ist Zeit vergangen. Im Internet sind viele neue Texte zu Hölderlin verfügbar. Auch ganze Dissertationen. Gerne tausche ich mich euch darüber aus. Ich werde hier einige Aspekte und Links bringen. Auf bald!

    Eine Folge konsequenter Augenblicke ist immer eine Art von Ewigkeit selbst.


  • Inzwischen ist Zeit vergangen. Im Internet sind viele neue Texte zu Hölderlin verfügbar. Auch ganze Dissertationen. Gerne tausche ich mich euch darüber aus. Ich werde hier einige Aspekte und Links bringen. Auf bald!


    Ja aber hallo, lieber Fink! Nix wie her damit!


    Freundliche Grüße sendet


    Tom

  • Zitat von: Gronauer am 28. Juni 2011, 16:21


    Gerade habe ich Hölderlins Hyperion ausgelesen. Von allen Rezeptionen der klassischen griechischen Antike, die ich kenne, war das sicher die naivste.


    Zitat Ende


    Nicht zuletzt aufgrund dieser Wertung habe ich gestern die Wiederholungslektüre in Angriff genommen. Wie ich bereits in einem anderen Thread erwähnte: "Hyperion" ist in meinen Augen alles andere als naiv. Allerdings liegt die letzte Leseerfahrung viele Jahre zurück. Mal sehen, ob ich zu einer veränderten Lesart (vielleicht auch im Sinne Gronauers) gelange.


    Sommerliche Grüße sendet


    Tom

  • Ich meine naiv im Sinne von unreflektiert, vor allem historisch unreflektiert. Die verherrlichte Geisteswelt der griechischen Antike war beileibe kein verbreitetes Phänomen. Eine handvoll philosophischer Lehrmeister pro Generation plus deren Hörerschaft in den zugehörigen Schulen hat wohl eine bleibende Spitze erzeugt. Die Verallgemeinerung hiervon ist in meinen Augen aber nichts weiter als ein Beobachtungs- oder Auswahleffekt.


    Das Ausmaß der allgemeinen Barbarei kann man sich, wenn man mag, bei Homer vor Augen führen. Tatsächlich dürfte sich der allergrößte Teil der Bevölkerung in alten Hellas kaum von anderen ziegenhütenden Landvölkern unterschieden haben.


    Bitte keine vorschnellen Schlüsse jetzt: ich ziehe die Errungenschaften der griechischen Antike jedem gleich alten oder noch älteren Aberglauben vor! Ehe ich mich an seltsame Hopi-, Maya- oder neumodische Instant-Mythen anhänge, halte ich mich lieber an die Alten, die die Entfernung der Sonne auf 2 % genau ermitteln konnten, in einer Zeit, in der man sonstige Entfernungen in Einheiten von Tagesreisen auf dem Esel angab.


    Ich meine auch nicht, dass die "naive" Einstellung am Ende des Hyperion überwunden wird. Der Held nimmt sie ja mit ins Exil nach Deutschland und misst dort die barbarischen Eingeborenen an diesem Maßstab.


  • Ich meine naiv im Sinne von unreflektiert, vor allem historisch unreflektiert.


    Hallo Gronauer,


    historische Reflektion kann Hölderlin und seinem alter ego(?) Hyperion tatsächlich nicht unterstellt werden; aber ich gehe davon aus, dass dies weder Ziel noch Anspruch war. "Hyperion" ist die Suche nach der Utopie und das vielleicht etwas naive Versprechen, dass diese Suche sich lohnt - unabhängig davon, ob das gelobte Land gefunden werden kann. Wer will es Hyperion/Hölderlin verdenken, dass er die braven Athener (die er ja ausdrücklich von den Spartanern und natürlich von den nordischen Vernünftlern abgrenzt) in den Himmel hebt angesichts der ihm offensichtlich vertrauten Schriften Platons? Und taten dies nicht auch Goethe (in der "Iphigenie") und Schiller ("Die Götter Griechenlands")?


    Du führst die homerischen Schlachtgemälde als Beweis für die allgegenwärtige antike Brutalität an. Das ist ein starkes Argument. Aber: Selbst in den widerlichsten Momenten, in den übelsten Schlächtereien, die dort geschildert werden, kommt in meiner Erinnerung etwas "Edles" oder einfach Menschliches zum Ausdruck: von den Göttern gewolltes individuelles Leiden und Mitleiden. Selbst Goethe, der friedliche Feingeist, hat Homer geschätzt und bewundert. Warum sollte Hölderlin eine Ausnahme machen im Rahmen seiner Antike-Rezeption?



    Ich meine auch nicht, dass die "naive" Einstellung am Ende des Hyperion überwunden wird. Der Held nimmt sie ja mit ins Exil nach Deutschland und misst dort die barbarischen Eingeborenen an diesem Maßstab.


    So weit bin ich noch nicht. Ich habe gerade das erste Buch beendet.


    LG


    Tom

  • Vielleicht noch eine Erwägung zusätzlich:


    Sicher, es gab noch mehr prominente Anhänger der großen Kultur im antiken Griechenland. Goethe und Schiller wurden schon genannt, auch Wieland wollen wir nicht vergessen, der viele aufklärerische und thematisch moderne Stoffe vor eine antike Folie stellte. Aber: im Hyperion habe ich den einzigen mir bekannten Stoff gesehen, in dem eine praktische Rückkehr zu diesem Kulturleben und seiner Religion unternommen werden soll - aus einer Zeit um 1770 herum. Und das Scheitern dieses Vorhabens beruht im Hyperion nicht auf besserer Einsicht, sondern auf einer militärischen Niederlage.


    Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Naivität, die ich meinte. Einer Naivität, über die zumindest Jean Paul hinaus war. Er hatte den weimarer Kollegen bekanntlich ins Stammbuch geschrieben, dass die 2000 Jahre Kulturgeschichte, die seither vergangen waren, weder rückgängig noch vergessen gemacht werden können.


  • Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Naivität, die ich meinte. Einer Naivität, über die zumindest Jean Paul hinaus war.


    Hallo Gronauer,


    Jean Paul und Hölderlin spielen kein vergleichbares Spiel. Letztgenanntem mangelt es fundamental an jeglichem Humor und damit an einer Zutat, die bei Jean Paul besonders stark ausgeprägt war. Die Skurrilität der Paulschen Figuren weist zudem bereits romantische Züge auf. Hölderlin hingegen schwebt noch im reinen und gemäßigten Äther der Klassik, zelebriert Pathos und Geistesstrenge, während Jean Paul mit Romanfiguren spielt, ihnen die aberwitzigsten Abenteuer andichtet und den Leser auf Reisen schickt, die leicht in die Irre führen.


    Es wird gern behauptet, Hölderlin sei weder Klassiker noch Romantiker; vielmehr stehe er zwischen diesen beiden Epochen, wie der ebenfalls schwer zu fassende Kleist. Gerade „Hyperion“ scheint mir allerdings ein Werk zu sein, das der späten, vielleicht zu jener Zeit auch schon überholten Klassik zuzuordnen ist. Schiller, der Hölderlin persönlich kannte, hielt nicht viel von dessen Schwärmerei für die Antike. Von Goethe ist sogar überliefert, dass er Hölderlin ablehnte. Wie Jean Paul zu ihm stand (wenn er ihn überhaupt kannte), ist mir nicht bekannt.


    Ich hoffe, "Hyperion" am Wochenende beenden zu können.


    Viele Grüße


    Tom

  • @ Sir Thomas:


    Die Bemerkung von Jean Paul liegt nicht auf der Ebene (fehlenden) Humors, sie betrifft die Frage, wie man das Erbe der Antike anfassen kann, viel allgemeiner.

  • Hat JP das "Erbe der Antike angefasst"? Mir ist kein Werk bekannt, das sich auch nur annähernd damit beschäftigt.


    Ja eben.


    Jean Paul hatte in seinen Schulzeiten natürlich Griechisch gelernt, einschließlich aller damit verbundenen Götter- und Heldenmythen, enschließlich der Kenntnisse über die Verhältnisse in der Polis. Und deswegen hielt er sich davon fern - weil es ein nicht reproduzierbarer Atavismus war.

  • Jetzt habe ich Hölderlins Gedichte gelesen und lese Hyperion.


    Als ich eben meinen ersten Beitrag in diesem Ordner gerade noch einmal gelesen habe, konnte ich kaum der Ironie des Lebens glauben. Hölderlin als Hirnforscher und ich beginne seinen Hyperion und seine Gedichte in der neurologischen Abteilung nach einem Hirnschlag zu lesen. Manchmal wundere ich mich nur noch über das Leben. Als ob man Dinge irgendwo, wenn auch nicht sehr deutlich, vorausahnt und es wirklich diesen universellen Zusammenhang der Dinge gibt.


    Jedenfalls bin ich von Hölderlin begeistert.

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Vielen Dank! :winken:


    Ich habe zur Zeit auch bei größerer Müdigkeit trotzdem mehr Freude am Lesen. Lesen und Zeichnen sind wunderbar beim Genesen. :smile:

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10