• Ich habe gestern Uwe Johnsons ersten Roman, Ingrid Babendererde, beendet. Für mich das erste Johnson-Buch. Der Autor hatte in meiner Vorstellung immer den Makel, als 'schwierig' zu gelten. Die Babendererde las sich aber wunderbar, sodass ich nun Lust auf mehr habe. Wer von Euch kennt die Jahrestage und kann mir sagen, ob ich mich da auf etwas einlasse, das stilistisch ganz anders ist?

  • Ich habe bei den 'Jahrestagen noch einige 100 Seiten vor mir. Das Buch überfordert mich zur Zeit (zeitmäßig gesehen), aber es ist stilistisch und erzähltechnisch ein Meisterwerk, das steht für mich fest.


    Empfehlen kann ich dir noch 'Mutmassungen über Jakob', dass ich, aus der DDR herstammend, wirklich sehr schön fand. Es ist schon einige Zeit her, dass ich es las, kann mich aber noch an den Sog des Buches erinnern und wie gern ich es las. Das Buch weist in die Jahrestage, einige Figuren wurden da vorgeformt und ausgearbeitet.


    Bei den Jahrestagen bin ich besonders erstaunt, wie Johnson seinen zweigleisigen Erzählkosmos Meklenburg-New York mit all den Personen und zeitlichen Rückblicken gemeistert hat. Atmosphärisch waren die Passagen sehr dicht, teilweise beklemmend für mich, und es gab vieles, dass mir so nicht bekannt war (da stand sehr gute Recherchearbeit hinter, anders war das so nicht hinzubekommen).

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Moin, Moin!


    Bei den Jahrestagen bin ich besonders erstaunt, wie Johnson seinen zweigleisigen Erzählkosmos Mecklenburg-New York mit all den Personen und zeitlichen Rückblicken gemeistert hat. (...) (da stand sehr gute Recherchearbeit hinter,


    Ganz wichtig, den <a href="http://www.philfak.uni-rostock.de/institut/igerman/johnson/johnkomm/0/jahrestage.html">aktuellen Link</a> zum Jahrestage-Kommentar nochmal anzubringen.


    Gesine erlebt bei mir gerade im Oktober 1967 in New York die Umstellung der <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sommerzeit">Sommerzeit</a>, während es in Deutschland zwischen 1950 und 1979 keine solche Regelung gab.


    Kleines Schmankerl zum Tagesausgang noch: "Er hatte sich durchgesetzt, als er durch Beschluß des Kirchgemeinderats Frakturbuchstaben (statt Antiqua) auf Grabsteinen zur Bedingung machte, damit ein Deutscher deutsch sei, auch im Verrotten." (Johnson, Jahrestage 1)

  • Habe es zur Seite gelegt, ein Buch, dass mich irgendwann überfordert hat bei den beruflichen und privaten Ermüdungen. Aber die deutsche Geschichte nahm in den vierziger Jahren immer düstere Züge an und Johnson ging diesen Ereignissen erbarmungslos nach. Es ist ein geniales Buch, dass aber erfordert beim Lesen "am Ball zu bleiben". Mittlerweile wird ja auch die DDR immer mehr zur Geschichte...

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Ich liebe Johnsons "Jahrestage" und auch die Mutmaßungen mag ich auch sehr. Ich habe die Mutmaßungen mal an der Uni vorgestellt, als ich ein Seminar über Literatur als Quelle in der Geschichtswissenschaft besucht habe. Für mich interessant, ist dabei die Tatsache das Johnson sich selbst als Geschichtsschreiber begriffen hat, der durch seine Romane Geschichte beschreibt, aufzeichnet und beobachtet hat. Sicher ist das auch ein Grund dafür, weshalb z.B. einiges eher wie eine Reportage wirkt. Die Romanform hat es ihm gleichzeitig erlaubt, nicht wissenschaftlich mit der Geschichte umgehen zu müssen und Gefühle und Stimmungen mit einzubinden. Damals in der Geschichtswissenschaft noch ein neues Feld und von der Forschung nicht zwingend anerkannt.