• Hallo Maria, Steffi und finsbury,


    ich habe die erneute Lektüre von "Effi Briest" abgeschlossen und bin tief gerührt und beeindruckt. Zum Ende des Romans hin hatte ja Fontane ein wahres psychologisch-philosophisches Feuerwerk an Altersweisheit und Gesellschaftskritik verfasst und dabei dennoch die Schere aufgehen lassen zwischen Einsichten und Taten. Waren die Einsichten gekommen, z.B. bei Instetten, so folgten dennoch keine Taten. Da ich schon vieles seit meiner Schulzeit vergessen habe, hoffte ich auf zumindest ein Zeichen Instettens zum Ende des Romans hin, das aber und da stimme ich Fontane zu, nicht kommen durfte, um die krassen Gegensätze zwischen Einsichten und gesellschaftlichen Zwängen (bei Instetten tatverhindernd) nicht zu mindern. Das scheint mir eines der Hauptanliegen des Romans zu sein - die Kritik an den verkrusteten sittlichen und moralischen Zwängen, die das Leben zur Hölle machen können. Fontane blieb aber bis zur letzten Zeile der große Stilist und Menschenfreund und -kenner, der die Ansichten aller Parteien und ihrer Zwänge zumindest verstehen konnte und diese dennoch und gerade darum in ihrer Gesellschaft scheitern ließ. Die Selbstzweifel Instettens scheinen mir darüber hinaus auch eine Abrechnung mit gerade auch preußischen Verhältnissen zu sein. Aber ich will nicht zuviel mutmassen... Sicher ist, dass Fontane gerade in Ehe- und Partnerschaftsdingen sehr bewandert war (soweit ich mich bisher durch sein Werk gelesen habe, muss ich dies vermuten) und, so habe ich den Eindruck, sich Männer und Frauen gleichberechtigter, zu mehr Liebe zu- und füreinander fähig und über gesellschaftlichen Zwängen stehend gewünscht hat. Ich habe nicht den Eindruck, dass Effi durch Fontane als Ehebrecherin die alleinige Schuld bekam; die Schuld scheint mir gleichmäßig auf die Parteien verteilt und der Verlauf wird gerade dadurch so tragisch. Auch finde ich gerade die Szene von Effi's emanzipatorischen Aufschrei nach dem letzten Besuch ihres Kindes gerade für einen männlichen Schriftsteller dieser Zeit sehr bemerkenswert. Ich muss wieder abbrechen, um nicht weiter zu mutmassen... Meine Schlussfolgerung: Theodor Fontane ist immer nocht recht aktuell, wenn sich auch die Zeiten geändert haben (aber haben sie sich so grundlegend geändert überall)? Ich werde den von Maria in Erinnerung gebrachten Leserunden-Ordner noch einmal duchblättern und "Effi Briest" sicher noch einmal lesen. Es ist sicher noch so vieles darin, das ich immer noch nicht entdeckt oder überlesen habe...


    Da mein Exemplar von "Vor dem Sturm" immer noch nicht von der Buchhandlung abgeholt werden konnte, werde ich noch heute mit "Unwiederbringlich" beginnen, dieses Werk also vorziehen... Damit scheint meine Fontane-Begeisterung wieder Feuer gefasst zu haben und steht einem Fontaneherbst und -winter nichts mehr im Weg...


    Vielleicht wird sich ja noch der eine oder andere begeisterte Austausch über Fontane's Werk hier entfalten?


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo Friedrich-Arthur,


    Fontane blieb aber bis zur letzten Zeile der große Stilist und Menschenfreund und -kenner, der die Ansichten aller Parteien und ihrer Zwänge zumindest verstehen konnte .....



    Fontane erweist sich auch in "Unwiederbringlich" als der große Menschenkenner. Ich lese es gerade.
    Es wird oberflächlich geplaudert (bei der Prinzessin in Dänemark), jedoch die kleinen Szenen und Bemerkungen haben große Auswirkung. Fast schon einlullend für den Leser, wenn er von den letzten Herbstblättern in den Bäumen liest, die nur eine geringe Brise zu Fall bringen und daneben Holk und Ebba, da braucht es auch nur noch einen Windhauch, zumindest für Holk. Denn wie Ebba zur Prinzessin meint, liegt es nicht an ihr der Gräfin (Ehefrau von Holk) treu zu bleiben. Holk ist in dieser Pflicht...


    Ich finde "Unwiederbringlich" ist eins seiner stärksten Romane.


    FA, ich wünsche dir viel Lesefreude mit dem Buch.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    nach den ersten 50 Seiten wage ich es bereits dir zuzustimmen. Wirklich ein toll geschriebener Beginn, der Verwicklungen erahnen lässt. Ich bin gespannt und wünsche auch dir eine schöne und spannende Lektüre.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo !


    "Vor dem Sturm" habe ich nun begonnen - schon die ersten paar Seiten schaffen eine bildhafte Atmosphäre und ich bin begeistert, wie Fontane auf ein paar Seiten schon tiefergehende Skizzen der Hauptperson Lewin darstellt.


    Zitat von JMaria

    Ich finde "Unwiederbringlich" ist eins seiner stärksten Romane.


    Mir gefällt er auch ganz besonders, aber es ist auch viel Melancholie dabei. Für mich besonders schön, dass am Ende kein erhobener Zeigefinger auftaucht sondern der Leser selbst reflektieren kann/soll. Aber das ist ja bei Fontane zu erwarten.


    Ich freu mich für dich, FA, dass du unverhofft zu diesem wunderschönen Roman gegriffen hast.


    Gruß von Steffi

  • Ja Steffi, ein wunderbarer Roman! Sehr viel Weisheit steckt in dem Buch, vermittelt durch beeindruckende Dialoge. Darüber hinaus lädt mich Fontane immer, besonders auch jetzt wieder ein, mich mit der Geschichte zu beschäftigen. In diesem Roman ist auch sehr viel Archäologie enthalten, etwas, was mich auch persönlich sehr interessiert (Archäologie und Geschichte sind ja sehr verwandt)... Aber das Beste sind die weisen, schönen Dialoge! Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Hallo zusammen,


    ich habe nun die ersten 100 Seiten von "Vor dem Sturm" hinter mir. Es ist ein ganz anderer Fontane, der mir bisher begegnet, äußerst detailliert und akribisch in den Beschreibungen, fast schon geschwätzig, manchmal umständlich und doch immer wieder viele Hinweise auf die Geschichte des Oderbruchs und natürlich auch auf die aktuelle Lage 1812. Immer wieder gibt es auch kleine Seitenhiebe auf Fontanes Welt, wie ich aus dem Kommentar entnehmen kann. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich mich auf diesen Stil einstellen konnte.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,


    ich habe "Unwiederbringlich" jetzt ausgelesen und bin begeistert von dem Werk. Wirklich eines der besten Fontanebücher, die ich bisher gelesen habe. Besonders das Ende des Buches, das mich irgendwie an [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,1504.0.html]Theodor Storm[/url]s Novellen erinnert. Es sollte von mehr Eheleuten (und Menschen, die sonstwie in Partnerschaften leben) gelesen werden, ich denke Maria hatte dies schon einmal früher angeregt. Auf jeden Fall hat mich die doppelte Wendung am Ende des Buches überrascht und gleichzeitig betrübt...


    Zu Weihnachten las ich gerade Holks "Spiel" mit der Krippe und dem Jesukind, eine merkwürdige Überschneidung und ein von Fontane sehr geschickt eingefädelter Handlungsstrang...


    Also werde ich jetzt "Vor dem Sturm" lesen...


    Bei der Auflösung des ältesten Buchladens meiner Geburtsstadt (wieder ist so ein altehrwürdiges Haus weg), konnte ich noch zwei kleinere Werke Fontanes erstehen:


    [kaufen='978-3746652849'][/kaufen]


    [kaufen='978-3746652825'][/kaufen]


    Für weiteren Gesprächsstoff in diesem Ordner ist also vorgesorgt, aber erst heißt es lesen, lesen und nochmals lesen...


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • "Cécile" in der Taschenbuch-Edition der EXEMPLA CLASSICA war, als ich 20/21 Jahre alt war, der erste Roman Fontanes, den ich aus seiner Feder gelesen habe. Seitdem bin ich ein dauerhaft (für mein ganzes Leben!) gewonnener Leser Fontanes. Es vergeht bis heute so kein Jahr, in dem ich nicht wenigstens einen neuen Roman Fontanes (oder Raabes) kennengelernt oder aber einen mir bereits bekannten wiedergelesen habe.
    An die Lektüre von "Unwiederbringlich" und an die von "Schach von Wuthenow" erinnere ich mich unter anderem auch noch sehr gerne. Und es wird für mich wieder Zeit, z. B. "Unwiederbringlich" nach Jahren wieder neu zu lesen. Am besten in der schönen Ausgabe des Manesse-Verlags mit dem ansprechenden Nachwort.
    Aber auch und vor allem "Der Stechlin" wartet nach vielen vergangenen Jahren erneut auf mich.

  • Da ich es für ein unverbrüchliches Menschenrecht erachte, jeden Tag zumindest einige, wenn auch nur wenige, Worte zu äußern (und sei es innerhalb eines Literaturforums) erlaube ich mir einfach entgegen einer früheren Behauptung, den Fontane Ordner mittels dieser Silben wiederzubeleben. Ja. Cécile ist ein fabelhaftes Buch, wenngleich man sich natürlich einen erfreulichen Ausgang der Geschehnisse nur wünschen kann. Mein erlaube mir weiter gespannt zu sein und die hiesigen Worte nötigenfalls als weder gesagt noch von mir gegeben zu betrachten :rollen:.


    Nach Abschluss des Romanes macht sich bei mir Entsetzten darüber braut, aus welchen, zumindest aus heutiger Sicht, Lappalien man sich damals über den Haufen schoß. Letztendlich muss auch das Schicksal Céciles erschüttern, wenngleich die gesamte Handlung doch etwas dramatisch überhöht erscheint. Der Anlass des Duells ist nun wirklich ausgesprochen nichtig, verhindert aber letztendlich das ersehnte kleine Glück Céciles, deren Wünsche sich im Großen und Ganzen darauf beschränken, nach ihrer vermasselten Jugend doch noch etwas wie Freundschaft und gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen.


    MfG Freund Hermann

    Einmal editiert, zuletzt von Freund Hermann ()


  • Nach Abschluss des Romanes macht sich bei mir Entsetzten darüber braut, aus welchen, zumindest aus heutiger Sicht, Lappalien man sich damals über den Haufen schoß. Letztendlich muss auch das Schicksal Céciles erschüttern, wenngleich die gesamte Handlung doch etwas dramatisch überhöht erscheint. Der Anlass des Duells ist nun wirklich ausgesprochen nichtig, verhindert aber letztendlich das ersehnte kleine Glück Céciles, deren Wünsche sich im Großen und Ganzen darauf beschränken, nach ihrer vermasselten Jugend doch noch etwas wie Freundschaft und gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen.


    Auch ich fand diesen Roman einen der traurigsten und schlimmsten in Bezug auf die dargestellten Verhältnisse. Er hat aber auch - wie viele der kleineren Romane Fontanes - eine , auch wenn's abgegriffen ist - bittersüße Melancholie, die im Gedächtnis bleibt.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Liebe Mitleser,


    zwar bin ich mit Sicherheit keiner derjenigen Schnellleser, die Bücher förmlicherweise "verspeisen", der alte Fontane hat es mir jedoch besonders angetan. Auch ich habe soeben "Vor dem Sturm" vollendet, ein Buch, das ich vor ca. 13 Jahren noch etwas angeödet wieder aus der Hand legte. Aber man muss sich Fontane wohl erst langsam nähern, um seine Erzählkunst wirklich nachzuvollziehen, dies habe ich denn auch getan (mit Frau Jenny Treibel, L'adultera, Unwiederbringlich, Die Poggenpuhls, Stine, Der Stechlin).


    Ich möchte trotzdem noch einmal gerne das Thema eröffnen, was uns, moderne Menschen, denn heute so an Fontane fasziniert: Ist es, provozierend gefragt, der Reiz einer "gala-"ähnlichen Adelsgesellschaft, also das Interesse am Leben der oberen Zehntausend des 19. Jahrhunderts? Oder gar die konservative Erinnerung an ein "geordnetes" Leben mit dem jeweiligen "Oben" und "Unten". Als Mensch, der Sozialwissenschaften und Geschichte studiert hat, kamen mir das ein oder andere Mal beim Lesen diese Gedanken, sie sind gleichwohl hier nur als provokante Thesen gemeint.


    Immerhin stellt uns Fontane Figuren in sympathischer Weise vor Augen, die der Geschichtsunterricht der Schule doch immer als verachtenswert hingestellt hatte: Der (groß)grundbesitzende Adel preußischer Abstammung, einer der Steigbügelhalter für den von Großmannssucht getriebenen Wilhelm II. und nicht zuletzt Stütze des Aufstiegs Hitlers.


    Nein, lassen wir diese historische Betrachtungsweise, ein Bernd von Vitzewitz oder Dubslav von Stechlin sind doch gerade keine beispielhaften Parameter für eine von Machtbewusstsein getriebene Gesellschaftsschicht. Was fasziniert uns aber so an Fontane?

  • Interessante Fragen!



    Ich möchte trotzdem noch einmal gerne das Thema eröffnen, was uns, moderne Menschen, denn heute so an Fontane fasziniert: Ist es, provozierend gefragt, der Reiz einer "gala-"ähnlichen Adelsgesellschaft, also das Interesse am Leben der oberen Zehntausend des 19. Jahrhunderts?


    Das glaube ich nicht, denn dieses Bedürfnis wird eher durch "Sissi" o.ä. Filme befriedigt. Ist denn die preußische Adelsgesellschaft bei Fontane wirklich so glamourös? Ich habe sie als eher nüchterne Protestanten/Calvinisten in Erinnerung.



    Oder gar die konservative Erinnerung an ein "geordnetes" Leben mit dem jeweiligen "Oben" und "Unten".


    Fontane-Menschen leben nach Werten oder Kodizes, unabhängig von deren Sinngehalt. Das kann konservative Menschen sicher auch heute noch ansprechen.



    Immerhin stellt uns Fontane Figuren in sympathischer Weise vor Augen, die der Geschichtsunterricht der Schule doch immer als verachtenswert hingestellt hatte ...


    Diese Art der Darstellung "schuldet" der demokratische Staat seinen Bürgern. Ohne irgendwelche Sympathien für Preußens Glanz und Gloria zu empfinden, habe ich diese Einseitigkeit bedauern gelernt - nicht zuletzt dank Fontanes "Stechlin", den ich wirklich mag und der uns ein differenziertes Bild des damaligen Landadels vermittelt.



    Was fasziniert uns aber so an Fontane?


    Mich persönlich interessieren die Menschen Fontanes und eine Zeit, deren Kolorit irgendwo zwischen reaktionär/imperialistisch/chauvinistisch und humanistisch/fortschrittlich angesiedelt ist.


    Viele Grüße


    Tom

  • der Reiz einer "gala-"ähnlichen Adelsgesellschaft, also das Interesse am Leben der oberen Zehntausend des 19. Jahrhunderts?


    Eigentlich habe ich Fontane eher so in Erinnerung, dass er die kleinen (Land)Junker beschreibt in seinen Romanen. Nicht das, was ich persönlich mir unter den "oberen 10'000" vorstelle. Aber man müsste nachzählen.


    Eine Schilderung der "obern 10'000" - das vebinde ich eher mit den Amerikanern James, Wharton oder Fitzgerald. Die auch aus entsprechenden Schichten stammten, iirc.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Vom Hof und den Höflingen hat sich Fontane in seinen literarischen Werken eher fern gehalten. Sein Feld war mehr die Provinz, sein Brandenburg, das auf Sand gebaute Preußen, und so sehr er es verehrt hat, sein Thema waren die Risse und Widersprüche. Und! Wer wird nicht seine Frauengestalten in diesen Zusammenhängen schätzen?
    Sieht man von seinen Kriegsberichten ab, die mehr Propagandaschriften denn Journalismus sind, so kann man seinen Wehmut nachempfinden und muss seinen Sinn für den aufkommenden neuen Geist (sofern es so was überhaupt gibt) preisen.

  • Vielen Dank für die Antworten. Wie ich sehe, scheint jeder seinen individuellen Zugang zu Fontane zu pflegen. Prüfend zu meiner selbst aufgeworfenen Fragestellung muss ich feststellen, dass ich Fontanes Romane insbesondere zu deren Ende besonders schätze. Dies aus zweierlei Gründen: Entweder ist es die Zunahme der Ereignisse, die einen fesselt (Cecile, Effie Briest, tlw. Unwiederbringlich) oder aber die rückblickende Betrachtung der Akteure, in diesem Forum bereits als "Altersweisheit" Fontanes beschrieben. Wie wir alle wissen, begann Fontane sein künstlerisches Schaffen in einem sehr hohen Alter, insbesondere, wenn man das damalige Durchschnittsalter betrachtet.
    So liebe ich ebenfalls insbesondere den "Stechlin", hat Fontane doch den letztgenannten Aspekt hier zu seiner Blüte geführt: Die Gedanken Dubslavs von Stechlin bis kurz vor seinem Tode nachzuverfolgen, hatte für mich einen großen Reiz. Es scheint bei diesem Roman großteilig so, als spreche Fontane selbst, so ähnlich hat es ja auch Fritz Mauthner im "Berliner Tageblatt" schon 1898 ausgedrückt: "Fontanes letzte Gedanken über Gott und die Welt, über Bismarck und den alten Fritz, über Preußen und die Mark Brandenburg, über die soziale Frage und über die Armee, über Mannesseelen und Frauenherzen ... Und am Ende haben wir gar etwas wie den Abschluß seiner Selbstbiographie vor uns." (siehe das Nachwort von Walter Müller-Seidel in der Insel-Ausgabe)


    Aber man muss sich hierbei, so denke ich, immer vor Augen halten, dass es jemanden wie den "alten Stechlin" wohl kaum im preußischen Landadel gab: Angefangen bei der gewählten Ausdrucksweise bis hin zu den Gedankengängen, die zumindest ein Verständnis für sozialdemokratische Gedankengänge offenbaren, bleibt Fontanes Stechlin kaum ein wirkliches Beispiel preußischen Junkertums.


    Warum also diese irreführende Veredelung. Damit wären wir bei Tom: ...die Menschen Fontanes und eine Zeit, deren Kolorit irgendwo zwischen reaktionär/imperialistisch/chauvinistisch und humanistisch/fortschrittlich angesiedelt ist.


    Fontane muss selbst immer wieder zwischen diesen beiden Polen hin- und hergeschwankt sein: Während der (wieder alte) General Bamme zum Ende von "Vor dem Sturm" bekennt: "Es ist nichts mit den zweierlei Menschen" und insofern die ständische Gesellschaft als überholt betrachtet und Gräfin Melusine als zukünftige Schwiegertochter des Stechlins allerlei Gedanken von der Gleichheit der Menschen darbringt, entscheidet sich Fontane zwischendurch doch wieder für die "gute Ordnung": So bleibt die Liebe in "Irrungen, Wirrungen" zugunsten des Ständeprinzips auf der Strecke. Fontane scheint sich selbst nicht sicher, wie denn nun die neuen Zeiten und der neue Geist aussehen, so bleibt er dann doch eben jener, der zumindest seine Figuren das Bestehende in Frage stellen lässt, ohne wirklich Neues zu denken.


    Eins werfe ich Fontane deshalb ein bisschen vor. Überall ist zu lesen, er liefere ein Bild seiner "Zeit", dafür kommt mir aber die hochindustrielle Ära mit ihren Umbrüchen doch zu kurz.


    Bleibt die Frage der Frauen bei Fontane. Ich bin mal wieder etwas provozierend (deshalb auch van der Straaten): Mir erscheint eine Marie (Vor dem Sturm) und eine Melusine dann doch etwas zu perfekt. Will Fontane uns dann doch letztendlich weismachen, die Frauen seien nun einmal das bessere Geschleicht?


  • Bleibt die Frage der Frauen bei Fontane. Ich bin mal wieder etwas provozierend (deshalb auch van der Straaten): Mir erscheint eine Marie (Vor dem Sturm) und eine Melusine dann doch etwas zu perfekt. Will Fontane uns dann doch letztendlich weismachen, die Frauen seien nun einmal das bessere Geschleicht?


    Hallo van der Straaten,


    Fontane liebte das Geheimnisvolle und vielleicht auch das "Mysterium Frau", indem er seinen Frauen gerne das Melusinenmotiv beilegt; werden sie falsch behandelt, verschwinden sie. Seine weiblichen Figuren haben etwas sanftes, aber ich glaube nicht, dass er sie zu einem besseren Geschlecht stilisieren wollte.


    als nächstes möchte ich "Irrungen, Wirrungen" lesen.


    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Im Sinne de Bürgerliche Realismus, in dem die tatsächlichen Verhältnisse künstlerisch betrachtet werden, gibt Fontane seinen Frauengestalten natürlich auch eine idealisierte Haltung. Trotzdem sind seine "starken" Frauen abhängig von gesellschaftlichen Konventionen und lehnen sich, anders als z.B. bei Keyserling, nicht auf. Wichtig ist nach wie vor die gesellschaftliche Haltung und damit auch das Vertrauen darauf, dass sich diese Regeln durchsetzen.


    Erst beim älteren Fontane merkt man, dass er sich damit kritisch auseinandersetzt. Für mich spiegelt das sehr gut einen gewissen Zeitabschnitt, auch wenn sein Abbild auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht beschränkt bleibt.


    Gruß von Steffi

  • Hallo,


    ich lese gerade Irrungen, Wirrungen.
    Darüber sagt Fontane: „Die Sitte gilt und muss gelten, aber daß sie’s muß, ist mitunter hart.“


    Lene Nimptsch, eine Protagonistin, die ihre eigenen Entscheidungen trifft auch wenn es schmerzt; eine ungewöhnliche Frauengestalt unter den Fontane'schen Frauen. Wie erwartet nimmt mich Fontanes Erzählstil wieder gefangen. Er schreibt so schwerelos und trifft mit einfachen weisen Worten den Kern eines Problems.


    Edit:
    ich muß schon sagen, Fontane hat so manchen tollen Schlußsatz, wie auch in Irrungen, Wirrungen:


    "Gideon ist besser als Botho."



    Gruß,
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Hallo,


    ich muß mal wieder von Fontanes Balladen schwärmen. Ich habe die mir noch unbekannten Balladen gewählt, wie "Der letzte York // Johanna Gray // Archibald Douglas .... wunderbar ...... und fand sogar zwei Balladen mit Thema Dreißigjähriger Krieg, passt ja derzeit zu mein Leseprojekt, die wären "Der 6. November 1632 // Schloss Eger" . .


    was ich auch noch nicht kenne ist der Romanzen-Zyklus um Maria Stuart. Die werden mich im Herbst begleiten.


    Bei Regenwetter Balladen von Fontane zu lesen ist schon gigantisch gut :-)


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)