Friedrich Schiller - ein banaler Dichter?

  • Hallo :winken:


    in meiner Schulzeit meinte ein Studienrat zu uns sagen zu müssen:
    "Sie sollten wissen und werden es auch selbst erkennen, unser hochgeehrter Schiller ist im Grunde genommen ein ganz banaler Dichter".


    Ich war über diese Formulierung sehr erstaunt und verwundert. Aber gerade in den letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, gerade seine Lyrik lässt sich für Betriebsfeiern und zu ähnlichen Anlässen wunderbar "verballhornen" und ich muß zugeben, davon auch Gebrauch gemacht zu haben.


    Mit dieser Ansicht stehe ich eigentlich nicht allein, denn Alice Schmidt, die Ehefrau von Arno Schmidt, schreibt in ihr Tagebuch am 10. Juli 1954:
    "...für dies Studium beginne ich nun mit: Schillers Jungfrau von Orleans. -Aber wie platt schon die 1. Verse. Welch Vater sagt zu seiner Tochter: 'Entfaltet ist die Blume deines Leibes'. Arno ist der gleichen Ansicht! - Was für ein Gott ist Arno dagegen!!"


    Wie seht ihr Schiller und darf man ihn als banalen Dichter bezeichnen?


    Liebe Grüße
    Leila


    P.S. Bitte nicht böse sein, wenn ich mich jetzt vielleicht zu sehr aus dem Fenster gelehnt habe. :redface:

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Hallo Leila,
    ich stimme dir völlig zu - auch ich finde Schiller banal. Sein Ruhm gründet meiner Ansicht nach allein darauf, daß er im 19. Jahrhundert zum Lieblingsautor des Bürgertums geworden war. Die Frage ist dann natürlich, aus welchen Gründen er dies wurde, und nicht nur dies, sondern auch der literarische Grundstock der deutschen Gymnasialerziehung.


    Zu der ebendieser Frage "Wieso werden manchen Bücher zur Pflichtlektüre an Schulen" gibt es bei der Konkurrenz übrigens auch einen Diskussionsordner.


    Gruß,
    R.

  • Hallo Roquariol,


    als ich durch deine Bemerkung über Schiller im Rahmen einer umfassenden Gymnasialerzihung las und meine eigene Schulzeit noch einmals Revue passieren lies, fiel mir auch auf, wie umfassend Schiller Gegenstand unseres Deutschunterrichtes war. Jedes Jahr mehrere Gedichte und "Wallensteins Lager" sind mir noch in bleibender Erinnerung.


    Dann aber bekamen wir einen neuen "Lehrkörper" und nun nahmen Bert Brecht und Wolfgang Borchert (Draussen vor der Tür) breiten Raum unseres Deutschunterrichts ein. Das gefiel mehr sehr viel besser. :smile:


    Viele Grüße
    Leila

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Leila Parker"

    Dann aber bekamen wir einen neuen "Lehrkörper" und nun nahmen Bert Brecht und Wolfgang Borchert (Draussen vor der Tür) breiten Raum unseres Deutschunterrichts ein. Das gefiel mehr sehr viel besser. :smile:


    Wobei gerade Brecht im Grunde genommen auch äusserst banal ist :zwinker: . Zum "Klassiker-Sein" gehört wohl auch der Mut und das Können, banal zu sein ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat

    Zum "Klassiker-Sein" gehört wohl auch der Mut und das Können, banal zu sein ...


    Zumindest würde Schillers Banalität erklären, warum ich ihn und seine Dramen so gerne mag. :breitgrins:


    Aber was versteht ihr denn überhaupt unter "banal"?


    Ich habe Schillers Dramen und Gedichte immer in erster Linie als großartige Unterhaltung verstanden. Einige sind außerdem politisch (vor allem die "Sturm und Drang"-Werke Don Karlos und Kabale und Liebe), die Räuber nach zweihundert Jahren noch aktuell mit der Frage, ob es Sinn macht, sich im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse außerhalb der Gesellschaft zu bewegen.


    LG
    Nightfever

  • Hallo Nigthfever,


    das Friedrich Schiller eventuell als banal bezeichnet werden könnte, bezog sich aus meiner Sicht ausschließlich auf seine Lyrik.


    Gerade sein Versepos "Der Taucher" ist trotz seines historischen Hintergrundes - in dem Herrscher ist ja Friedrich II. von Staufen zu sehen - kann hier von einem banalen Text gesprochen werden. Selten wurde ein Gedicht so verballhornt, dass es zum großen Lacher werden kann. Bei Schillers Gedichten ist das so extrem leicht machbar.



    Das ist natürlich meine Sichtweise und jeder Widerspruch weckt mein Interesse, darüber neu nachzudenken.


    Liebe Grüße
    Leila

  • Zitat von "Leila Parker"

    Aber gerade in den letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, gerade seine Lyrik lässt sich für Betriebsfeiern und zu ähnlichen Anlässen wunderbar "verballhornen" und ich muß zugeben, davon auch Gebrauch gemacht zu machen.


    Hallo Leila,


    ich bekenne: auch ich habe Schillers Balladen in der Vorpupertät verballhornt. Heute weiß ich, das spricht nicht gegen Schiller.


    M.M.n. kann man jede Lyrik verballhornen, auch Celans Todesfuge. Spricht das gegen Lyrik?


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Leila Parker"

    Mit dieser Ansicht stehe ich eigentlich nicht allein, denn Alice Schmidt, die Ehefrau von Arno Schmidt, schreibt in ihr Tagebuch am 10. Juli 1954:
    "...für dies Studium beginne ich nun mit: Schillers Jungfrau von Orleans. -Aber wie platt schon die 1. Verse. Welch Vater sagt zu seiner Tochter: 'Entfaltet ist die Blume deines Leibes'. Arno ist der gleichen Ansicht! - Was für ein Gott ist Arno dagegen!!"


    Hallo Leila,


    Kleist z.B. hat in einer Sprache geschrieben, die weder zu seiner Zeit noch in der Zeit in der seine Dramen spielen, gesprochen wurde. Deshalb liebe ich Kleist. Hätte Kleist oder Schiller in einer Sprache geschrieben, die im Hause Schmidt üblich war, wären sie heute sicher vergessen.


    Davon abgesehen bin ich der Meinung Göttergattinen sollten sich besser nicht zur Literatur äußern.


    Gruß von Hubert

  • Guten Abend,
    ob Schiller jetzt banal ist oder nicht, bleibt wohl letztlich Geschmacksache. Interessanter finde ich dagegen die Frage, warum ausgerechnet Schiller der Haus-Autor des deutschen Bürgertums im 19. Jahrhundert wurde.
    Vielleicht wegen solcher Verse:


    "Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
    Der Feuerzunder still gehäuft,
    Das Volk, zerreißend seine Kette,
    Zur Eigenhilfe schrecklich greift!"


    Politisch, fürwahr ... :angst:


    Gute Nacht!
    R.

  • Hallo zusammen,


    manchmal denke ich, dass viele Leute, die sich für Literaturkenner halten, - womit ich jetzt deinen Deutschlehrer meine, Leila, nicht unsere geschätzten Mitdiskutanten - gerne als banal abtun, was auf den ersten Blick bereits eine Botschaft enthält und alles für großartig halten, was möglichst stark verschlüsselt ist, auch wenn manchmal hinter der Draperie die nackte Wand zum Vorschein kommt.
    Natürlich war Schiller Idealist und trug seine Ziele oft ein wenig dick auf, aber dennoch steckt viel Ehrlichkeit und Kraft darin und mir geht - ehrlich gesagt - das Herz bei einigen von Schillers Dramen und Gedichten eher auf, als wenn ich z.B. stundenlang ein George-Gedicht zerfleddere, ohne viel Anderes als Selbstbespiegelung zu finden.
    Die Qualität von Schillers ästhetischen Schriften ist abgesehen davon mit anderen Eigenschaftswörtern als "banal" zu bezeichnen.


    HG
    finsbury

  • Hallo,


    finsbury schrieb:


    Zitat

    Natürlich war Schiller Idealist und trug seine Ziele oft ein wenig dick auf, aber dennoch steckt viel Ehrlichkeit und Kraft darin und mir geht - ehrlich gesagt - das Herz bei einigen von Schillers Dramen und Gedichten eher auf, als wenn ich z.B. stundenlang ein George-Gedicht zerfleddere,


    Gut gesagt !! Gerade in Schillers Balladen spüre ich oft sehr starke Emotionen, die mich direkt ansprechen. Um beim "Taucher" als Beispiel zu bleiben, ist es doch großartig wie durch die Wortwahl nicht nur die Macht des Wassers im Gegensatz zur Macht des Königs sondern auf einer zweiten Ebene auch die Geräusche der Wellen und die Gefühle der Zuschauer (=Leser) transportiert werden.


    Warum sollte banal = eignet sich besonders gut zur Persiflage sein ?? Ich verstehe unter banal eigentlich eher "einfach". Was keine negative Aussage sein muss.


    Gruß von Steffi

  • Hallo Zusammen. Zum Thema Schiller möchte ich sagen, das dieser in seiner Sprache weitaus besser, vorallem feiner, gewesen ist, als der alte Goethe. Meiner Meinung nach hätte Friedrich Schiller vielleicht der Größere von beiden sein können, wenn er nicht in so jungen Jahren gestorben wäre. Schiller als banal zu bezeichnen, finde ich persönlich als für nicht angebracht. Gruß Roland

  • Zitat von "Steffi"

    Ich verstehe unter banal eigentlich eher "einfach". Was keine negative Aussage sein muss.


    Gruß von Steffi


    Hallo Steffi,


    dito. Ich denke auch, das Einfache ist das, was alle Menschen verstehen und für alle wichtig ist, und wenn sich ein Dichter damit auseinandersetzt,
    dann sollte das nicht abfällig gewertet werden.
    Ich muss manchmal auch über Schillers Formulierungen schmunzeln und über sein Frauenbild wollen wir gar nicht reden (aber mal ehrlich, welchen Autor männlichen Geschlechts vor dem Ende des 20. Jahrhunderts könnte denn dann frau genießen?), aber dennoch hatte er eben eine Art, grundlegende Dinge zu formulieren, dass er nicht umsonst der sprichwortträchtigste Dichter unserer Sprache ist.


    HG
    finsbury

  • Hallo,


    ich bezweifle, dass eine recht allgemeine Diskussion über den "Streitfall" Schiller zu überzeugenden Ergebnissen führen kann. Wie sagte doch Goethe in seinen Erinnerungen über den Freund:


    Zitat

    Wenn man ihn nach acht Tagen wiedersah, so fand man ihn anders und staunte und wußte nicht, wo man ihn anfassen könnte.


    Schiller war also enorm wandlungsfähig, und es ist sicher möglich, dass sich immer mal wieder eine banale Phase eingeschoben hat :zwinker:


    Vielleicht wird Banalität aber auch mit Schillers Huldigung der echten Kindhaftigkeit verwechselt. Wie sagt er in "Naive und sentimentale Dichtung":



    Zitat

    Wir lieben in ihnen (den Kindern) das stille schaffende Leben, das ruhige Wirken aus sich selbst, das Dasein nach eigenen Gesetzen, die innere Nothwendigkeit, die ewige Einheit mit sich selbst.
    Sie sind, was wir waren, sie sind, was wir wieder werden sollen. Wir waren Natur, wie sie, und unsere Kultur soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freiheit, zur Natur zurückführen.


    Vielleicht würde also statt einer allgemeinen Diskussion das Betrachten einzelner Werke zu einem ausgewogeneren Urteil führen. Man kann ja in loser Reihenfolge das Gedenkjahr damit füllen (ohne gleich große Leserunden daraus zu machen).


    Habe heute z. B. das durchaus umstrittene "Lied von der Glocke" wiedergelesen. Ungeheure "Sentenzendichte", lesbarer Herstellungsbericht aus der Glockengießerei (kann sich mancher Gebrauchsanleitungenschreiber in Sachen Nachvollziehbarkeit eine Scheibe abschneiden :zwinker: ), aber insgesamt wohl zu viel gewollt und damit fast alles verdorben.


    Gruß
    Holk

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Holkenäs"

    Vielleicht wird Banalität aber auch mit Schillers Huldigung der echten Kindhaftigkeit verwechselt. Wie sagt er in "Naive und sentimentale Dichtung":


    Ohne den Text jetzt nachgeschlagen zu haben, aber: Spricht Schiller da nicht vom naiven Dichter? Also gerade nicht von sich, sondern von Goethe (vereinfacht gesagt)?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    aber hat Schiller Goethe nicht dafür bewundert, war diese Art des Künstlers nicht sein Ideal? Und hat er nicht versucht, ihm nachzueifern, bis er sich dann über seinen anderen Zugang zur Dichtung grundsätzlich klar geworden ist?


    So weit, so kurz (leider)
    Holk

  • Hallo zusammen!


    Schillers Verhältnis zu Goethe ... hm ... sehr, sehr ambivalent, würde ich sagen. Aber zur Zeit der Naiven und sentimentalischen Dichtung war er sich über ihren prinzipiellen Unterschied (oder was er dafür hielt) doch schon im klaren, oder?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Nightfever"

    Aber was versteht ihr denn überhaupt unter "banal"?


    Ich habe Schillers Dramen und Gedichte immer in erster Linie als großartige Unterhaltung verstanden.


    Natürlich wäre zuerst mal zu klären, was mit "banal" gemeint ist. Sicher verstehen wir nicht alle das gleiche unter diesem Begriff. Der Ansatz von Steffi (banal = einfach) trifft es sicher nicht. Dann wäre banal auch nicht negativ gemeint (was der besagte Lehrer, wie der Kontext vermuten läßt, aber meinte), den gerade in der Lyrik gilt: die genialsten Gedichte sind einfache Gedichte, imho ist es Aufgabe der Dichter, Dinge die ich nur sehr umständlich und mit vielen Worten ausdrücken kann, einfach und mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen.


    Schiller Dramen sind, so erlebe ich sie immer wieder, in der Tat großartige Unterhaltung. Sie aber darauf zu beschränken, wäre imho zu wenig. Insbesondere wenn man Schillers theoretische Schriften dazu liest, kann man wohl nicht annehmen, dass Schiller mit dem Prädikat "Großartiger Unterhalter" zufrieden gewesen wäre.

  • Hallo,


    Sandhofer hat folgendes geschrieben:

    Zitat

    Schillers Verhältnis zu Goethe ... hm ... sehr, sehr ambivalent, würde ich sagen. Aber zur Zeit der Naiven und sentimentalischen Dichtung war er sich über ihren prinzipiellen Unterschied (oder was er dafür hielt) doch schon im klaren, oder?


    Mag sein, dass der Begriff "Freundschaft" für die Beziehung Schiller/Goethe zu hoch gegriffen ist (z.B. auch wegen der Ignoranz Schillers gegenüber Christiane Vulpius. Ein Feund wäre da wohl offener gewesen). Haben sich aber doch so großartig gegenseitig inspiriert, dass man sie vielleicht mit der Kombination McCartney(Goethe)/Lennon(Schiller) vergleichen könnte? :zwinker:
    Mit der Schrift zur naiven u. sentimentalischen Dichtung 1795/96 hat Schiller den Unterschied in eine Form gegossen (einer Glocke? :rollen: ). Aber Schiller hat auch schon vorher Gedichte geschrieben. Und es ging in dem Gesagten nur darum, einen Erkärungsansatz für den manchmal aufkommenden Eindruck von Banalität (oder was man dafür hält) zu finden. Es geht also gar nicht um diese theoretische Abhandlung selbst (die vom Ruch des Banalen meilenwert entfernt ist), sondern um manche von Schiller verfaßte Werke in der vorhergehenden Zeit, als er sich eben über seine Stellung in der Dichtung noch nicht so klar war.


    Sonntägliche Grüße
    Holk