schönstes Leseerlebnis 2004

  • Zitat von "Hubert"


    Sind das Jugedliche?, Haben die einen eigenwilligen Geschmack? Oder warum beschäftigen die sich imit Hesse?


    Hesse ist literaturwissenschaftlich zweifellos interessant, u.a. aus den von mir angedeuteten Gründen: Hesse als eine Art Literaturpopstar. Die Tatsache, dass man sich mit einem Autor wissenschaftlich beschäftigt, sagt ja noch nichts über die Qualität dessen Bücher aus.


    Massenhafte Lektüre desselben ist an sich schon genug, sich das einmal genauer anzusehen. Karl May wäre hier ein anderes Beispiel.


    CK

  • Zitat von "Bulkington"


    Endlich fühle ich mich einmal wirklich verstanden !


    Mir ging es in diesem Alter ja nicht anders, habe Hesse damals (im Gegensatz zu Giesbert) sehr gerne gelesen. Er hat sogar das Verdienst (via Glasperlenspiel) mich in meinem Entschluss, Germanistik und Philosophie zu studieren, und mich für die "Welt des Geistes" zu entscheiden, stark bestätigt zu haben.


    Mit zunehmender literarischer Kompetenz wurde mir dann klar, wie diese Literatur "funktioniert".


    CK

  • Lieber xenophanes,


    ich danke Ihnen, daß Sie mich zitiert haben; sollten die Betreiber meinen Beitrag aus offenbar persönlichen Animositäten erneut löschen (wie kürzlich schon beim "Fremden"), bleibt er wenigstens - vielleicht - als Zitat stehen.


    Ich fürchte indes, daß Sie meinen Beitrag etwas mißverstanden haben. Ich fand Ihre Formulierung sehr schön und zutreffend, wollte aber mit meiner Erwiderung auch mitteilen, daß ich (49) mich sowohl mit dem Herrn, der mir meinen hiesigen Namen gab, als auch Hesses Steppenwolf (sowie Camus Fremden) bestens identifizieren kann.


    Beste Grüße


    Bulkington


    :zwinker:

  • Zitat von "xenophanes"

    habe Hesse damals (im Gegensatz zu Giesbert) sehr gerne gelesen.


    Hm, mal überlegen, was hab ich damals so gelesen? Siegfried Lenz. Die 3 Bände Bibliotheca Dracula Reprint von 2001 (unglaublich, in diesem lesehungrigen Alter schrecken eine Tausendseitenschmöker wie Melmoth nicht die Bohne). Charles Bukowski. Henscheid. Chandler. Sommerset Maugham. Dostojewski. Jede Menge Edgar Wallace & Agatha Christie. Usw. Also "erzählende Prosa", mit starkem angelsächsischen Einschlag. Meine Lektüre richtete sich wohl nach 2 Dingen: Dem Merkheft von 2001 und dem Katalog des Diogenes-Verlags. Da tauchte Hesse einfach nicht auf ;-). -- Und in der Schule fand ich "Unterm Rad" einfach blöde anbiedernd. Aber Schullektüre ist ja auch so ein Thema für sich.

  • Zitat von "Leila Parker"


    mein schönstes, zumindest aber interessantestes, Leseerlebnis 2004 war die Lektüre von D.H. Lawrence "Lady Chatterley".


    ....... gehören seine Büchern zu den Klassikern der Weltliteratur?
    Gruß Leila


    Hallo Leila,


    nach meiner Definition ist Lawrence noch kein Klassiker. Das hat aber nichts mit Qualität zu tun, sondern ist einfach eine Frage der Zeit.


    Ich persönlich sehe "Lady Chatterley" in einer Reihe mit Madame Bovary,
    Anna Karenina und Effi Briest.


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "xenophanes"

    Massenhafte Lektüre desselben ist an sich schon genug, sich das einmal genauer anzusehen. Karl May wäre hier ein anderes Beispiel.


    Lieber xenophanes,


    mich würden sehr Ihre Ansichten zu Karl May bzw. dessen Werk interessieren, da ich Sie nach einigen Äußerungen hier und einem ersten Blick auf Ihre Internetseite für einen sehr intelligenten und interessanten Menschen halte (auch wenn unsere Ansichten sicherlich manchmal weit auseinandergehen) und Karl May sehr schätze und mich sehr mit ihm beschäftige. Es gibt ja hier (momentan unter "Allgemeines Diskussionsforum", glaube ich) einen Themenzweig dazu.


    Beste Grüße


    Bulkington

  • Zitat von "xenophanes"

    Hesse ist literaturwissenschaftlich zweifellos interessant, u.a. aus den von mir angedeuteten Gründen: Hesse als eine Art Literaturpopstar. Die Tatsache, dass man sich mit einem Autor wissenschaftlich beschäftigt, sagt ja noch nichts über die Qualität dessen Bücher aus.


    Massenhafte Lektüre desselben ist an sich schon genug, sich das einmal genauer anzusehen. Karl May wäre hier ein anderes Beispiel.


    CK


    Hallo CK,


    literaturwissenschaftlich beschäftigte sich nur das Kolloquim mit Hesse. Die Besucher der anderen 99? Veranstaltungen (Vorträge, Lesungen, Konzerte) waren einfache Leser, - erwachsene Leser.


    Konsalik wird auch massenhaft gelesen, m.M.n. hält sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm in Grenzen.


    Gab es zu Karl May schon mal ein internationale Kolloquium mit Teilnehmern aus Europa, Asien, Amerika?


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "xenophanes"


    Danke für den Hinweis. Wusste bisher nicht, dass Henry Miller anfällig für religiösen Kitsch ist :breitgrins: CK


    Wenn wir gerade bei religiösem Kitsch sind: ist nicht Kafkas Werk voll davon? Was ist davon zu halten, wenn K. im Prozess nach seiner Verhaftung einen Apfel ißt, um seine Schuld zu erkennen?


    Kafka ist anscheinend so voll von religiösem Kitsch, dass in diesem Forum schon mal die Frage aufgekommen ist, ob er nicht als Prophet einer neuen Religion anzusehen ist.
    http://www.klassikerforum.de/forum/viewtopic.php?t=459


    Zu Hesse gibt es solche Fragen nicht.

  • Zitat von "Hubert"


    Die Besucher der anderen 99? Veranstaltungen (Vorträge, Lesungen, Konzerte) waren einfache Leser, - erwachsene Leser.


    Ich habe weder behauptet, dass Erwachsene keine schlechten Bücher lesen noch dass Hesse nicht von Erwachsenen gelesen wird. Nur dass Hesse als Autor überproportional stark von Jugendlichen gelesen wird, und das auch gute Gründe hat.


    Dass dieser psychologische Mechanismus auch bei Erwachsenen gut funktionieren kann, steht außer Frage. Es gibt auch genügend Erwachsene, die für Esoterik anfällig sind. Diese Art von Weltanschauungsliteratur erfüllt anscheinend gerade in der heutigen Zeit ein wichtiges Bedürfnis.


    Zitat von "Hubert"


    Gab es zu Karl May schon mal ein internationale Kolloquium mit Teilnehmern aus Europa, Asien, Amerika?


    Keine Ahnung, ich halte das durchaus für möglich.


    CK

  • Zitat von "Bulkington"


    mich würden sehr Ihre Ansichten zu Karl May bzw. dessen Werk interessieren


    Ich habe als Kind so ziemlich alles von Karl May gelesen (70 Bände), seitdem nur einen seiner Reiseromane noch einmal, der mich aber ziemlich kopfschüttelnd zurückgelassen hat.
    Das von Arno Schmidt gerühmte Spätwerk werde ich mir bei Gelegenheit einmal ansehen.


    CK

  • Zitat von "Georg"


    Wenn wir gerade bei religiösem Kitsch sind: ist nicht Kafkas Werk voll davon? Was ist davon zu halten, wenn K. im Prozess nach seiner Verhaftung einen Apfel ißt, um seine Schuld zu erkennen?


    Das könnte man doch im Gegenteil als ein Lächerlichmachen von solchen Dingen sehen. Richtig ist, dass Kafka als Mensch höchst abstrusen Ansichten zuneigte und die Sekundärliteratur voll von religiösen Deutungen ist. Das ist ein Teil des generellen Unvermögens sich Kafkas Literatur mit den Mittel der Schulhermeneutik zu nähern.


    Kafkas Texte sind viel zu vieldeutig, um solche "Übersetzungen" zu erlauben, was wiederum einen erheblichen Teil ihrer Qualitäten ausmacht.


    So, aber jetzt wird Dante gelesen :zwinker:


    CK

  • Zitat von "xenophanes"

    Keine Ahnung, ich halte das durchaus für möglich.


    CK


    ich nicht, da Karl May im Gegensatz zu Hesse, fast ausschliesslich im deutschsprachigen Gebiet gelesen wird.

  • Zitat von "xenophanes"


    Das könnte man doch im Gegenteil als ein Lächerlichmachen von solchen Dingen sehen.


    Hallo CK,


    Kafka war m.M.n. viel zu religiös um solche Dinge lächerlich zu machen.


    Gruß von Hubert

  • Zitat von "Hubert"


    ich nicht, da Karl May im Gegensatz zu Hesse, fast ausschliesslich im deutschsprachigen Gebiet gelesen wird.


    Das sagt noch nicht viel, da es auf der ganzen Welt Germanisten gibt, die sich mit Autoren und Büchern beschäftigen, die vor allem im deutschsprachigen Raum gelesen werden.


    So kenne ich einen japanischen Musilforscher, obwohl Musil kaum ins Japanische übersetzt ist, der regelmäßigen an Tagungen etc. teilnimmt.


    CK

  • Zitat von "xenophanes"


    Kafkas Texte sind viel zu vieldeutig, um solche "Übersetzungen" zu erlauben, was wiederum einen erheblichen Teil ihrer Qualitäten ausmacht.


    Was heißt das denn: "zu vieldeutig" - könnte es nicht einfach sein, dass es zu verworren, zu unausgegoren usw. ist, um überhaupt eine Deutung zu erlauben?


    um auch mal zu schleimen:


    Da Sie ja so intelligent und interessant sind, können Sie uns eine Deutung zu Kafkas Prozess geben?


    Interessierte Grüße


    Georg :eis: :rollen:

  • Zitat von "Georg"


    um auch mal zu schleimen:


    Daß Sie eine ehrliche, offene Mitteilung so ansehen, ist schade und zeugt von recht eindimensionaler, undifferenzierter Wahrnehmung. Nicht doch.

  • Moin, Moin!


    Zitat von "giesbert"

    Und in der Schule fand ich "Unterm Rad" einfach blöde anbiedernd. Aber Schullektüre ist ja auch so ein Thema für sich.


    Eine Möglichkeit, es mit Hesse nochmals zu versuchen, wäre, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Wenn es um Hesse geht, werden meist "nur" "Unterm Rad", "Steppenwolf", "Das Glasperlenspiel" und vielleicht noch der "Demian" erwähnt. Ich lese anderes von Hesse lieber: seine 3000 Rezensionen als buntes Potpourri und Anregung, Neues kennenzulernen und sich auf Altbekanntes wieder neu stoßen zu lassen. Ich lese die Erzählungen Hesses lieber als seine Romane. Gegebenenfalls könnte ich mal eine Liste für diejenigen zusammenstellen, die Hesse nochmal eine zweite Chance geben und es vermeiden wollen, gleich bei den ersten Seiten Unterm Rad zu erbrechen. Darüber hinaus hat Hesse ja unzählige Notizen, Artikel und Betrachtungen geschrieben, in die ich immer wieder hineinschaue, hineinschauen muß, weil ich nach einer bestimmten Zeit merke, daß mir etwas fehlt. Ganz abgesehen von Hesse als manischen Briefeschreiber.


    Am unverzichtbarsten ist mir aber der Bibliomane Hesse! Sein Verhältnis zu Büchern, das ihn glücklicherweise nicht wortlos machte, kann man in sehr vielen Artikeln nachvollziehen. Die Anthologie <a href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3518369156/">Die Welt der Bücher</a> ist sozusagen der Angelpunkt; aber auch an anderen Stellen wird man betreffs Bücherliebe durchaus fündig. Deswegen habe ich meine <a href="http://www.bibliomaniac.de/hesse/">Hesse-Webseite</a> urspünglich auch begonnen.

  • Zitat von "Georg"


    Was heißt das denn: "zu vieldeutig" - könnte es nicht einfach sein, dass es zu verworren, zu unausgegoren usw. ist, um überhaupt eine Deutung zu erlauben?


    Das könnte man meinen, wenn man von einem traditionellen Literaturbegriff ausgeht. Kafka kümmert sich nicht um klassische Leseerwartungen und das vor allem macht die Qualität seiner Literatur aus.


    Zitat von "Georg"


    können Sie uns eine Deutung zu Kafkas Prozess geben?


    Nein, da ich diese Deutungssucht nicht teile. Es zeugt meines Erachtens von einem generellen Unverständnis, was Literatur ist und wie sie funktioniert, wenn man literarische Texte, die als Kunstwerke an sich vieldeutig sind, in diesem Sinne "deuten" will.


    Gute literarische Texte sind von einer unglaublichen Komplexität und die einzelnen strukturellen "Komplexitätsstufen" wirken so aufeinander, so dass eine riesige Zahl von Beziehungen entsteht. "Polyvalenz" nennt man das in der Literaturtheorie. Der Strukturalismus und die Semiotik haben viel zum Verständnis dieser Komplexität beigetragen.


    Wenn nun ein Leser so einen Text liest, zimmert er sich eine persönliche Lesart zusammen, die seinen Vorkenntnissen, Voraussetzungen etc. entspricht. Ein professioneller Leser sollte das immer mitbedenken und möglichst viele dieser Lesarten "mitlesen", und versuchen zu verstehen, wie der Text diese Lesarten ermöglicht.


    Literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit Texten sollten meiner Meinung nach genau diese Voraussetzungen beschreiben und versuchen zu erklären, wie so ein Text funktioniert.


    Was Kafka angeht, gibt es hier einen vorzüglichen Aufsatz von Harald Fricke über den Hungerkünstler, der genau das macht, also erklärt, warum so unterschiedliche Deutungen des Textes existieren, anstatt die 87. Interpretation in die lange Liste einzureihen.


    CK

  • Zitat von "Dostoevskij"

    gleich bei den ersten Seiten Unterm Rad zu erbrechen.


    Warum denn dieses ? Weil man erkennt, daß sich bis heute nicht viel verändert hat ?


    Auch Giesberts damalige Unlust kann ich mir (da ich weiß daß der Mann nicht doof ist) eigentlich nur so erklären, daß er die Absurdität nicht ertrug, daß die, die beschrieben werden, über ein Buch sprechen, in dem sie beschrieben werden, und es nicht merken.


    Auch folgender Satz ist aus "Unterm Rad", ich habe mich in letzter Zeit aus aktuellem Anlaß öfter mal an ihn erinnert und kann ihn, glaube ich, mittlerweile auswendig zitieren:


    * Ein Schulmeister hat lieber einige Esel in seiner Klasse als ein Genie, und genau genommen hat er ja recht, denn seine Aufgabe ist es nicht, extravagante Geister heranzubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermänner. *


    Für mich ist "Unterm Rad", von Einzelheiten äußerlicher Art, die sich verändert haben, abgesehen, auch eins der zeitlosen Bücher. Um das nicht merken zu müssen und merken zu lassen, wird in solchen Fällen gern wegklassifiziert: Neunzehnhundertsoundso, Epoche, Stilrichtung, und schon sind wir es los.