Elfriede Jelinek

  • Info:

    26. 10. 2004, 22:05 Uhr, 3sat


    Das Werk


    Von Elfriede Jelinek


    Mit Alexandra Henkel, Elisa Seydel, Juliane Werner,
    Libgart Schwarz, Dietmar König, Philipp Hauß, Philipp Hochmair,
    Rudolf Melichar u.a.
    Inszenierung: Nicolas Stemann
    Aufzeichnung aus dem Wiener Akademietheater, 2004


    Mit dem Stück "Das Werk" widmet sich Elfriede Jelinek zum zweiten Mal nach "In den Alpen" dem Ort Kaprun, der zur janusköpfigen Metapher für Österreichs Träume und Traumata wurde. Einerseits war Kaprun Schauplatz einer triumphalen Bauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg: Das Wasserkraftwerk dort ist eines der größten Speicherkraftwerke der Welt. Es galt als "eine fast beispiellose Herausforderung der Natur an die Technik, das Wasser in drei gigantische Stauseen zu fassen und in die Turbinen zu werfen, damit das 'Land am Strome' (Bundeshymne) mit Strom versorgt werden kann". Das Wasserkraftwerk Kaprun wurde aufgrund der technischen Großleistung der "Männer von Kaprun" zum Symbol des österreichischen Wiederaufbaus. Andererseits ist Kaprun Szenario einer der größten zivilen Katastrophen der Gegenwart, dem Tunnelunglück einer Gletscherbahn, bei dem 155 Passagiere verbrannten. Jelinek gräbt sich obsessiv in den Technik-Jargon hinein. Sie mischt Medienzynismus mit Teenager-Talk, touristische Erbauungslyrik mit Fragmenten einer Sprache der schweigenden Mehrheit, und sie schreckt auch vor derben Kalauern nicht zurück.
    3sat zeigt "Das Werk" von Elfriede Jelinek anlässlich der Verleihung des diesjährigen Literaturnobelpreises an die österreichische Schriftstellerin.
    (© 3sat)

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo alle zusammen hier in der Runde,
    zunächst einmal möchte ich voranstellen, daß ich Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin" im Deutschunterricht lesen musste, noch bevor sie den Literaturnobelpreis bekommen hatte. Einen "Hype" gab es also zu dem Zeitpunkt noch nicht und ich konnte ganz unbefangen an den Roman herangehen.
    Der Klappentext lautet:

    Zitat

    Einer der meistdiskutierten deutschsprachigen Romane der letzten Zeit: "Eine literarische Glanzleistung." (Süddeutsche Zeitung)
    Der Klavierlehrerin Erika Kohut, von ihrer Mutter zur Pianistin gedrillt, ist es nicht möglich, aus ihrer Isolation heraus eine sexuelle Identität zu finden. Unfähig, sich auf das Leben einzulassen, wird sie zur Voyeurin. Als einer ihrer Schüler mit ihr ein Liebesverhältnis anstrebt, erfährt sie, daß sie nur noch im Leiden und in der Bestrafung Lust empfindet.
    "Mich hat das Buch von der ersten bis zur letzten Seite in einen verführerischen Bann gezogen... Wichtig ist das Buch nicht, weil es die (auch pornographischen) Phantasien des lesenden Voyeurs stimuliert, sondern weil der Roman ein besseres Verstehen über perverse Formen "abweichenden" Verhaltens bewirkt." (Norbert Schachtsiek-Freitag, "Frankfurter Rundschau"). Elfriede Jelinek erhielt 1998 den Georg-Büchner-Preis.


    Im Prinzip bringt der Klappentext alles auf den Punkt (nur, daß er einiges äußerst positiv darstellt): Erika ist vor allem im Bereich der Sexualität pervers, sprich sie hat einen "Knacks", da sie von ihrer Mutter sehr streng erzogen wurde, so daß sie auch im sexuellen Bereich keine Erfahrungen machen durfte.
    Man könnte einfach nur sagen "das ist Erika", wenn man liest, wie sie ins Sexkino geht und noch an den frisch vollgespermten Taschentüchern riecht und den "Duft" förmlich in sich hineinsaugt. Man könnte sagen "das ist Erika", wenn man erfährt, daß sie eigentlich nur noch daran denkt, wie sie sich selbst und anderen schaden könnte. Man könnte sagen "das ist Erika", wenn man bis ins letzte Detail erfährt, wie sie sich mit einer Rasierklinge in ihre Schamlippen schneidet und dabei keinerlei Gefühle empfindet.
    Das Problem dabei ist allerdings: Wieso müssen denn diese perversen Stellen so detailliert beschrieben werden? Reichen nicht allgemeine Andeutungen? Offenbar nicht, denn Jelinek hat es aus meiner Sicht auf Provokation und Perversion angelegt.
    Hier sind noch einige Beispiele:

    Zitat

    [...] Die beiden Damen schreiten rüstig fürbaß. Ein Lied singen sie nicht, weil sie, die von Musik etwas verstehen, die Musik nicht mit ihrem Gesang schänden wollen. Es sei wie zu Eichendorffs Zeiten, trällert die Mutter, denn auf den Geist, auf die Einstellung zur Natur komme es an! Nicht auf die Natur selbst. Diesen Geist besitzen die beiden Damen, denn sie vermögen sich an Natur zu erfreuen, wo immer sie ihrer ansichtig werden. Kommt ein rieselndes Bächlein daher, wird daraus auf der Stelle frisches Wasser getrunken. Hoffentlich hat kein Reh hineingepißt. Kommt ein dicker Baumstamm oder ein dichtes Untergehölz, dann kann man selbst hineinpissen, und der jeweils andere paßt auf, daß keiner kommt und frech zuschaut (vergleiche S.35 unterer Abschnitt bis S.36 oben).


    Im folgenden Textausschnitt befindet sich Erika in einer Straßenbahn auf dem Heimweg, bei dem sie sich Gedanken über die Mitreisenden macht:

    Zitat

    Eine Fülle der Empfindung überschwemmt einen Herrn Fleischereibesitzer. Er kann sich nicht wehren, obwohl er ein blutiges Handwerk gewohnt ist. Er ist starr vor Staunen. Er sät nicht, er erntet nicht, er hört nicht gut, aber er kann in einem öffentlichen Konzert besichtigt werden. Neben ihm die weiblichen Teile seiner Familie, die mitgehen wollen.
    SIE [Erika, die Protagonistin] tritt eine alte Frau gegen die rechte Ferse. Jeder Phrase vermag sie den vorherbestimmten Ort zuzuordnen. Nur SIE allein kann jegliches Gehörte an die richtige Stelle schieben, wohin es gehört. Sie packt die Unwissenheit dieser blökenden Lämmer in ihre Verachtung und straft die Lämmer damit. Ihr Körper ist ein einziger großer Kühlschrank, in dem sich die Kunst gut hält.IHR Sauberkeitsinstinkt ist unheimlich empfindlich. Schmutzige Leiber bilden einen harzigen Wald rungsumher. Nicht nur der körperliche Schmutz, die Unreinlichkeit gröbster Sorte, die sich den Achselhöhlen und Schößen entringt, der feine Uringestank der Greisin, das aus dem Leitungsnetz der Adern und Poren strömende Nikotin des Greises, jene unzählbaren Haufen von Nahrung billigster Qualität, die aus den Magen herausdünsten; nicht nur der fahle Wachsgestank des Kopfschorfs, des Grinds, nicht nur der haardünne, doch für den Geübten durchdringende Gestank von Scheißemikrotomen unter den Fingernägeln - Rückstände der Verbrennung farbloser Nahrungsmittel, jener grauen, ledrigen Genußmittel, wenn man es Genuß nennen kann, die sie zu sich nehmen, peinigen IHREN Geruchssinn, IHRE Geschmacksknospen - nein, am schlimmsten trifft es SIE, wie sie einer im anderen hausen, sich einer den anderen schamlos aneignen. Einer drängt sich sogar noch in die Gedanken des anderen hinein, in seine innerste Aufmerksamkeit.
    Dafür werden sie bestraft. Von IHR. Und doch kann sie sie niemals loswerden. Sie reißt an ihnen, schüttelt sie wie ein Hund seine Beute. Und dennoch wühlen sie ungefragt in ihr herum, sie betrachten IHR Innerstes und wagen zu behaupten, daß sie nichts damit anfangen können und daß es ihnen auch nicht gefällt.
    Die Mutter schraubt, immer ohne vorherige Anmeldung, IHREN Deckel ab, fährt selbstbewußt mit der Hand oben hinein, wühlt und stöbert. Sie wirft alles durcheinander und legt nichts wieder an seinen angestammten Platz zurück. Sie holt etliches nach kurzer Wahl heraus, betrachtet es unter der Lupe und wirft es dann weg. Anderes wieder legt sich die Mutter zurecht und schrubbt es mit der Bürste, Schwamm und Putztuch ab. Es wird dann energisch abgetrocknet und wieder hingeschraubt. Wie ein Messer in eine Faschiermaschine.
    Die alte Frau ist jemand, der neu zugestiegen ist, obwohl sie sich nicht beim Schaffner meldet. Sie denkt, sie kann es verheimlichen, daß sie hier hereingetreten ist, in diesen Waggon. Eigentlich ist sie längst ausgestiegen aus allem und ahnt es auch. Das Zahlen lohnt sich gar nicht mehr. Die Fahrkarte ins Jenseits hat sie ja schon im Handtascherl. Die muß auch in der Straßenbahn Gültigkeit besitzen" (vergleiche Seite 24/25/26).


    Im Prinzip ist der ganze Roman in diesem Stil geschrieben. Wer "ein besseres Verstehen über perverse Formen "abweichenden" Verhaltens" benötigt, dem sei dieses Buch empfohlen. Mir persönlich hat der Roman aus den oben genannten Gründen nicht zugesagt.
    Daß sich die Nobelpreis-Jury gerade Frau Jelinek als Trägerin ihres Preises ausgesucht hat, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
    Ich bin nicht nur von Jelineks Werk enttäuscht, sondern auch ein wenig von der Jury. Hoffentlich sind die Werke der zukünftigen Literatur-Nobelpreisträger anderer Natur!


    In diesem Sinne und alles Gute
    Julius

  • Hallo JMaria,
    hallo Forum,


    danke für den Link zu dem Artikel in der FAZ. Durch ihn ist bei mir ein wenig Licht in die dunklen Ecken des Kapitels Elfriede Jelinek gekommen. Tatsächlich kann ich diese Frau und ihre Art ein wenig mehr verstehen, auch wenn ihre Literatur (immer noch) nicht sonderlich zu meinen Lieblingen zählt.


    Alles Gute
    Julius

  • Zitat von "Julius"

    Hallo alle zusammen hier in der Runde,
    zunächst einmal möchte ich voranstellen, daß ich Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin" im Deutschunterricht lesen musste, noch bevor sie den Literaturnobelpreis bekommen hatte. Einen "Hype" gab es also zu dem Zeitpunkt noch nicht und ich konnte ganz unbefangen an den Roman herangehen.
    Der Klappentext lautet:



    Hallo zusammen,


    "Die Klavierspielerin" wurde gerade im Literaturcafe gemeinsam gelesen. Mit durchgehend positivem Echo. Anscheindend ist dieses Buch doch besser als "Lust" und "Gier". Wenn sich Mitleser finden, würde ich gerne der Elfriede Jelinek eine weitere Chance geben. Also vielleicht kommt eine Leserunde der aktuellen Nobelpreisträgerin zustande?


    Gruß


    Georg

  • Zitat von "Georg"


    Wenn sich Mitleser finden, würde ich gerne der Elfriede Jelinek eine weitere Chance geben. Also vielleicht kommt eine Leserunde der aktuellen Nobelpreisträgerin zustande?


    Hallo Georg,


    das würde mich reizen, ja! Habe das Buch "Die Klavierspielerin" fast ausgelesen (und auch schon ein bißchen in den Schluß gespickt, das ist so eine Unsitte von mir) u. finde es auf seine Art faszinierend.
    Eventuell könnte ich nicht ganz kontinuierlich dabei sein, würde es aber versuchen.


    Grüße,
    Gitta

  • Zitat von "Gitta"

    Habe das Buch "Die Klavierspielerin" fast ausgelesen (und auch schon ein bißchen in den Schluß gespickt, das ist so eine Unsitte von mir) u. finde es auf seine Art faszinierend.
    Eventuell könnte ich nicht ganz kontinuierlich dabei sein, würde es aber versuchen.


    Hallo Gitta,


    ich habe das Buch jetzt in die Lesevorschläge eingetragen, habe allerdings nicht den Eindruck als ob großes Interesse da ist. Vielleicht können wir auch in diesem Thread uns etwas über unsere Leseerfahrungen austauschen.


    Ich habe mir das Buch gestern gekauft ujd gerade die ersten 12 Seiten gelesen. Ziemlich nervig finde ich bis jetzt die unmöglichen Vergleiche, die permanent angestellt werden: z.B.


    Seite 7: "Einem Schwarm herbstlicher Blätter gleich, schießt sie durch die Wohnungstür und bemüht sich, in ihr Zimmer zu gelangen, ohne gesehen zu werden"


    Schwarm herbstlicher Blätter - um nicht gesehen zu werden ???


    oder S. 8:
    ".... ein Kleid!, beinahe noch vergänglicher als ein Tupfer Mayonnaise auf einem Fischbrötchen." ???


    Faszinierend finde ich das Buch jedenfalls bis jetzt noch nicht. kann ja noch werden. Was meinst du übrigens mit faszinierend auf seine Art?


    Gruß


    Georg

  • Hallo Georg,


    die Vergleiche, die Du genannt hast, sind typisch für den Roman. Vergleiche an sich können ja sehr schön sein. Bei Jelinek habe ich aber zu 99 Prozent das Problem, daß ich diese nicht nachvollziehen kann.
    Mich würde es wirklich mal interessieren, was Du letztendlich von diesem Werk hältst.


    Alles Gute
    Julius

  • Zitat von "xenophanes"

    Ich habe dort einmal versucht, einen Gürtel zu kaufen. I understand :breitgrins:


    CK


    Hallo zusammen,


    in welchem wichtigen Reiseroman des 19. Jahrhunderts wird Mürzzuschlag mind. 3mal namentlich genannt? u.a. in folgendem Satz: "Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie nomina male ominata, deren Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre irdendeinen Pastor aufzusuchen: und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich aus der abenteuerlichen Gegend heraus war."


    Ich bin mir ziemlich sicher, dass einige Mitglieder des Klassikerforums diesen Roman schon gelesen haben.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Zitat von "Hubert"

    In welchem wichtigen Reiseroman des 19. Jahrhunderts wird Mürzzuschlag mind. 3mal namentlich genannt?


    Ich gestehe, dass ich bei dieser Art von Rätsel (eigentlich bei jeder ...) nicht sehr gut bin. Rosegger stammt m.W. aus der Gegend, aber mehr weiss ich nicht ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Danke, Julius, für den Link. Von Seume habe ich zwar kürzlich seine Apokryphen gelesen, aber seit dem Spaziergang ist es doch einige Zeit ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Julius"

    Hallo zusammen!


    Weitere Informationen zu Johann Gottfried Seume und seinem Werk "Spaziergang nach Syrakus" findet ihr unter http://www.stadtmuseum-graz.at/seume/.


    Beste Grüße
    Julius


    Hallo Julius,


    besten Dank für den Link und Gratulation zur Lösung des Rätsels. Kennst Du Seumes Roman oder wie hast Du die Lösung gefunden? (Google?)


    Gruß von Hubert

  • Hallo Hubert,


    als Sohn eines großen Literatur-Kritikers fällt es mir nicht schwer, solch Weltliteratur allein an Schlüsselsätzen erkennen zu können.
    Nein, Scherz beiseite: Deine Vermutung war schon richtig - Google hat mir ein wenig zur Seite gestanden... :zwinker:


    Alles Gute
    Julius

  • Zitat von "xenophanes"

    Es gibt große Literaturkritiker in Wuppertal? :zwinker:


    CK


    Leider ist mein Vater aufgrund seines Berufes gezwungen, viel durch die Welt zu reisen und dort zu kritisieren. Aus diesem Grund verbindet man auch Wuppertal nicht direkt mit ihm, sondern mit der Schwebebahn... :zwinker:


    Mit ironischen Grüßen
    Julius

  • Ich verweise auf den letzten Abschnitt:

    Zitat von "Julius"


    Mit ironischen Grüßen


    Ich hätte auch schreiben können: *scherz* Mein Vater ist ein Literaturkritiker... *scherz*
    Er ist natürlich keiner. Also bitte packt alle Autogrammanfragen, Dankesschreiben, Liebesbriefe und Heiratsangebote wieder ein (dies gilt nicht für Geldgeschenke jeglicher Art!)... :zwinker:


    Grüße Julius