• Hätte Goethe nicht in einer bigotten Zeit gelebt, könnten wir auch von ihm mehr Frivoles erwarten.


    Unterschätzt mir den alten Herrn nicht ... :breitgrins: Sein Götz war ein Skandal, seine Römischen Elegien ebenso. Auch Faust II hat so seine Perlchen ... :winken: Ich wollte mir den neuen Grass eigentlich letzhin kaufen. Immerhin gehöre ich zur Minderheit hier, die Grass' Box mochten. Also interessiert mich sein nächstes Buch sehr wohl. Es ist mir aber dann so einiges dazwischen gekommen. Nun mag Grass noch ein paar Monate warten ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Und ich schätze Grass' fast lebenslanges politisches Engagement - erst kürzlich haben mich seine Äußerungen über die Aushöhlung des Grundgesetzes in dem von Maria empfohlenen Interview wieder sehr beeindruckt.


    http://www.daserste.de/druckfrisch/thema_dyn~id,358~cm.asp


    ja, das Interview hat mich auch sehr beeindruckt. Eine Freundin fragte mich gestern ob es jemanden gäbe, der eines Tages seine gesellschaftpolitische Rolle einnehmen könnte. Ich wußte keine Antwort darauf.


    Eure Diskussion verfolge ich sehr aufmerksam. Ich werde die Grimms Wörter lesen, sobald ich mit Middlemarch durch bin. Ich ahne, dass ich als eher Grass-Nichtkenner, denn sein großes Werk,wie die Blechtrommel oder auch die Danziger Trilogie, kenne ich nicht und somit es einfacher haben werden, denn ich werde Themenwiederholungen kaum erkennen. Ich kenne seine kleinen Werke, aber dafür liebe ich "Das Treffen in Telgte". Für mich große Literatur.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Eine Freundin fragte mich gestern ob es jemanden gäbe, der eines Tages seine gesellschaftpolitische Rolle einnehmen könnte. Ich wußte keine Antwort darauf.


    Dieses Stück ist wohl aus. Insofern gibt es die Rolle auch nicht mehr. Und insofern ist Grass ein Fossil .. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Lost, hallo zusammen!



    Grass hat die Wörter mit Bedacht ausgewählt, auch aus dem Grund um seine autobiografischen Teile damit einzuleiten und zu schmücken aber nicht alleine deswegen. Grass spielt mit Bedeutungen und Widersprüchen, mit den Veränderungen und ihren Wirkungen, er sucht nach Lücken und fragt nach den Gründen, stellt die eigene Gegenwart der Grimmschen gegenüber.


    Ja, er fragt z. B., warum unter C das Wort Cunnilingus von den Brüdern Grimm nicht aufgenommen wurde, eine wohlfeile und wohl eher rhetorische Frage für jemanden im Jahre 50 nach der sexuellen Revolution.



    Wenn Grass keine



    mehr verwendet, dann ist er tot.


    :breitgrins: :klatschen:



    Ich kann damit leben, ich kann damit sogar gut leben, besser als mit sterilem Zeugs mit dem Triebe durch einen Heiligenschein getarnt werden und ein Röslein auf der Heide.... Hätte Goethe nicht in einer bigotten Zeit gelebt, könnten wir auch von ihm mehr Frivoles erwarten.


    Darauf hat sandhofer schon geantwortet. Ich möchte in Bezug auf Erotik bei Goethe noch hinzufügen: FaustI/ Urfaust: Gretchen: Mein Schoß, Gott, drängt/ sich zu ihm hin ...Das Obszöne überlässt Goethe eher Mephisto (siehe z. B. Walpurgisnacht)!
    Übrigens scheint mir gerade das Obszöne ein Indiz für eine bigotte Zeit. Die "Schweinereien"in der Blechtrommel aus den miefigen piefigen 50er/Anfang 60er Jahren hatten daher ihre Funktion und befreiende Wirkung, hier in diesem Buch halte ich die Obszönitäten für fehl am Platze, für die Sex-Protzerei eines alten Mannes, jedenfalls berühren sie mich peinlich.



    "Schönbrüstige Ute" ist aber nicht mehr als ein Anklang an Übersetzungen von antiken Epen.


    Ja, das ist mir schon auch aufgefallen. Er nennt sie aber nicht listenreich, rosenfingrig oder ähnlich :zwinker:, sondern zielt auf ihre erotischen Reize und man fragt sich, was das soll (s.o.), zumal man sonst im ganzen Buch nur noch von ihr hört, dass er morgens gemeinsam mit ihr Pillen einnimmt. Ich mag halt Männer nicht, die Frauen auf den Busen statt ins Gesicht schauen oder meinen, das sei besonders männlich.


    Was ich noch nachtragen muss, sonst kann ich nicht einschlafen:


    Ganz ohne Rechthaberei, schildert Grass seinen Versuch entwicklungspolitisch tätig zu werden, seine Naivität und sein scheitern in dieser Angelegenheit, und das in Ausführlichkeit. Auch seine Hinweise auf das Kriegsende, und die Schilderung seines Einstiegs in die Politik, auf drängen von Willy Brandt, bezeugt seine Bereitschaft eigene Positionen zu überdenken und zu ändern.


    Ich kann auch hier nichts Selbstkritisches entdecken. Das Entwicklungshilfeprojekt wird farblos und sehr vage beschrieben, man wird kaum schlau daraus. Zwar spricht Grass von mangelnder Eignung und erwiesenem Unvermögen (S.197), sagt aber nicht, auf wen sich das bezieht. Für das Scheitern verantwortlich sind die Geldgeber und die Verantwortlichen vor Ort. Und die Episode mit Willys Wahlkampf ist doch eine einzige Selbstlobeshymne: Grass ist als einziger bereit, ihm unverbrauchte Wörter zu liefern. Er hat Willy beigebracht,"Ich" zu sagen...


    So, was ich in meinem vorherigen Posting vergessen habe zu sagen: Die altertümelnde Sprache ging mir auf Dauer ziemlich auf die Nerven. Es war wie mit Bekannten, die besonders gut Dialekte oder andere Leute nachahmen können und die kein Ende finden. Wie ihnen möchte man Grass zurufen: Du kannst das wirklich gut, aber jetzt sprich mal wieder wie du selbst.
    Und nervig fand ich auch, dass alle paar Seiten ein Unk, ein Butt, eine Rättin auftaucht oder was Grass sonst noch an seltsamem Getier in seinem literarischen Aqu-bzw. Terrarium hat.


    So, nun reicht's aber erstmal mit der Kritik. :winken:

  • Moin, Moin!


    Immerhin gehöre ich zur Minderheit hier, die Grass' Box mochten. Also interessiert mich sein nächstes Buch sehr wohl.


    Oha. Das ist ein wichtiges Indiz. Wenn ein erfahrener Leser wie du etwas mag, das ich in Anbetracht der überwältigenden Verwerfung, die mich auch gedanklich nie in die Nähe eines Lesewunsche, die Box betreffend, brachte, dann könnte das meine rigorose Ablehnung gefährden.

  • So, nun reicht's aber erstmal mit der Kritik. :winken:


    Da bleibt ja auch nicht mehr viel übrig zum kritisieren. :rollen:


    Selbst durch ein Duell wird man das nicht aus der Welt schaffen können. Also des einen Freud, des anderen Leid, es wird auch Mal umgekehrt sein. :winken:

  • Grimms Wörter sind bei mir angekommen. Scheint sich um eine mehr oder weniger bibliophile Ausgabe zu handeln. Ausgepackt habe ich sie allerdings noch nicht - mangels Zeit ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus


  • Grimms Wörter sind bei mir angekommen. Scheint sich um eine mehr oder weniger bibliophile Ausgabe zu handeln. Ausgepackt habe ich sie allerdings noch nicht - mangels Zeit ...


    Die bibliophile Gestaltung. die ja auch ihren Preis hat, wurde von den ersten Amazon Rezensenten auch kritisiert. Zu wenig Text für den Preis. Lange Zeit ists her, da hatten wir unter Freunden den Buchpreis / cm eingeführt, was wir allerdings nur auf Fachliteratur anwandten. So ein spezifischer Buchpreis wäre doch auch was für die Kritiker :zwinker:

  • Die bibliophile Gestaltung. die ja auch ihren Preis hat, wurde von den ersten Amazon Rezensenten auch kritisiert.


    Das ist mir vollkommen unverständlich. Die Ausgabe ist schön gesetzt, für die Größe des Buches ist der Satz keinesfalls zu groß gewählt. Man mag den Preis kritisisieren, aber die Aufmachung unterscheidet sich positiv von so manch anderer Neuerscheinung.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Das ist mir vollkommen unverständlich. Die Ausgabe ist schön gesetzt, für die Größe des Buches ist der Satz keinesfalls zu groß gewählt. Man mag den Preis kritisisieren, aber die Aufmachung unterscheidet sich positiv von so manch anderer Neuerscheinung.


    Schöne Grüße,
    Thomas


    So eine Rezension:



    Tja, so unterschiedlich sind die Kriterien, was Literatur leisten sollte :zwinker:


    Ich bin aber auch schon vor Preisen zurück geschreckt, wenn kurze Novellen als Romane verkauft und für exorbitante Preise angeboten wurden.

  • So eine Rezension:



    Tja, so unterschiedlich sind die Kriterien, was Literatur leisten sollte :zwinker:


    Natürlich hätte man den Text auch auf 100 Seiten setzen können, dann hätte er ausgesehen wie in Musils "Mann ohne Eigenschaften" bei Rowohlt. Da kommt man mit noch weniger Zeilenabstand aus. Das kann einfach kein Kriterium sein. Ein schön aufgemachtes Buch hat auch einen Wert an sich. Und was schöne Bücher ausmacht, das traue ich mir inzwischen einzuschätzen, regelmäßig verfolge ich den Wettbewerb zum schönsten deutschen Buch, interessant dann die Kommentare der Juroren über abgelehnte Bücher, die man auf dem entsprechenden Stand der Frankfurter Buchmesse einsehen kann.


    Gruß, Thomas

  • Natürlich hätte man den Text auch auf 100 Seiten setzen können, dann hätte er ausgesehen wie in Musils "Mann ohne Eigenschaften" bei Rowohlt. Da kommt man mit noch weniger Zeilenabstand aus. Das kann einfach kein Kriterium sein. Ein schön aufgemachtes Buch hat auch einen Wert an sich. Und was schöne Bücher ausmacht, das traue ich mir inzwischen einzuschätzen, regelmäßig verfolge ich den Wettbewerb zum schönsten deutschen Buch, interessant dann die Kommentare der Juroren über abgelehnte Bücher, die man auf dem entsprechenden Stand der Frankfurter Buchmesse einsehen kann.


    Gruß, Thomas


    Ich denke, auch, wer sich ein gut gestaltetes Buch nicht leisten möchte, kann auf die Taschenbuchausgabe warten. Bei dem Grassen "Mein Jahrhundert" konnte man sogar von Anfang an wählen, so weit ich mich erinnere.


    Nur schade, dass es keine Einheitsbuchhöhe gibt, damit seine Regalbretter besser anordnen und die Regale besser ausnutzen kann. Hier ist die EU-Kommision wieder gefragt. :zwinker:R

  • Moin, Moin!


    Ich denke, auch, wer sich ein gut gestaltetes Buch nicht leisten möchte, kann auf die Taschenbuchausgabe warten.


    Oder eben wie ich ganz einfach mal in die Bibliothek gehen. Vormerken lassen, E-Mail bekommen wegen Abholen, abholen und nun - lesen.


    Zitat

    Nur schade, dass es keine Einheitsbuchhöhe gibt, damit seine Regalbretter besser anordnen und die Regale besser ausnutzen kann. Hier ist die EU-Kommision wieder gefragt.


    Scherze nur! Ich kann mir vorstellen, wenn die Gemüse- und Obstlängen messen, daß Bücherregalnormen irgendwann durchaus Gesprächs- oder Gesetzesstoff werden könnten.


  • :smile:

  • Moin, Moin!


    Hilfe! Wieso geht plötzlich kein HTML-Quellcode mehr?!


    Habe schon einige Fundstücke parat: GG <a href="http://buecherlei.net/archives/1919">über Adenauer</a> und über <a href="http://buecherlei.net/archives/1917">Bettine von Arnim</a>.


    Der Grass übertreibts mal wieder, hier nämlich unter dem Buchstaben B: “… dessen Betragen in einem biedermeierlichen Benimmbuch als beispielhaft hätte bebildert werden können…” (Grimms Wörter, S. 75)