• Schön, dass so viele Grass nicht mögen, dann muss ich ihn nur mit wenigen teilen :klatschen:


    He, he, he, also einen Autor einverleiben und nicht teilen wollen :belehr: Liest du mit mir nächstes Jahr "Die Blechtrommel"?


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • He, he, he, also einen Autor einverleiben und nicht teilen wollen :belehr: Liest du mit mir nächstes Jahr "Die Blechtrommel"?


    Das machen wir :smile:


    Die erste Lektüre ist lange her und eine zweite, die ich nicht alleine mache, ist besonders reizvoll. Meine gebundene Ausgabe habe ich ja auch noch nicht verschmiert und verfleckt :breitgrins:


    Kennst du den Film von Schlöndorf?

  • Maria hat es angeregt und ich will mich nicht drücken und ein klein wenig zugeben für die vielen Anregungen die Maria hier gibt.


    In "Grimms Wörter" bin nun gerade bis zum Kapitel über das D gekommen. Hier sind meine vorläufigen Eindrücke:


    Grass hat keinen Roman geschrieben, sondern hat ein Gemisch aus politischer Autobiographie, Biographie und phantasievoller Beschreibung seines Handwerks, dem Umgang mit der Sprache, verfasst. Zu Beginn liest sich das Buch wie eine literarisch ambitionierte biographische Skizze über Jakob und Wilhelm Grimm und rief in mir Erinnerungen an Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" wach. Schnell tritt jedoch das zentrale Thema, die Beschäftigung mit dem Wörterbuchprojekt der Grimms in den Vordergrund. Grass gliedert sein Buch in Kapitel, die den Buchstaben des Alphabets gewidmet sind. So wie Eichhörnchen Nüsse sammeln um sie mit artistischen Sprüngen von Baum zu Baum in den verschiedensten Verstecken zu deponieren, so sammelt Grass Wörter, entwickelt mit guter Ironie Beziehungen zu seinen Themen und spielt mit ihrer Herkunft, ihren Bedeutungen und Widersprüchlichkeiten. Nach meinem Eindruck schreibt hier ein Genussmensch, der seine Genüsse nicht nur durch essen, trinken, Tabak und Frauen befriedigt, sondern auch durch das spielen mit der Sprache und ihren Wörtern. Wenn ich mir Thomas Mann versunken an seinem Schreibtisch vorstelle, so stelle ich mir Grass beim schreiben seines Buchs zwischen seinen Stehpulten hin und her tanzend vor.
    Schon nach den etwas mehr als hundert Seiten, die ich bisher gelesen habe, ordne ich "Grimms Wörter" hochrangig ein.


    Was seine Selbstdarstellung betrifft, so bin ich voreingenommen, ich bin ihm politisch nahe und habe immer geschätzt, wenn er meinem unduldsamen Überschwang den Spiegel vorgehalten hat. In ihm wird gerne der Rechthaber gesehen, dabei ist er meistens nur konsequent und angreifbar, was greifbar ist, und das ist meiner Einschätzung nach eher eine respektable Eigenschaft von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Grass gehört eben nicht zu den "Skeptikern", die sich immer nur zwischen die Stühle setzten, damit sie nicht in Gefahr geraten Flecken auf Hose oder Rock zu bekommen.


  • Schon nach den etwas mehr als hundert Seiten, die ich bisher gelesen habe, ordne ich "Grimms Wörter" hochrangig ein.


    Hallo Lost,


    vielen Dank für Deine Einschätzung! Das klingt doch vielversprechend - und obwohl ich kein Grass-Freund bin, bleiben "Grimms Wörter" unter verschärfter Beobachtung.


    LG


    Tom

  • Hallo Lost,


    vielen Dank für Deine Einschätzung! Das klingt doch vielversprechend - und obwohl ich kein Grass-Freund bin, bleiben "Grimms Wörter" unter verschärfter Beobachtung.


    unter verschärfter Beobachtung - dem schließe ich mich an. Danke, Lost für deine Ausführungen.
    ich habe im Netz das Gedicht zum Buchstaben A gelesen und diese Verspieltheit mit den Wörtern gefiel mir recht gut.


    Der Rezensent der Welt war wohl etwas schockiert über den Buchstaben C und dem, wie er es nennt, schamhaarhaften Gekräusel um den Buchstaben.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Der Rezensent der Welt war wohl etwas schockiert über den Buchstaben C und dem, wie er es nennt, schamhaarhaften Gekräusel um den Buchstaben.


    Na ja - heute, wo alle alle Körperbehaarung entfernen ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Der Rezensent der Welt war wohl etwas schockiert über den Buchstaben C und dem, wie er es nennt, schamhaarhaften Gekräusel um den Buchstaben.


    Grass verlautet, dass die Grimms ihre Schwierigkeiten mit Wörtern hatten, die mit C anfangen. Für ihn ein gefundenes Fressen und er widmet dem C einige Aufmerksamkeit. Für einen schnöden Leser aus dem 20. Jahrhundert wie mich interessant, wie schnell sich das C ins K wandelt und irgendwie, wenn ich mir die alten Wörter anschaue, Gründe die Germanisten oder wer dafür zuständig ist zu verachten :zwinker:


    Grimms Wörter ist für mich wieder ein Buch bei dem mir die Meinung des Feuilletons, ein Italiener würde sagen am Po, ich sage, am Arsch vorbeigeht.

  • Hallo Lost,



    In ihm wird gerne der Rechthaber gesehen, dabei ist er meistens nur konsequent und angreifbar, was greifbar ist, und das ist meiner Einschätzung nach eher eine respektable Eigenschaft von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen. Grass gehört eben nicht zu den "Skeptikern", die sich immer nur zwischen die Stühle setzten, damit sie nicht in Gefahr geraten Flecken auf Hose oder Rock zu bekommen.


    Das hast du treffend ausgedrückt. Auch ich lese weiterhin gerne Grass und verzeihe ihm ohne weiteres einige Manieriertheiten. "Die Box" empfand ich allerdings als sein bisher schlechtestes Buch, weil es vor privater Selbstbespiegelung strotzt, aber das neue scheint, so wie du es darstellst, ein bisschen an "Mein Jahrhundert" zu erinnern (das ich sehr gelungen fand), auch vom Aufbau her, nun eben das Alphabet statt die Jahreszahlen.


    Morgen werde ich einen Büchergutschein einlösen und hoffe noch eine Erstausgabe zu erwischen!


    finsbury


  • "Die Box" empfand ich allerdings als sein bisher schlechtestes Buch, weil es vor privater Selbstbespiegelung strotzt, aber das neue scheint, so wie du es darstellst, ein bisschen an "Mein Jahrhundert" zu erinnern (das ich sehr gelungen fand), auch vom Aufbau her, nun eben das Alphabet statt die Jahreszahlen.


    Morgen werde ich einen Büchergutschein einlösen und hoffe noch eine Erstausgabe zu erwischen!


    Hallo lieber Finsbury,


    die Box ist bei immer immer weiter nach hinten gerutscht. Es gab ja wirklich viele Warnungen davor und bei meinem Exemplar hat wohl der Auslöser geklemmt. Damit "Grimms Wörter" nicht das gleiche passiert, habe ich sofort damit angefangen. Dein Hinweis hat mich aber veranlasst "Die Box" auszugraben und in den Rucksack fürs Wochenende zu stecken (G.W. ist mir zu wuchtig). Es soll viel regnen im Norden und vielleicht kann ich mir selbst ein Bild von dem kleinen Werk des Egozentrikers machen. Ich kann dem Kerl einfach nichts übel nehmen, dazu wirkt er auf mich zu lebendig, und es gibt ja genug andere, die sich darum kümmern.


    Ich wünsche dir viel Erfolg, bei der Jagd auf die Erstauflage.




  • Ich wünsche dir viel Erfolg, bei der Jagd auf die Erstauflage.



    berichte - meine Jagd war heute erfolgreich :smile:
    Das Buch ist so wunderschön gemacht, dass es einem das Herz wärmt.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()


  • [quote='Lost','http://klassikerforum.de/forum/index.php?thread/&postID=43210#post43210']


    Das Buch ist so wunderschön gemacht, dass es einem das Herz wärmt.


    Da wünsche ich Günter Grass, dass dir sein Text auch ein wenig gefällt und du den Kauf nicht bereuen musst. Grass ist ja von seinem Ursprung her ein bildender Künstler und hat immer ein Augenmerk auf die handwerkliche Präsentation seiner Werke gehabt, was bestimmt für seinen Verlag nicht immer einfach ist. So wie Jandl oder Glenn Gould ist er halt ein Gesamtkunstwerk :zwinker:


  • Da wünsche ich Günter Grass, dass dir sein Text auch ein wenig gefällt und du den Kauf nicht bereuen musst. Grass ist ja von seinem Ursprung her ein bildender Künstler und hat immer ein Augenmerk auf die handwerkliche Präsentation seiner Werke gehabt, was bestimmt für seinen Verlag nicht immer einfach ist. So wie Jandl oder Glenn Gould ist er halt ein Gesamtkunstwerk :zwinker:



    das wünsche ich mir natürlich auch. Das Reinlesen hat mich angesprochen, im Grunde zog mich das Buch schon von Anbeginn magisch an. Bei manchen Büchern ist es einfach so, obwohl ich nicht DER Grass-Leser bin, mir liegen die leiseren Töne von Siegfried Lenz eher. Doch ein Mann der das "Treffen in Telgte" schrieb, dem gehört meine Aufmerksamkeit und manche Bücher von ihm mag ich. "Grimm Wörter" dürfen gerne dazu gehören. Im Moment habe ich einfach ein gutes Gefühl.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Zitat von "Lost"

    Die Box" auszugraben und in den Rucksack fürs Wochenende zu stecken


    vergessen ... Lost, berichte doch bitte wie dir die "Box" gefallen hat. Ich kam damit nicht klar.


    Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Etwas kritische Reflektion finde ich im Kapitel zum Buchstaben D, in den Versen zu Oskar:


    "...


    ich aber wuchs und dachte mich größer und größer;


    wies jedem Ball die Delle


    und allen Dingen den Schatten nach,


    war Dorn im Fuß, Dolch in des Vaters Rücken


    und schaute auf Fotos erwachsen drein.


    Ach Oskar, wäre ich doch wie du


    ein Däumling geblieben."



    Ich nehme ihm da zwar nicht ab, es ist aber schön bildlich und selbstironisch.


    Grass muss einfach noch einen letzten Roman schreiben, der sich in andere Sprachen übersetzen lässt. Er kann doch nicht als Provinzmichel in den Hintergrund treten.


  • . Lost, berichte doch bitte wie dir die "Box" gefallen hat. Ich kam damit nicht klar.


    Grüße
    Maria


    Nach wenigen Seiten habe ich abgebrochen. Noch bevor ein Film in die Box eingelegt war. Das ist kein endgültiges negatives Urteil, aber Grass führt auf den ersten Seiten so viele Personen ein, dass ich mir bei einem Wiederaufnahmeversuch erst ein Diagramm dafür machen werde. Dazu muss ich an den Schreibtisch.
    Was mir nicht gefallen hat, dass er ein Mal mit Namen um sich wirft, seine Frauen aber namenlos lässt.


  • Nach wenigen Seiten habe ich abgebrochen. Noch bevor ein Film in die Box eingelegt war. Das ist kein endgültiges negatives Urteil, aber Grass führt auf den ersten Seiten so viele Personen ein, dass ich mir bei einem Wiederaufnahmeversuch erst ein Diagramm dafür machen werde. Dazu muss ich an den Schreibtisch.
    Was mir nicht gefallen hat, dass er ein Mal mit Namen um sich wirft, seine Frauen aber namenlos lässt.


    dazu hatte ich zwar bei der Box kein Bedürfnis (Diagramm erstellen), ich glaube, ich fands noch recht übersichtlich, doch kann ich das verstehen; handhabe ich es oft auch so, wenn mir zuviele Personen vorkommen.


    Grüße von
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • So, ich habe mir - angeregt durch das doch eher positive Echo, nicht zuletzt in diesem Forum - nun auch Grimms Wörter zu Gemüte geführt.



    Grass muss einfach noch einen letzten Roman schreiben, der sich in andere Sprachen übersetzen lässt. Er kann doch nicht als Provinzmichel in den Hintergrund treten.


    Das wird er in keinem Falle, auch wenn er kein weiteres Buch :entsetzt: mehr schreiben sollte. Schließlich ist oder war er jahrzehntelang amtierender "Großschriftsteller" der BRD, ist Nobelpreisträger und zumindest seine Danziger Trilogie ist in viele Sprachen übersetzt.



    Grass muss einfach noch einen letzten Roman schreiben, der sich in andere Sprachen übersetzen lässt.


    Ich vermute, die doch seltsam wohlwollende Aufnahme des Buches durch die Kritik hat mit Grass' Ankündigung zu tun, dieses sei sein wahrscheinlich letztes Buch. Man will ihm wohl keinen Grund liefern, dass er nachlegt.



    Etwas kritische Reflektion finde ich im Kapitel zum Buchstaben D, in den Versen zu Oskar:


    Nervt dich dieses Wiederkäuen und Wiederverwerten alter literarischer Einfälle nicht?


    Ich mag die Brüder Grimm sehr, als zwei der Göttinger Sieben, als Märchensammler, als Sprachforscher und ich mag natürlich ihr Wörterbuch. Und ich schätze Grass' fast lebenslanges politisches Engagement - erst kürzlich haben mich seine Äußerungen über die Aushöhlung des Grundgesetzes in dem von Maria empfohlenen Interview wieder sehr beeindruckt.
    Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun? Zur Biographie der Grimms habe ich schon Besseres gelesen. Und ehrlich gesagt, blättere ich lieber selbst im Grimm'schen Wörterbuch und ergötze mich an den Etymologien und literarischen Textbelegen. Grass fleddert das Wörterbuch, greift willkürlich Wörter heraus, die ihm als Stichworte für seine autobiographischen Exkurse dienen. Aber leider sind es mehr oder weniger bekannte Geschichten, oft ohne Belang. Nichts wird aus der zeitlichen Distanz oder im Lichte neuer Erkenntnis neu erzählt! Nirgendwo so etwas wie Selbstkritik! Es ist stellenweise peinlich: Er zitiert über lange Strecken sich selbst aus alten Reden und Traktaten. Ton des Ganzen: Ich hab's euch ja schon immer gesagt ...
    Irgendwo habe ich gelesen, Grass habe in demBuch vor allen Dingen ständig recht. Ja, leider strotzt auch dieses Werk vor Selbstgerechtigkeit und Selbstbeweihräucherung.


    Was mich darüber hinaus peinlich berührt hat, sind die erotisch-obszönen Manierismen und Anspielungen, die hier auch nicht fehlen dürfen. Jacob verkehrte oral mit den Vokalen. Was soll so etwas? Oder seine schönbrüstige Ute (wohlgemerkt die einzige Eigenschaft, die er ihr in diesem Buch zugesteht). Was will uns der Dichter hier sagen? Dass er nicht nur literarisch seinen Mann steht? Ist ja schön für ihn, aber will man das wissen?

  • Gontscharow hat eine detailierte Kritik geschrieben, die eine Antwort verdient.

    Zitat

    Zitat von: Lost am 27. August 2010, 21:34
    Grass muss einfach noch einen letzten Roman schreiben, der sich in andere Sprachen übersetzen lässt. Er kann doch nicht als Provinzmichel in den Hintergrund treten.


    Das wird er in keinem Falle, auch wenn er kein weiteres Buch mehr schreiben sollte. Schließlich ist oder war er jahrzehntelang amtierender "Großschriftsteller" der BRD, ist Nobelpreisträger und zumindest seine Danziger Trilogie ist in viele Sprachen übersetzt.


    Es ging mir bei meinem Hinweis um das letzte Buch von Grass und da mir "Grimms Wörter" unübersetzbar erscheint, braucht es wohl noch eines, das sich nicht so intensiv mit der deutschen Sprache beschäftigt.
    Die Kritiker leiden tatsächlich an einer Grassen Müdigkeit, der "Zeitgeist" hat sich im Laufe der Schriftstellerkarriere von Grass gewandelt und die Luftgeister sind in Mode gekommen, die können mit einem Querkopf und Egomanen eben nichts mehr anfangen. Was ich bei Perlentaucher mitbekommen habe, ist weitgehend belangloses Zeugs.


    Was den Vorwurf der Rechthaberei betriifft, so nimmt die, nach meinem Lektüreeindruck, überhaupt keinen großen Raum ein. Es sind Schilderungen seiner politischen Auftritte und seiner Meinungen, allenfalls hat er die ausgesucht, die seine Meinungen eher bestätigen, als das sie widersprechen. Mir sind auch noch Positionen bekannt, die ich vor 40 Jahren hatte, und die ich auch heute noch habe und über die ich auch lieber rede, als über die wenigen, bei denen ich nicht Recht hatte :zwinker: Wenn du das bemängelst, dann kann ich dir da zustimmen.


    Zitat

    Zur Biographie der Grimms habe ich schon Besseres gelesen.


    Das kommt mir so vor, als wärest du durch einen Wald gegangen um hinterher festzustellen, du hast schon einen höheren Baum gesehen. Ich habe noch keine Biographie über die Märchenbrüder gelesen, doch jetzt im Buch von Grass für mich interessante Details und Einschätzungen erfahren. Hugo kann man so auch vorwerfen, er hätte in "Die Elenden" Napoleon nicht umfassend dargestellt, sobald man eine rororo Monografie über Bonaparte gelesen hat. Die biographischen Skizzen sind auch nicht das zentrale Thema des Werks, vieles ist auch erkenntlich fiktiv und einzig die Begegnung von Darwin mit Jakob empfand ich als überbemüht .


    Zitat

    Grass fleddert das Wörterbuch, greift willkürlich Wörter heraus, die ihm als Stichworte für seine autobiographischen Exkurse dienen


    Das ist zum Teil richtig und zum Teil falsch, aber es ist genau das zentrale Thema, das Spiel mit den Wörtern aus dem Wörterbuch, und es ist alles andere als Willkür. Grass hat die Wörter mit Bedacht ausgewählt, auch aus dem Grund um seine autobiografischen Teile damit einzuleiten und zu schmücken aber nicht alleine deswegen. Grass spielt mit Bedeutungen und Widersprüchen, mit den Veränderungen und ihren Wirkungen, er sucht nach Lücken und fragt nach den Gründen, stellt die eigene Gegenwart der Grimmschen gegenüber.


    Wahrscheinlich bist du wortgewandter als ich und deshalb wirst du nicht die gleiche Erregung spüren wie ich sie gespürt habe, aber das Buch ist auch bestimmt nicht geschrieben um anderen Wortakrobaten zu imponieren.


    Wenn Grass keine


    Zitat

    erotisch-obszönen Manierismen und Anspielungen


    mehr verwendet, dann ist er tot. Das ist sicherer als eine Sterbeurkunde.


    Ich kann damit leben, ich kann damit sogar gut leben, besser als mit sterilem Zeugs mit dem Triebe durch einen Heiligenschein getarnt werden und ein Röslein auf der Heide.... Hätte Goethe nicht in einer bigotten Zeit gelebt, könnten wir auch von ihm mehr Frivoles erwarten.


    Recht hast du möglicherweise, wenn dir auffällt, dass er seinen Frauen aus dem Weg geht. Das fiel mir auch auf den ersten Seiten der Box auf. "Schönbrüstige Ute" ist aber nicht mehr als ein Anklang an Übersetzungen von antiken Epen. Die Würdigung Utes ist eher der mehrfache Hinweis, dass sie die Frau ist, bei der er zur Ruhe kam, wie Heinrich der Achte bei seiner Sechsten, wenn ich mich nicht irre. Die Frauen wären dann was für das letzte Buch und der darauf folgende Giftmord an ihm noch eine dicke Schlagzeile für die Springerpresse :zwinker:


    Also ganz persönlich: Bezogen auf die Sprachphantasie, ist für mich "Grimms Wörter"neben "Das Treffen von Telgte" das Beste, was ich von Grass gelesen habe.


    Und wie ich schon sinngemäß sagte: Je weniger ihn mögen, um so weniger muss ich teilen.


    Mit Verlaub und mit Respekt, das ist meine Auffassung! zu deinen kritischen Einwänden.


    ---------------


    Was ich noch nachtragen muss, sonst kann ich nicht einschlafen:


    Ganz ohne Rechthaberei, schildert Grass seinen Versuch entwicklungspolitisch tätig zu werden, seine Naivität und sein scheitern in dieser Angelegenheit, und das in Ausführlichkeit. Auch seine Hinweise auf das Kriegsende, und die Schilderung seines Einstiegs in die Politik, auf drängen von Willy Brandt, bezeugt seine Bereitschaft eigene Positionen zu überdenken und zu ändern.


    So jetzt gehe ich Schäfchen zählen, und wehe es ist ein weißes dabei. Und morgen wollen wir wie Kinder fromm und fröhlich sein.


    Guten Nacht