Beiträge von Zefira

    Von Manguel habe ich hier die "Geschichte des Lesens" stehen, die er mir persönlich signiert hat, nach einem Leseabend in Frankfurt, wo er übrigens ein ausgezeichnetes Deutsch sprach.

    Ich habe jahrelang einen Ausspruch des genialen Manguel als Signatur vor mir hergetragen, ich zitiere aus dem Gedächtnis: "Mir gegenüber in der U-Bahn liest eine Frau die Labyrinthe von Borges. Ich möchte ihr zuwinken und zurufen, dass ich dem gleichen Credo angehöre."

    Das erinnert mich an eine Auskunft, die ich in der Pflegeeinrichtung, in der meine Mutter ein halbes Jahr untergebracht war, hinter vorgehaltener Hand bekommen habe: Die Insassen werden natürlich nicht eingesperrt, aber dass sie Spaziergänge in der Umgebung machen, sei eher unerwünscht, man müsse sie jedes Mal mühsam wieder einfangen ...

    Mit der Klavierspielerin bin ich nie klargekommen. Ich habe (nach Anschauen des Films) vielleicht ein Drittel gelesen, dann ging mir die Puste aus. Vielleicht versuche ich es irgendwann nochmal.

    Delbanco schreibt, dass der Seemann Bulkington, der im Gasthaus und im Kapitel 23 auftritt, aber später sang- und klanglos aus dem Buch verschwindet, im Grunde vom Charakter her wesentlich geeigneter wäre, sich Ahab entgegenzustellen, als der von Selbstzweifeln geplagte Starbuck. Doch "ebenso, wie es auf einer Planetenbahn nur einen Planeten geben kann, kann es in einem Werk der Phantasie nur einen solchen Charakter geben" (laut Delbanco ein Zitat von Melville selbst aus "The Confidence Man"). So hat er Bulkington durch den schwächeren Starbuck ersetzt.

    Mich hats durch verschiedene häusliche Umstände etwas aus dem Lesen gehauen, ich stehe noch vor Kapitel 34.

    Das erinnert mich an die frühere "Echo"-Preisverleihung. Da haben - meine ich mich zu erinnern - immer Künstler gewonnen, die ohnehin schon erfolgreich waren, wie David Garrett zum Beispiel ... Und gerade bei David Garrett habe ich mich gefragt, wieso so ein Mainstream-Künstler, der ohnehin nach dem "Allen wohl und keinem weh"-Prinzip Kunst macht, noch die Publicity eines Preises brauchen soll.

    Interessant, Deine persönliche Walerfahrung! Ich war vor einigen Jahren in Hermanus (Südafrika) und hatte das Glück, einige Walkühe, z.T. mit Jungtieren, dort in der Bucht zu sehen. (Die Bucht von Hermanus ist eine alte "Walkinderstube" und Boote dort nicht gestattet; es gibt "Whale-Watching"-Touren, aber die müssen außerhalb der Bucht starten und dürfen auch nicht hineinfahren, sondern halten sich weiter draußen auf.)

    Die Wale dort waren Südkaper oder in Englisch Southern Right Whales, erkennbar an grindartigen Flecken unten an Kopf und Bauch.

    Sie wälzten sich ständig im Wasser und reckten die Brustflossen nach oben.

    Ich bin ungefähr am gleichen Stand wie Du; gestern kam ich nicht zum Weiterlesen (oder vielmehr, ich las zwei Kapitel der Biographie), aber wenn ich mich recht erinnere, komme ich als nächstes zum Masttopp.

    Ich habe von Peter Handke sicher das eine oder andere gelesen, erinnere mich aber im Moment nur an "Die Angst des Tormanns bei Elfmeter". Ich glaube, in der Schule haben wir Handkes "Kaspar" durchgenommen, als Begleitlektüre zu einem anderen Text über Kaspar Hauser. Viel hängen geblieben ist bei mir nicht.

    Ich hätte mich gefreut, wenn Margaret Atwood den Preis bekommen hätte, kenne einige tolle Romane von ihr (zuletzt "Der blinde Mörder", das hat mich sehr gepackt). Von Olga Tokarczuk habe ich noch nie was gelesen - sollte ich wohl nachholen ...

    Einen hinreißenden Absatz in Kapitel 26 "Ritter und Knappen" möchte ich gern zitieren:


    "Diese erlauchte Würde, die ich behandle, ist nicht die Würde von Königen und Gewändern, sondern jene wildsprießende Würde, die über keine Investitur in feierlichem Gewand verfügt. Du solltest sie in dem Arm erblicken, der eine Hacke schwingt oder einen Nagel treibt; jene demokratische Würde, welche auf alle Mann strahlt ohne Ende und Unterlaß von Gott; Ihm selbst! Dem großen allmächtigen Gott! Dem Mittelpunkt und Umkreis aller Demokratie! Seiner Allgegenwart, unserer göttlichen Gleichheit!
    (...) Tritt gegen alle sterblichen Kritiker für mich ein, du gerechter Gott der Gleichheit, welcher du einen großen königlichen Mantel des Menschlichen über alle von meiner Art gebreitet hast! (...) Der Du dem schwarzen Sträfling Bunyan die bleiche poetische Perle nicht verwehret hast; Du, der Du in zwiefach getriebene Blätter feinsten Goldes den stumpen und almosenen Arm des alten Cervantes kleidetest, Du, der Du Andrw Jackson aus dem Staube auflasest, der Du ihn auf ein Schlachtroß warfst und ihn höher hinaufschleudertest als einen Thron! Du, der Du bei all Deinem mächtigen, irdischen Schreiten Deine ausgesuchten Streiter immer aus den königlichen Kammern des niederen Volkes erwähltest, tritt darin für mich ein, O Gott!"

    Ein feierliches Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Menschen (oder wenigstens aller Männer), die mich in manchen Zügen sehr an Steinbeck erinnerte, auch wenn Steinbeck natürlich nicht derart schwelgerisch schreibt. Der stumpe und almosene Arm des Cervantes ist typisch für Rathjens Übersetzung. Man kommt bei all dieser Leidenschaft aus dem Schmunzeln nicht heraus.


    ps. Ich habe die Lektüre leider unterbrechen müssen, weil meine Tochter mir ihre Doktorarbeit zum Gegenlesen geschickt hat; das geht natürlich vor. Immerhin habe ich zwei Drittel schon geschafft. Unglaublich, wie viele Flüchtigkeitsfehler da immer noch zu finden sind, obwohl die Arbeit schon mindestens dreimal von A bis Z durchgegangen wurde. Und meiner Tochter sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, da muss ich jetzt helfen. :saint:

    Dann viel Spaß beim Lesen.
    Delbanco lässt sich zunächst eingehend über Melvilles "Typee"-Buch (auf deutsch Taipi) aus und über die Anfänge von Melvilles Schriftstellerkarriere. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu wissen, dass es amerikanische Autoren in dieser Zeit sehr schwer hatten. Es gab praktisch kein Urheberrecht und amerikanische Verlage druckten hautsächlich britische Autoren nach, weil die gern gelesen wurden und kein Geld kosteten - die Verlage zahlten ihnen nichts. Charles Dickens hat auf einer Vortragsreise in Amerika dem Publikum immer wieder erzählt, dass er von dem Geld, das amerikanische Verlage für seine Bücher eingenommen haben, keinen Penny bekommen habe.
    Bei dieser Sachlage hatten es inländische Autoren natürlich doppelt schwer.
    Interessant - und durchaus nachvollziehbar - sind auch Delbancos Ausführungen über sexuelle Anspielungen in "Typee". Die Zeit war so prüde, dass man in Gegenwart von Damen nicht über Beine sprechen durfte, aber bekanntlich haben geschickte Autoren es immer verstanden, zum Ausdruck zu bringen, was sie wollten. "Typee" - ein stark dramatisierter und aufgepeppter Bericht über einen Aufenthalt Melvilles auf den Marquesas - dürfte den Leserinnen jener Zeit manchen angenehmen Kitzel beschert haben. Es handelte sich ja auch bloß um Wilde. ;)

    Kapitel 18, Anmusterung auf der Pequod; Queequeg hat seine Harpune nach einem Teerfleck geworfen:
    "Na". sagte Queequeg, schweigend die Leine einholend, "denkier ihn Wal-ier Aug; was, dad Wal tot."

    An das Radebrechen gewöhnt man sich schnell, aber wie macht man das: "... sagte, schweigend die Leine einholend"? :D

    Zitat
    Hast du schon aus der Biografie etwas über Melvilles Einstellung zum Glauben erfanren?

    Delbanco schreibt, dass Melvilles Mutter eine sehr "gesetzte" Frau war. "Sie war mit dem strengen Protestantismus ihrer Vorfahren aufgewachsen und hütete sich ihr Leben lang davor, allzu viel Vertrauen in die allzu vergänglichen Dinge dieser Welt zu setzen. Sie gebar acht Kinder und war in den Monaten danach immer besonders düster gestimmt, und wenngleich sie einerseits dafür sorgte, dass ihre Kinder weltliche Fertigkeiten wie schriftlichen Ausdruck und gutes Betragen erlernten, lag ihr andererseits viel daran, ihre Seelen auf Entbehrungen und Tod vorzubereiten."

    Sie sorgte jedenfalls für gründliches Bibelstudium, und weiter unten erwähnt der Biograph, für Melville blieben "die biblischen Gestalten immer so lebendig wie die Guten und Bösen seiner eigenen Epoche. Ismael, Bildad, Ahab und Elias sind nur einige der Namen, mit denen er Figuren in Moby-Dick a priori eine allegorische Bedeutung gibt, noch ehe sie in seiner erfundenen Welt zu agieren beginnen." Und: "Die bahnbrechende Forscherin Nathalia Wright zählt allein in Moby-Dick 250 Anspielungen auf die Bibel."
    Vielleicht kommt zu dem Thema noch etwas. Breiten Raum hat der Biograph bisher der damaligen "Rassenproblematik" (der Begriff ist Teil des Problems) eingeräumt. Die Sklaverei war noch lange nicht komplett abgeschafft, und selbst ihre Gegner waren sich darin einig, dass "die Natur den verschiedenen Rassen offenkundig verschiedene Grade von Intelligenz zugewiesen hat" (ein Zitat von Ralph Waldo Emerson, der ausdrücklich Sklavereigegner war). Ishmaels Schilderung seiner Begegnung mit Queequeg ist ja durchaus nicht frei von Herablassung.

    Ich kann mich nicht erinnern, wann ich Moby Dick (also eine gekürzte Fassung) zum ersten Mal gelesen habe, aber ich glaube, ich war damals schon erwachsen und habe das Buch im schmalen Regal des Herrn Zefira vorgefunden - das heißt, ich war mindestens zwanzig.

    Die "Etymologie" und die "Auszüge" waren in diesem Buch nicht enthalten, wohl aber einige populär-biologische Kapitel; ich nahm mit Vergnügen zur Kenntnis, dass der Wal ein Fisch sei.

    Ich war sehr angerührt von der Szene, als Ishmaels Schlafkollege (bei mir Queequeg) zu diesem ins Bett will. "Was soll der ganze Trubel, den ich veranstaltet habe, dachte ich bei mir - der mann ist geradeso ein menschliches Wesen wie ich: er hat geradesoviel Anlaß, mich zu fürchten, wie ich habe, mich vor ihm zu ängstigen." Diese Erkenntnis kommt Ishmael, nachdem er Queequeg als einen mit Schrumpfköpfen handelnden Wilden kennen gelernt hat, der mit angezündetem Tomahawk (den er als Pfeife benutzt) aufs Bett springt. Eine reife Leistung!

    Im Folgekapitel "Die Steppdecke" berichtet der Erzähler eine Erinnerung an seine tyrannische Stiefmutter, die ihn des öfteren "peitschte" oder anderweitig bestrafte. Tatsächlich war Melvilles Verhältnis zu seiner Mutter schwierig. Sein Vater war ein Hallodri, der an alle möglichen aussichtslosen Unternehmen investierte und all sein Geld verlor. Nach seinem frühen Tod wurde von Herman und seinen Brüdern erwartet, dass sie die Familie, darunter mehrere Schwestern, erhalten sollten. Melvilles Mutter bekrittelte ihn ständig und ging ihn um Geld an - aus ihrer Sicht vielleicht verständlich, aber jedenfalls war das vermutlich einer der Gründe, warum er frühzeitig auf Seereisen ging.

    Danke für die Eröffnung des Threads, finsbury. Ich war wieder mal zu langsam :)

    Meine Ausgabe ist bei Jung und Jung erschienen, übersetzt von Friedhelm Rathjen mit Illustrationen von Raymond Bishop (es handelt sich anscheinend um Holzschnitte - sehr hübsch).


    Ich hatte mir vor zwei bis drei Jahren mal vom Grabbeltisch eine Melville-Bographie gekauft von Andrew Delbanco, ein ziemlich dickes Buch. Gleich das Einleitungskapitel behandelt in hochinteressanter Weise die Wirkungsgeschichte des "Moby Dick", in späteren Kapiteln wird es noch ausführlicher. Ich merkte schon beim Lesen der Einleitung, dass Delbanco einen anderen "Moby Dick" gelesen haben musste als ich. Meine damalige Moby-Dick-Ausgabe war eine Buchclubausgabe mit den üblichen Kürzungen und Vereinfachungen.


    Ich machte mich also auf die Jagd nach einer ungezähmten Fassung dieses Wals von Buch und entschied mich für die Rathjen-Übersetzung. Nicht weniger als 135 Kapitel, Einleitung und Epilog, dazu ein Aufsatz von D.H.Lawrence, eine Nachschrift des Übersetzers und noch ein Kommentar zur Wirkungsgeschichte von Alexander Pechmann.


    Parallel lese ich die Biographie von Andrew Delbanco.

    Wie so oft ist die Diskussion unter dem Artikel interessanter als der Artikel selbst (der wiederholt, was ich schon Dutzende Male gehört und gelesen habe ...)

    Ich habe eine Zeitlang Madame Bovary mindestens alle zwei Jahre einmal gelesen, sie war geradezu der Prüfstein meiner eigenen Leseentwicklung, und es war für mich faszinierend, dass sie jedes Mal anders gewirkt hat. Es gibt unzählige verschiedene Möglichkeiten, dieses Buch zu lesen und Position zu den Figuren zu beziehen. Der Autor ist da ziemlich einseitig, finde ich.