Vielliebchen: gesellschaftlicher Spaß, bei dem zwei sich eine Frucht teilen.
Das meiste habe ich einfach so hingenommen, nur beim Vielliebchen habe ich überlegt was das sein soll.
Ja, das Vielliebchen ist ein Brauch, der etwa um 1820 beim Essen aufkam. Wurde beim Dessert unter den Mandeln (oder Haselnüssen) eine Doppelmandel in einer Schale gefunden wurde diese je zur Hälfte von einem Mann und einer Frau gegessen und dabei gewettet. Derjenige, der am nächsten Morgen zuerst den anderen mit dem Satz "Guten Morgen, Vielliebchen" begrüßte, hatte gewonnen und erhielt von dem anderen ein kleines Geschenk, ev. auch einen Kuss.
Am Ende des dritten Kapitel in Fontanes Roman „Frau Jenny Treibel“ wird das Spiel wie folgt erwähnt:
„Nelson vergaß über dieser Vorstellung beinahe all' seinen Groll und bot Corinna, während er eine Knackmandel von einem der Tafelaufsätze nahm, eben ein Vielliebchen an, als die Commerzienrätin den Stuhl schob und dadurch das Zeichen zur Aufhebung der Tafel gab.“
Aber auch in Fontanes Roman „Der Stechlin“ isst die Stiftsdame Frau von Schmargendorf ein Vielliebchen aus zwei zusammengewachsenen Pflaumen, die sie in einem Kohlblatt aufbewahrt hat, zusammen mit Hauptmann von Czako. Erwähnt wird das im 8. und 9. Kapitel:
8. Kapitel
Als sechs Uhr heran war, erschien Fritz und führte die Pferde vor. Czako wies darauf hin. Bevor er aber noch an die Domina herantreten und ihr einige Dankesworte sagen konnte, kam die Schmargendorf, die kurz vorher ihren Platz verlassen, mit dem großen Kohlblatt zurück, auf dem die beiden zusammengewachsenen Pflaumen lagen. »Sie wollten mir entgehen, Herr von Czako. Das hilft Ihnen aber nichts. Ich will mein Vielliebchen gewinnen. Und Sie sollen sehen, ich siege.«
9. Kapitel
Sie zeigte das auch, war steif und schweigsam und belebte sich erst wieder, als die Schmargendorf mit einem Male glückstrahlend versicherte: jetzt wisse sie's; sie habe noch eine Photographie, die wolle sie gleich an Herrn von Czako schicken, und wenn er dann morgen mittag von Cremmen her in Berlin einträfe, dann werd' er Brief und Bild schon vorfinden und auf der Rückseite des Bildes ein »Guten Morgen, Vielliebchen«.
Und auch im 9. Kapitel von „Irrungen, Wirrungen“ erwähnt Fontane das Vielliebchen:
»Du sollst gewonnen haben, Lene. Wir essen heute noch ein Vielliebchen, und dann geht alles in einem. Nicht wahr, Frau Dörr?«
Aber auch andere deutsche Realisten scheinen das Spiel zu kennen:
Wilhelm Raabe: Gutmanns Reisen 11. Kapitel
„Man war bei den Krachmandeln angekommen und Alois schlug eben Klotilden vor, ein Vielliebchen mit ihm zu essen, als die Worte Großdeutsch und Kleindeutsch wie Blitze über die Tafel fuhren und erhöhter Gesprächsdonner ihnen nachrollte.“
Gustav Freytag: Soll und Haben
«Eine gute Akquisition», rief die gnädige Frau erfreut, denn der Leutnant war, was man einen geistreichen Offizier nennt, er machte niedliche Verse in Familienalbums und zu verlorenen Vielliebchen, war unübertrefflich im Arrangement von mimischen Darstellungen und stand in dem Ruf, irgendeinmal in ein Taschenbuch eine Novelle geschrieben zu haben. «Herr von Zernitz ist ein liebenswürdiger Gesellschafter.»
Kennt eigentlich heute noch jemand diesen oder ähnliche Scherze? Ich jedenfalls werde mir mal gelegentlich eine Tüte Krachmandeln besorgen.