Wozu Bildung?


  • Also in meiner - zugegebenermaßen etwas zurückliegenden - Kindheit war es durchaus so, dass bildungswillige Kinder aus desolaten Milieus in der Schule ziemlich aggressiv ausgregenzt und von Bildungsangeboten regelrecht abgedrängt wurden.


    Ich denke auch nicht, dass das Bildungsverhältnis ein reines Problem der "Unterschicht" ist, wobei es natürlich dort augenfällig wird. Aber bei einen Besuch in unserem Kreis aller führenden Schulen, also von Sonderschule, Hauptschule, Mittelschule, Gesamtschule und Gymnasium, waren beispielsweise alle Toiletten in einem derartigen (abartigen) Zustand - traurig das es so was gibt. Dann gibt es bei uns das Sprachproblem, nicht nur Einwanderer sondern auch Deutsche beherrschen die Sprache nicht; das "Föderationsproblem", nix ist eben gleich ... Sicherlich kann und könnte auch heute theoretisch ein Kind der "Unterschicht" auf einem Gymnasium Erfolg haben (dabei denke ich aber, ein Hartz IV Empfänger Kind braucht dazu heute einen Paten mit Geld, der diesem Kind einfach das Rüstzeug kauft - Zirkel, Taschenrechner, evtl. einen PC u. a. - denn wenn hier schon Klischees - Afrikaner empfinden Deutschland als Bildungsparadies - besprochen werden, dann führe ich auch an, dass solche Eltern meist ihr Geld versaufen als ihren Kindern Bildung zu ermöglichen). Das ist dann nämlich das nächste Problem, dass heute Bildung Geld kostet - die Studiengebühren finde ich persönlich unverschämt. Es bringt auch nix, wenn man den Hartz IV Satz für Kinder um X erhöht, das Geld fließt wo anders hin ...


    Und dann eben, es war schon immer schick in irgendwelchen Gangs dabei zu sein, also bleibt die Unterschicht unter sich. Und dann eben noch, dass der Mindestlohn immer noch nicht eingeführt ist, selbst arbeitende Eltern müssen häufig noch Geld aus der Hartz IV Kasse erhalten, man nennt das aufstocken ... Und dann fällt mir noch ein, dass einige Bonzen bewusst Firmen in die Insolvenz rutschen lassen, sie erhalten Boni und die Angestellten/Arbeiter Hartz IV ... Und dann noch ... und da könnte ich noch ... und überhaupt regt mich dieses Thema total auf!

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

    Einmal editiert, zuletzt von Anita ()


  • ... Und dann noch ... und da könnte ich noch ... und überhaupt regt mich dieses Thema total auf!


    Geht mir genauso!


    Wobei die Eingangsfrage: Wozu Bildung! weiterhin interessant ist.


    Je mehr ich lerne, desto mehr fällt mir auf, wie wenig ich weiß und wieviel ich noch lernen will. Bildung fördert mein Verständnis, zeigt mir Möglichkeiten und lässt mich tieferliegende Muster sehen und verstehen.


    Beispiel: Bestimmte Bücher werden erst richtig interessant und amüsant, wenn man die Anspielungen auf andere Bücher erkennt und versteht. Daher landen auch immer wieder die gleichen Bücher ganz oben auf den Literaturlisten. Vieles muss ich mir jetzt nach einem langen Leserleben erarbeiten, einiges bekommt man zumindest in gekürzter Form als "Bildungskind" schon mit, wie z.B. Robinson Crusoe, Don Quichotte, die Schwabsagen, die Deutschen Heldensagen usw.


    Wie soll jemand, in dessen Kindheit nur Harry Potter, Drachenreiter und Vampire vorkamen später Nabokov oder Sterne lesen?


  • Wie soll jemand, in dessen Kindheit nur Harry Potter, Drachenreiter und Vampire vorkamen später Nabokov oder Sterne lesen?


    Das geht :zwinker: Hauptsache das Kind hat überhaupt gelesen, auch wenn es beispielsweise "nur" Enid Blyton gelesen hat (wäre jetzt vergleichbar oder?), kann es sich bildungshöheren Schichten annähern.


    Wenn man gar nicht liest, das ist eher die Katastrophe.


    Und kann man Kinder wirklich irgendwo dort abholen, bei der Hand nehmen und "kultivieren"?

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Man müßte sich erst einmal darüber verständigen, was "Bildung" denn so genau sein soll. Ein bißchen Überlebensgepäck ist es wohl schon. Also so ein gewisses Basiswissen über Geschichte und Kultur. Also wenn jemand glaubt, daß Jesus in Rom gekreuzigt wurde, der zweite Weltkrieg vermutlich im 18. Jahrhundert statt gefunden hat, Rußland Teil von China ist und so weiter dann sind solche Bildungskatastrophen, die es ja gibt, ich habe sie selbst erlebt, eine Form von Desorientiertheit, wo Menschen eigentlich völlig geschichtslos, völlig orientierungslos existieren. Und ein solches Leben, das vollkommen geschichtslos ist, außer vielleicht das man gerade noch weiß, wann Schalke zuletzt Meister geworden ist, möchte ich gewiß nicht führen.


    Anderseits hat jeder das Recht, sich für das zu interessieren, was ihn interessiert. Wirklich essentiell ist für mich nur die politische und geschichtliche Bildung ( Politik, Religion, Länder, Kulturen), weder naturwissenschaftliche noch kulturelle Bildung halte ich für sonderlich wichtig.


    Wenn jemand Beethoven für einen Barockkomponisten hält, ist das nicht sonderlich wichtig. Warum muß jemand, der sich nicht im geringsten für klassische Musik interessiert, solche Dinge wissen? Bildung im Sinne von Wissen halte ich für vollkommen unwichtig. Wichtig ist nur die Freude an der Sache. Systematische Bildungsaneignung halte ich für ausgemachten Quatsch. Bachs h moll Messe kenne ich etwa erst sein kurzem, dafür kenne ich die Sinfonien von Mjaskovski wesentlich länger. Und die sind bei Gott nicht schlecht, aber natürlich ist die Bildungslücke mit Bachs H moll Messe wesentlich größer. Jedenfalls sagt man es so.


    Bildung im Sinne eines sich heraus bildenden Gefühls für Qualität halte ich schon für wichtig. Dagegen Bildung im Sinne einer höchst "systematischen" Annäherung an Kultur halte ich für ausgemachten Quatsch. Wer Goethe und Stifter nun mal nicht mag, soll es bleiben lassen, er kann auch Kafka und Jean Paul lesen.


    Ich bin im übrigen ein großer Freund der klassischen Musik und habe sowieso den Eindruck, das Liebhaber der klassischen Musik, die sich oft unglaublich gut auskennen, trotzdem einen viel unverkrampfteren Umgang mit der Bildung haben, als Leute, die unbedingt auf Goethe und Schiller herum reiten müssen. Man muß aus Beethovens 5. ja auch nicht fließend zitieren können. Und dann macht es bei mancher Musik auch einfach nicht "Klick" - ja was will man da machen. Diese ganze literarische Bildung will es am besten jedem auf drei Stellen hinterm Koma beweisen, warum Goethes Faust unbedingt lesenswert ist.


    Insofern definiert sich mein Bildungsbegriff sehr von der klassischen Musik her. "Anspruchsvoll" gibt es hier auch, aber sie definiert sich für mein Gefühl mehr in einem intensiven wiederholten und konzentrierten Zuhören. Deshalb hat die Musik für mich dies ungemein Schöne, daß bei keinem Thema Schaumschlägerei leichter ist als in der Musik und anderseits auch wieder schwerer als in der Musik. Das gefällt mir. Und das finde ich auch gerade richtig, das sollte für andere Dinge auch gelten.


    Gruß Martin

  • Geht mir in vielen Dingen ähnlich wie dir Martin. Denn um so länger ich über mich und "meine" Bildung nachdenke, kann ich auch für mich ein System total ausschließen. Und hängen bleibt tatsächlich von all dem was ich lese, höre, sehe und auch aktiv mache, das, von dem ich für mich denke, dass es für mein Leben einen Sinn macht.

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Hallo Marlino,


    Zitat

    weder naturwissenschaftliche noch kulturelle Bildung halte ich für sonderlich wichtig


    Ich hingegen halte die naturwissenschaftliche Bildung für mindestens ebenso wichtig wie die historische Bildung.


    Stichworte: Gentechnologie, Atomkraft, Internet.


    Wer Fragen wie:


    - Was sind und wie funktionieren Gene?
    - Was ist eigentlich Radioaktivität? Wie funktioniert (im Prinzip) ein Atomkraftwerk?
    - Wie funktioniert das Internet?


    nicht einmal ansatzweise beantworten kann, ist für mich genauso ungebildet, wie jemand, der kein Stück von Shakespeare kennt. Ich halte den Mangel an Bildung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich sogar für gefährlich. Wer nicht mitreden kann, überlässt das Feld den Anderen. (Oder redet ohne Sachkenntnis mit... auch nicht besser.)


    Ansonsten halte ich Bildung in den Bereichen Geschichte/Politik sowie Wirtschaft/Finanzen für notwendig. Ohne hinreichende Urteilsfähigkeit der Bürger funktioniert die Demokratie auf Dauer nicht. Auf Literatur, Kunst, Musik und Philosophie kann man noch am ehesten verzichten.


    (Jetzt aber schnell weg... ;-) )


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald,


    das sehe ich etwas anders als Du. Ich bin bestimmt nicht einer der Intelligentesten einer, aber behaupte ich einfach mal so, intelligenter als die meisten und das sagt ja schon mal was. Aber wie Gene funktionieren, wie genau das Internet funktioniert, wie Atomkraft genau funktioniert - das sind alles Dinge, die ich mir nicht zutraue, die Du dem ordinären Bildzeitungsleser aber offensichtlich zutraust.


    Ich sehe das anders, ich denke, daß Politik zu einem Großteil Vertrauenssache ist. Das war immer so und das ist auch gar nicht schlimm, geschweige denn gefährlich. Ich fände es eher gefährlich, den Leuten unbedingt einreden zu wollen, daß sie alles beurteilen könnten. Dabei denke ich: Menschen vor allem männlichen Geschlechtes, die volltrunken an Biertheken herum sitzen, und große Reden schwingen, wie toll es denn in Deutschland liefe, wenn sie das sagen hätten, gibt es weiß Gott schon genug, man muß sie nicht vermehren, indem man noch jeden Bildzeitungsleser zum großen Genetiker, Internetbeauftragten oder Atomkraftexperten macht.


    Gruß Martin


  • Auch wenn das bezüglich naturwissenschaftlicher Bildung plausibel klingt, so ist das doch nur eine Grundlage. Das Entscheidende, nämlich in welcher Form ich von diesem Wissen Gebrauch mache, kann schwer oder kaum "gelehrt", "gelernt" werden. Ed Teller war sicher ein guter Physiker, aber entsprach wahrscheinlich nicht dem verantwortungsvollen Naturwissenschaftler, der dir vorschwebt. Im übrigen ist - glücklicherweise - die Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften so groß längst nicht mehr. Und ich glaube, dass jener verantwortungsvolle, kompetente Staatsbürger, den du dir vorstellst (und der das entsprechende naturwissenschaftliche Wissen besitzt), ganz automatisch sich auch für Philosophie, Literatur, Musik & Co interessieren wird. Weshalb diese Unterteilung in wichtig-unwichtig bedeutungslos werden dürfte.


    Im übrigen hat die Diskussion über Chancen bei uns in Mitteleuropa etwas Dekadent-Perverses. Eine Bekannte kam kürzlich aus Nigeria zurück, war für Ärzte ohne Grenzen ein halbes Jahr auf einer gynäkologischen Station. Wenn man sich die geschilderten Lebensumstände vergegenwärtigt, hat unsere Unterhaltung über Bildungschancen etwas Luxuriöses. Natürlich: Mit verhungernde afrikanischen Kindern kann man alles totschlagen und jedes Problem relativieren. Manchmal aber hilft das "ins Bewusstsein rufen" unserer exquisiten Problemchen doch ein wenig, selbige als weniger schlimm anzusehen.


    (Ich meine es im übrigen in einem anderen Thread, den zu suchen ich jetzt zu faul bin, schon einmal erwähnt zu haben: Es sind sicher nicht ökonomische Gründe, die die Auseinandersetzung des Jugendlichen mit Goethe, Kant, Darwin & Co verhindern, das hat soziale, soziologische Gründe. Wenigstens war der Erwerb von Büchern noch nie so billig wie jetzt (fünf Bände Goethe für einen Euro bei eBay sind keine Seltenheit), in Ö sind die meisten Bibliotheken gratis oder verlangen ein sehr geringes Entgelt. Das nun "Unterschichten" (was immer das genau ist) diese Form der Bildung als wenig attraktiv empfinden, hat zahlreiche Ursachen, wenn aber ökonomische Gründe genannt werden, sind diese meist vorgeschoben. Gedankenbeispiel: Alle Hartz IV-Empfänger erhalten ein Jahr lang 3000 Euro monatlich. Man versuche sich vorzustellen, wie dieses Geld verwendet würde. Und man sieht, dass die Ursachen anderswo liegen, komplex sind, mit allgemeinen gesellschaftlichen Werten zu tun haben etc. Aber politisch lassen sich so einfache pekuniäre Lösungen (ob von FDP oder Linken) sehr viel besser verkaufen, mit soziologischen Studien, Maßnahmen, die das Vielfache einer Legislaturperiode benötigen, um ihre Sinnhaftigkeit zu beweisen, sind keine Wahlen zu gewinnen.)


    Grüße


    s.


  • , in Ö sind die meisten Bibliotheken gratis oder verlangen ein sehr geringes Entgelt.


    In meiner Umgebung ist das nicht mehr gratis, da die Komunen einfach sparen (am falschem Ende m. M. n.) und nun auch von Kindern und Jugendlichen 10 € Jahresbeitrag berappen, und so viel ich weiß gilt dort keine Sonderregelung für Hartz IV Kinder. Das ist ein geringes Entgelt, sicherlich, aber für manche doch unerschwinglich. Und da ich nicht möchte, dass eine künftige Leseratte dieses Geld klaut, könnte man doch ...


    Nö, ich möchte die Situation in Deutschland, Europa nicht unbedingt mit Afrika vergleichen. Wenn wir dort anfangen, dann ... und dann ... müsste ich dauernd diesen :grmpf: Smiley benutzen.

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Es ist ein Zeichen von Bildung, wenn man einige rhetorische Kniffe beherrscht. So lässt sich sich eine Fragestellung oder ein Problem schon dadurch in seiner Bedeutung schmälern, in dem man darauf hinweist, dass sich die gleiche Frage woanders viel schärfer stellt. Gut ist es auch zu bemerken, dass es viel wichtigere Fragen und bedeutendere Probleme gibt, ja dass am Besten alle Fragen und alle Probleme gleichzeitig zu beantworten, bzw. zu lösen sind, und man sich nicht auf einzelne Themen einlassen sollte. Danach sind wir in Deutschland wirklich mit an der Spitze, was Bildung betrifft.
    Vielleicht haben einige schon bemerkt, dass Naturgesetze nicht Zustände sondern deren Änderung beschreiben, und vielleicht ist es gar nicht so schlecht Bildung in diesem Sinn nicht als statischen Zustand zu beschreiben, sondern darauf zu achten wie Bildung und Bildungsmöglichkeiten sich verändert, welche Entwicklungen erkennbar werden.


  • Auf Literatur, Kunst, Musik und Philosophie kann man noch am ehesten verzichten.


    Ja, Harald, wir sollten alle so werden wie Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Philipp Rösler! Die haben in ihren technokratischen Denkweisen ebenfalls keinen Platz für derlei Verzichtbares.


    LG


    Tom


  • In meiner Umgebung ist das nicht mehr gratis, da die Komunen einfach sparen (am falschem Ende m. M. n.) und nun auch von Kindern und Jugendlichen 10 € Jahresbeitrag berappen, und so viel ich weiß gilt dort keine Sonderregelung für Hartz IV Kinder. Das ist ein geringes Entgelt, sicherlich, aber für manche doch unerschwinglich. Und da ich nicht möchte, dass eine künftige Leseratte dieses Geld klaut, könnte man doch ...


    Natürlich sollte es gratis sein. Aber an den 10 Euro liegt's sicher nicht. Das sind Beträge, die dann für etwas bereit stehen, wenn dieses etwas als erstrebenswert angesehen wird. (Es dürfte ja offenkundig sein, dass, selbst wenn man diese 10 Euro für die Bibliotheksbenützung abschaffen würde, es deshalb in der betreffenden Stadt nicht einen jugendlichen Hartz IV-Benutzer mehr gäbe. Oder verfolge das Gedankenbeispiel von zuvor weiter: Wer von den plötzlich mit den 3000 Euro Bedachten wird dann erstmal erleichtert feststellen, dass er nun endlich die bisher unerschwinglichen 10 Euro für die Bücherleihe zahlen könne ;).) Die Frage stellt sich anders: Wie schafft es die Gesellschaft, Bildung (Bücher, Lesen) nicht als langweilig, antiquiert, verstaubt darzustellen, sondern als spannend, interessant, wichtig, "cool", als ein Akzidens, das in einer Peer-Group vorzeigbar ist, den Status erhöht? Das lässt sich nicht auf Knopfdruck ändern, kann wahrscheinlich nur vorgelebt werden (von Eltern, Lehrern, Politikern ...).


    Wichtig aber ist nicht nur diese Statuserhöhung durch Wissen (sonst endet man wie Guttenberg & Co, die ihre Doktortitel einzig des Renomees wegen haben wollten), noch wichtiger scheint, dass man den Spaß an Bildung vermittelt. Ich lese ja auch nicht, um zu imponieren oder Geld zu verdienen (das mag ein angenehmer Nebeneffekt sein), sondern weil's mir Freude macht. (Sodass ich, wenn ich spät nachts das Licht lösche und das Buch weglege, mich auf den nächsten Morgen freue, der mir ein Weiterlesen verspricht.) Ob Geistes- oder Naturwissenschaftliches: Das Schöne, Spannende, Interessante daran muss vermittelt werden - und das kann man auch. Ist allerdings anstrengend und stößt auf Schwierigkeiten: Meiner Erfahrung nach sind diese vor allem bürokratischer (in allen Bildungsinstitutionen wird hauptsächlich auf "Pläne" geachtet, diese dienen als Feigenblatt für Unsinnigkeiten und eingebildete Notwendigkeiten) bzw. gesellschaftlich-psychologischer Natur (ob klein, ob groß, die Frage nach dem "und wozu kann ich das brauchen", wobei "brauchen" für ökonomischen Nutzen steht, kommt allerorten, nicht nur der Schüler, auch der Student beschwert sich "Sprachphilosophie, ach, brauch ich nicht, ich geh ja ohnehin nur unterrichten").


    Frau Merkel ist im übrigen ein gutes Beispiel für die Nutzlosigkeit naturwissenschaftlicher Kompetenz, da ihre Entscheidungen von diesem ihrem Wissen offenbar nicht im mindesten berührt werden. Sie unterscheidet sich damit nicht vom civis communis, der seine Entscheidungen ähnlich pragmatisch-egoistisch trifft: Auch wenn der Einzelne vielleicht von der Unsinnigkeit einer Maßnahme überzeugt ist, so wird er sie dann begrüßen, wenn sie ihm einen (finanziellen) Vorteil verspricht.


    Im Grunde enden solche Diskussionen immer in der Sehnsucht nach einem "neuen Menschen", einem Menschen, der nicht nur gebildet, informiert ist (die Voraussetzung), sondern der dieses sein Wissen verantwortlich einsetzt und seine Handlungen entsprechend setzt. Die Erfahrung aber zeigt, dass Wissensvorsprung, Kompetenz etc. sowohl für egoistische Interessen eingesetzt werden kann (weshalb der intelligente Verbrecher der gefährlichere ist) als auch für vernünftige, vielleicht uneigennützige Ziele, die das Wohl der Menschheit befördern. Diesen Menschentypus also gälte es zu "bilden", jenen, der mit dem erworbenen Wissen verantwortungsvoll umgeht. Utopia Ende.


    Grüße


    s.


  • Aber an den 10 Euro liegt's sicher nicht.


    Doch bei meinem Hartz IV Empfänger Kind sehr wohl, da sein Vater statt der 300 € Hartz IV auch die 3000 € versaufen würde, oder Flachbildschirme, sich wieder ein Auto oder sonst was kauft. Beim Kind kommt das nicht an, ob die Merkel dem Kind 5 € gönnt oder du gar der Familie 3000 € :zwinker: Das macht bei mir keinen Sinn.


    Und natürlich würde die Bücherei nicht überlaufen werden, wenn sie für Kinder kostenlos wäre. Aber es reicht, wenn eine handvoll Kinder aus unteren Schichten dieses Angebot nutzen würden. Darum geht es mir.


    LG
    Anita

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Doch bei meinem Hartz IV Empfänger Kind sehr wohl, da sein Vater statt der 300 € Hartz IV auch die 3000 € versaufen würde, oder Flachbildschirme, sich wieder ein Auto oder sonst was kauft. Beim Kind kommt das nicht an, ob die Merkel dem Kind 5 € gönnt oder du gar der Familie 3000 € :zwinker: Das macht bei mir keinen Sinn.


    Und natürlich würde die Bücherei nicht überlaufen werden, wenn sie für Kinder kostenlos wäre. Aber es reicht, wenn eine handvoll Kinder aus unteren Schichten dieses Angebot nutzen würden. Darum geht es mir.


    Jetzt erst meine ich deine Schilderung verstanden zu haben. Ich ging davon aus, dass es für die Eltern unerschwinglich wäre. Verstehe ich dich richtig: Das Kind will in eine Leihbücherei, erhält aber von zu Hause kein Geld, würde das Angebot aber nutzen, wenn es gratis wäre. Das ist dann wirklich tragisch (aber wohl auch ein seltener Fall). Ich glaube, dass ich dem Kleinen diese Gebühr "leihen" würd.


    Scheint aber - zumindest was meine Erfahrung betrifft - ein Ausnahmefall zu sein: In der hiesigen Bibliothek (nun "Infothek") hat man 10 Computer angeschafft. Sind zumeist von Jugendlichen besetzt, deren Tätigkeit sich ausschließlich aufs Chatten beschränkt (empirischer Wert, ich kann nicht ausschließen, dass die Computer in meiner Abwesenheit nicht auch mal zur Informationsbeschaffung genutzt wurden, gesehen habe ich das noch nie). Keinen einzigen dieser Jugendlichen habe ich je in der Freihandbibliothek gesehen (weit über 60 000 Bücher, dazu alle Tageszeitungen, viele Zeitschriften, Hörbücher, CDs, DVDs - alles gratis).


    Grüße


    s.

  • In meiner Umgebung ist das nicht mehr gratis, da die Komunen einfach sparen (am falschem Ende m. M. n.) und nun auch von Kindern und Jugendlichen 10 € Jahresbeitrag berappen, und so viel ich weiß gilt dort keine Sonderregelung für Hartz IV Kinder. Das ist ein geringes Entgelt, sicherlich, aber für manche doch unerschwinglich. Und da ich nicht möchte, dass eine künftige Leseratte dieses Geld klaut, könnte man doch ...


    Das Lesen in den Bibliotheken ist auf jeden Fall umsonst. Das Entleihen nicht immer. Aber auch hier gibt es eben diejenigen, die "es wissen wollen" und den Rest. Ich habe schon mehrfach Obdachlose in der Bibliothek lesen sehen.


  • Ich glaube, dass ich dem Kleinen diese Gebühr "leihen" würd.


    Eben, wir werden Paten. Klar ist das eine Ausnahme, die es aber gibt. Aber was heißt bei dir leihen? Müsste das Kind dir das Geld tatsächlich zurückgeben? Oder müsste es dir eher 2 Stunden vorlesen, aus Doderer oder so, quasi eine höhere Bildung eingehen :breitgrins:


    LG
    Anita, die jetzt wieder hoch zu den Friesen fährt und ihnen künftig die Literatur näher bringt :smile:

    Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Nietzsche in "Also sprach Zarathustra"

  • Zu Hause habe ich ein Lexikon von 16 Bänden stehen und eine Auswahl von Fach- und Sachbüchern und Speziallexikas. Wenn ich was wissen will, dann mache ich aber seit geraumer Zeit den Rechner an und informiere mich zunächst im Internet.
    Die Vorstellung einen Roman in einer Bibliothek zu lesen gruselt mich, die dulden keine Schokolade im Lesesaal und haben keine Liegen . Die Stadtbibliothek wird nach meiner Erfahrung aber schon von Schülern frequentiert, weil dort auch viel schulgerechte Fachliteratur vorhanden ist.
    Meine beiden Töchter lesen auf dem Schmöckerniveau, wie ich es vorwiegend in meiner Kindheit und Jugend tat, aber logischerweise hat die DVD einige Lesezeit gefressen. Weshalb ich auch "Hochliteratur" als Jugendlicher laß, obwohl ich keine Bildung in dieser Richtung "genossen" habe, ist mir immer noch nicht klar (die standen halt als Bertelsmannausgabe im Regal meiner Eltern) . Allerdings hatte ich dann in der Abendschule Lehrer, die ich gerne mochte und die mich zum Lesen von etwas gehaltvollerer Literatur anregten (dann kam auch noch die Aufbruchsstimmung und damit ein alternativer Bildungshunger der 68iger dazu).
    Wenn ich mir vor Augen halte, welche unterschiedlichen Unterhaltungs- und Informationsformen dagenen heute den Kindern angeboten werden, und wie lieblos meine Kinder in der Schule "ausgebildet" wurden, dann ist es doch kein Wunder, wenn die Aneignung von Wissen anders erfolgt, als in den 50iger/60iger Jahre. Außerdem ist der Schule so viel mehr Stoff dazugekommen, dass natürlich die Gründlichkeit leidet.
    Bildung als gesellschaftliches Phänomän hat schon lange zunächst die Aufgabe die wirtschaftliche Position einer Gesellschaft zu stärken und hat sich deshalb in die entsprechende Richtung entwickelt. Wenn wir jetzt in Europa unsere wirtschaftliche Macht an andere Erdteile abgeben und Mangelerscheinungen auftreten, dann ist die Konsequenz Bildung auf das kurzfristige Ziel den Niedergang zu verlangsamen und auf Ausbildung zu reduzieren doch abzusehen, wenn auch bedauerlicherweise.
    Außerdem, so ist mein Eindruck, hat das Häuflein der klassisch geisteswissenschaftlich Gebildeten im Kulturbetrieb noch immer so viel Einfluss, dass es die kulturelle Bedeutung der Naturwissenschaften als Technokratie herabwürdigen kann und damit einfach die eigene Unfähigkeit Wissenschaft und Bildung umfassend zu sehen als Bildungstugend darzustellen.

  • Bildung bedeutet für mich, sich auf Gebieten wie Politik, Länderkunde, Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften (+Musik und Kunst) Grundlagen zu schaffen. Dass man sich für ein Thema besonders interessiert und darin ein Expertentum anstrebt, kommt ja nicht selten vor aber ich halte es für wichtiger sich Grundlagen zu schaffen auf denen man aufbauen kann.


    Ich selbst komme aus einer sehr armen Familie. Hartz vier habe ich seit meinem 16 Lebensjahr live erfahren. Aber ich hatte das Glück dass meine Mutter auf Bildung immer viel Wert gelegt hat und mich dahingehend ermutigte. Ich konnte mir immer Bücher aus dem Schrank nehmen und lesen was ich wollte um dann mit ihr darüber zu sprechen. Und obwohl das also nicht der klassische Bildungshaushalt war und ich immer auf scheiß Schulen gehen musste, ist Wissen doch inzwischen mein höchstes Ziel geworden. Lernen, lesen, diskutieren, bestimmen mein Leben seit jeher. Deshalb denke ich dass Bildung etwas Wesentliches ist und auch dass noch mehr getan werden muss um diese Tatsache zu vermitteln. Im Studium haben wir Mentees, die sich um die Studienanfänger kümmern und sie unterstützen. So etwas könnte ich mir auch an Schulen vorstellen. Jemand der den Kindern zeigt, was alles möglich ist wenn man sich ein bisschen mehr anstrengt und wie viel Spaß es macht das große Puzzlespiel der Welt immer ein wenig mehr zu verstehen.
    Gruß,
    Alice