Beiträge von H.-P.Haack

    Hallo Uhu,


    danke für die Anmerkung und die Mail.


    Mir war es nicht so sehr um die Symbolik und Metaphorik des Lichts gegangen, als vielmehr um Fausts Erschrecken, als er, gleichsam von einem Feuermeer ´umschlungen´, sich der bangen Frage nicht erwehren kann, glühend ´umwunden´ zu sein in "Lieb" und "Haß". - "Glühend uns umwinden" lese ich als ´unentrinnbar´.


    "[...] in jugendlichstem Schleier":´Schleier´ist mit´Verschleiern´konnotiert. Das naheliegende Wort ´Schatten´ vermeidet Goethe hier.


    "Zur Erde blicken": "Erde" versus "ewigen Lichts" könnte auch für´Mutter Erde´stehen, für die ursprüngliche Gäa, "dem niemals wankenden Sitz der Unsterblichen", d. h. dem Fundament der Götter, - die alle nach ihr kamen; auch das Licht kam nach ihr (Hesiod, Theogonie). Schopenhauer sieht ebenfalls das Primäre im Willen (Materie und Bios), die Vorstellung (die Welt des Geistes) ist ihm sekundär. Alle diese Assoziationen entsprechen der von Dir zitierten Lesart.


    Nochmals herzlichen Dank für Dein Interesse!


    Mit allen guten Grüßen!

    Abstrakt oder gegenständlich - ich frage mich überhaupt, was ist es eigentlich, dass einem ein Kunstwerk besonders gefällt. Irgendwie muss es ja geheime Erwartungen erfüllen, eine Resonanz auslösen.


    Ich bin Sammler von Kunst seit Studentenjahren, allerdings auf kleiner Flamme. Anfangs habe ich alte kolorierte Stadtansichten als Kupferstiche gesammelt – also sehr gegenständlich. In Katalogen werden diese Blätter als Dekorative Graphik bezeichnet. Sie sind mehr Handwerk als Kunst.


    Jetzt sprechen mich Bilder mit ungegenständlichen Gestaltungen mehr an als Konkretes, wie mir auch in der Architektur die Klassische Moderne gefällt. Hier werden bei gelungenen Proportionen und erstklassigem Material (Sichtbeton als der Marmor des 21. Jahrhunderts, kombiniert mit hochwertigem Natursteinplatten, Glas, Stahl, …) ästhetische Wirkungen erreicht. ´Minimalismus´ heißt das Schlagwort für diese Kunstrichtung, die auch in Plastik und Malerei ihre Entsprechungen hat.


    Ein Gegenwartskünstler gestaltet abstrakt und gegenständlich mit gleicher Bravour: Gerhard Richter – leider unerschwinglich.


    Soviel zu der Frage von Friedrich Arthur. Die Einstellung zur Kunst ändert sich oder kann sich im Verlauf eines Lebens ändern.


    H.-P.Haack

    Hallo Friedrich-Arthur,


    danke für Deine hilfreichen Bemerkungen vom 23.02.2007. Habe meine Formel, mit der Kunst umrissen werden soll, variiert und unter die vorangegangene gesetzt.


    Denke inzwischen, dass Kunst Widersprüche akzentuieren, aber ebenso durch ästhetische Gestaltung erträglich machen kann, - dass Kunst Antinomien sogar aussöhnen kann. Mit dieser Sicht schließe ich mich Thomas Mann an. Der war wiederum Schopenhauer gefolgt, der im zweiten Band von "D. W. a. W. u. V." die Kunst die "geniale Objektivität" genannt hatte. Das Wesen der "genialen Objektivität" lag für Thomas Mann in "Ironie", d. h. er hat Ironie als übergreifende Objektivität verstanden.


    Mit allen guten Grüßen via www.


    H.-P. Haack

    Versuch einer Aufschlüsselung von Kreativität:


    Wissenschaft Kunst Dekoratives

    Schafft Wissen
    oder klassifiziert gestaltet Design,
    Mode,
    Plakat"kunst",
    Garten"kunst",
    Dekoration, ...

    Inhalt ist
    entscheidend Form und Gestaltung
    sind bedeutsamer als
    der Inhalt
    Erwartet wird
    eine verbindliche
    Aussage. Beziehungsreichtum
    und Mehrdeutigkeit
    der Wirklichkeit
    verpflichtet kann realistisch, aber
    auch phantastisch sein



    [Weitere Bereiche, in denen Kreativität sich verwirklicht: Patentwürdige Erfindungen, Managment, Werbung, Politik, die persönliche Lebensgestaltung (Schicksal als Ergebnis des gelebten Charakters), Intuition, ...].


    Den Begriff "Kreativität" habe ich in dieser Kunstdiskussion ins Spiel gebracht, weil umgangssprachlich mitunter Kreativität mit Kunst gleichgesetzt wird, z. B. Lebens"kunst", Koch"kunst".

    An dieser Frage war Faust gescheitert. In der Eröffnungsszene von »Faust II« steht -in Analogie zu »Faust I« - wieder ein großer Monolog Fausts, in dem Goethe unter der Hand eine Antwort gibt.


    In der Morgendämmerung erwartet Faust den Aufgang der Sonne. Als sie endlich hinter einer Bergschulter hervortritt, trifft ihr »Flammenübermaß« seine Augen so schmerzhaft, dass er sich abkehren muss. Doch lässt das »Feuermeer« in ihm eine Erkenntnis aufblitzen, die er sich erschrocken als Frage formuliert. »Ist´s Lieb´? Ist´s Hass? Die glühend uns umwinden, / Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer, / So daß wir wieder nach der Erde blicken, / Zu bergen und im jugendlichsten Schleier.« (Verse 4711 – 14)


    Das »ewige Licht« der Sonne steht für Erkenntnis. Goethe paraphrasiert hier das Höhlengleichnis Platons.* Setzt man für die Dichterworte »Lieb´« und »Hass« die Begriffe Sozialität und Aggressivität, hat man das Spannungsfeld, in dem Leben sich verwirklicht, die Pole, zwischen denen es alterniert, - im Kleinen wie im Großen. Die beiden gegensätzlichen Elementar-Triebe treiben die Evolution voran. Sie sind sie von gleichem Gewicht wie Mutation und Selektion.
    * -> [http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6hlengleichnis]


    Mit »Lieb'« und »Hass« (Sozialität und Aggressivität), die »glühend uns umwinden« (unentrinnbar) trifft Goethe eine anthropologische Aussage. Aggressivität (sublimiert als Konkurrenz, Wettbewerb) und Sozialität (Hilfsbereitschaft, Gemeinschaftsgefühl) sind in jedem Menschen angelegt, auch bei nicht domestizierten Säugetieren, die in sozialen Verbänden leben. Am stärksten entwickelt sind sie beim Menschen, dem Zoon politikon. Im günstigsten Falle halten sich beide Antriebe die Waage. Doch das Mischungsverhältnis kann sehr unterschiedlich ausfallen. Im Extrem bleiben nur Egoismus und Konkurrenzdenken, vielleicht mit einem gelegentlichen Anflug von sozialem Empfinden. Das andere Extrem ist soziales Engagenment bis zur Selbstaufgabe.


    Die missionierende These "Ohne Christentum keine Moral" trifft nicht zu. Soziale Antriebe, die Wurzeln der Moral, sind älter als das Christentum. Es kodifiziert lediglich die Bedürfnisse nach Sozialität (der Appell Jesu Christi „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“) und perhorresziert Aggressivität (das mosaische Gebot „Du sollst nicht töten“). Gefordert wird hier und dort, was anthropologisch bereits angelegt ist. "Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange / Ist sich des rechten Weges wohl bewußt." (Faust I, Prolog im Himmel).


    Heute sucht die Physik nach einer mathematischen Erfassung der Welt, nach der ´Weltformel´ und wendet auf dieses Bemühen das Goethewort von ihrem innersten Zusammenhalt an. Fausts Suche dagegen hatte der Lebensdynamik gegolten (»Des Lebens Fackel wollten wir entzünden«). Sein schreckhaftes Erkennen der geheimen Doppelnatur des Menschen löst sogleich Abwehr aus, "So daß wir wieder nach der Erde blicken, / Zu bergen uns im jugendlichsten Schleier", d. h. in Nichtwissen.


    In den maßgebenden, von Albrecht Schöne zusammengetragnen Kommentare zu Goethes Faust [Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1994] werden die Verse 4711 -14 nicht kommentiert.




    Abbildung des Monologs im Erstdruck (1828): ->
    [http://commons.wikimedia.org/w…lebendig.jpg#Beschreibung]

    Vorschlag einer Kunstdefinition:


    Kunst ästhetisiert die Antinomien des Lebens, ohne sie aufzulösen.



    Modifizierung der oben stehenden Kunst-These, angeregt durch die Anmerkungen von Friedrich Arthur am 23. Februar 2007 (siehe unten):


    Kunst ästhetisiert die Antinomien des Lebens. (12.03.2007)


    Kunst, die ja fokusiert, kann Widersprüche zuspitzen - aber auch durch ästhetische Gestaltung versöhnen oder wenigstens erträglich machen (sie als gegeben darstellen und damit hinnehmbar werden lassen).

    Die Interpretation ist unter dem Titel "Der Trug des zum Ring geschmiedeten Rheingoldes" von WIKIPEDIA überommen worden und von da in weitere Internet-Lexika. Mit den Wagnerianern bei WIKIPEDIA gab es ebenfalls keinen Widerspruch gegen diese neue Auslegung, lediglich eine marginale Diskussoin darüber, ob die Rheintöchter absichtlich oder unwissend den Kreislauf des Goldes (und damit den Untergang der Götter) herbeigeführt haben.


    H.P.Haack

    Mitunter hilft es, einen Begriff durch Abgrenzung von seinem Gegenteil zu verdeutlichen. Wissenschaft halte ich für ein Gegenstück von Kunst. Eines haben sie gemeinsam: Beide sind kreativ. Aber Wissenschaft [die Wissen schafft] ist objektiv, Kunst immer subjektiv.


    Weiter in dieser Dichotomie: Hier der Wirklichkeit verpflichtet / dort Phantasieschöpfung. – Strebt Verbindlichkeit an / darf unverbindlich bleiben. – In der Moderne [nach der Trennung von Kunst und Handwerk] bleibt das Faktische Domäne der Wissenschaft / Kunst wird interpretierbar nach Ermessen und Bedürfnis des Rezipienten.


    Demnach wäre ´Plakat-Kunst´, die ja immer unverwechselbar sein muss, keine Kunst, auch wenn der eine oder andere Plakatmacher sich als Künstler sieht, einer von ihnen sogar Präsident der Akademie der Künste werden konnte.


    In ´Plakat-Kunst´ steht wie in ´Koch-Kunst´ das Wort´Kunst´ für Gelungenes, ist also umgangssprachlich. ´Plakat-Kunst´ kann es allenfalls typographisch und hinsichtlich der Farbauswahl geben. In seiner Stoßrichtung muss das Plakat direkt und unkünstlerisch bleiben.


    "Plakativ" wird nicht von ungefähr als Synomym für für Kitsch verwendet.


    H.-P.Haack

    In Sachen Kunst habe ich als Orientierung ein Zweigestirn gefunden: Goethe und Thomas Mann. Goethe gibt mit dem W.-Ö. Divan und Faust II über Kunst-Belehrungen hinaus noch so etwas wie zwei Reiseführer fürs Leben bzw. Anleitungen zur Lebensbewältigung, für Sinnfindung im eigenen Leben.


    Thomas Mann als Lebens-Lotsen halte ich für heikel. Aber sein Kunstverstand ist scharf und radikal. Eine schöne Kunstbemerkung habe ich in seinem Essay über Schopenhauer (1938) gefunden: «Kunst war nicht lehrbar, sie war ein Geschenk der Intuition. Der Intellekt war dabei nur im Spiel, sofern eben er es war, der die Welt zur Vorstellung machte.»


    Ohne Kunst-Adressaten keine Kunst. Künstler und Kunstbedürftige sind der Boden für die Kunst, ihre beiden Pole. Und man kann sagen, dass in der Rezeption von Kunst ebenfalls Intuitives einschlägig ist. Intuitives Erkennen von Kunst ist auf Anhieb möglich, kann aber auch seine Zeit dauern, bis sich der kompositorische Reiz erschließt.


    Dazu gibt es eine individuelle Resonanz der Kunstadressaten, legitime Vorlieben für bestimmte Künstler und deren Stil - und umgekehrt. Ich z. B. kann mich noch immer nicht erwärmen für das Leipziger Maler-Genie Prof. Neo Rauch. Aber er hat seine Verehrer und wird von Anderen hoch geschätzt.


    Jedem Manne recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Man hat als Kunstadressat durchaus das Recht, sich achselzuckend abzuwenden.


    H .-P.Haack

    Was ist Kunst?


    Ich bin ein Thomas-Mann-Verfallener, verdorben durch Thomas Mann, sozusagen. -


    Geschliffene, makellose Sprache hat etwas Suggestives. T. M.s Kunstauffassung ist an mir hängen geblieben, ´hier stehe ich [hier tippe ich] - ich kann nicht anders´.


    Bei Thomas Mann fehlt z. B. der erhobene Zeigefinger, den man immer zu sehen meint, wenn man Brecht liest oder seine Stücke sieht. Und T. M. ist ironisch und nicht sarkastisch, wie Heinrich Mann. Nun ja, jede Kunsttechnik hat ihre Berechtigung. Ich helfe mir im Stillen mit der Begriffsbestimmung von´Kunst´, dass sie ein Territorium ist mit Gipfeln, Hochplateaus, mit Untiefen und Sümpfen und mit Grenzbezirken.



    Alle guten Grüße an Diskutanten und Leser von Klassikforum!


    H.-P. Haack

    Zitat: Das man von Museumsankäufen nicht mehr leben kann, kann ich nicht beurteilen. Ich dachte immer Max Liebermann hatte recht, als er so sinngemäß aussagte: "Hängste erst mal im Museum, hasstet jeschafft." - Also, das wertsteigernde Sammeln möchte ich hier ausschließen.



    Hallo Friedrich-Arthur,


    der Museums-Ankauf ist sozusagen der ´Ritterschlag´ für den Künstler. Museumsleute werden auf die Künstler häufig von Galeristen aufmerksam gemacht, auf junge, nachrückende Künstler. Die Galeristen orientieren sich an dem Kaufverhalten der Rezipienten. Kaufverhalten der Rezipienten - so kann man auch die Sammlertätigkeit bezeichnen. Es ist selten, dass jemand im Verlaufe seines Lebens nur einmal Kunst kauft. Die meisten werden rückfällig.


    Zur freiberuflichen Existenz des Künstlers: Da Museumsankäufe häufig von Galeristen vermittelt werden, könnte man doch einen Galeristen fragen, wie oft er an Privatleute verkauft und wie oft an Museen. Oder einem Maler, Graphiker oder Bildhauer die gleiche Frage stellen.


    Die Kunstgattung Architektur: Man muss trennen zwischen dem Architekten und dem Bauingenieur. Gottfried Semper hatte die bildende Kunst in fünf Gattungen unterteilt: Architektur, Malerei, Graphik, Bildhauerei und Kunsthandwerk.


    Natürlich überwiegen im Baugeschehen die Zweck- und Spekulationsbauten. Hin und wieder werden aber doch ästhetisch oder ´künstlerisch´ansprechende Gebäude errrichtet, die irgendwann unter Denkmalschutz stehen werden.


    Mit dem "Donnerwort" bin ich zu weit gegangen. Vielen Dank Deine Meinungen und Deine Diskussion.


    Alle Guten Grüße H.-P.H.

    Was ist Kunst? Picasso soll einmal geantwortet haben, er wisse es nicht. Doch wenn er es wüsste, würde er es für sich behalten.


    Thomas Mann ist dieser Frage nicht ausgewichen. Er hat sie sich ein Leben lang immer wieder gestellt - und beantwortet. Seine Kunstauffassung teilt er in Anmerkungen mit, die über das gesamte schriftstellerische und essayistische Werk verstreut sind, von der frühen Künstler-Novelle Tonio Kröger bis zu dem großen Alterswerk Doktor Faustus.


    Von der Kunst erwartete Thomas Mann die Gestaltung von Gegensätzen und Aporien. Zweideutigkeit als System und künstlerische Paradoxie hat er diese Simultanität genannt. Damit unterscheidet sich er sich von seinem Bruder und Schriftsteller-Rivalen Heinrich Mann. Eindeutige Aussagen in der Kunst, bei Heinrich Mann nicht ungewöhnlich, hielt Thomas Mann für unkünstlerisch. Seine Prosa macht aus dem ´Entweder - Oder´ ein janusköpfiges ´Sowohl – Als auch´. Interessantere Lebenserscheinungen – und mit ihnen die Kunst - haben wohl immer dies Doppelgesicht von Vergangenheit und Zukunft, wohl immer sind sie progressiv und regressiv in Einem. Sie zeigen die Zweideutigkeit des Lebens selbst.


    Thomas Manns Ironie ist kein unbeteiligtes Geltenlassen, sondern Ausdruck von Güte und Humanität. Wo seine Akzeptanz oder heimliche Sympathie liegen und wo er sich distanziert oder gar verabscheut, ist bei aller antithetischen Beredsamkeit immer spürbar.


    Zitate aus dem literarischen und essayistischem Werk Thomas Manns: http://www.haack-leipzig.de

    Hallo montaigne,


    van Gogh hatte ich als Beispiel dafür gebracht, das die Kunstadressaten sich mitunter an eine neue Formensprache erst gewöhnen müssen.


    Ich werde mich nun an eine Spruchweisheit aus dem W.-Ö. Divan halten:


    Laß dich nur zu keiner Zeit
    Zum Widerspruch verleiten.
    Weise fallen in Unwissenheit,
    Wenn sie mit Unwissenden streiten.


    Alle guten Grüße


    H.-P. Haack

    Hallo donna,


    stimme in allem zu, auch Deinen Erwartungen an die Kunst.


    Kunst muss gefallen! Nicht jeder Künstler gefällt jedem Kunstlliebhaber. Mich spricht auch nicht alles an, was als Kunst deklariert wird.


    Die Kunst soll auch Unterhaltungswert haben, anspruchsvollen und gehobenen Unterhaltungswert. Den bekommt sie, wenn sie den Betrachter, Hörer oder Leser auch emotional packt. Packend wird die Kunst, wenn sie zweispältige Emotionen auslöst, z. B. man nicht weiß, ob man lachen soll und gleichzeitig mit den Tränen zu kämpfen hat. So etwas vermag nur die Kunst. Der Kitsch überrascht nicht. Beim Kitsch weiß man gleich, woran man ist. Kitsch ist "allerliebst", "goldig" - weil er Bekanntes bringt. Kitsch erschüttert nicht.


    Noch ein Wort zum Sammeln: Sammeln bedeutet auswählen, aussuchen, nicht anhäufen, ganz gleich, was man sammelt. Sammler - von Briefmarken oder irgendwelchen Raritäten - werden zu Kennern auf ihrem Sammelgebiet. Das zur Ehrenrettung der Sammler. Sie ermöglichen übrigens erst die Kunst. Von den Museumsankäufen kann kein Künstler existieren.


    Freue mich über die Diskussion!


    H.-P.Haack

    Hallo montaigne,


    doch - so ist es. Wer bereit ist, für Kunst Geld auszugeben, hat auch ein Gespür für Kunst. Wem Kunst nichts bedeutet, kauft sich etwas anderes oder macht kostspielige Reisen oder legt sein Geld an oder ... , jedenfalls geht er nicht das Risiko ein, für etwas Geld auszugeben, was möglicherweise nichts wert ist oder zu teuer angeboten wird.

    Die typische Sammlerkarriere beginnt vor dem zwanzigsten Lebensjahr. In der Regel kann da nur Preiswertes erworben werden. Aber ab dieser Zeit schärfen sich Blick und Kunstinsinkt mehr und mehr.


    Es gibt berühmte Sammler, die z. T. eigene Museen hinterlassen. Sie sind zu Lebzeiten bereits Instanzen, die von Künstlern und Kunstjournalisten sehr ernst genommen werden. Der Ankauf von einem renommierten Sammler ist für einen noch nicht etablierten Künstler so etwas wie ein Ritterschlag.


    H.-P. Haack

    Hallo montaigne,


    danke für Deine Stellungnahme. Ich denke mir, mitunter braucht es Zeit, bis die Kunstadressaten sich an eine neue Formensprache gewöhnt haben. Van Gogh ist zu Lebzeiten nicht verstanden worden, nur sein Bruder hat unerschütterlich an ihn geglaubt. Ein Bild nur soll er zu Lebzeiten verkauft haben. Und das habe eine Künstlerin erworben.


    Thomas Mann hat von sich ganz unverblümt gesprochen, er wolle - um der Breitenwirkung willen - unter seinen Lesern auch die "Dummen", man hält es nicht für möglich! "Doppelte Optik" hat er diese Strategie genannt. Bei ihm sollten die Schlichten ebenso auf ihre Kosten kommen wie die Wählerischen und Anspruchsvollen. Vielleicht - oder sehr wahrscheinlich ist der der Vollblutkünstler, der so gerissen verfährt.


    Es kommt noch ein anderer Aspekt hinzu. Alle erreicht kaum ein Künstler. Er muss nur eine hinlänglich große Zahl von Befürwortern [und Käufern!] finden.


    Letzte Instanz für die Entscheidung Kunst / Nichtkunst sind die Rezipienten, genauer gesagt, die Sammler. Nicht alles, was sich verkaufen lässt, hat hohe Qualität. Aber Museen kaufen keine Kunstwerke, für die sich auf dem Kunstmarkt niemand interessiert. Auch das Urteil der Kunstjournalisten ist stark vom Kunstmarkt beeinflusst. Es geht ja auch gar nicht anders.


    Alle guten Grüße
    H.-P.Haack

    Rechtfertigung meines Beitrages „Kunstdefinition“.


    Habe 10 Eigenschaften / Wesenzüge der Kunst genannt, die – so meine ich - alle zutreffen. Wollte im Internet eine Kunstdefinition vorstellen. Der Beitrag ist bei Google unter dem Suchbegriff „Kunstdefinition“ aufrufbar.


    Denke, dass die 10 Kunstkriterien eine brauchbare Orientierung sind. Treffen sie alle zu, dürfte man es mit Kunst zu tun haben. Wenn ein Kunstschaffender Hervorbringungen, die diesen Kriterien nicht entsprechen, als Kunst deklariert, bedarf es viel Charisma und Überzeugungskaft des Künstlers. J. Beuys z.B. hatte dieses Charisma.


    H.-P. Haack

    Hallo finsbury!
    Hallo donna!


    Bei Google findet sich unter ´Kunstdefinition´:


    "Eines vorweg - Es gibt keine einheitliche Definition für Kunst." Stimmt das? Macht man es sich damit nicht zu leicht?


    Ich habe neun Merkmale der Kunst aufgezählt, die ich mir im Verlauf der Jahre zusammengesucht habe. Ein weiteres Merkmal des Kunstwerkes dürfte seine anhaltende (ästhetische, ideelle) Wertschätzung durch die Kunstadressaten sein.


    H.-P.Haack

    (Überarbeiteter Text 2. April 2011)


    Essentielle Eigenschaften des Kunstwerkes
    in aufsteigender Signifikanz:
    ________________________________________________________________________________________________________


    Kunst versus Natur: Kunst ist Gestaltung, ist immer künstlich. Natürliche Gebilde gelten nicht als Kunstwerke. Ausnahme: Ein zufälliges Objekt, natürlich oder gefertigt, wird mit geringfügigen Zusätzen versehen (Halterung, Rahmen u. ä.) und vom anerkannten Künstler als Kunstwerk präsentiert (Objet trouvé).


    Nutzen: Das Kunstwerk hat keinen Gebrauchswert (Oscar Wilde 1890). Eine Ausnahme macht die Architektur. Kunsthandwerk zählt nicht zu dieser Ausnahme. Kunsthandwerk soll wirken. Der Gebrauch ist hier zweitrangig. Industriedesign ist der Kunst verwandt, bildet jedoch eine eigene Kategorie.


    Akzeptanz: Der Künstler macht mit seinen Arbeiten/Hervorbringungen ein Angebot. Die Rezipienten entscheiden über Kunst oder Nichtkunst, auch wenn diese Bestätigung Zeit braucht.


    Breitenwirkung: Große Kunst befriedigt gleichermaßen schlichte Erwartungen wie hohe Ansprüche. Eine Kunst, die nur von Eingeweihten als solche erkannt wird, wird dem Wesen der Kunst nicht gerecht. Nietzsche und mit ihm Thomas Mann nannten diese Sicht des Künstlers auf sein Publikum „doppelte Optik“. Der Künstler richtet sich an die Anspruchsvollen und die Schlichten gleichermaßen.


    Zeitströmungen: Jede Epoche hat ihre eigenen Erwartungen an die Kunst und ihre Definitionen. So wurde z. B. im christlich geprägten Mittelalter nicht scharf unterschieden zwischen Handwerk und Kunst. Sprachliche Relikte sind Kochkunst und Buchkunst (attraktive Typographie und repräsentative Einbände).


    Beständigkeit: Das Kunstwerk übersteht Trends und Moden, bleibt ästhetisch und ideell wertbeständig.


    Der ästhetische Imperativ: Kunst ästhetisiert. Ihr Anliegen ist, Natürliches an Gestaltung zu übertreffen. (Oscar Wilde 1890: "Der Künstler ist der Schöpfer schöner Dinge.") Eine Kunst, die nicht ästhetisiert, bleibt ephemer.


    Wahrhaftigkeit und Moralität: Die Kunst ist der Wahrheit nicht verpflichtet (Nietzsche: „Der schöne Schein“), auch nicht der Ethik. Kunst ist ein unzuverlässiger Ratgeber.


    Innovationszwang: Der Künstler muss einen originären Stil finden, eine eigene Formensprache entwickeln.


    Form und Inhalt: Form und Gestaltung machen einen Inhalt zum Kunstwerk. Die Vermittlung des bloßen Inhalts ist noch kein Kunst-Ereignis, sondern Sache der Wissenschaft, Reportage, Information, Dokumentation. Und doch sind Theamtik und Gehalt der Impetus, ein Kunstwerkzu schaffen, in Literatur und in der gegenständlichen bildenen kunst. (Siehe unten: Kunstwerk oder Kunststück)


    Ambiguität: Die Kunst akzentuiert Widersprüche, vergleichbar der rhetorischen Figur des Oxymoron. „Zweideutigkeit als System“ (Thomas Mann 1947) ist der Wesenszug großer Kunst. Plakative Aussagen in bildender Kunst oder Dichtung (Literatur) sind ohne Kunstreiz. Mit anderen Worten: Ohne zwiespältige Emotionen keine Kunstwirkung. Kitsch, das Gegenteil von Kunst, ist immer eindeutig, nicht hinterfragbar. Er wiederholt tradierte natürliche Motive (keine abstrakten Themen) auf minderem Niveau. Kitsch bestätigt gemütvoll das bis zum Überdruss Bekannte.




    Vorschlag einer Kunstdefinition


    Kunst ästhetisiert die Antinomien des Lebens, ohne sie aufzulösen. Sie ist geniale Objektivität.




    Was macht den Künstler zum Künstler?

    Antrieb des Künstlers ist die Freude am Gestalten, der kreative Impetus. Zur handwerklichen Meisterschaft kommt, die individuelle, hochpersönliche Art der Formgebung hinzu, die unbeirrt durchgehalten wird. Sie muss für einen hinreichend großen Kreis von Rezipienten ästhetisch konsensfähig sein. Ruhmbedürftigkeit, die den Künstler zu Höchstleistungen treibt, ist ein fördernder Stimulus.

    Zum Naturell des Künstlers

    Zum Wesen des Künstlers gehört Wagemut. Doch Wagemut ist noch keine Kreativität. Und ein weiterer Gedanke: Der Betrachter von Gegenwartskunst soll sich immer bewusst sein, dass der Vollblutkünstler der geistige Bruder des Gauklers ist. Nietzsche meinte: „Was ist der Künstler? Ein Hanswurst“. Thomas Mann lässt den Teufel in seinem Roman „Doktor Faustus“ sagen: „Der Künstler ist der Bruder des Verbrechers und des Verrückten“ (Kapitel XXV). So beeindruckend das Charisma eines Künstlers auch sein mag: Der Künstler ist in der Lage, Scharlatanerie und Ehrfurcht vor der Kunst miteinander zu verbinden (Thomas Mann: Das Wunderkind. Novelle.1903). Fünfzig Jahre später bekräftigt Thomas Mann diese Position: „Denn man weiß ganz genau, daß der Künstler kein moralisches Wesen ist, daß sein Grundtrieb das Spiel ist und nicht die Tugend, ja daß er sich in aller Naivität herausnimmt, mit den Fragestellungen und Antinomien der Moral auch nur dialektisch zu spielen.“ ["Der Künstler und die Gesellschaft" 1953].

    Diese Eigenschaften setzen den Künstler nicht herab. Sie wertet Künstler und Kunstbegriff auf und rechtfertigen die Freiheit der Kunst.

    Kunst versus Dekoration

    Für die bildende Kunst kommt man nicht umhin, sich zu fragen, ob, wenn sie auf Inhalt verzichtet, wie z. B. Werke mit dem Titel „Ohne Titel“, ob diese Arbeiten nicht im Dekorativen stecken bleiben, - selbst wenn sie von Sammlern, auch vom Verfasser dieses Beitrags Museumskuratoren und Kritikern als Kunst gewertet werden. Dekoratives hervorzubringen ist kreativ, aber noch keine künstlerische Leistung.

    Kunstwerk oder Kunststück

    Denn der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist der Anfang und das Ende der Kunst. Man wird zwar nicht leugnen, daß das Genie, das ausgebildete Kunsttalent, durch Behandlung aus allem alles machen und den widerspenstigsten Stoff bezwingen könne. Genau besehen, entsteht aber alsdann immer mehr ein Kunststück als ein Kunstwerk. (Dichtung und Wahrheit, zweiter Teil, siebentes Buch)

    Innerer Gehalt kann Tragik bedeuten, die Ahnung großer Zusammenhänge (etwa in der Lyrik) oder die hintergründige Ambiguität von Tragik und Komik. Thomas Mann hatte angemerkt, dass Tragödie und Posse aus ein und derselben Wurzel kommen. Eine Beleuchtungsdrehung verwandelt die eine in die andere; die Posse ist ein geheimes Trauerspiel, die Tragödie – zuletzt – ein sublimer Jux. (Leiden und Größe Richard Wagners 1933)

    Kunst versus Wissenschaft

    Kreativ sind beide. Die Wissenschaft schafft Wissen, das sich durch Überprüfung bestätigen lässt (z. B. im Experiment) oder das Voraussagen zulässt (Naturgesetze). Die Kunst sucht Wirkung, emotionale Wirkung. Faktisches und Wahrheitsgehalt sind in der Kunst zweitrangig.

    Kunst ist das Gegenteil von Wissenschaft. Wissenschaft fordert höchste Objektivität, Kunst dagegen meint höchste Subjektivität. Sie ist Bekenntnis.

    Wissenschaft will zuverlässig sein. Kunst spielt mit Formen und Motiven, ernst, erhaben, humorvoll oder schaurig. Künstlerische Ironie zeigt zugleich die Kehrseite, dabei häufig offen lassend, welches denn die Kehrseite ist. So kann Kunst in Heiterkeit hintergründigen Ernst oder gar Grauen durchscheinen lassen und in ernsten Sujets kalkulierte Komik. Derartige emotionale Dissonanzen potenzieren Kunstwirkung. Kitsch - Nichtkunst par excellence - ist plakativ und eindeutig. Er evoziert keine Spannung.

    Der anthropologische Aspekt

    Kunst wird in der Menschheitsentwicklung erstmals im Aurignacien sichtbar, vor ca. 40.000 Jahren. In diese archäologische Kulturepoche fällt die Einwanderung des Homo sapiens in Europa. Mit ihm tritt ein neuer Menschtypus auf, der über Abstraktionsvermögen verfügt. Der angestammte Mensch, auf den der Einwanderer traf, der Neandertaler, besaß diese zerebrale Fähigkeit nicht. Abstraktionsvermögen des modernen Menschen schuf aus dem bis dahin vorhandenen Vokabular die Sprache und ließ Kunst entstehen. Erst ca. 30.000 Jahre später, nach Entdeckung des Kalenders (Voraussetzung für Ackerbau und Viehzucht), setzte die technologische Entwicklung ein.