Beiträge von H.-P.Haack

    Hallo Merja,


    vielen Dank für die gescheite Frage, die zudem eine Schlussfolgerung nahe legt!


    Ich kann nur eine indirekte Antwort geben: Fehlen in den antiken Dramen Regie-Anweisungen, dürfte es ihren Verfassern nur um das Sprachkunstwerk gegangen sein. In meiner Bibliothek habe ich eine Übersetzung der Sophokles-Tragödie „König Oedipus“ von Adloph Wagner, dem Onkel Richard Wagners, gedruckt 1813. Regieanweisungen enthält diese Übersetzung nicht.


    Das Primat der Sprache könnte den antiken Autoren so selbstverständlich gewesen sein, dass Aristoteles in seiner „Poetik“ darauf gar nicht eingehen musste.


    H.-P.Haack

    Hallo Maria,


    auf Deine Frage nach dem Zirkuskapitel möchte ich gern mit einer eigenen Datei antworten.

    Die Artisten, insbesondere die Trapezkünstlerin Andromache, machen Felix Krull bewusst, dass er auch ein Künstler ist und kein gewöhnlicher Zuschauer,


    „einer, der sich vom ´Bau´, vom Fach fühlt. Nicht vom circensischem Fach, vom Salto-mortale-Fach, natürlich, konnte ich mich fühlen, aber vom Fach im allgemeineren, vom Fach der Wirkung, der Menschenbeglückung und –bezauberung“.

    T.M.s Hochstaplerroman lässt sich mehreren Romangattungen zuordnen: Er ist nach T.M.s Bekundungen sowohl Schelmenroman wie eine Parodie auf Goethes „Dichtung und Wahrheit“. Für seinen ersten Biographen Eloesser war er eine selbstironische Autobiographie. Wikipedia [Helmut Koopmann?] ordnet das Werk als parodierenden Entwicklungsroman ein.


    Für T.M. war der Künstler mit dem Hochstapler wesensverwandt und umgekehrt. Beider Metier ist der ´schöne Schein´. Felix Krull erkennt in den Artisten seinesgleichen. Das stilistisch Raffinierte dabei ist, dass die [deutsche] Bezeichnung „Künstler“ im Text fehlt, vom Leser jedoch unweigerlich assoziiert wird.


    Mit allen guten Grüßen


    H.-P.Haack

    Abdruck aus meinem Laptop - Bibliothekskatalog:


    Die „Tragödie einer Entwürdigung“ hatte Thomas Mann den“ Tod in Venedig“ im „Lebensabriss“ genannt. Sprachlich erreichen Entschiedenheit und persönliche Prägnanz des Tonfalls hier eine Vollendung, die von Th. Mann nicht wieder überboten worden ist. Die mythologische Tiefenperspektive, die Unterteilung in 5 Kapitel analog den 5 Akten der griechischen Tragödie, der zeitweilig antikisierende Sprachrhythmus (eingangs des 4. Kapitels) geben der Novelle das Gepräge von Klassizität. Es dürfte sich hier um die beste deutsche Prosa handeln, die im 20ten Jahrhundert geschrieben worden ist.


    Mit Entdeckung des Internets, entdeckt als älterer Herr, kann ich früher Geschriebenes an die Öffentlichkeit bringen. Ich hoffe, meine Bemerkungen haben Unterhaltungswert und langweilen nicht. Als Mediziner habe ich keine Chance, von Herausgebern literarischer Periodica als Autor akzeptiert zu werden. Aufrichtigen Dank den Gündern des Klassikerforums!


    H.-P.Haack
    http://www.haack-leipzig.de

    In Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ verheißen die Rheintöchter (Elfen, die im Rhein leben) Alberich (einem Angehöriger des Zwergenvolkes der Nibelungen) die Weltmacht, wenn er das Gold des Rheines ergreift, es zu einem Ring schmiedet und fortan der Liebe entsagt. Unmittelbar davor hatten sie den Zwerg, der hässlich ist, aber noch nicht bösartig, frivol geneckt und seine sexuelle Begierde erregt, ihn dann aber höhnisch verstoßen. Der Gepeinigte greift die Verheißung auf, verflucht die Liebe, schmiedet den Ring und will sich fortan mit uneingeschränkter Macht für die Entbehrung an Liebe schadlos halten. Ein Zwerg hat die Weltmacht an sich gerissen. Die nun folgende Handlung beschreibt den Kampf um den Besitz des Ringes.


    Bis hierhin die tradierte Interpretation. Doch der Ring verleiht keine Macht. Wohl bringt er seinem jeweiligen Träger nur Unglück, denn er ist verflucht worden von seinem Erstbesitzer Alberich. Der Zwerg hatte den Ring verflucht, als er ihm genommen wurde. Aber noch nicht verflucht, konnte der Ring Alberich keineswegs schützen. Alberich wurde überlistet, gefesselt und ausgeraubt. Beeindruckt hatte der Ring nur Alberichs eigenes Volk, die Nibelungen. Die Zwerge hatten die Prophezeihung geglaubt, vor dem Ring staunend gezittert und sich Alberich unterworfen. Alberich kommt durch Trug zur Macht und fällt durch List.


    Dass Wagner den Ring von Anbeginn als wirkungslos konzipiert hat, zeigt das ihm zugeordnete musikalische Motiv. Das Ringmotiv geht hervor aus dem Rheingold-Motiv. Als Gold-Motiv ertönt es klar und strahlend. Zum Ring denaturiert, ist sein musikalischer Ausdruck nicht mehr feierlich, sondern leichtfüßig, schnell und stets in ''piano'' gehalten. In seiner deutlichsten Ausprägung («Das Rheingold», Überleitung zur 2. Szene, noch vor Erprobung der angeblichen Macht des Ringes)


    - setzt das Ringmotiv in piano ein,
    - mit einem verdeutlichenden Wechsel der Tonart und
    - als gebrochener Akkord;
    - für das piano ist ein Leiserwerden vorgeschrieben.


    Der kraftlose musikalische Ausdruck, dessen Klang etwas Verlogenes hat, steht für die Wirkungslosigkeit des Ringes. Wagners künstlerische Aussage: Es gibt keine absolute Macht. Die Dynamik des mythischen Geschehens, das vier Opernabende füllt, beruht auf einer falschen Prophezeiung, die die Rheintöchter in aller Unschuld in die Welt gesetzt haben. Die Götter verfallen diesem Irrtum und gehen zugrunde.


    Der Text formuliert den Irrtum. Der wahre Sachverhalt ertönt aus dem Orchestergraben. Diese Interpretation stellt die tradierte Ring-Rezeption auf den Kopf.


    Das Ringmotiv als Klavierauszug:
    http://de.wikiversity.org/wiki…geschmiedeten_Rheingoldes

    Das Eisenbahnkapitel in "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" enthält einen Entwurf der Kosmogonie. Es habe nicht eine, sondern drei „Urzeugungen“ gegeben: Die Entstehung des Seins aus dem Nichts, die Erweckung des Lebens aus dem Sein und das Hinzukommen von einem Dritten: Das Wissen von Anfang und Ende. Dieses, nur dem Homo sapiens gegebene Wissen, unterscheide ihn von aller Natur, der organischen und dem bloßen Sein. Nach dem gegenwärtigen Stand der paläologisch-anthropologischen Forschung erfährt die Fähigkeit zum abstrakten Denken vor 40.000 Jahren einen sprunghaften und entscheidenden Zuwachs.


    Das Postulat der Entstehung von Materie, Leben und Geist in drei Schritten ist sowohl mit religiösem Empfinden als auch mit einer naturwissenschaftlichen Weltsicht vereinbar. Thomas Mann legt diese Philosophie dem mitteilungsbedürftigen Professor Kuckuck in den Mund, dem er Schopenhauers „Sternenaugen“ verliehen hat. Ein Jahr zuvor hatte T. M. dieses Weltbild bereits unter eigenem Namen vorgestellt ["Lob der Vergänglichkeit", Potempa G. 1119]. Die Begriffe „Geist“ und „abstraktes Denken“ für das Ergebnis der dritten Urzeugung vermeidet Th. Mann aus künstlerischem Kalkül.


    H.P.Haack

    Hallo alpha,


    bin in der Zwischenzeit von Heidelberg, wo ich noch eine Wohnung habe, nach Leipzig gefahren, d. h., meine Frau hat chauffiert.


    Sie haben "Joseph und seine Brüder" erwähnt. Das ist mir Anlass, eine Bemerkung, die eigentlich in den Aufsatz gehört hätte, hier nachzuholen:


    Eine Gegenposition zu den vielen Verfallsgeschichten im Werk T.M.s sind die Josephs-Romane! T.M. hat also nicht nur von Dekadenz und Todesverfallenheit geschrieben. Auch Felix Krull und die kleine Künstlererzählung "Das Wunderkind" sind primär heitere Werke. Aber was heißt ´heitere Werke´! - "Kunst ist ja doch im tiesten Grunde heiter." *


    Gruß
    H.-P.Haack, Leipzig


    * T.M. am 26.10. 1946 an Félix Bertaux (Nachtrag am 21.07.2006)

    Hallo alpha,


    herzlichen Dank für die Antwort! Sie ist nicht vage, sondern fragt konkret, z.B. nach Spannungen zwischen Künstlertum und Repräsentanz.


    Jeder Künstler will repräsentieren, sonst wäre er kein Künstler. Und der Künstler muss an sich glauben. Selbstzweifel an seinem Talent oder seinem schicksalshaften Sendungsauftrag sind mit Künstlertum nicht vereinbar. Unter den Voraussetzungen für künstlerisches Schaffen ist Selbstgewissheit entscheidender als Talent. Denn in jeder Kunstgattung gibt es Qualitätsunterschiede, selbst im Gesamtwerk ein und desselben Künstlers. Dazu gibt es noch Künstler ohne Werk, die sich nur sprechliterarisch interessant verausgaben. `Künstler´, über die man hinter vorgehaltener Hand lacht, und das zurecht. Übrgens: Ein Künstler ohne Werk ist Hitler gewesen, ein gescheiterter und verkommener Künstler.


    Noch zum Naturell des Künstlers: Er ist immer auch ein geistiger Bruder Till Eulenspiegels. Dem echten Künstler sitzt der Schalk im Nacken, auch in der Ehrfurcht und dem heiligen Ernst, die er dem eigenen Werk gegenüber hegt. Klingt paradox, nicht wahr? Ist aber so. In der Kunst sind die Grenzen zwischen Humor und Ernst fließend. In einem seiner Wagner-Essays meinte T.M. sinngemäß, die Kömödie sei bei genauerem Hinsehen ein "geheimes Trauerspiel", die Tragödie ein "sublimer Jux". Nur eine Beleuchtungsdrehung, und aus dem einen wird das andere.


    Mit allen guten Grüßen
    H.-P.Haack

    Hallo Friedrich- Arthur,


    bin gestern beim Stöbern im Klassikerforum auf Ihren Mattheuer-Beitrag gestoßen.


    Mattheuer ist für mich der glaubwürdige Vertreter der inneren Emigration in der DDR. Seine lebensgroße Bronzeplastik "Mann mit Maske" trägt seine Gesichtszüge. Die eine Hand deckt das Gesicht nach der Seite hin mit einer Schafsmaske ab. Die andere Hand ist zur Faust geballt bei gestreckt angelegtem Arm, die Faust leicht nach vorn geführt http://de.wikipedia.org/wiki/B…MattheuerMannMitMaske.jpg).


    Das Davonlaufen aus der DDR hat er mehrfach thematisiert, z. B. mit "Prometheus verlässt das Theater "oder "Das Ende der Aufklärung" (1981).
    http://www.artnet.de/Artists/L…B233464D9760ADE61444898E7.


    "Aufklärung" bedeutete im SED-Jargon, die Angesprochenen vom künftigen Sieg des Sozialismus zu überzeugen. Der wegweisende Arm in der Rumpelkammer auf dem leeren Schrank ist abgebrochen. Die Verheißungen haben sich als hohl erwiesen. Im Hintergrund bleibt der "Mann mit Maske" sich tarnend zurück: Äussere und innere Emigration.




    Herzliche Grüße
    H.-P.Haack

    Selbstkommentar zu meiner Studie über das Schneekapitel in „Der Zauberberg“



    Die Publikation ist das Ergebnis jahrelanger Beschäftigung mit dem Kapitel „Schnee“. T. M. hat es als Dreh- und Angelpunkt für das Verständnis des Romans bezeichnet (was ich inzwischen für die Rechtfertigung des Romanes halte). Kaum ein Kommentar aus der riesigen Sekundärliteratur zu „Der Zauberberg“ lässt Hans Castorps Schneetraum aus.


    Treffen meine Interpretationen ins Schwarze? Offensichtlich ja. Die von mir in der Studie zitierten Zauberberg-Interpreten [Wißkirchen, Neumann, Sprecher] habe ich angeschrieben. Auch Gloystein habe ich auf den Internet-Artikel aufmerksam gemacht. Bleiben Einwände aus, lässt sich das nur als stillschweigende Affirmation deuten.


    Hans-Peter Haack, Leipzig

    Literatur ist ein weites Terrain, mit Gipfeln, Hochebenen, aber auch Abgründen und Sümpfen.


    Anspruchsvolle Literatur wird den Erwartungen der Anspruchsvollen gerecht.


    Ob die persönliche intuitive Wertschätzung konsensfähig ist, zeigt die Rezeptionsgeschichte.


    Ein Kuriosum: Der numerische Gradmesser für literarische Qualität ist der Umfang der Sekundärliteratur, die der literarische Text provoziert.


    Mich spricht vor allem an, wenn hinter der vordergründigen Rahmenhandlung bedeutungsvolle Tiefenperspektiven durchscheinen. Das Lesevergnügen besteht dann in der Freude des Erkennens.


    Also, die Frage nach den Kriterien würde ich auf den Punkt bringen: Ist der Text hintergründig, hat er Tiefenperspektiven? Thomas Manns Verleger S. Fischer soll einmal ein Manuskript abgelehnt haben mit der Begründung: "Hat keine Dämonie!" Thomas Mann hat sich über diesen Kunstinstinkt amüsiert und ihn zugleich bewundert.


    Herzliche Grüße an alle Diskusionsteilnehmer,
    H.-P.Haack, Leipzig.

    Hallo Friedrich-Arthur,


    Herzlichen Dank für die Begrüßung! Ihr Beitrag über T. M. und L.v.Hofmann, auf den ich über Google gestoßen bin, hat mich das Klassikerforum entdecken lassen. Meine Mitteilung ist eigentlich eine Antwort auf Ihr "Selbstgespräch".


    Mit respektvollen und freundlichen Grüßen
    H.-P.Haack

    Zusammenfassung:


    Hans Castorps Schneetraum in Thomas Manns Roman "Der Zauberberg" ist ein Abstieg zum Uranfänglichen, gestaltet in vier mythischen Bildern: Heimat -> paradiesische Gefilde -> antiker Hades -> Natur. Die Natur allegorisieren zwei kinderfressende Hexen. Belegt wird diese Deutung mit einschlägigen Zitaten aus dem Gesamtwerk und den Briefen Thomas Manns.


    Nach seiner Rückkehr vom Hades verabschiedet Hans Castorp (und mit ihm Thomas Mann) seine "Sympathie mit dem Tode".


    -> http://de.wikiversity.org/wiki/Hans_Castorps_Schneetraum.