Beiträge von Hubert

    Hallo Maria,


    leider kenne ich sowohl die Geschichte als auch den Schriftsteller nur dem Namen nach. Es würde mich aber interessieren ob die Story hält, was der Anfang verspricht. Oft ist es ja so, dass einem guten Anfang eine langweilige Geschichte folgt oder umgekehrt. Ein Beispiel fällt mir aber gerade ein, bei dem einem tollen Anfang auch eine sehr interessante Story folgt: „Lolita“, von Vladimir Nabokov. Das Buch beginnt mit einem der besten Romananfänge die ich kenne: „Lolita, Licht meines Lebens, Feuer miener Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Lo.Li.Ta.“
    Kann man einen Roman schöner anfangen?


    Viele Grüße


    Hubert

    Hallo Sonja,


    Zitat:
    Habt ihr bemerkt, dass .... Shakespeare bei seinem "Sturm" auf das Menschenfresseressay zurückgreift?


    Gestern abend habe ich in meiner Shakespeareausgabe einmal nachgesehen und eine Stelle gefunden bei der Shakespeare nicht nur von Montaigne beeinflusst ist, sondern meiner Meinung nach eine Passage aus dem Essay „Über die Menschenfresser“ regelrecht abgeschrieben hat. Im II. Aufzug von „Der Sturm“ sagt Gonzalo:“Hätt ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel – und wäre König hier, was würd ich tun? – Ich wirkte im gemeinen Wesen alles durchs Gegenteil; denn keine Art von Handel erlaubt ich, keinen Namen eines Amts; Gelehrtheit sollte man nicht kennen, Reichtum, Dienst, Armut gäbs nicht, von Vertrag und Erbschaft, Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts, auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Öl, Metall, kein Handwerk, alle Männer müßig, alle; -- In der gemeinsamen Natur sollt alles Frucht bringen ohne Müh und Schweiß, Verrat, Betrug, Schwert, Speer, Geschütz, Notwendigkeit der Waffen gäbs nicht bei mir, es schaffte die Natur von freien Stücken alle Hüll und Fülle, mein schuldlos Volk zu nähren.“ – Genau das gleiche möchte Montaigne im Essay ja an Plato über die brasilianischen Ureinwohner berichten.


    Also nochmals vielen Dank für deinen Hinweis.


    Hubert

    Hallo Schokoflocke,


    vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Deine Ausführungen über „Die Stadt der Blinden“ haben mich neugierig gemacht und ich habe das Buch wieder in meine „Liste der noch zu lesenden Bücher“ aufgenommen.


    Dank + Gruß


    Hubert

    Hallo Schokoflocke,


    herzlich willkommen. Es freut mich, dass Du „Gullivers Reisen“ mitlesen willst. Nun sind wir ja schon zu dritt. Da auch ikarus und Hr.Enderlin schon Interesse bekundet haben (siehe Thread „Jugendklassiker“), sollten wir den beiden noch Gelegenheit geben, sich ev. auch beim Lesevorschlag einzutragen.


    In deinem Lesezirkel habt ihr ja ein sehr anspruchsvolles Programm. Vielleicht kannst Du noch ein paar Sätze zu „Stadt der Blinden“ schreiben. Eine Bekannte hatte mir (als Saramago den Nobelpreis bekam, bin ich auf ihn aufmerksam geworden und wollte dieses Buch lesen) von dem Buch abgeraten, weil darin die Menschen nur in Gut oder Böse eingeteilt wären? – Vielleicht bist Du (oder deine Lesegruppe) ja zu einem anderen Ergebnis gekommen!


    „Oliver Twist“ kannst Du ja mal als neuen Lesevorschlag eintragen. Übrigens gibt es dort schon einen Dickens. Unter dem 30.4.2002: „David Copperfield“. Wäre das eine Alternative, oder kennst Du das schon?


    Mit Hesses „Unterm Rad“ ist es mir beim ersten Lesen ähnlich wie Dir ergangen. „Langweiliger Schülerroman“ war mein erstes Urteil. Nachdem ich inzwischen die Orte von Hesses Schülerzeit in Calw und Maulbronn kennen gelernt hatte, habe ich das Buch letztes Jahr anl. des Hessejubiläums nochmals gelesen und bin zu einem viel positiveren Urteil gekommen. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher ist übrigens auch von Hesse: „Siddharta“!!! - Kennst Du noch andere Hesse-Bücher?


    Liebe Grüsse


    Hubert

    Montaignes Essay über die Kindererziehung ist ein Aufruf gegen Pedantentum, Lernzwang, Bücherwissen und lebensfremdes Studium. Die Abneigung gegen Pedanten, gegen die dieses und das vorherige Kapitel zu Felde ziehen, ist gleichzeitig eine Ablehnung des Spezialistentums. Das vorherige Kapitel („Von der Schulmeisterei“), hatte „jemand gesehen“ und Montaigne gesagt er „hätte sich ein wenig mehr über den Gegenstand der Kindererziehung verbreiten sollen.“ (Sollten die Essais doch nicht so wahllos zusammen gestellt sein?).


    Montaigne erzählt nun in diesem (an die Gräfin von Gurson gerichteten) Kapitel zunächst von seiner eigenen Erziehung. Sein Vater war bei einem Feldzug in Italien mit den Gedanken der Renaissance bekannt geworden und hatte sich in den Kopf gesetzt, seinen Sohn mit Latein als 1. Sprache bekannt zu machen. Auf diese Idee wurde nun das ganze Familienleben abgestellt: mit erstaunlichem Erfolg. Montaigne folgert daraus, dass man das für das Leben Notwendige nicht früh genug erfahren kann und es dann aber selbst erproben muss. Aber das Gegenteil ist der Fall: „Man lehrt uns, zu leben, wenn unser Leben dahin ist. Hundert Scholaren haben sich den Tripper geholt, bevor sie im Aristoteles bis zum Kapitel von der Mäßigung gekommen waren.“


    Nicht der hat seine Lehren gut studiert, der sie auswendig hersagen kann, sondern der, der sie ausübt. Der wahre Spiegel unserer Schulweisheit ist unser Lebenswandel.


    Zum Schluß des Kapitels kommt Montaigne noch auf seine ersten Leseabenteuer zu sprechen: Mit sieben oder acht Jahren stahl er sich von allen Lustbarkeiten hinweg, um sich an den Fabeln von Ovids Metamorphosen zu vergnügen. Aber über seine Erfahrungen mit Bücher erfahren wir sicher mehr im nächsten Kapitel unseres Leseplans: „Über die Bücher“!!!

    Hallo,


    mein Leseplan für den Rest des Jahres ist zweigeteilt:


    zum einen bin ich mindestens noch bis Ende nächsten Jahres mit den Essais von Michel de Montaigne beschäftigt. Da ich mich hier aber mit einem Essay pro Woche begnüge, lese ich parallel dazu nach Gelegenheit noch Romane der Weltliteratur:


    zur Zeit aus aktuellem Anlass: „Die Pest“ des franz. Literatur-Nobelpreisträgers Albert Camus. Analog zum Ausbruch der SARS-Epidemie in Hongkong beschreibt Camus den Ausbruch einer Seuche in der Stadt Oran.


    Ab Pfingsten lese ich dann im Forum zusammen mit Ingrid: „Effi Briest“ von Fontane


    anschliessend ebenfalls im Forum „Alexis Sorbas“


    und ab Herbst voraussichtlich „Die Frau von 30 Jahren“ von Balzac.


    So bleibt noch Zeit für spontane Leseabenteuer in 2003 und das nächste Jahr ist dann aus aktuellem Anlass (100. Bloomsday) James Joyce gewidmet.


    Übrigens sind sowohl bei den Essais, als auch bei den Romanen weitere MitleserInnen herzlich willkommen.


    Liebe Grüße


    Hubert

    Sonntag, 18.5.2003, 20.40 Uhr auf ARTE:


    Der beste Krimi der Weltliteratur
    („Die Brüder Karamasow“ von Dostojewskij)


    in Hollywood von Richard Brooks verfilmt mit Yul Brynner als Dimitri und der zauberhaften, damals 30-jährigen Maria Schell als Gruschenka. Eine der besten Literaturverfilmungen die ich kenne.


    Prädikat: Auf keinen Fall verpassen!!


    Ein schönes Wochenende


    Hubert

    Im Alter von 30 Jahren lernt eine unglücklich verheiratete Pariserin einen Diplomaten kennen, und es kommt, wie es kommen muß. Der Roman erschien bereits 1834 und steht somit am Beginn einer Reihe, die über „Madame Bovary“ (1856) und „Anna Karenina“ (1873-76) zu „Effi Briest“ (1894/95) führt. Rolf Vollmann schrieb in seinem Roman-Navigator über dieses Buch: „....wir bewegen uns da hart an den Grenzen der Kolportage, aber wir tun es mit Lust ....wir brauchen kein andres gutes Gewissen als das, das uns das über alle Bedenken hinwegreißende Erzählfeuer Balzacs gibt, und sind in den anständigen Grenzen der Kunst, fürs erste ganz und gar und solang das Buch dauert die glücklichsten aller lesenden Menschen ...“


    Wer hat Lust ab Herbst dieses Buch zu lesen?

    Hallo Adia,


    mit „Vater Goriot“ hast Du wahrscheinlich schon den besten Roman der „Menschlichen Komödie“ gelesen. Aber auch die anderen Romane von Balzac sind lesenswert. Der bekannteste ist vielleicht „Verlorene Illusionen“. Ich habe jedenfalls noch keinen Franzosen getroffen, der die Geschichte des Dichters Lucien nicht kannte. Dieser kommt im Roman aus der Provinz nach Paris, um dort sein Glück zu machen. Zunächst hat er auch Erfolg, aber ... (Nun ich will die Story nicht vorweg nehmen). Interessant ist auch, dass dieser Roman autobiografische Details enthält.


    Ein anderer Vorschlag wäre: „Die Frau von dreissig Jahren“. Diesen Roman will ich auch schon lange lesen, komme aber vor Herbst nicht dazu (im Sommer bin ich mit „Effi Briest“ und „Alexis Sorbas“ schon ausgebucht). Wenn Du den Sommer mit „Verlorenen Illusionen“ verbringst, könnten wir uns ab Herbst gemeinsam mit der „Frau von dreissig Jahren“ beschäftigen. Ich habe das Buch schon mal in die Lesevorschläge aufgenommen.


    Liebe Grüße


    Hubert

    Hallo zusammen,


    ich habe inzwischen mit dem nächsten Essay begonnen: „Über die Kindererziehung“ und – bin begeistert. Dieses Kapitel sollte zur Pflichtlektüre für alle Eltern und für alle Lehrer erhoben werden. Man ahnt, was eine Erziehung im Sinne Montaignes aus einem hätte machen können, oder doch nicht? Ist dies überhaupt durchführbar?


    Übrigens habe ich einen genauen Leseplan für die erste Staffel in „Gemeinsames Lesen –Chronik“ eingestellt.


    Liebe Grüsse


    Hubert

    Leseplan für die erste Staffel:


    Bis 11.05.2003: „Von den Menschenfressern“ (1. Buch, 31. Kapitel)
    Bis 18.05.2003: „Über die Kindererziehung“ (1. Buch, 26. Kapitel)
    Bis 25.05.2003: „Über die Bücher“ (2. Buch, 10. Kapitel)
    Bis 01.06.2003: „Über den Dünkel“ (2. Buch, 17. Kapitel)
    Bis 08.06.2003: „Von der Reue“ (3. Buch, 2. Kapitel)


    Natürlich soll hier kein Lesetempo vorgeschrieben werden, aber eine gemeinsame Lektüre fördert eine gemeinsame Diskussion.

    Hallo Steffi,


    die Joyce-Pause sei Dir gerne gegönnt. In meinem Lesevorschlag habe ich die „Dubliner“ ja erst für das Jahr 2004 vorgeschlagen.


    Gruß


    Hubert

    Hallo Sonja,


    herzlich willkommen als Mitleserin der Essais.


    Zitat:
    finde es aber seltsam, dass ihr nicht mit dem ersten Essay angefangen habt, sondern mit dem Menschenfresseressay
    .


    Wir wollten uns zuerst mal einen Überblick über die Essais verschaffen und haben deshalb für die erste Lesestaffel fünf, meiner Meinung nach, sehr unterschiedliche Essais ausgesucht. Ich werde auf jeden Fall weiterlesen und wenn Du Lust hast könnten wir nach dieser ersten Staffel ja von vorne beginnen. Bei einem Tempo von einem Essay pro Woche, haben wir dann ja Stoff für die nächsten zwei Jahre und man kann nebenbei immer wieder einen Roman etc. lesen. Bei mir steht ab Pfingsten „Effi Briest“ und anschließend „Alexis Sorbas“ auf dem Programm.


    Zitat:
    Habt ihr bemerkt, dass dieses Essay von Tacitus beeinflusst ist


    Direkt aufgefallen war mir das nicht, aber ich denke Du hast recht: So wie der römische Historiker Tacitus in seiner „Germania“ das einfache Leben der germannischen Barbaren seinen römischen Zeitgenossen als Vorbild schildert, so schildert Montaigne das Leben der brasilianischen Indios als Vorbild für seine franz. Zeitgenossen. – Und da Latein ja die erste Sprache von Montaigne war, hat er Tacitus sicher gelesen.


    Zitat:
    dass Shakespeare bei seinem "Sturm" auf das Menschenfresseressay zurückgreift?


    Zwar habe ich „Der Sturm“ von Shakespeare schon in verschiedenen Inszenierungen gesehen, habe den Zusammenhang zu Montaigne aber nicht unmittelbar erkannt. Ist auch schon ne Weile her. Vielleicht kannst Du mir da auf die Sprünge helfen??


    Gruß


    Hubert

    Hallo Ingrid,


    ich bin Deinem Fernseh-Tipp gefolgt und muß sagen: Es hat sich gelohnt!
    "Oh brother, where art thou?" ist eine witzige Komödie (Besonders die Sprüche von Babyface Nelson: "Komm Jungs, wir holen den Rekord: drei Banken in zwei Stunden") mit vielen tollen Songs - und die Story hat mit der Odyssee mindestens soviel zu tun, als Ulysses von Joyce. Also vielen Dank und


    liebe Grüsse


    Hubert

    Hallo Elfenkönigin,


    hoffentlich hast Du genau so viel Freude an Montaigne wie ich? Gestern abend habe ich nochmals das Ende der „Menschenfresser“ gelesen.


    Zitat: sie (die brasilianischen Indios) sagten, sie hätten es ..seltsam gefunden, dass so viele große Männer, bärtig, stark und bewaffnet ... sich herabließen, einem Kind (dem 12-jährigen König Karl IX) zu gehorchen, und dass man nicht eher einen von ihnen wählte, um den Befehl zu führen ..... und finden es wunderlich wie Menschen von Armut und Hunger ausgemergelt es ertragen könnten, dass es ... mit allen Annehmlichkeiten gesättigte Menschen gebe .. und dass sie nicht diesen an die Gurgel gingen.


    Ich frage mich nun die ganze Zeit, ob die Brasilianer das wirklich gesagt haben, oder ob Montaigne hier die „Menschenfresser“ nur vorschiebt, um seine eigene Kritik an den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen seiner Zeit zu äußern. Wie denkst Du darüber?


    Viele Grüße


    Hubert

    vorab mal meine Spontan-Antwort zu folgenden Äußerungen, da brauch ich nämlich jetzt nicht lange überlegen *ggg*:


    Für mich als Internet-Laie: Was bedeutet eigentlich *ggg*?


    Viele Grüße


    Hubert

    Hallo Maria,


    sorry, für mein unvollständiges Statement von gestern abend. Aber nach drei Tagen ohne Internet musste ich spontan antworten. Hier der Rest:


    Zitat: Mir hat es gefallen, daß hier mal von Joyce eine weibliche Szene dargestellt wurde.
    Was meinst du?
    (zu „Eveline“)


    Du hast an anderer Stelle geschrieben (und absolut richtig erkannt): „Mir scheint Joyce verfolgt gerne einer Schematik in seinen Werken.“ – Genau das trifft hier auch zu: So wie Jimmy in „Nach dem Rennen“ für den männlichen, unverheirateten Jugenlichen steht, repräsentiert Eveline die weibliche, unverheiratete Jugenliche und dem männlichen, unverheirateten Erwachsenen Mr. James Duffy in „Ein betrüblicher Fall“ steht Maria als weibliche, unverheiratete Erwachsene in „Erde“ gegenüber.


    Zitat: Auf der anderen Seite haben die Irländer einen Anhang zu Dramatik und Trauer, das merkt man schon in ihren Volkslieder - kaum ein Happy-End


    Leider bin ich kein großer Kenner der irischen Folklore – aber bei meinen bisherigen Besuchen von irischen Pubs hatte ich (wenn Live-Musik) einen anderen Eindruck. Aber ich will noch meine Plattensammlung befragen.


    Zitat: Hunter? ein Jäger ist er in meinen Augen nicht. Bloom wirkt weicher und nachgebiger, vielleicht auch nicht so recht lebensfähig für die harte Welt. Aber vielleicht wären die Geschichten in Ulysses anders geworden, wenn Joyce bei Namen „Hunter“ geblieben wäre? Vielleicht ....
    Namen sagen doch auch viel aus.


    Du hast wieder ins Schwarze getroffen. – ich denke, da der Jude sich letzendlich anders entwickelte, als ursprünglich geplant, hat ihn Joyce richtigerweise auch umgetauft.


    Zitat: Auch die Worte „Paralyse“, „Gnomon“ und „Simonie“ waren in der Ur-Erzählung noch nicht enthalten.
    "Gnomon". Das war ein Stab zur Zeitmessung (Schattenmessung). Ereignisse werfen seine Schatten voraus für künftiges? oder die Zeit läuft ab?


    Ich denke der Schattenstab (Gnomon) steht für einen „Schatten“ aus der Vergangenheit, der über der Gegenwart liegt, oder ein „Schatten“ aus der Gegenwart, liegt über der Zukunft.


    Paralyse löst auch auch so ein negative Gefühl aus: vollständige Lähmung.


    Irgendwo bei Joyce (ich glaube im Fragment „Stephen Hero“) habe ich mal den Begriff der „geistigen Paralyse“ gefunden.


    Simonie? Handel mit geistlichen Sachen bzw. Kirchenämter, Sakramenten usw. Wie paßt das rein?


    Ich denke, Joyce verwendet „Simonie“ für den Versuch eigentlich nicht käufliches (Anerkennung, Freundschaft, Liebe, Seelenheil), mit Geld zu erwerben.


    Meine Theorie ist nun folgende:
    Das 1905 entstandene Konzept sah 12 Erzählungen in 4 Gruppen mit je 3 Geschichten vor. Joyce hat nun in jeder Gruppe (Kindheit, Jugend ...) eine Erzählung genommen bei der „ein Schatten aus der Vergangenheit ....“, eine Erzählung bei der „geistige Paralyse“ und eine Erzählung bei der „Simonie“ der Grund für die Hoffnungslosigkeit ist.


    Eine gewagte Theorie? – Aber wie Du geschrieben hast: „Mir scheint Joyce verfolgt gerne einer Schematik in seinen Werken.“!!!


    Ich konnte eigentlich jeder Erzählung eines dieser „Schlüsselworte“ zuordnen, bin mir aber nicht sicher, ob ich da zuviel reininterpretiere. Deshalb will ich mein Ergebnis noch nicht verraten, sondern bin gespannt, ob Du zum gleichen Ergebnis kommst. Damit aber klar wird, was ich meine, drei Beispiele:


    In der Kindheitserzählung „Die Schwestern“ liegt der zerbrochene Kelch als "Schatten aus der Vergangenheit" über Pater Flynn und wird vermutlich auch den Jungen verfolgen.


    In der Jugend-Erzählung „Eveline“ hat das Mädchen die Möglichkeit mit Frank ihre Sehnsucht zu erfüllen, aber die Heimat und das Elternhaus bedrückt sie und "lähmt" ihre Lebenskräfte.


    In „Gnade“ versucht Pater Purdon nicht die „Sünder“ zu bessern, sondern erklärt, dass auch "durch Geld, Seelenheil erworben" werden kann. Übrigens ist der Name des Paters sprechend (Purdon Street = Dubliner Bordellstraße) und zeigt die „Prostitution“ des Paters auf.



    Zitat: Der letzte Satz in "Die Toten" bringt mich darauf:


    Langsam schwand seine Seele, während er den Schnee still durch das All fallen hörte, und still fiel er, der Herabkunft ihrer letzten Stunde gleich, auf alle Lebenden und Toten.


    Für mich ist dieser letzte Satz aus „Dubliner“ ein Satz, zum nieder knien.


    Was Du über diese letzte Erzählung geschrieben hast, hat mir sehr gut gefallen. Von meiner Theorie zu dieser Erzählung - ein ander mal.


    Da auch Steffi (Zitat: „Da muss ich ja wohl die Dubliner auch lesen!“) und Ikarus (Zitat: Auf meinem SUB liegen die Dubliner jedenfalls auch schon“) Interesse an „Dubliner“ bekundet haben, habe ich das Buch in die Lesevorschläge aufgenommen. Ich rechne dabei auch noch mal mit Dir. Oder denkst Du, dass man Dubliner nicht zweimal lesen kann?


    Allerdings hatte ich auch bei „Effi Briest“ mit Dir gerechnet!


    Zitat: ich lese Fontane auch sehr gern. "Jenny Treibel" und "Jenseit des Tweed" sind meine Lieblingsbücher von ihm. Es gibt auch noch einige die ich lesen möchte .... ????


    Viele Grüße


    Hubert

    Hallo Sandhofer,


    Zitat: In diesem Fall ist es der Gedanke der (religiösen) Toleranz, den ich - ausgehend von Lessings "Nathan der Weise" - zurückverfolge. Montaigne lag da natürlich ebenso auf meinem Weg wie Voltaire & Co., Morus' "Utopia" u.ä. Unterdessen aber bin ich bei den Theologen und Mystikern des Mittelalters und überlege mir, ob es lohnt, die alten römischen Juristen zu studieren....


    Tolles Thema. Willst Du Deine Ergebnisse veröffentlichen – oder ist es „just for fun“.? Bist Du auch auf Maimonides gestoßen?


    Viele Grüßé


    Hubert

    Hallo Maria,


    vielen Dank für Deine ausführliche Antwort zu den „Dubliner“.


    Zitat:
    Darüber hinaus scheint mir aber ein Motto über dem ganzen Buch zu liegen, dass man auch jeder einzelnen Erzählung voranstellen könnte. - ? ? ? - Der Schlüssel dazu ist meiner Meinung nach auf der 1. Seite der „Dubliner“ zu finden und hat auch mit der 1. Frage zu tun.
    Kannst du deine Gedanken näher erklären?


    Bevor Joyce „Dubliner“ veröffentlichte, waren einzelne dieser Erzählungen bereits in Zeitungen erschienen. Darunter auch „Die Schwestern“. Ich habe beim Vergleich der Ur-Erzählung mit der Dubliner-Erzählung festgestellt, dass Joyce zwar den Inhalt der Erzählung kaum verändert hat, aber für das Buch einen anderen Anfang gewählt hat. Meine Idee war nun, dass der Erzählungsbeginn: „Es gab keine Hoffnung ....“ nicht nur der Beginn von „Die Schwestern“ ist, sondern als Motto des ganzen Buches dient. Meiner Meinung nach könnte jede dieser Erzählungen mit den Worten „Es gab keine Hoffnung .....“ beginnen.


    Ist das für Dich nachvollziehbar?


    Möglicherweise wollte Joyce mit diesen Erzählungen den Entschluß Irland verlassen zu haben, vor sich selbst oder vor seiner Frau Nora nachträglich rechtfertigen. Irland: Es gab keine Hoffnung ...


    Auch die Worte „Paralyse“, „Gnomon“ und „Simonie“ waren in der Ur-Erzählung noch nicht enthalten. Übrigens habe ich auch dazu eine Theorie.


    Zitat:
    - Wird Dublin umfassend und realistisch dargestellt?
    Die meisten meiner damaligen Mitleser waren dieser Meinung. Mir fehlte aber vieles wofür Irland bekannt ist:. Irische Gastfreundschaft, Irische Folklore usw. – meiner Meinung nach hat Joyce alles Positive ausgeklammert. In welcher Geschichte gibt es echte Liebe, Hoffnung auf die Zukunft oder ähnliches. Gab es so was nicht in Dublin? Habe ich das Überlesen? (Ich denke aber, dass J.J davon mit voller Absicht nichts erwähnt hat.)


    Wenn meine obige Theorie richtig ist, wäre das auch die Erklärung für die einseitige Darstellung Irlands. Sich selbst nicht an die schönen Seiten erinnern – das hilft Heimweh vermeiden.


    Zitat:
    - Geht Eveline am Ende der gleichnamigen Erzählung mit Frank auf das Schiff?
    ich bleibe nun doch bei einem "nein". Eveline war noch nicht soweit, ihren Vater und ihre Geschwister zuverlassen.
    Eveline hatte es ja nicht besonders gut zuhause und fühlte sich wie eingesperrt und doch - es ist ihre einzige Familie die sie kennt. Mit Frank hätte sie das erst aufbauen müssen und dafür war sie meines Erachtens noch nicht bereit. Ich glaube dieses Gefühl kennen wir alle, diesen Schritt hinaus, die doch oft unsicher ausfallen.
    Sie ist ja hinter dem Eisengitter am Kai, buchstäblich und auch sinnbildlich.


    Genau so habe ich das auch gesehen und konnte nicht glauben dass andere in meiner damaligen Lesegruppe, das anders sahen. Deshalb wollte ich erst Deine Meinung dazu hören, bevor ich über meine Theorie mit dem allgemeinen Motte sprach – denn auch hier gilt: Es gab keine Hoffnung ... für Eveline.


    Einen schönen Sonntag wünscht Dir


    Hubert

    Nachdem ich den ersten Beitrag in unserem Leseplan durch habe, bin ich überrascht wie leicht und interessant sich doch diese Literatur aus dem 16. Jahrh.!! heute noch liest. Was war den zu dieser Zeit in Deutschland modern? Ich glaube: Hans Sachs mit seinen Fastnachtspielen – und wer kann damit heute noch etwas anfangen. Also Frankreich war uns damals sicherlich voraus?

    Montaigne hat seinen Essay „Von den Menschenfressern“ dazu benutzt, zu dem damals auch in der Reiseliteratur behandelten Thema des „edlen Wilden“ Stellung zu nehmen. Bei den neu entdeckten Naturmenschen in Nord- und Südamerika hatte man entdeckt, das es möglich ist, bedürfnislos und zufrieden ein paradiesisches Dasein zu führen. Der alte Menschheitstraum vom Paradies war plötzlich Wirklichkeit? – Montaigne verknüpft mit diesem Gedanken, seine Kulturkritik. Zunächst zählt er alles auf, was sich positives über diese „Menschenfresser“ sagen lässt: da es kein Privateigentum gibt, fehlt der Geiz und der Neid; durch ihren sittlichen Instinkt braucht es keine Sittenlehre; ihre Kriegsführung ist ehrenvoll, ihre Poesie zu rühmen. Den Kannibalismus findet er barbarisch im Hinblick auf die Vorschriften der Vernunft, aber nicht im Hinblick auf uns selbst. Wie kann ein Volk bei dem Folterungen und Hexenverbrennungen an der Tagesordnung sind, Totenverspeisung aus kultischen Beweggründen verurteilen. Was hätte Montaigne zu einem Volk gesagt, das anderen Völkern Demokratie bringen will, in dessen eigenem Land aber immer noch Menschen mit anderer Hautfarbe unterpriviligiert sind, die Kluft zwischen Reichen und Armen immer größer wird und die Todesstrafe praktiziert wird.?


    1559 war Montaigne als Parlamentsrat in Bordeaux mehrmals in dienstlichem Auftrag an den Hof nach Paris gereist und begab sich 1562 mit dem königlichen Heere nach Rouen, wo er die Eroberung der Stadt, die im Besitz der Hugenotten war, mit erlebte. Dort traf er auch einen brasilianischen König (Häuptling), dessen einziges Privileg es war, im Kriegsfall voranzugehen. Dieser Brasilianer wundert sich, dass erwachsene Männer einem Kind gehorchen (König Karl IX., war damals erst 12 Jahre alt und stand noch unter der Regentschaft seiner Mutter Katharina von Medici) und nicht einen von ihnen wählen, um den Befehl zu führen. Ebenso wundern sich die Brasilianer, dass es in Europa Menchen gibt die im Überfluß leben während andere von Hunger und Armut ausgemergelt sind. Aber was zählt die Meinung der „Menschenfresser“, sie tragen ja noch nicht einmal Hosen, schließt Montaigne seinen Essay mit einer satirischen Bemerkung.