Beiträge von Hubert

    Hallo Sandhofer,


    Zitat:
    Wenn Montaigne noch das rund 200 Jahre alte 'Decamerone' als zeitgenössisch empfunden hat


    Zwar ist „Il Decameron“ um 1350 entstanden (also 230 Jahre vor Erscheinen der „Essais“), aber wenn der italienische Erstdruck 1470 erfolgte, so dauerte es sicher noch Jahrzehnte bis das Buch ins französische übersetzt und in Frankreich gedruckt und verbreitet war. Es könnte schon sein, dass es für Montaigne eine moderne Neuerscheinung gewesen ist.


    Gruß


    Hubert

    Hallo kang bondet!


    Von Maxim Gorki kenne ich als Roman nur „Die Mutter“ und da habe ich die Titelheldin Pelagea Wlassowa, die sich zur Revolutionärin wandelt nicht als realistische Schilderung einer Figur des Volkes empfunden, sondern als weltfremde Wunschvorstellung. Die Revolution in die Fabriken tragen ...., daran sind auch die 68er gescheitert. Hat der „Sozialistische Realismus“ wirklich viel mit Realismus zu tun? (wozu dann das Beiwort?)
    Allerdings die Dramen von Maxim Gorki haben mich immer begeistert: „Nachtasyl“ und noch mehr „Sommergäste“. Nicht jeder gute Dramatiker ist aber auch ein guter Epiker? Vielleicht gibst Du ja deine Eindrücke vom „Einsiedler“ kurz bekannt.


    Ich war der Meinung, dass Du dich über „Madame Bovary“ austauschen wolltest? Also, was ist Deine Meinung zur Ehe von Charles und Emma?


    Es wundert mich, dass Dir die Naturschilderungen nicht so liegen. Eine japanische Bekannte hat mir mal erzählt, dass besonders Storm und Fontane wegen ihrer Naturschilderungen in Japan (und ganz Südostasien, soweit dort bekannt) beliebt seien. Gibt es große Unterschiede in der Mentalität zwischen Japanern und Indonesiern? (Du bist doch aus Indonesien?) Beides sind ja Inselvölker, aber ich bin mir natürlich bewusst, dass ich wieder europäisch, verkürzt, verallgemeinernt denke.


    Ciao


    Hubert

    Klassiker in 500 Jahren?


    In seinem 1580 zum ersten Mal erschienenen Essay „Über die Bücher“ nennt Montaigne nur drei unterhaltende Bücher der damaligen Moderne die, „des Verweilens würdig“ sind. Zwei davon:


    - „Das Dekameron“ von Giovanni Boccaccio (ital. Erstdruck: Venedig 1470; franz. ED: ?)
    - “Gargantua und Pantagruel” von Francois Rabelais (Erstdruck: 1532 Lyon)


    sind auch heute noch bekannte und gelesene Literaturklassiker und (ich wage die Vorhersage) werden es auch noch in hundert Jahren sein. Bei den „100 Büchern der Weltliteratur“ der „ZEIT“-Liste nehmen sie in der chronologischen Reihenfolge die Plätze 13 und 15 ein, während die „Essais“ von Montaigne auf Platz 16 (der chronologischen Reihenfolge) direkt folgen. Diese Urteilsgenauigkeit von Montaigne hat mich so beeindruckt, dass ich mich frage, ob wir heute in der Lage wären, aus der Literatur des 20. Jahrhunderts, 2-3 Werke zu nennen, die in 500 Jahren noch gelesen werden. Wenn wir es auch nicht mehr überprüfen können (ich hätte sonst einen Preis für den Sieger ausgesetzt), wäre es doch spannend aus der Belletristik des 20. Jahrhunderts, die Bücher zu nennen, denen wir zutrauen, in 400 – 500 Jahren noch gelesen zu werden.


    Viele Grüße


    Hubert (der sehr gespannt auf eure Nominierungen ist)

    Montaigne: Über die Bücher


    Hätte es das Internet schon 500 Jahre früher gegeben, Montaigne wäre sicherlich Mitglied im Klassikerforum geworden. Kaum je greift er nach zeitgenössischer Literatur, weil ihm „die alten (Klassiker) mehr Kraft und Fülle zu haben scheinen. Klassiker das waren für Montaigne:


    1. Plutarch (vor allem die kleinen Schriften) und Seneca (die Briefe)


    Montaignes Urteil:
    Plutarch folgt den platonischen Anschauungen, Seneca den stoischen und epikuräischen; Plutarch ist überall freimütig, Seneca ist voll geistreicher Wendungen.
    Neben diesen beiden „dünkt ihm die Schreibweise von Ciceros Werken (Montaigne liest insbesondere die Werke, die von der Moralphilosophie handeln) langweilig“ und „die Gesprächskünste Platos schleppend“


    2. Die Geschichtsschreiber Diogenes Laertius und Sallust (dessen Sprachreinheit Montaigne noch über die Ciceros stellt.)

    3. Die Komödienschreiber Plautus und Terenz (wobei nach Montaigne Terenz höher steht als Plautus:. „Terenz, die Zierde der lateinischen Sprache ist bewundernswert in der Schilderung der Seelenregungen und der Sitten“.)


    4. „In der Dichtkunst nehmen Vergil, Lukrez, Catull und Horaz (für Montaigne) bei weitem den höchsten Rang ein“ – vor allem Virgils „Georgica“, hält Montaigne für das vollendestste Werk der Dichtkunst – und in der Aeneis das fünfte (eher ruhige) Buch für das vollkommenste.


    Am Beispiel von Vergils Aeneis und Ariosts L’Orlando Furioso macht Montaigne den Unterschied zwischen Klassikern und (damaliger) zeitgenössischer Literatur deutlich:


    „Jenen (Vergil) sehen wir auf starken Schwingen in hohem und festem Fluge immerfort auf sein Ziel zustreben; diesen (Ariost) von einer Erzählung zur andern wie von Ast zu Ast flattern und hüpfen, als traute er der Stärke seiner Flügel nur für eine kurze Strecke, ...“.


    Montaignes Meinung zur beliebtesten Literaturgattung des 20. Jahrhundert, der „short story“ würde mich schon interessieren?


    An Ariost findet Montaigne aber als Erwachsener keinen Spaß mehr und die Amadisromane (damals Dauerbrenner auf den –noch nicht vorhandenen- Bestsellerlisten) hatten ihn nicht einmal in seinen Kinderjahren anzuziehen vermocht. An zeitgenössischer Literatur findet Montaigne nur „den Decamerone des Boccaccio, den Rabelais und die Basia des Johannes Secundus, ..., des Verweilens würdig.“


    Während Johannes Secundus „Basia“ (Küsse) noch zu Goethes Lieblingslektüre zählte, gehört Boccaccio und Rabelais auch heute noch zu den bekannten Literaturklassikern. Hingegen kennt man den „Rasenden Roland“ von Ariost und die Amadisromane heute höchstens noch dadurch, dass sie den 25 Jahre nach den Essais auf der Literaturbühne erschienenen „Don Quixote“ in den Wahnsinn trieben und im sechsten? Kapitel des gleichnamigen Klassikers verbrannt werden. Aber gelesen werden sie heute eigentlich nicht mehr.


    Würde es uns heute auch gelingen, aus der zeitgenössischen Literatur, Klassiker für die nächsten 400 und mehr Jahre vorherzusagen?!!!?

    Hallo Sandhofer,


    Zitat: Ich bin der erste, der zugibt, dass May immens viel Quatsch geschrieben hat.


    Natürlich hat May viel Quatsch geschrieben, aber wie ich schon mal sagte, einen Schriftsteller darf man nicht nach seinen schlechten Werken beurteilen, sondern nach seinen Besten. – und May war sich zumindest bewusst, dass er z.T. schlechte Literatur schrieb – aber ... „er war jung und brauchte das Geld“.


    Ob sich aber Thomas Mann (ich als Thomas Mann-Fan darf das sagen), immer bewusst war, welchen Quatsch er manchmal zu Papier brachte (siehe Tagebücher) bezweifle ich. Übrigens kenne ich keinen! Schriftsteller der auch nur annähernd so viel veröffentlichte wie May und immer ein hohes Niveau hielt.


    Grüße


    Hubert

    Hallo Sandhofer,


    Zitat:
    Als Klassiker des Kriminalromans sind noch die Bücher Agatha Christies, Patricia Highsmiths, George Simenons und Edgar Wallaces zu nennen. Wobei ich beim letztgenannten finde: kennt man ein Buch - kennt man alle. Ist aber nur meine persönliche Meinung.


    Klassiker des Krimis: okay; Klassiker der Literatur: meiner persönlichen Meinung nach: Nein -- ?


    Das „Nein“ bezog sich nur auf die vier im Zitat genannten und war ja auch hier mit einem Fragezeichen versehen, d.h. auch bei den ersten drei, also sogar bei Agatha Christie lasse ich mit mir reden, bei dem letztgenannten bleibt es aber beim Nein!


    Aber, dass E.T.A. Hoffmann und E.A.Poe Literaturklassiker sind: keine Frage!


    Grüße


    Hubert

    Zitat: Was sollte ich in nächster Zeit unbedingt mal lesen ? Zeitgenössisch vielleicht so im Sinne der letzten 50 Jahre


    Hallo Steffi


    Neben den fünf Giganten der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit (Böll, Grass, Walser für Deutschland, Frisch für die Schweiz und Thomas Bernhard für Österreich) von denen man zumindest einiges kennen sollte; Empfehlung: Bölls „Gruppenbild mit Dame“ und „Ansichten eines Clowns“ sowie Grass „Das Treffen in Telgte“ (aber vorher „Grimmelshausen“ lesen) sollte man zumindest folgende drei modernen Klassiker der deutschen Nachkriegsliteratur kennen:


    1. „Das Parfum“ von Patrick Süskind (1985)
    2. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ (1983) von Sten Nadolny
    3. „Der Vorleser“ (1995) von Bernhard Schlink


    Diese Bücher werden aber von jedem empfohlen, deshalb hier mein persönlicher Geheimtip:


    1, Wolfgang Koeppen: „Tauben im Gras“ (das Buch zeigt dem Leser im Stil von DosPassos „Manhattan Transfer“ einen Nachkriegstag in München; es dauert etwas bis man die filmschnittartigen Szenen zu einem ganzen zusammen fügen kann, aber dann lässt einem das Buch nicht mehr los)


    2. Wolfgang Koeppen: „Das Treibhaus“ (erzählt das persönliche Schicksal eines Bonner Politikers der Adenauer-Zeit und zeigt lt. Umschlagstext „was Koeppen von Politik hält. Sie ist ein Geschäft, und wer sich nicht an die Regeln hält ist verloren.“)


    3. Wolfgang Koeppen: „Der Tod in Rom“ (demonstriert lt. Umschlagstext die Vitalität des Faschismus noch lange nach 1945 durch die Geschichte einer Handvoll Menschen, die in Rom zusammentreffen. Erinnern und Vergessen sind gleichermaßen verhängnisvoll)


    Jeder der drei Romane zwischen 180 und 210 Seiten und zwischen EUR 7 und 8 in der Taschenbuchausgabe.


    Da Koeppen ein Meister des ersten Satzes ist, habe ich (auch um Dich neugierig zu machen) die Anfänge im Thread „Romananfänge“ wiedergegeben.


    Viele Grüße


    Hubert

    Meine Lieblings-Romananfänge z.Zt (da das Leseerlebnis noch frisch ist):


    „Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. Der Lärm der Motoren war Donner, war Hagel, war Sturm. .... Öl aus den Adern der Erde, Steinöl, Quallenblut, .... Krieg um Öl, Verschärfung im Konflikt ... Flugzeugträger im Persischen Golf. Das Öl hielt die Flieger am Himmel“


    aus dem Prolog zu „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen (toll wie Koeppen die Gegenwart mit alten Mythen – Odysee - verbindet - - und sehr modern, wenn man bedenkt das es in den 50er Jahren geschrieben wurde)


    „Er reiste im Schutz der Immunität, denn er war nicht auf frischer Tat ertappt worden.“


    Ein Satz (der erste) aus „Das Treibhaus“ von Wolfgang Koeppen und schon ist man mitten im Geschehen.


    Es war einmal eine Zeit, da hatten Götter in der Stadt gewohnt. Jetzt liegt Raffael im Pantheon begraben, ein Halbgott noch, ein Glückskind Apolls, doch wie traurig, was später sich ihm an Leichnamen gesellte ...


    Der Anfang von „Der Tod in Rom“ von Wolfgang Koeppen


    ikarus: Vielen Dank für den tollen Link


    Viele Grüße


    Hubert

    Hallo ikarus,


    Zitat:
    ". Die Frage, ob man den Roman "Schuld Und Sühne" als Kriminalroman bezeichnen kann ist wirklich sehr strittig. Thomas Mann bezeichnete ihn allerdings auch als "besten Kriminalroman der Weltliteratur


    was nur beweist, dass nicht jeder der gute Literatur hervorbringt, sich auch gut in der Literaturwissenschaft auskennt. Im Ernst: wenn man Dostojewskij zum Schreiber von Kriminalromanen degradieren will, dann wären sicher, wie Sandhofer schon bemerkte, „Die Brüder Karamasov“ das bessere Beispiel - und das bessere Buch. Noch ernster: Es gibt einen Unterschied zwischen Kriminalliteratur und Verbrechensliteratur: während erstere sich mit der Aufklärung eines Verbrechens beschäftigt, geht es bei der Verbrechensliteratur hauptsächlich um das Motiv der Tat. Bei „Schuld und Sühne“ steht, meiner Meinung nach, das letztere im Vordergrund, zumal zumindest für den Leser der Mörder von Anfang an fest steht.


    Zitat:
    Als erster Vertreter des klassischen Kriminalromans wird meist "Die Morde in der Rue Morgue" von Edgar Allen Poe bezeichnet.


    wobei Poe auch nicht „aus dem Nichts“ erschuf, sondern von E.T.A.Hoffmann angeregt wurde.


    Zitat:
    Als Klassiker des Kriminalromans sind noch die Bücher Agatha Christies, Patricia Highsmiths, George Simenons und Edgar Wallaces zu nennen. Wobei ich beim letztgenannten finde: kennt man ein Buch - kennt man alle. Ist aber nur meine persönliche Meinung.


    Klassiker des Krimis: okay; Klassiker der Literatur: meiner persönlichen Meinung nach: Nein -- ?


    Gruß


    Hubert


    Hallo ikarus,


    (ACHTUNG: PROVOKATION !)


    wenn einem keine zeitgenössischen deutschen Autoren einfallen, muss es nicht an fehlenden deutschen Autoren liegen!


    Zu Walser: Selbst wenn „Tod eines Kritikers“ Mist wäre (da ich es nicht kenne, urteile ich auch nicht!), werden dadurch die unumstritten guten Werke, die Walser in der Vergangenheit abgeliefert hat, nicht schlecht. Wenn man auf MRR und seinen Kumpan K. hören würde, hätte sich auch Grass mit „Ein weites Feld“ endgültig disqualifiziert – allerdings nach Erhalt des Nobelpreises war er plötzlich für beide wieder „der schon immer geschätzte, bedeutende Schriftsteller.


    Zitat:
    „Erfolgsautoren" wie Bohlen und Effenberg


    Bitte solche Namen nicht in einem Literaturforum nennen!


    Zitat:
    Die beste zeitgenössische Literatur kommt meiner Meinung nach aus Nordamerika. Philip Roth, John Updike, Tom Wolfe, William Gaddis (lebt leider nicht mehr), Don DeLillo, T. C. Boyle, John Irving, Steward O´Nan
    ,


    Philip Roth und Don DeLillo: okay


    aber


    John Updike und John Irving: ist das schon Literatur?



    Hoffentlich habe ich jetzt eine spannende Diskussion angeregt!!


    Viele Grüße


    Hubert

    Hallo Sonja,


    es freut mich, dass Du noch dabei bist. Wenn ich Ovid nicht schon kennen würde, hätte ich das Buch selber in die Lesevorschläge aufgenommen. Das heißt nicht, dass ich nicht, wenn eine interessante Runde zusammen kommt, nicht nochmals mitlese. Einen echten Klassiker kann man nicht oft genug lesen! Ich bin mal eine Zeit lang (als ich für ein Jahr in Berlin war) jeden Morgen eine Stunde früher aufgestanden, um eine Lesung in Fortsetzungen dieses Klassikers zu hören (im Radio) – und ich kenne nicht viel Literatur, für die ich dieses Opfer bringen würde.


    LG


    Hubert

    Hallo Nimue,


    hoffentlich legst Du dir Karl May nicht nur aus Sammlergründen zu, sondern zum schmökern. Dann hätten wir ja schon zwei Versuchskaninchen. :breitgrins:


    Sorry, zwei Studienobjekte. :smile: :klatschen: :klatschen:


    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende :sonne: :sonne:


    Hubert

    Hallo kang bondet!


    Schön, dass Dir Flauberts Roman „Madame Bovary“ so gut gefallen hat. Hast Du ihn im Original oder in einer deutschen Übersetzung gelesen?


    Es ist zwar schon lange her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich entsinne mich noch, dass mir besonders die Erzählweise Flauberts gefiel: Er beobachtet genau und beschreibt alles bis ins kleinste Detail, ohne aber das Geschehen zu bewerten. So muß/kann jeder Leser sich selbst ein Urteil bilden.


    Wie ist z.B. Deine Meinung zu Emma? Warum ist sie von ihrer Ehe enttäuscht?


    Wäre sie Charles treu geblieben, wenn er sich mehr um sie gekümmert hätte?


    Wenn Dir das Erzähltempo dieses Romans gefallen hat, habe ich einen Lesetip für Dich. Ab Pfingsten lesen wir hier im Forum den Roman „Effi Briest“ von Fontane. Wie „Madame Bovary“ ist dies ein Ehebruch-Roman des 19. Jahrhunderts der dem Realismus zugeordnet wird. Es ist sicher interessant diese beiden Romane hinter einander zu lesen und zu vergleichen. Und wenn wir diesen Roman gleichzeitig lesen, ist es sicher auch einfacher Gedanken dazu auszutauschen. Wenn Du also nach Pfingsten Zeit und Lust hast Dich mit Ingrid und mir auf ein neues Leseabenteuer einzulassen, trage Dich doch bitte bei den Lesevorschlägen in den Thread „Effi Briest“ ein.


    Chia und ein schönes Wochenende


    Hubert

    Hallo Elfenkönigin,
    Hallo Sonja,


    seid Ihr noch dabei?


    Ich stecke mitten in dem Essay „Über die Bücher“ und möchte am liebsten alles was Montaigne empfiehlt, erst einmal selbst lesen – vorallem Plutarch! Aber wenn ich recht informiert bin, hatte Montaigne in seinem Turmzimmer mehr als tausend Bücher stehen, und das würde unseren Leseplan doch etwas verzögern. Toll die Stelle, in der Montaigne schreibt, was er in Büchern sucht: „nichts weiter als mich bei einem ehrbaren Zeitvertreib zu vergnügen; oder wenn ich mich in sie versenke, so suche ich darin nur die Wissenschaft, die von der Erkenntnis meiner selbst handelt: und die mich lehrt, recht zu leben ...“ –
    Also: mich selbst erkennen und bei einem vergnüglichen Zeitvertreib lernen recht zu leben – - ja genau, deshalb lese ich auch!


    Gruß


    Hubert

    Hallo Sandhofer,


    Zitat:
    Im Ernst: May als Privatmann ist eine höchst tragische Gestalt.


    Einverstanden, aber ... sind es nicht meistens die tragischen Gestalten, die gute Literatur schaffen?


    Gruß


    Hubert

    Zitat:
    Ich halte Literatur im Großen und Ganzen für verfehlt, die ihren LeserInnen dermaßen viel abverlangt und bei der man erst noch zwei Bücher desselben Autors zuvor lesen sollte, bevor man das dritte in die Hand nimmt.


    Hallo Fevvers,


    eigentlich wollte ich mich in eure Ulysses-Diskussion nicht mehr einmischen, aber da ich ja geschrieben hatte:


    „genauso sinnvoll ist es „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ vor „Ulysses“ zu lesen; hier geht es ja um die Vorgeschichte von Stephen Dedalus.“


    fühle ich mich direkt angesprochen.


    Dass es Sinn macht, das Werk eines Künstlers in der Reihenfolge seiner Entstehung kennen zu lernen, trifft nicht nur auf Joyce zu: ich empfehle auch allen, die sich mit dem Spätwerk von Picasso beschäftigen wollen, sich zuerst dessen Werke aus der „Blauen –„ und „Rosa Periode“ anzusehen und Gustav Mahlers 2. Symphony gibt einem auch mehr, wenn man die erste kennt. Zurück zur Literatur: Auch den „Steppenwolf“ habe ich erst richtig verstanden, als ich Hesses „Unterm Rad“ und „Demian“ nicht nur gelesen sondern auch verstanden hatte und selbst bei dem „Jugendbuchautor“? Karl May kann es Sinn machen, manche Werke in einer bestimmten Reihenfolge zu lesen (siehe Thread „Karl May“).


    Zurück zu Joyce: Gerade die sogenannte Sekundärliteratur hatte mir bei meinem ersten Ulysses-Versuch einen Lesegenuss unmöglich gemacht. Normalerweise lese ich Sekundärliteratur, wenn überhaupt, erst nach eigenem Lesen des Originals. Bei Joyce hatte ich auf den falschen Rat gehört, es ginge nicht ohne. Und da kann man solchen Unsinn lesen wie: Joyce lasse seinen Protagonisten in Ulysses die Abenteuer des Odysseus an einem einzigen Tag erleben. – und das konnte ich nun wirklich nicht nachvollziehen. – sondern und jetzt muß ich Steffi zitieren, den besser kann man es nicht sagen:


    „Aber du darfst dir nicht vorstellen, dass Joyce dies 1:1 umsetzt, er interpretiert, analysiert, ironisiert ...“


    Ich musste, um dies so klar zu erkennen, erst die „Dubliner“ lesen, da macht Joyce solches ja mit anderen Werken der Literatur etc.


    Ich kenne aber Leser, die Ulysses ohne Vorwissen, ohne Sekundärliteratur und ohne die „Odysee“ oder die „Dubliner“ zuvor gelesen zu haben, lesen und Spaß und Unterhaltung in „Ulysses“ finden.


    Gruß


    Hubert

    Hallo Ingrid,


    dann könnte man vielleicht auch Dostojewskis "Schuld und Sühne" als einen Vorreiter der Kriminalromane bezeichnen?


    „Schuld und Sühne“ ist schon deshalb kein Vorreiter der Kriminalromane, da es Kriminalromane schon vor Dostojewskij gab. „Schuld und Sühne“ enthält zwar Elemente eines Kriminalromans (Aufklärung eines Mordes durch Chefinspektor Porfiri), diese machen aber nur einen Teil des Romans aus, so dass es eine Verkürzung wäre, „Schuld und Sühne“ als Kriminalroman zu bezeichnen.


    Maria, du hast mir vor einiger Zeit erzählt, das Buch hätte jetzt einen anderen Titel??


    In der Übersetzung von Swetlana Geier heißt der Roman von Dostojewskij jetzt „Verbrechen und Strafe“. Dies ist zwar eine wortgetreuere Übersetzung des Originals, drückt aber den Romaninhalt eher ungenauer aus.


    Stopfkuchen" von Wilhelm Raabe ??


    In dem 1891 erschienen Roman von Wilhelm Raabe, entlarvt der Außenseiter Heinrich (Stopfkuchen) den angesehenen Briefträger Störzer als Mörder und rächt sich so an der Gesellschaft. War Störzer der wirkliche Mörder?


    Ansonsten wünsche ich Dir, Ingrid, einen wunderschönen Urlaub
    :sonne: :sonne: :sonne: :sonne:
    (oder kommt der Wunsch schon zu spät?) und freue mich auf die anschließende Lektüre von „Effi Briest“ mit Dir. :smile:


    Liebe Grüße


    Hubert :winken: :winken: :winken:

    Maria schrieb:
    Was würdet ihr mir empfehlen?


    Hallo Maria,


    Lesern, die schon als Kind Karl May gelesen haben, würde ich „Ardistan und Dschinnistan“ empfehlen. Da Du dich aber als KM-Nichtkenner geoutet hast, folgender Vorschlag:


    Zum Einstieg: „Swallow, mein wackerer Mustang“ von Erich Loest und wenn Du dann keine Lust bekommen hast, etwas von Karl May zu lesen: Finger weg. - Wenn Du aber neugierig geworden bist:


    1. Durch die Wüste
    2. Durchs wilde Kurdistan
    3. Von Bagdad nach Stambul
    4. In den Schluchten des Balkan
    5. Durch das Land der Skipetaren
    6. Der Schut


    Diese Bücher müssen aber, da es sich um eine 6-bändige Fortsetzungsgeschichte der Abenteuer von Hadschi Halef Omar ... und Kara Ben Nemsi handelt, auch in dieser Reihenfolge gelesen werden. Die bekannte Orientalistin Annemarie Schimmel empfahl übrigens diese Bücher (neben ihren eigenen), um die orientalische Welt und den Islam verstehen zu lernen. Dabei können die Bekehrungsversuche von Kara Ben Nemsi oder Karl (May) dem Sohn der Deutschen zwar nerven, entsprechen aber dem damaligen Zeitgeist.


    Warnen würde ich vor Arno Schmidt als Einführung. Zwar bezeichne ich mich als eingefleischter Arno-Schmidt-Leser (Fan wäre zuviel gesagt), aber was Schmidt in „Sitara oder der Weg dorthin“ über May schreibt, gehört mit zum größten Unsinn, den ich jemals gelesen habe (sorry, Sandhofer).


    Maria schrieb:
    Wie findet ihr die Filme im Vergleich zu den Büchern?


    Die Filme kann man meiner Meinung nach nicht mit den Büchern vergleichen, da zumindest die letzten Karl-May-Filme keine Literatur-Verfilmungen sind, sondern Filme, denen zwar des Erfolges wegen, der Titel eines Karl-May-Buches gegeben wurde, die aber eine völlig andere Geschichte erzählen.


    @ Steffi:
    Wenn man mit einem großen Vorurteil an ein Buch herangeht, darf man sich nicht wundern wenn es nicht "zoom" macht. Außerdem hast Du mit Old Surehand eines der meiner Meinung nach schlechtesten Karl-May-Bücher erwischt (und einen Schriftsteller beurteilt man nicht nach seinen schlechten, sondern nach seinen guten Büchern). Und warum liest Du den zweiten!!! Band der Orient-Erzählungen als erstes? Auch das zweite Buch von Don Quijote kann man nur gut finden, wenn man das erste gelesen hat. Die Dialoge zwischen Kara Ben Nemsi und seinem Diener Halef verändern sich im Laufe der Story übrigens ähnlich interessant wie die Dialoge von Don Quijote und seinem Diener Sancho Pansa. Um diese Veränderungen zu verfolgen, muß man aber mit dem von Sandhofer zitierten Beispiel (siehe Thread: Romananfänge) beginnen.


    @ Ingrid:
    Um ein gutes Buch zu schreiben, ist es nicht erforderlich, dass der Autor den Schauplatz des Buches persönlich besucht hat. Übrigens hat Karl May, wenn auch erst später, sowohl den Orient als auch den „Wilden Westen“ bereist. Davon abgesehen hat er die Schauplätze seiner Romane (durch gelesene Reiseberichte aus und über diese Länder) sehr genau und wirklichkeitsnah geschildert.


    Ich wünsche Dir einen schönen Urlaub! :sonne: :winken: :sonne:


    @ Maria:
    Da ich Karl May auch nur als Kind gelesen habe, wäre ich Dir (zusammen mit Sandhofer?) dankbar, wenn Du dich für die (zumindest Forum interne) Karl May Forschung zur Verfügung stellen würdest. :breitgrins:

    Hallo Sandhofer,


    mir gefällt dein erstes Beispiel besser, es hat mehr Witz! - Das zweite Beispiel ist auch nicht schlecht, aber das habe ich als Kind so oft gelesen, dass die Wirkung etwas verpufft ist. Aber schon toll, die Gespräche zwischen HHO BHAA IHDAG und KBN.


    Gruß


    Hubert

    Hallo Maria,


    vielen Dank für die interessante Seite. Mit einigen dieser Dichterinnen habe ich mich schon ausgiebig beschäftigt (z.B. Bettina von Armin und ihre unglückliche Freundin Caroline von Günderrode) andere kenne ich noch nicht einmal dem Namen nach (Carson McCullers?). :redface:


    Wichtig: die Bronte-Sisters, die meiner Meinung nach in Deutschland total unterschätzt werden (in England genießen sie ja heute noch Kult-Charakter). Bei Harriet Beecher-Stowe wurde ich wieder daran erinnert: „Onkel Toms Hütte“ nochmals lesen!!!


    Ist Dir bekannt nach welchen Kriterien Norgard Kohlhagen die Auswahl getroffen hat? Vermisst habe ich z.B. Marie von Ebner-Eschenbach, Anna Seghers, Jane Austen und eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen: Grazia Deledda!!!


    Als Danke schön ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, das mich sehr beeindruckt:


    Hiroshima (von M. L. K.)


    Der den Tod auf Hiroshima warf
    Ging ins Kloster, läutet dort die Glocken.
    Der den Tod auf Hiroshima warf,
    Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
    Der den Tod auf Hiroshima warf
    Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
    Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
    Auferstandene aus Staub für ihn.


    Nichts von alledem ist wahr.
    Erst vor kurzem sah ich ihn
    Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
    Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
    Das wächst nicht so schnell, daß sich einer verbergen könnte
    Im Wald des Vergessens.
    Gut zu sehen war
    Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
    Die neben ihm stand im Blumenkleid
    Das kleine Mädchen an ihrer Hand
    Der Knabe der auf seinem Rücken saß
    Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
    Sehr gut erkennbar war er selbst
    Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
    Verzerrt vor Lachen, weil der Photograph
    Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.