James Joyce: "Dubliner"

  • Maria hat geschrieben:


    „Ich kann "Dubliners" nur empfehlen.“


    Diese Empfehlung kann ich nur bekräftigen. Ich habe diese Erzählungen? von James Joyce vor drei Jahren in einer Lesegruppe mit ca. 20 Leuten gelesen und obwohl allen das Buch gefallen hat, gab es doch zu verschiedenen Punkten gegensätzliche Meinungen (Wie bei allen guten Büchern).


    Zur Eröffnung einer Diskussion hätte ich deshalb, an alle die das Buch kennen, folgende Fragen:


    - Handelt es sich um eine Sammlung von 15 Erzählungen, die zufällig alle in Dublin spielen, oder gibt es ein gemeinsames Thema, das alle Erzählungen zusammenbindet?


    - Wird Dublin umfassend und realistisch dargestellt?


    - Geht Eveline am Ende der gleichnamigen Erzählung mit Frank auf das Schiff?


    - Enthält der Schluß der Erzählung „Die Toten“ einen Hinweis auf den Tod von Gabriel?


    Soviel zum Einstieg.


    Gruß


    Hubert

  • Hallo Hubert
    das ist eine gute Idee.


    Zitat

    Genauso sinnvoll ist es „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ vor „Ulysses“ zu lesen; hier geht es ja um die Vorgeschichte von Stephen Dedalus.


    das habe ich mir auch schon überlegt. Da ich recht schnell lese, könnte ich es evtl. parallel reinschieben. In einer gemeinsamen Leserunde will ich lieber nicht so weit voraus lesen, weil ich dann meine Gedanken wieder vergessen. Deswegen habe ich immer etwas Luft. Mal sehen...


    Zitat


    Ich bin mir nicht sicher, ob der Unterschied zwischen den „Dubliner“ und „Ulysses“ wirklich so groß ist: schließlich war „Ulysses“ zunächst als eine Erzählung zu den „Dubliner“ geplant und ist dann nur ausgeufert, so dass es für Joyce ein eigener Roman wurde. Aber wer würde z.B. die ganzen Beziehungen zur „Odyssee“ entdecken, wenn der Roman nicht „Ulysses“ hieße sondern z.B. „Ein Tag in Dublin“ und wenn nicht die (von Joyce angeregte) Sekundärliteratur zur Verfügung stehen würde – und was könnte man in den „Dubliner“ mit Hilfe von Sekundärliteratur nicht alles entdecken?


    das habe ich mir während des Lesens auch gefragt. Man bekommt ein Gefühl für das unterschwellige, auch wenn ich es nicht sofort fassen kann.


    Zitat

    - Handelt es sich um eine Sammlung von 15 Erzählungen, die zufällig alle in Dublin spielen, oder gibt es ein gemeinsames Thema, das alle Erzählungen zusammenbindet?


    Ich habe es als eine Art "Entwicklung" gesehen. Die 1. Geschichte fängt mit der "Kindheit/Jugend" an in "Die Schwestern" und in "Die Begegnung" wollen 3 Jungens etwas erleben, wie in den Wild-West-Heften, das sie heimlich in der Schule lesen. 2 der Jungens wollen die Schule schwänzen und treffen einen alten Mann....


    Dann steigert es sich in den nächsten Kapiteln. Die ersten Erfahrungen mit der Liebe usw. bis zum Tod im letzten Kapitel.


    Es steckt soviel in diesen Geschichten, daß ich mich erst wieder reinfinden muß. Im Moment schwirren Bruchstücke durch mein Gedächtnis.

    Zitat

    - Wird Dublin umfassend und realistisch dargestellt?


    das weiß ich nicht so recht. Es wirkt auf mich wie eine Haßliebe. Irgendwo heißt es, daß man in Dublin nichts werden kann (oder war das im Ulysses?). Abenteuer müssen in der Fremde gesucht werden, (oder ähnlich schreibt J.J.)


    das war jetzt mal eine 1. Bilanz aus dem Stegreif.


    Bis dann
    Maria :schmetterling:

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    vielen Dank für Deine Reaktion.


    Zitat:
    - Wird Dublin umfassend und realistisch dargestellt?


    Die meisten meiner damaligen Mitleser waren dieser Meinung. Mir fehlte aber vieles wofür Irland bekannt ist:. Irische Gastfreundschaft, Irische Folklore usw. – meiner Meinung nach hat Joyce alles Positive ausgeklammert. In welcher Geschichte gibt es echte Liebe, Hoffnung auf die Zukunft oder ähnliches. Gab es so was nicht in Dublin? Habe ich das Überlesen? (Ich denke aber, dass J.J davon mit voller Absicht nichts erwähnt hat.)


    Zitat:
    - Handelt es sich um eine Sammlung von 15 Erzählungen, die zufällig alle in Dublin spielen, oder gibt es ein gemeinsames Thema, das alle Erzählungen zusammenbindet?


    Du hast eine Entwicklung in der Abfolge der Erzählungen gesehen. – Bingo. Das 1905 entstandene Konzept sah 12 Erzählungen in 4 Gruppen mit je 3 Geschichten vor. Die vier Gruppen waren:
    - Kindheit (Die Schwestern, Eine Begegnung, Arabia)
    - Jugend (Eveline, Nach dem Rennen, Die Pension)
    - Reife (Entsprechungen, Erde, Ein betrüblicher Fall)
    - Öffentliches Dubliner Leben (Efeutag ..., Eine Mutter, Gnade)


    Die 1. Gruppe schildert in jeder Geschichte wiederum eine neue Entwicklungsstufe innerhalb der Kindheit des Ich-Erzählers:
    - in „Die Schwestern“ ist der Junge noch ganz auf die Erwachsenenwelt bezogen
    - in „Eine Begegnung“ werden Abenteuer mit anderen Jungen geschildert und
    - in „Arabia“ erste Annäherungen an das andere Geschlecht.


    Die 4. Gruppe enthielt je eine Erzählung aus dem Bereich Politik, Kultur und Religion.


    Die Erzählungen „Zwei Kavaliere“, „Eine kleine Wolke“ und „Die Toten“ sind erst später entstanden. „Die Toten“ wurde z.B. erst im Frühjahr 1907 nierdergeschrieben. Aber schon im Sept. 1906 hatte J.J. seinem Bruder mit einer Postkarte berichtet. „Ich habe eine neue Erzählung für Dubliner im Kopf. Sie handelt von Mr. Hunter.“ - Aus dem durch Dublin streifenden Juden Hunter wurde dann Mr. Bloom und aus der Erzählung: der Roman „Ulysses“. Das alles ist in der Literaturgeschichte unstrittig. Darüber hinaus scheint mir aber ein Motto über dem ganzen Buch zu liegen, dass man auch jeder einzelnen Erzählung voranstellen könnte. - ? ? ? - Der Schlüssel dazu ist meiner Meinung nach auf der 1. Seite der „Dubliner“ zu finden und hat auch mit der 1. Frage zu tun.


    Zitat:
    Genauso sinnvoll ist es „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ vor „Ulysses“ zu lesen; hier geht es ja um die Vorgeschichte von Stephen Dedalus.


    Da Du mit dem „Ulysses“ schon soweit fortgeschritten bist, rate ich zu diesem Zeitpunkt davon ab – das würde jetzt nur wieder neue Fragen aufwerfen, statt alte Fragen klären.
    Wenn Du was dazwischen lesen willst: Stanislaus Joyce, der Bruder von J.J., hat zwei kleine, einfach zu lesende Büchlein geschrieben: „Dubliner Tagebuch“ und „Meines Bruders Hüter“, in beiden kann man biogr. Vorlagen zu einigen Dubliner-Erzählungen entdecken.


    Viele Grüsse


    Hubert

  • Hallo Hubert


    komme erst heute wieder dazu unsere Unterhaltung über die Dubliners fortzuführen. Zur Zeit sind an allen Ecken und Enden Termine.


    Zitat

    - Geht Eveline am Ende der gleichnamigen Erzählung mit Frank auf das Schiff?


    bei meinem 1. Beitrag wollte ich bereits spontan "Nein" schreiben. Dann wollte ich mir die Geschichte doch nochmals durchlesen, ob ich was überlesen habe. Aber ich bleibe nun doch bei einem "nein". Eveline war noch nicht soweit, ihren Vater und ihre Geschwister zuverlassen.


    Oder etwa doch?


    Eveline hatte es ja nicht besonders gut zuhause und fühlte sich wie eingesperrt und doch - es ist ihre einzige Familie die sie kennt. Mit Frank hätte sie das erst aufbauen müssen und dafür war sich meines Erachtens noch nicht bereit. Ich glaube dieses Gefühl kennen wir alle, diesen Schritt hinaus, die doch oft unsicher ausfallen.


    Sie ist ja hinter dem Eisengitter am Kai, buchstäblich und auch sinnbildlich.


    Mir hat es gefallen, daß hier mal von Joyce eine weibliche Szene dargestellt wurde.


    Was meinst du?


    Zitat

    Enthält der Schluß der Erzählung „Die Toten“ einen Hinweis auf den Tod von Gabriel?


    du meinst weil er sich "gen Westen" aufmacht und "sich seine Seele sich jener Region genähert hat, wo die unermeßlichen Heerscharen der Toten ihre Wohnung haben"?


    Darüber denke ich schon seit ein paar Tagen nach. Wenn es so ist, denn der Wunsch war ja in Gabriel vorhanden ("Es war besser, kühn in jene andere Welt hinüberzugehen, .... , als kläglich vor Alter zu schwinden und zu verwelken"), dann frage ich mich WARUM?


    nur weil er sich nutzlos fühlt? weil ein junger Mann vor Liebe zu seiner Frau, das aber bereits Jahrzehnte zurück lag, den Tod suchte?


    Warum verspürte er soviel Wut und Begierde in sich. Vorher war er so ausgelassen, doch plötzlich, noch bevor er die Geschichte von seiner Frau über den Jungen erzählt bekam, war er bereits wie verändert.


    Aber vielleicht wird hier auch der Schlaf mit einem todesähnlichen Zustand verglichen.


    Der letzte Satz in "Die Toten" bringt mich darauf:


    Langsam schwand seine Seele, während er den Schnee still durch das All fallen hörte, und still fiel er, der Herabkunft ihrer letzten Stunde gleich, auf alle Lebenden und Toten.


    Dieser Gabriel hatte m.E. die Wahl zwischen Tod und Leben. Was er gewählt hat kann ich nur ahnen.


    Zitat


    Zitat:
    - Wird Dublin umfassend und realistisch dargestellt?


    Die meisten meiner damaligen Mitleser waren dieser Meinung. Mir fehlte aber vieles wofür Irland bekannt ist:. Irische Gastfreundschaft, Irische Folklore usw. – meiner Meinung nach hat Joyce alles Positive ausgeklammert. In welcher Geschichte gibt es echte Liebe, Hoffnung auf die Zukunft oder ähnliches. Gab es so was nicht in Dublin? Habe ich das Überlesen? (Ich denke aber, dass J.J davon mit voller Absicht nichts erwähnt hat.)


    jetzt wo du es erwähnst, muß ich dir zustimmen. Auf der anderen Seite haben die Irländer einen Anhang zu Dramatik und Trauer, das merkt man schon in ihren Volkslieder - kaum ein Happy-End.


    Zitat


    Du hast eine Entwicklung in der Abfolge der Erzählungen gesehen. – Bingo. Das 1905 entstandene Konzept sah 12 Erzählungen in 4 Gruppen mit je 3 Geschichten vor.


    James Joyce hat sich eindeutig was dabei gedacht.


    Zitat


    Die vier Gruppen waren:
    - Kindheit (Die Schwestern, Eine Begegnung, Arabia)
    - Jugend (Eveline, Nach dem Rennen, Die Pension)
    - Reife (Entsprechungen, Erde, Ein betrüblicher Fall)
    - Öffentliches Dubliner Leben (Efeutag ..., Eine Mutter, Gnade)


    Mir scheint Joyce verfolgt gerne einer Schematik in seinen Werken. Aber ich kenne ja erst Dubliner und Ulysses.


    Zitat


    Die Erzählungen „Zwei Kavaliere“, „Eine kleine Wolke“ und „Die Toten“ sind erst später entstanden. „Die Toten“ wurde z.B. erst im Frühjahr 1907 nierdergeschrieben. Aber schon im Sept. 1906 hatte J.J. seinem Bruder mit einer Postkarte berichtet. „Ich habe eine neue Erzählung für Dubliner im Kopf. Sie handelt von Mr. Hunter.“ - Aus dem durch Dublin streifenden Juden Hunter wurde dann Mr. Bloom und aus der Erzählung: der Roman „Ulysses“.


    Hunter? ein Jäger ist er in meinen Augen nicht. Bloom wirkt weicher und nachgebiger, vielleicht auch nicht so recht lebensfähig für die harte Welt. Aber vielleicht wären die Geschichten in Ulysses anders geworden, wenn Joyce bei Namen „Hunter“ geblieben wäre? Vielleicht ....
    Namen sagen doch auch viel aus.


    Zitat


    Das alles ist in der Literaturgeschichte unstrittig. Darüber hinaus scheint mir aber ein Motto über dem ganzen Buch zu liegen, dass man auch jeder einzelnen Erzählung voranstellen könnte. - ? ? ? - Der Schlüssel dazu ist meiner Meinung nach auf der 1. Seite der „Dubliner“ zu finden und hat auch mit der 1. Frage zu tun.


    Kannst du deine Gedanken näher erklären?


    Zitat


    Genauso sinnvoll ist es „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ vor „Ulysses“ zu lesen; hier geht es ja um die Vorgeschichte von Stephen Dedalus.


    Da Du mit dem „Ulysses“ schon soweit fortgeschritten bist, rate ich zu diesem Zeitpunkt davon ab – das würde jetzt nur wieder neue Fragen aufwerfen, statt alte Fragen klären.
    Wenn Du was dazwischen lesen willst: Stanislaus Joyce, der Bruder von J.J., hat zwei kleine, einfach zu lesende Büchlein geschrieben: „Dubliner Tagebuch“ und „Meines Bruders Hüter“, in beiden kann man biogr. Vorlagen zu einigen Dubliner-Erzählungen entdecken.


    danke für den Ratschlag. Ich werde „Ein Porträt...“ später lesen und deine Lesetipps habe ich mir notiert.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    vielen Dank für Deine ausführliche Antwort zu den „Dubliner“.


    Zitat:
    Darüber hinaus scheint mir aber ein Motto über dem ganzen Buch zu liegen, dass man auch jeder einzelnen Erzählung voranstellen könnte. - ? ? ? - Der Schlüssel dazu ist meiner Meinung nach auf der 1. Seite der „Dubliner“ zu finden und hat auch mit der 1. Frage zu tun.
    Kannst du deine Gedanken näher erklären?


    Bevor Joyce „Dubliner“ veröffentlichte, waren einzelne dieser Erzählungen bereits in Zeitungen erschienen. Darunter auch „Die Schwestern“. Ich habe beim Vergleich der Ur-Erzählung mit der Dubliner-Erzählung festgestellt, dass Joyce zwar den Inhalt der Erzählung kaum verändert hat, aber für das Buch einen anderen Anfang gewählt hat. Meine Idee war nun, dass der Erzählungsbeginn: „Es gab keine Hoffnung ....“ nicht nur der Beginn von „Die Schwestern“ ist, sondern als Motto des ganzen Buches dient. Meiner Meinung nach könnte jede dieser Erzählungen mit den Worten „Es gab keine Hoffnung .....“ beginnen.


    Ist das für Dich nachvollziehbar?


    Möglicherweise wollte Joyce mit diesen Erzählungen den Entschluß Irland verlassen zu haben, vor sich selbst oder vor seiner Frau Nora nachträglich rechtfertigen. Irland: Es gab keine Hoffnung ...


    Auch die Worte „Paralyse“, „Gnomon“ und „Simonie“ waren in der Ur-Erzählung noch nicht enthalten. Übrigens habe ich auch dazu eine Theorie.


    Zitat:
    - Wird Dublin umfassend und realistisch dargestellt?
    Die meisten meiner damaligen Mitleser waren dieser Meinung. Mir fehlte aber vieles wofür Irland bekannt ist:. Irische Gastfreundschaft, Irische Folklore usw. – meiner Meinung nach hat Joyce alles Positive ausgeklammert. In welcher Geschichte gibt es echte Liebe, Hoffnung auf die Zukunft oder ähnliches. Gab es so was nicht in Dublin? Habe ich das Überlesen? (Ich denke aber, dass J.J davon mit voller Absicht nichts erwähnt hat.)


    Wenn meine obige Theorie richtig ist, wäre das auch die Erklärung für die einseitige Darstellung Irlands. Sich selbst nicht an die schönen Seiten erinnern – das hilft Heimweh vermeiden.


    Zitat:
    - Geht Eveline am Ende der gleichnamigen Erzählung mit Frank auf das Schiff?
    ich bleibe nun doch bei einem "nein". Eveline war noch nicht soweit, ihren Vater und ihre Geschwister zuverlassen.
    Eveline hatte es ja nicht besonders gut zuhause und fühlte sich wie eingesperrt und doch - es ist ihre einzige Familie die sie kennt. Mit Frank hätte sie das erst aufbauen müssen und dafür war sie meines Erachtens noch nicht bereit. Ich glaube dieses Gefühl kennen wir alle, diesen Schritt hinaus, die doch oft unsicher ausfallen.
    Sie ist ja hinter dem Eisengitter am Kai, buchstäblich und auch sinnbildlich.


    Genau so habe ich das auch gesehen und konnte nicht glauben dass andere in meiner damaligen Lesegruppe, das anders sahen. Deshalb wollte ich erst Deine Meinung dazu hören, bevor ich über meine Theorie mit dem allgemeinen Motte sprach – denn auch hier gilt: Es gab keine Hoffnung ... für Eveline.


    Einen schönen Sonntag wünscht Dir


    Hubert

  • Hallo Hubert

    Zitat:

    Bevor Joyce „Dubliner“ veröffentlichte, waren einzelne dieser Erzählungen bereits in Zeitungen erschienen. Darunter auch „Die Schwestern“. Ich habe beim Vergleich der Ur-Erzählung mit der Dubliner-Erzählung festgestellt, dass Joyce zwar den Inhalt der Erzählung kaum verändert hat, aber für das Buch einen anderen Anfang gewählt hat. Meine Idee war nun, dass der Erzählungsbeginn: „Es gab keine Hoffnung ....“ nicht nur der Beginn von „Die Schwestern“ ist, sondern als Motto des ganzen Buches dient. Meiner Meinung nach könnte jede dieser Erzählungen mit den Worten „Es gab keine Hoffnung .....“ beginnen.


    Ja, das ist für mich gut nachvollziehbar.



    Zitat:
    Möglicherweise wollte Joyce mit diesen Erzählungen den Entschluß Irland verlassen zu haben, vor sich selbst oder vor seiner Frau Nora nachträglich rechtfertigen. Irland: Es gab keine Hoffnung ...


    Noch ein interessanter Gedanke. Denn seine Heimat kann man doch nicht so leicht abstreifen. Hast du eigentlich eine Biografie von Nora Joyce gelesen? Kannst du hier etwas empfehlen?



    Zitat:
    Auch die Worte „Paralyse“, „Gnomon“ und „Simonie“ waren in der Ur-Erzählung noch nicht enthalten. Übrigens habe ich auch dazu eine Theorie.


    "Gnomon" mußte ich erstmal nachschauen, was das bedeutet. Das war ein Stab zur Zeitmessung (Schattenmessung).


    Ereignisse werfen seine Schatten voraus für künftiges? oder die Zeit läuft ab?


    Paralyse löst auch auch so ein negative Gefühl aus: vollständige Lähmung.


    Simonie? Handel mit geistlichen Sachen bzw. Kirchenämter, Sakramenten usw. Wie paßt das rein?


    Wie du bereits erwähnst, schon der Beginn von "Dubliners" ist hochinteressant und birgt mehr als es den ersten Anschein hat.


    wie sahst du die Szene am Ende von "Die Toten"? Stirbt Gabriel?


    viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Maria,


    sorry, für mein unvollständiges Statement von gestern abend. Aber nach drei Tagen ohne Internet musste ich spontan antworten. Hier der Rest:


    Zitat: Mir hat es gefallen, daß hier mal von Joyce eine weibliche Szene dargestellt wurde.
    Was meinst du?
    (zu „Eveline“)


    Du hast an anderer Stelle geschrieben (und absolut richtig erkannt): „Mir scheint Joyce verfolgt gerne einer Schematik in seinen Werken.“ – Genau das trifft hier auch zu: So wie Jimmy in „Nach dem Rennen“ für den männlichen, unverheirateten Jugenlichen steht, repräsentiert Eveline die weibliche, unverheiratete Jugenliche und dem männlichen, unverheirateten Erwachsenen Mr. James Duffy in „Ein betrüblicher Fall“ steht Maria als weibliche, unverheiratete Erwachsene in „Erde“ gegenüber.


    Zitat: Auf der anderen Seite haben die Irländer einen Anhang zu Dramatik und Trauer, das merkt man schon in ihren Volkslieder - kaum ein Happy-End


    Leider bin ich kein großer Kenner der irischen Folklore – aber bei meinen bisherigen Besuchen von irischen Pubs hatte ich (wenn Live-Musik) einen anderen Eindruck. Aber ich will noch meine Plattensammlung befragen.


    Zitat: Hunter? ein Jäger ist er in meinen Augen nicht. Bloom wirkt weicher und nachgebiger, vielleicht auch nicht so recht lebensfähig für die harte Welt. Aber vielleicht wären die Geschichten in Ulysses anders geworden, wenn Joyce bei Namen „Hunter“ geblieben wäre? Vielleicht ....
    Namen sagen doch auch viel aus.


    Du hast wieder ins Schwarze getroffen. – ich denke, da der Jude sich letzendlich anders entwickelte, als ursprünglich geplant, hat ihn Joyce richtigerweise auch umgetauft.


    Zitat: Auch die Worte „Paralyse“, „Gnomon“ und „Simonie“ waren in der Ur-Erzählung noch nicht enthalten.
    "Gnomon". Das war ein Stab zur Zeitmessung (Schattenmessung). Ereignisse werfen seine Schatten voraus für künftiges? oder die Zeit läuft ab?


    Ich denke der Schattenstab (Gnomon) steht für einen „Schatten“ aus der Vergangenheit, der über der Gegenwart liegt, oder ein „Schatten“ aus der Gegenwart, liegt über der Zukunft.


    Paralyse löst auch auch so ein negative Gefühl aus: vollständige Lähmung.


    Irgendwo bei Joyce (ich glaube im Fragment „Stephen Hero“) habe ich mal den Begriff der „geistigen Paralyse“ gefunden.


    Simonie? Handel mit geistlichen Sachen bzw. Kirchenämter, Sakramenten usw. Wie paßt das rein?


    Ich denke, Joyce verwendet „Simonie“ für den Versuch eigentlich nicht käufliches (Anerkennung, Freundschaft, Liebe, Seelenheil), mit Geld zu erwerben.


    Meine Theorie ist nun folgende:
    Das 1905 entstandene Konzept sah 12 Erzählungen in 4 Gruppen mit je 3 Geschichten vor. Joyce hat nun in jeder Gruppe (Kindheit, Jugend ...) eine Erzählung genommen bei der „ein Schatten aus der Vergangenheit ....“, eine Erzählung bei der „geistige Paralyse“ und eine Erzählung bei der „Simonie“ der Grund für die Hoffnungslosigkeit ist.


    Eine gewagte Theorie? – Aber wie Du geschrieben hast: „Mir scheint Joyce verfolgt gerne einer Schematik in seinen Werken.“!!!


    Ich konnte eigentlich jeder Erzählung eines dieser „Schlüsselworte“ zuordnen, bin mir aber nicht sicher, ob ich da zuviel reininterpretiere. Deshalb will ich mein Ergebnis noch nicht verraten, sondern bin gespannt, ob Du zum gleichen Ergebnis kommst. Damit aber klar wird, was ich meine, drei Beispiele:


    In der Kindheitserzählung „Die Schwestern“ liegt der zerbrochene Kelch als "Schatten aus der Vergangenheit" über Pater Flynn und wird vermutlich auch den Jungen verfolgen.


    In der Jugend-Erzählung „Eveline“ hat das Mädchen die Möglichkeit mit Frank ihre Sehnsucht zu erfüllen, aber die Heimat und das Elternhaus bedrückt sie und "lähmt" ihre Lebenskräfte.


    In „Gnade“ versucht Pater Purdon nicht die „Sünder“ zu bessern, sondern erklärt, dass auch "durch Geld, Seelenheil erworben" werden kann. Übrigens ist der Name des Paters sprechend (Purdon Street = Dubliner Bordellstraße) und zeigt die „Prostitution“ des Paters auf.



    Zitat: Der letzte Satz in "Die Toten" bringt mich darauf:


    Langsam schwand seine Seele, während er den Schnee still durch das All fallen hörte, und still fiel er, der Herabkunft ihrer letzten Stunde gleich, auf alle Lebenden und Toten.


    Für mich ist dieser letzte Satz aus „Dubliner“ ein Satz, zum nieder knien.


    Was Du über diese letzte Erzählung geschrieben hast, hat mir sehr gut gefallen. Von meiner Theorie zu dieser Erzählung - ein ander mal.


    Da auch Steffi (Zitat: „Da muss ich ja wohl die Dubliner auch lesen!“) und Ikarus (Zitat: Auf meinem SUB liegen die Dubliner jedenfalls auch schon“) Interesse an „Dubliner“ bekundet haben, habe ich das Buch in die Lesevorschläge aufgenommen. Ich rechne dabei auch noch mal mit Dir. Oder denkst Du, dass man Dubliner nicht zweimal lesen kann?


    Allerdings hatte ich auch bei „Effi Briest“ mit Dir gerechnet!


    Zitat: ich lese Fontane auch sehr gern. "Jenny Treibel" und "Jenseit des Tweed" sind meine Lieblingsbücher von ihm. Es gibt auch noch einige die ich lesen möchte .... ????


    Viele Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert


    vorab mal meine Spontan-Antwort zu folgenden Äußerungen, da brauch ich nämlich jetzt nicht lange überlegen *ggg*:



    Für mich ist dieser letzte Satz aus „Dubliner“ ein Satz, zum nieder knien.


    Was Du über diese letzte Erzählung geschrieben hast, hat mir sehr gut gefallen. Von meiner Theorie zu dieser Erzählung - ein ander mal.


    Da auch Steffi (Zitat: „Da muss ich ja wohl die Dubliner auch lesen!“) und Ikarus (Zitat: Auf meinem SUB liegen die Dubliner jedenfalls auch schon“) Interesse an „Dubliner“ bekundet haben, habe ich das Buch in die Lesevorschläge aufgenommen. Ich rechne dabei auch noch mal mit Dir. Oder denkst Du, dass man Dubliner nicht zweimal lesen kann?


    ich bin der Meinung Dubliner kann man immer wieder lesen und ich wäre dabei, wann immer die Leserunde startet. Deswegen können wir auch gerne erstmal warten, bevor wir den anderen zuviel verraten. Ich paß mich da an.


    Allerdings hatte ich auch bei „Effi Briest“ mit Dir gerechnet!


    Zitat: ich lese Fontane auch sehr gern. "Jenny Treibel" und "Jenseit des Tweed" sind meine Lieblingsbücher von ihm. Es gibt auch noch einige die ich lesen möchte .... ????


    Registriert habe ich den Lesevorschlag und im Stillen habe ich mir vorgenommen mitzumachen, wenn es reinpaßt! Für Fontane habe ich, neben Thomas Mann, nun Mal eine Schwäche, ohne recht zu wissen, warum :)


    Fontane ist für mich eine Mischung zwischen humorvoller, verständnisvoller Mensch und Dickschädel. Aber das kann man vermutlich von mehreren Schriftstellern sagen.

    Aber noch bin ich mit "Ulysses" beschäftigt.


    und nicht zu vergessen: im August ist "Moby Dick" angesagt :)


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • vorab mal meine Spontan-Antwort zu folgenden Äußerungen, da brauch ich nämlich jetzt nicht lange überlegen *ggg*:


    Für mich als Internet-Laie: Was bedeutet eigentlich *ggg*?


    Viele Grüße


    Hubert

  • Hallo Hubert


    *g* = *grins* = ein Lächeln, bei *ggg* wollte ich ein breites Lächeln andeuten .


    Man kann das natürlich auch mit den Smilies machen, aber manchmal mach ich das mit den Abkürzungen.


    Hier mal eine Zusammenstellung diesen Emoticons:


    http://www.cooltips.de/smiley.htm


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)