Beiträge von Leibgeber

    Als ich oben schrieb, ich frage mich, ob es so etwas je gegeben hat, bezog ich mich auf die Einstellung der Männer gegenüber Nana. Die verlieren ja in ihrer Gegenwart buchstäblich den Verstand. Es gibt eine Szene, als sie in ihrer Wohnung ein Essen gibt und neben vielen anderen Gästen auch ein Bankier erscheint, vermutlich schwerreich. Sie sitzt neben ihm, und (ich zitiere aus dem Gedächtnis) bei jeder ihrer Bewegungen, wenn sie ihre Schulter oder ihren Brustansatz sehen lässt, "bietet er immer höhere Summen".

    Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Dass eine Frau keine andere Überlebensmöglichkeit hat als sich so anzubieten, wie Nana es tut, ist eine Sache, aber dass die Männer so vollkommen den Kopf verlieren und beim Essen, neben ihr sitzend, Gebote abgeben, das kommt mir sehr merkwürdig vor.


    Auch dieser Heiratsantrag von ihrem Verehrer Philippe - der weiß doch genau, was für ein Typ sie ist, und dann schlägt er ihr die Heirat vor, nachdem sie sein Geburtstagsgeschenk (und alle anderen auch) mutwillig kaputtgeschlagen hat. Gibt es solche Männer? Sowas gehört doch mit einem nassen Handtuch erschlagen.


    Aber ich hab ja keine Ahnung. Vielleicht ist das aus dem Leben gegriffen. Ich habe ein Buch über Zolas Arbeitsweise, weil mich das eine Zeitlang sehr interessiert hat. Da gibt es eine Menge Beispiele für seine Recherchearbeit. Er war ja auch ein Mann der Gesellschaft, vermutlich kannte er solche Typen.

    Auch wenn wir uns hier in der Literatur bewegen, und nicht im realen Leben, ausnahmsweise was aus dem realen Leben.

    Antwort eines Mannes an eine Frau.


    Aus meiner Sicht, und wie ich mich und meine Mitmänner einschätze:

    klar kann es das geben.

    Ich meine den Mechanismus des Verfallenseins.

    Und ich nehme an, dass es auch zu sowas führen kann, wie Monsieur Zola es beschreibt.

    Insbesondere wenn man, wie bei einem Teil der hier Beschriebenen (Philippe gehört nicht dazu), das nötige Kleingeld hat.


    Ob das reale Vorbilder hatte, weiß ich nicht.


    Selbstredend sind nicht alle in dem Ausmaß so, ich bin das auch nicht.

    (Und hätte ich so viel Kleingeld, würde ich es in eine größere Wohnung, mehr Regale, mehr Bücher investieren.)

    Den Kopf ein bisschen verlieren, das aber ist ab und an schon möglich.

    Und zwar, wie ich von Mitmännern weiß, altersunabhängig.


    Ob sowas erschlagen gehört (und warum mit einem nassen Handtuch), weiß ich auch nicht.

    Sichern solche Männer doch Nana ihr Auskommen.


    Ich habe die Theorie, die ich aber nicht belegen kann, dass Zola in Nana so ein bisschen die eigenen (Sehn-)Süchte hineingelegt hat.

    Ganz naturalistisch :saint:


    Selbstredend würde ich, als Romanperson, der Romanperson Nana nicht verfallen.

    So wie die beschrieben wird ...


    (Fortsetzung folgt. Deine Frage passt gut zu einigem, das ich am notieren bin.)

    Denn hier wird einfach erzählt. Nicht belehrt.

    Hier ergrünt und blüht aus der Geschichte einer gar schrecklich netten Familie ein Zeitpanorama Spaniens und schlussendlich, mal wieder, das ein-und-andere an Einsichten in das Menschliche an sich.


    Hier gibt es das, was uns Menschlein unter anderem auch vom lieben Getier unterscheidet.

    Ironie, Humor.

    Wunderbar garstig-giftgetränkte Schilderungen und Dialoge.


    Auf anderthalb Seiten (122/123) so viel über das Wesen der offiziellen Religion (es geht um Devotionalienhandel mit nicht ganz sauberen Methoden) wie nicht in drei Trilogiebänden von ... wie hieß er noch gleich.


    Es gibt Sätze zum Verlieben, mal wieder (hier 205).

    Arme Abelarda, meine Lieblingsperson unter den drei "Miaus".


    Zitat

    Der Ton des guten Villaamil war so heftig, ehrlich und überzeugt, daß Abelarda glaubte, diesen selben Augenblick wahnsinnig werden zu müssen; sie dachte, es gebe nur mehr ein Linderungsmittel für ihre schreckliche Pein: aus dem Hause und nach dem Viadukt der Calle de Segovia zu laufen und von ihm in die Tiefe zu springen.Sie stellte sich den kurzen Augenblick vor, da sie den Abgrund durchraste, mit den Unterröcken über dem Kopf, und dann schlug sie auf dem Pflaster auf. Welch ein Genuß! Und dann das Gefühl, sich in einen Pfannkuchen zu verwandeln und dann nichts mehr. Aller Kummer war vorbei.


    (Dies habe ich selbstredend gar nicht auf den unlängst gelesenen ... anspielend geschrieben.)

    Ich habe zwar "Nana" ganz gern gelesen, weil mich dieses Thema des unaufhaltsam sich steigernden Desasters anspricht. Aber das Geschlechterbild ist reichlich merkwürdig, und ich habe mich immer wieder gefragt, ob es so etwas jemals wirklich gegeben hat.


    Dies scheint mir zu berühren, was ich für die grundlegende contradictio in adiecto des Naturalismus halte.

    Dieser erhebt den Anspruch, die Wirklichkeit zu schildern, wie sie ist, also wohl auch die darin lebenden Menschlein.

    Und das, was sie sind, also geworden sind, aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten zu erklären.


    Falls ich was falsch verstanden hab, oder zu eingeschränkt, oder andere Sichtweisen übersehe, bitte korrigieren.


    Aber wie ist denn ein Mensch wie er ist?

    Wo bleibt bei "Nana" denn das, was sie auch ist, das unter der Oberfläche?

    Immerhin gab es auch schon vor Freud durchaus Autoren, die darauf gekommen sind, dass Menschen gutenteils von dem beeinflusst sind, was da so in uns schwelt, die Träume, das Unbewusste, oder Unterbewusste - das schmeiße ich immer durcheinander.


    Es scheint mir dabei zu bleiben, dass auf der zweidimensionalen Oberfläche Abziehbildchen herumkrauchen.


    Die Allgegenwärtige Informationsquelle informiert mich, dass Zola Recherchen angestellt hat.

    Klar, das hat bspw. Flaubert auch. Wenn es danach ginge, wäre "Bouvard und Pécuchet" weitaus naturalistischer als "Nana".

    Ich meine nur, dass Zola, sollten auch seiner Recherchen eher praktischer Natur gewesen sein, damit das Wesen eines Menschen nicht die Bohne erfassen, schildern, erklären kann.


    Außerdem muss er zwangsläufig, so er überhaupt in (s)einer literarischen Tradition gelebt hat, "korrumpiert" sein in all dem Versuch der Objektivität.

    Denn à propos, die Kurtisane hat es sicherlich gegeben.

    In unserer Kultur so seit der Renaissance.

    Vergleiche bspw. zur Antike (Hetäre) und zu Japan (Geisha) sollten, meine ich, mit Vorsicht verwendet werden.

    Insofern: Honoré le Grande grüßt Émile la Petitesse.


    Und zuguterletzt: ein Autor ist auch stets beeinflusst durch die eigenen zum Beispiel körperlichen Malesten.

    Und durch das eigene Unterbewusste. Sehnsüchte, Träume ...

    ... also, hat der grande naturaliste in seine Nana seinen Frauenwunschtraum hineinfabuliert, selbstredend, ohne das zu wollen, denn er ist ja Natura....... ?

    Dann freilich wäre das Geschlechterbild nicht reichlich merkwürdig, sondern ... männlich :belehr:

    Denn sogar der dummerweise vorhandene kommerzielle Aspekt scheint sich mir nicht zu verdeutlichen.


    Und wird von alledem abstrahiert so gut möglich, dann bleibt eben kein Roman übrig.

    Sondern ein Stück fortlaufende farb- und leblose ... ich weiß nicht was. Jedenfalls keine Erzählkunst.

    Du schreibst vom "unaufhaltsam sich steigernden Desaster". Aber eine permamente Anhäufung von Promiskuität, Verschwendung, Perversion ergibt noch kein Desaster.

    Sondern eine Anhäufung. Nicht mehr.


    Okay, bei mir wird das wohl nichts. Mit dem Naturalismus. Ich suche ja schon nach der Blauen Blume unter meinen Balkonpflanzen.


    (Fortsetzung folgt.)

    Ja, ich und der Naturalismus ...

    "Nana".

    Rezensionen schreiben kann ich nicht, aber ein paar impressions.

    Unbeeinflusst von Sekundärliteraturlektüren, außer dass ich den Artikel der Wikipedia überflogen hab.

    Zola und Dreyfus, ja, das ist mir bekannt.


    Meine Ausgabe

    https://d-nb.info/455833923

    ist öfters wiederaufgelegt worden. Eine Menge Auflagen bei dtv.

    Sie enthält ein durchaus kritisches Nachwort von Hans Eberhard Friedrich.


    Roman ... naja.

    Es scheint mir eine Aneinanderreihung von Szenen zu sein, mit einem halbwegs durchreichenden Faden.

    Die Einheit von Kapitel und Schauplatz, freilich sehr wichtig in der Kunst des Romans, hält Zola recht konsequent ein.

    Und so schreitet die Handlung denn fort, ohne störende Vor-, Rück-, Seitenblenden.

    Und wechselt ab mit Beschreibungen der Schauplätze: das Theater, das Landhaus, die Luxuswohnung, die Rennbahn ...

    und das fand ich am spannendsten.


    Ich nehme an, dass dies Naturalismus ist.

    Beschreibe die Welt, wie sie ist.

    Was allerdings nicht klappen kann.

    Den es ist die Welt, wie, in diesem Falle, Zola sie sieht.


    (Fortsetzung folgt.)

    Hier läuft, dem großartigen Prus, Die Puppe "zwischengeschoben":

    Benito Pérez Galdós: Miau

    https://d-nb.info/831038977


    Ausgewählt, weil ich den sehr dickleibigen Prus nicht mit ins Büro tragen mag.

    Und jetzt lese ich es zuhause weiter.

    Sehr lohnend, wie auch der vor Jahren gelesene "Amigo Manso".

    Aus gegebenem Anlass - "geklappt" hat es erst für Februar - wird die Leseliste modifiziert.

    Für den Mai wird es, so ich mich trau, einen Beitrag zu Zola geben.

    März und April sind in frohsinnigster Arbeit. Januar stellt mich vor Schwierigkeiten und dauert.

    Ich habe sogar einige ausdrückliche "black romance"-Momente in Erinnerung, vor allem die Alpträume des Liebespaars.
    In seinen späteren Romanen ist Zola deutlich nüchterner. Aber ich erinnere mich noch an so gewisse Stellen, zum Beispiel in "Das Tier im Menschen", wie das Verhältnis zwischen Jacques Lantier und seiner Lokomotive erotisch immer weiter aufgeladen wird, bis hin zum "Tod" der Lok nach einem Zugunglück. Ist das noch naturalistisch oder weist es schon auf den Expressionismus voraus?

    Wirklich ? Also, sowas .... ich werde das mal auf Wiedervorlage legen.

    Hauptsache, ich hab meine Märklin lieb.

    Ich hab in eine ältere "Thérèse", Reclam, investiert, Übersetzung von Ernst Sander.

    Sowie in eine noch ältere "Nana", Winkler, übersetzt von Walter Widmer.

    Solide, da kann man nichts verkehrt machen.


    Wie es sich wohl gelesen hätte, wenn Arno Schmidt es nachgedichtet hätte.

    Ich sehe nämlich gerade, dass er sich geäußert hat

    https://www.arno-schmidt-stiftung.de/eba/search?q=zola


    Aber den den Ausgaben der literarischen Essays, die ich hier stehen hab, ist "Germinal" nicht drin.

    (Die vier blauen Paperbacks zur deutschsprachigen, die drei roten zur angelsächsischen Literatur, mit Anhang zu Jules Verne.)

    Womit ich ein bisschen hadere, ist, dass der Roman wohl als sehr naturalistisch gilt. Ich sehe schon, für welche Elemente diese Klassifizierung gelten kann, aber soweit ich das laienhaft
    beurteilen kann, hat Zola die Romantik hier bei weitem noch nicht ganz abgestreift.

    Dann sollte ich Thérèse vielleicht eine Neulektüre gönnen :)


    Hallo Bluebell,


    Empfehlungen gebe ich ungern und selten ab. Ansichten äußern finde ich okay.


    Ich hatte Anfang letzten Jahres die "Drei Städte"-Trilogie gelesen, du findest hier was dazu

    Was lest ihr gerade?


    Es gibt Autoren, die mir liegen, und solche, die es eher nicht tun. Geschmackssache. Interessant fand ich, dass ich Überlegungen angestellt hatte, was mich an der Art zu schreiben denn störte. Und ich bin nicht so richtig dahintergekommen. Außer, dass ich literarische Personen als Ideenträger - so hatte ich es empfunden - nicht so mag. Du findest in dem Thread davor auch anderes dazu, bspw. von Zefira.


    Warum ich mir diese vergleichsweise nicht so bekannte Trilogie vorgenommen hatte, weiß ich nicht. Vielleicht gerade deswegen.


    Übrigens können die Romane des Rougon-Macquart-Zyklus mit Sicherheit auch für sich, einzeln, gelesen werden.

    Wie ich es mit "Das Paradies der Damen" gemacht hatte. Das Warenhausthema ist nicht übel, aber ............. siehe hier drüber.


    Das kurz erwähnte gelbe Reclam von "Germinal" steht hier immer noch. Und liegt hartnäckig durchaus eher oben auf dem SUB.

    Es ist Nummer 4928, ISBN 3-15-004928-8, Ausgabe 1991. Herausgegeben und mit einem (kurzen) Nachwort von Wolfgang Koeppen.

    Meines Wissens ist das einer der berühmtesten Romane des Zyklus.

    Und auch stand-alone-readable.


    Übrigens würde ich auch "Therese Raquin" durchaus noch einen Versuch gönnen. Aber einen ungekürzten.

    Könntest du mitteilen, welche Ausgabe du gelesen hast?

    Hier hat sich der dritte Teil von Coopers Littlepage-Trilogie eingefunden, "Die Roten", Übersetzung Arno Schmidt, gebundene Ausgabe Goverts.

    "Satanstoe" und "Tausendmorgen" stehen schon lange rum, und die waren seinerzeit schwer zu beschaffen gewesen. Beides übrigens ehemalige Bibliotheksexemplare.

    Dieser Band dagegen unglaublich preiswert, die zunehmende Anzahl von Buchverschleuderern hat eben Auswirkungen.

    Ich möchte dem gerne eine Lektüre gönnen.

    Die Übersetzung

    https://www.mobileread.com/forums/showthread.php?t=201236

    hab ich gerade vom Kobo gelöscht. Einige Vergleiche ergeben, dass Schmidt doch vorzuziehen ist. Also Nachdichter jedenfalls besonders :belehr:

    Übersetzer Carl Kolb, und ich war mir sicher gewesen, dass Arno Schmidt den erwähnt. Im Zusammenhang mit Cooper.

    Aber die eBa

    https://www.arno-schmidt-stiftung.de/eba/search

    findet ihn nicht. Entweder mein Gedächtnis, oder die Suche nicht kapiert. Ich suche nach der Stelle, wo Schmidt schreibt über die Qualität dieser alten Viel-Übersetzer.

    Nachgeliefert: ich hab die Stelle wiedergefunden, via

    https://www.mobileread.com/forums/showthread.php?t=201236

    Nur ist's über negative Qualität.


    Zitat

    "[...] Es handelt sich um eine Unzahl von Duodez-Bändchen (Umfang zwischen 5 und 7 Bogen); 1841 waren es bereits 165 Stück; mit ganz wenigen Ausnahmen grausigste übersetzerische Fabrikware, bei der man auf wahrhaft extragalaktische Schnitzer gefaßt sein muß - Einer polstert sich gegen Schläge mit einer 'Unions-Jacke' (im Original natürlich "Union Jack"); über Flüssen liegt, wenn es morgnet, 'dicker Mist'; usw. usw.; - mir ist zuweilen schon der Einfall gekommen, ob es sich nicht um einen solidarischen Racheakt, wegen unzulänglicher Bezahlung handeln könnte? (manche Witze sind ansonsten schlechterdings unerklärbar). [...]"

    (Aus dem Nachwort von Arno Schmidt in dem von ihm übersetzten Cooper-Roman Conanchet oder die Beweinte von Wish-Ton-Wish, Stuttgart, Goverts, 1962.)

    Ja, hier werden wohl häufiger die Readers Digest-Bände entsorgt. Die liegen auch wie Zement in den Regalen, vielleicht weil man dort keine Inhaltsangabe einsehen kann oder einfach, weil sie zu altmodisch aussehen.

    So welche hatte ich gerade letzte Woche mitgenommen, aber keine verkürzten Romansammelausgaben:


    Das große Readers Digest Gartenbuch, drei dicke Bände, zusammen 1407 Seiten, schöner Einband, gutes Papier, fadengeheftet, 1965.

    Keine Fotos, sondern Zeichnungen. Wertigste Biologie, Flora wie Fauna.

    Ich konnte nicht widerstehen :habenwolln:

    Ohne übrigens im mindesten den grünen Daumen zu haben. Ich mach mir nicht mal mit den Balkonkästchen gerne die Pfoten schmutzig.

    Im dritten Band fehlt ein Dutzend Seiten, nothing's perfect ...

    Ich glaube du hast mich missverstanden. Die Trilogie rechne ich nicht dem sozialistischen Realismus zu, aber ich las damals in Rezensionen, das das für die Mutter gilt.


    Gruß, Lauterbach

    Meiner Leseerfahrung nach ist das so.


    Ich hatte, vor schon längeren Jahren, mit Sicherheit einen guten Teil der Gorki-Prosawerke gelesen.

    ( Alle als dtv übrigens, Lizenzausgaben des Winker Verlags. )

    Inclusive den sehr umfangreichen "Klim Samgin".


    Hängen blieb eher wenig. Aber wenn überhaupt was auf dem SWB liegt, dann die drei Autobiographischen.

    Die Erzählungen fand ich zum Teil auch lesenswert.