Zitat von "giesbert"
Stichwort "falsche Freunde". Dass ein "sehr lustiger Ort" ein "sehr angenehmer Ort" ist: darauf wäre ich so schnell nicht gekommen.
Ja, sehr interessant. Wenn in der Übersetzung das "lustig" zu "angenehm" wurde, zeigt das, daß der Übersetzer da tatsächlich genau hingeguckt und nachgedacht hat. Im Kommentar der Ausgabe des Dt. Klassikerverlages ist dieses "lustig" übrigens nicht kommentiert, da ist der Leser also auf sich allein gestellt.
Dieses "lustig" im Sinne von "anmutig; den Sinnen angenehm; erfreulich; lusterweckend" findet man allerdings auch noch in jüngerer Literatur, beispielsweise bei Goethe oder Eichendorff:
"... auf der sanfterstiegenen Höhe, von da man zu einem lustigen Wäldchen gelangte ..."
(Goethe: Die Wahlverwandschaften)
"Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein lustiges Wäldchen von Laubholz stieß."
(Eichendorff: Ahnung und Gegenwart)
"Der Freiherr willigte ein und folgte seinem Führer, der ihn aus dem Walde leitete. Als sie heraustraten, deuchte ihm, er sehe schöne Wiesen und eine überaus lustige Gegend."
(Grimm: Deutsche Sagen)
Nochmal zurück zur Simplicissimus-Übersetzung; der Übersetzer Reinhard Kaiser sagte in einem Interview, das man im Netz findet:
Zitat
Eine Übersetzung geht nie ohne Unkosten ab. Die wunderschöne barocke Sprache wurde durch ein gegenwärtiges Deutsch ersetzt. Aber darunter ist eine unglaubliche Vielfalt an Geschichten, Erzählperspektiven und Erzähltechniken zum Vorschein gekommen.
Könnte natürlich schon so sein, daß man sich als Leser bei der Auseinandersetzung mit dem Original hauptsächlich mit der Sprache (Lexik, Grammatik, Syntax, Orthographie) beschäftigt und weniger mit dem eigentlichen Text, man sieht dann sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Andererseits ist die Frage, ob man als passionierter Klassikerleser mit einer Übersetzung wirklich zufrieden ist, weil sie eben doch nur die zweite Wahl ist und man das Original ja eigentlich schon lesen könnte, wenn man entsprechend motiviert wäre.
Ansonsten habe ich jetzt mal wieder Lust auf deutsche Barock-Literatur bekommen und mir antiquarisch einige Werke von Johann Beer bestellt. Von dem habe ich nämlich noch nichts gelesen ("Für die heutige Literaturwissenschaft steht sein Werk gleichrangig neben dem von Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen" heißt es in der Encarta) und er scheint mir einigermaßen flott zu lesen zu sein, zumindest in dieser orthographisch modernisierten Ausgabe aus dem Insel-Verlag:
Zitat
Es war heißer Sommer, und die heftigen Sonnenstrahlen entzogen viele Menschen von ihren Geschäften. Der Wandersmann mußte sich öfters unter die schattigten Bäume setzen und den meisten Teil seiner Reise lechzend zubringen. Der Schnitter hatte keine andere Labung als das Wasser, welches, von Schweiße gesammelt, ihm über die Backen abrollete, und die man sonsten bei den Büchern studierend fand, sah man anjetzo in den Wäldern ihre Zeit müßig zubringen.
([url=http://www.zeno.org/Literatur/M/Beer,+Johann/Romane/Die+kurzweiligen+Sommer-T%C3%A4ge/Notwendiger+Unterricht+und+allgemeiner+Eingang]Die kurzweiligen Sommer-Täge[/url])
Schöne Grüße,
Wolf