Beiträge von finsbury

    "Ewigkeitsfjord" von Kim Leine


    [kaufen='9783446244771'][/kaufen]


    Ein sehr interessanter zeitgenössischer dänischer Roman, der zum Ende des 18. Jahrhunderts in Kopenhagen und Grönland spielt. Es geht um einen - eher unwilligen - Pfarrer, der vom Sohn des Hans Egede, des ersten Grönlandbischofs der Neuzeit, zur Grönlandmission geschickt wird und dort auf die wenig einnehmenden dänischen Kolonisten mit ihrer rassistischen Einstellung gegenüber den Inuit und auch den "Mischlingen" stößt, sich selber in vielfacher Hinsicht schuldig macht und doch versucht, in dieser lebensfeindlichen Welt einen Sinn zu finden.
    Ein spröder, aber auch spannender und betroffen machender Roman. Sehr zu empfehlen!

    Herzlichen Glückwunsch, dass du es geschafft hast, thopas. So ein noch nicht zu Ende gelesenes Werk drückt einem ja auch aufs Lesegemüt. Geht mir jedenfalls oft so.

    Schade, dass dir das Ende nicht so gefallen hat. Für mich war gerade der nicht- italienische Teil am Ende wieder interessanter, weil sich in Italien doch viele Themen arg oft wiederholten. Ich interessiere mich allerdings auch sehr für Geschichte, deshalb fand ich den Teil, der in der in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland spielte, durchaus spannend. Man liest ja oft Sachbücher nur aus der gegenwärtigen Perspektive. Ich jedenfalls bin bis jetzt kein großer Memoirenleser und bekomme daher nicht so oft zeitgenössische Eindrücke geboten, außer wenn sie durch fiktionale Literatur gebrochen ist.

    Wenn ich bei einem Buch ein paar Monate Pause mache, dann les ich das nicht mehr zuende ;-). Wie gesagt, ich finde das ziemlich unkompliziert, handlungsreich und gradlinig erzählt. Mit satirischen Einlagen und mehr als einer Prise Kolportage. Das einzige, was mich mitunter aus der Bahn wirft, ist die Zeitgeschichte - dt. Geschichte um 1820 hab ich nicht so am Schnürchen, da muss ich gelegentlich nachschlagen. Aber da reicht auch ein grober Überblick, um der Handlung zu folgen.

    Ich habe die Epigonen sogar schon zweimal gelesen, einmal an der Uni im Rahmen eines Seminars über die Anfänge der Industrialisierung im Spiegel der Literatur und dann hier auch schon vor vielen Jahren in einer Leserunde. Ich schätze den Roman genauso ein wie du giesbert und mir hat die Lektüre auch Spaß gemacht.

    Nun habe ich das "Märchen" auch durch. Schon auf der ersten Seite als durchkomponiertes Kunstmärchen zu erkennen, spart es trotzdem nicht an erzählerischen Reizen.
    Eine Schlange, zwei Irrlichter, ein Fährmann, ein Mann mit Licht und dessen Frau, die sich um eine schwindende Hand grämt, zwei verwunschene Thronanwärter und ein verschwundenes Königreich, so setzen sich Personal und Setting im Groben zusammen. Über die Bedeutung werden sich wohl Generationen von Germanisten schon den Kopf zerbrochen haben, uns Lesern bleibt eine Welt mit inhärenten Gesetzen, wunderschöne Bilder (Schlange und Brücke), rätselhafte Metaphern und ein versteckter Aufruf zur Menschlichkeit. Mir hat's gefallen, das ist Goethes Niveau, die Unterhaltungen sind's nicht.

    Das ist es eindeutig, ja.


    Das "Märchen" fällt im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Rahmen; jeder Versuch, es hinein zu quetschen, hätte wohl zu einem völligen Desaster geführt.

    Dann hätte er es auch ganz rauslassen und einzeln veröffentlichen können. Es soll laut KLL die poetologische Endstufe des Novellenzyklus sein. Da aber die anderen Erzählstücke wenigstens kurz in ihrer Funktion und Wirkung angesprochen wurden und nur das Märchen nicht, ist es trotzdem gegen die Struktur, auch wenn die familiäre Diskussion in der Rahmenhandlung sicher nicht angemessen gewesen wäre. Insofern hast du wohl Recht, war es dichterischer Selbstschutz, was die Qualität der "Unterhaltungen" dennoch fragwürdig erscheinen lässt.

    Der Novellenzyklus mit Rahmenhandlung wurde 1795 in Schillers Zeitschrift " Die Horen" veröffentlicht.


    Goethe bezieht sich in der Rahmenhandlung auf die Besetzung des linksrheinischen Rheinlands durch die Franzosen 1793 und die Mainzer Republik. Eine Baronesse flieht mit ihrer Familie und Freunden von ihren linksrheinischen Besitzungen vor den Franzosen auf ihre rechtsrheinischen Güter: Unter Auswanderung versteht man heute da doch etwas Anderes.
    Neben den Befürchtungen um Hab und Gut und die Gesundheit der Angehörigen unterhält sich die Flüchtlingsgemeinschaft auch über die politischen und ideologischen Hintergründe der Besetzung, und es kommt zu einer Auseinandersetzung zwischen dem jüngsten Sohn der Baronesse, der weiterhin den Idealen der Französischen Revolution anhängt und sich von der Besetzung Mainz' erhofft, dass diese Ideale auch wenigstens teilweise auf deutschem Boden durchgesetzt werden, und einem ihrer alten konservativen Freunde, der erzürnt die Gemeinschaft verlässt.
    Daran anknüpfend verlangt die Baronesse, dass man zu einer unpolitischen, Meinung und Gefühle schonenden Unterhaltung mit hohem moralischen Anspruch findet und eröffnet dadurch einen Reigen von immer länger und komplexer werdenden Novellen, die von den Söhnen, insbesondere aber dem katholischen Hausgeistlichen erzählt werden. Im Anschluss daran folgt immer eine kleine Auseinandersetzung über die Bedeutung der Erzählung, bevor die nächste folgt. Am Ende steht das berühmte "Märchen", das ziemlich unverbunden angehängt und auch nicht kommentiert wird.


    Das "Märchen" habe ich noch nicht durch, neige aber nach den ersten Seiten dazu, es für den absoluten erzählerischen Höhepunkt der "Unterhaltungen" anzusehen.

    Der Anfang der Geschichte hat durch die Zeitgebundenheit der Rahmenhandlung noch seinen Reiz, die Novellen selbst sind sehr zeitverhaftet: Es geht in ihnen zunächst um Geistererscheinungen bzw. das merkwürdige Zusammenspiel unterschiedlicher Ereignisse, Themen, die zu jener Zeit scheint's sehr beliebt waren, zu beobachten auch an Schillers "Geisterseher" oder vielen Texten der Romantiker. Auch die längeren moralischen Novellen, die danach folgen, haben für mich heute etwas Zopfiges, doch kann man durchaus eine erzählerische Steigerung in ihnen nachvollziehen.
    Mit der Rahmenhandlung hat sich Goethe aber nach dem Anfang gar keine Mühe mehr gegeben, und dass am Ende auf das Märchen nur kurz verwiesen, es gar nicht situativ eingeleitet und am Ende die Rahmenhandlung nicht mehr aufgenommen wird, halte ich für ein weiteres Manko des Werks.

    Zu dem "Märchen" schreibe ich noch etwas, sobald ich damit fertig bin. Den Rest kann man sich meiner Ansicht nach sparen: Da gibt es so viel mehr Goethe, der sich lohnt.

    Es ist aber auch schwierig, wenn man Schmerzen hat und Angst vor einer ungewissen Heilung. Da ist es doch ganz natürlich, dass man dann Ablenkung braucht. Mir geht es in Zeiten beruflichen Stresses nicht anders: Wenn ich dann nicht gerade einen einfach zu lesenden Klassiker wie Dickens, Gogol usw. vor der Nase habe, greife ich auch zu meiner Krimihalde.

    Ja, das klingt eingebildet und manieriert. Aber wenn man die Autoren nach den persönlichen Sympathiewerten einschätzt, auweia, da würde sich die literarische Wertung ganz schön umstellen müssen. Ich finde, sehr viele erfolgreiche Autoren - genau wie andere ebensolche Künstler - wirken oft sehr selbstverliebt und oft auch intolerant gegenüber ihren KollegInnen.
    Aber da hast du sicher mit deinen vielen Lesungs-Teilnahmen einen weiteren Eindruck.

    "Der Klang der Zeit" ist eines meiner Lieblingsbücher der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Allerdings habe ich bisher noch nichts Anderes von ihm gelesen. Freue mich, dass er den Pulitzer-Preis bekommen hat. Wenn ich nicht soviel anderes vorhätte, wäre das vielleicht ein Anlass, "Das Echo der Erinnerung" zu lesen, das ich mir damals nach der Lektüre des "Klangs" gekauft hatte. Ich habe oft Angst, dass ich von den Folgeveröffentlichungen enttäuscht werde und warte deshalb mit der Lektüre ab. Beim "Klang der Zeit" hat mir außerdem das Thema so gefallen, eine Familiengeschichte verwoben mit viel klassischer Musik und der amerikanischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte mit ihrem Rassismus und der Bürgerrechtsbewegung. Sprachlich ungemein dicht und dynamisch.

    Vor Jahren, mind. 15 Jahre, habe ich von Dieter Forte „Auf der anderen Seite der Welt“ gelesen und war beeindruckt. An die Story kann ich mich nur noch grob erinnern, aber diese Stimmung in dieser Lungenheilanstalt auf einer Nordseeinsel, das ist mir immer noch präsent.


    RIP

    Ich glaube, ich habe das Buch dann auch auf deine Empfehlung gelesen und es hat sich sehr gelohnt.

    Ich habe die Trilogie "Das Haus auf meiner Schulter" 2002 gelesen und fand sie damals sehr beeindruckend. Es geht um ein Jungenleben im Trümmerhaufen Düsseldorfs nach dem Zweiten Weltkrieg, wie es in den anderen Bänden dann weiterläuft, weiß ich kaum mehr , aber der erste Band "Das Muster" hat mich damals wohl besonders beeindruckt. Außerdem las ich "Auf der anderen Seite der Welt", das in einer Klinik spielt, auch da habe ich eine gute, wenn auch sehr ungenaue Leseerinnerung. Schade, dass seine Laufbahn nun zu Ende ist.

    Meine aktuelle Lektüre (wobei das nicht ganz das richtige Wort ist, da ich es als ungekürztes Hörbuch höre) hat mich mal wieder hierher gebracht. Bin aber sehr angetan:


    Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege

    Eines meiner Lieblingsbücher. Willkommen zurück!

    Die Saga von Einar Sokkison

    Etwas später als gedacht habe ich nun auch diese kurze Saga gelesen, die in meiner Ausgabe nur zwölf engbedruckte Seiten umfasst, dafür aber abgeht wie Schmidts Katze. Die Ereignisse beziehen sich wieder auf historisches Geschehen in den 20er Jahren des 12. Jahrhunderts.


    Einar Sokkison fährt auf Wunsch seines Vaters nach Dänemark, um den dortigen Kirchenvorstand dafür zu gewinnen, dass in Grönland ein Bischofssitz errichtet wird. In Begleitung des schnell geweihten Bischofs Arnald und mit einem norwegischen Kauffahrtssegler im Gefolge erreicht Einar nach einem Zwischenaufenthalt auf Island ein bis zwei Jahre später Grönland. Der Kauffahrtssegler ist allerdings bei einem Sturm, der Einars Schiff nach Island verschlagen hatte, verlorengegangen und verschwunden.

    Einige Zeit nach Errichtung des Bischofssitzes in Gardar, Südgrönland, entdecken einige Männer die Leichen und das kostbare große Segelschiff der Norweger in einer einsamen Bucht weiter nördlich. Sie kochen die Skelette der Leichen ab, nehmen die Knochen mit zur Bestattung nach Grönland und das Schiff ins Schlepptau. Die kostbaren Gegenstände, die sie bei den Leichen und auf dem Schiff gefunden haben, werden auf Wunsch des Bischofs zum Teil als Grabbeigaben, für die Kirche und zur Aufteilung unter den Männern, die die Leichen entdeckten, verwendet. Der Bischof erhält das Schiff.

    Einige Zeit später kommt Özur, ein Verwandter der Verstorbenen, nach Grönland, um sein Erbe einzufordern. Daraus entwickelt sich eine riesige Blutfehde, in die schuldhaft der Bischof verstrickt ist, und die unter anderem mit dem Tod Einars und Özurs endet. Nach vielen Toten kann endlich ein besonnener Bauer den Streit schlichten, die restlichen Norweger kehren zurück nach Norwegen, wo sie versuchen, den König gegen die Grönländer aufzuwiegeln, worauf dieser sich aber nicht einlässt.


    Ihr seht, wie in dieser kurzen Saga die Post abgeht. Man wird richtig atemlos beim Lesen. Sehr empfehlenswert und ein Lehrstück auch noch für unsere Zeit, die genauso gierig und blutrünstig ist, das nur lieber verschleiert.