Beiträge von finsbury

    Die Reemtsma-Biografie habe ich mir auch zu einem anstehenden Anlass gewünscht. Eure Ausführungen dazu haben Appetit dazu gemacht. Bin schon gespannt darauf. Wolfgang Koeppen habe ich zuletzt in den Neunzigern gelesen, das könnte ich auch mal wieder. "Tauben im Gras" ist doch der Bonn-Roman?

    finsbury gerne mal, wenn es nicht so bald ist, im Herbst vielleicht.


    Was mir bei den Effingers damals hängengeblieben ist, dass die so vielgelobte deutsche Wertarbeit eine spätere Erfindung sein muss, evt. erst aus der Zeit des Wirtschaftswunders :)

    In den nächsten Monaten ist Tergit auch nicht auf meinem Plan. Herbst klingt ganz gut, kann auch gegen Ende des Jahres sein.

    finsbury ich hab noch "So wars eben" von Gabriele Tergit hier liegen, hast du das evt. auch schon gelesen?

    Das habe ich auch hier liegen, aber noch nicht gelesen. Ich habe außerdem ihre Autobiografie "Etwas Seltenes überhaupt" und den erst kürzlich wohl zum ersten Mal erschienen Roman "Die erste Fahrt nach Berlin" hier noch liegen. Wenn du mal "So war's eben " lesen willst, halte ich gerne mit. Er soll nicht so gut sein wie die "Effingers", aber interessant ist er bestimmt trotzdem. Mich fasziniert an Tergit, dass sie z.T.ganz andere Ausschnitte aus der Lebenswirklichkeit als andere Autoren wählt wie z.B. die Ausflüge in die Geschäfts-, Medien- und Bankenwelt ihrer Zeit..

    Der erste Roman der Schriftstellerin und Gerichtsjournalistin Gabriele Tergit (d.i. Elise Reifenberg, geb. Hirschmann) "Käsebier erobert den Kurfürstendamm" erschien 1931 und umfasst als Handlungszeit die Jahre 1929 bis 1931, also die Endzeit der Weimarer Republik mit ihren wirtschaftlichen und politischen Zuspitzungen in Berlin.
    Ich habe ihn in der Ausgabe des Berliner Taschenbuchverlages gelesen.

    Käsebier ist ein Volkssänger auf einer kleinen Vorortbühne, der in einer Nachrichtenflaute von einem Schriftsteller nach einem Tipp aus dem journalistischen Milieu entdeckt und schließlich in der Presse so gehypt wird, dass er zum Objekt nicht nur von Vertretern der Kulturszene wird, sondern sich an ihn auch der ganze Rattenschwanz der Fanartikel-Industrie und sogar Bauspekulanten mit einem großen Projekt am Kurfürstendamm heften. Am Ende kommt es zum Zusammenbruch des ganzen Hypes in einer Zeit der Schnelllebigkeit und der sich verändernden Idole, was eine ganze Reihe an Konkursen und sogar Todesfällen nach sich zieht.

    Tergit vermittelt diese Handlung fast ausschließlich durch Dialoge im Zeitungsmilieu, kaufmännisch geprägtem Großbürgertum und der erweiterten Kulturszene. Wie in ihrem großen Roman "Effingers" gibt es keinen Erzählerkommentar, die notwendigen Zwischenhandlungen und die Zeitereignisse werden in lapidaren Sätzen abgehandelt. Wir Leser werden mitgenommen in die Redaktion der „Berliner Rundschau“, einer fiktiven Zeitung, die sich an das „Berliner Tageblatt“ anlehnt, für das Tergit ihre Gerichtsreportagen schrieb, zu Verhandlungen beim Justiziar, Besprechungen zwischen Finanzierern und Bauleuten, in die Salons des reichen, oft, wie in den Redaktionen, assimilierten jüdischen Bürgertums, am Ende zu aufgeregten Treffen zwischen Gläubigern und Konkursverwaltern.

    Die Autorin zeichnet mit ihrer dialogischen Methode sehr genau die Typen dieser hektischen Zeit voller Umbrüche nach, die Redakteure und Journalisten, die versuchen, ihre Redlichkeit zu bewahren und die aufstrebenden, am amerikanischen Kapitalismus orientierten Macher, die bereits damals den Zeitungen einen Boulevardcharakter auf Kosten der Informationspflicht und Überparteilichkeit verleihen wollten, um die Auflagen zu erhöhen, wobei ihnen die Folgen der Marktmechanismen für die beteiligten Personen egal waren.
    Hier erkennt man den überraschend modernen oder eher seitdem überzeitlichen Charakter des behandelten Sujets.
    Ein weiterer Schwerpunkt ist der Typus der damaligen modernen Frau, die hin und hergerissen wird zwischen überkommenen Rollenklischees und Autonomieansprüchen. Sie wird insbesondere verkörpert in der Journalistin Fräulein Dr. Köhler, die sich nicht aus ihren klassischen Sehnsüchten nach romantischer Liebe und Sicherheit befreien kann und der unabhängigen, sich am Rande der Gesellschaft bewegenden Käte Herzfeld, die ihre Freiheit genießt und sich dabei aber an viele Männer verschwendet, weil sie meint, freundliche Formen der Zugewandheit auch körperlich belohnen zu müssen. Daneben existieren die reichen Großbürgersgattinnen, die sich wie die Geier auf Versteigerungen von Hausrat nach Insolvenzen stürzen und jeglicher Empathie entbehren.
    Der Roman hat ein beachtliches Tempo, das der charakterisierten Zeit der Endzwanziger entspricht. Die Lektüre ist daher ein wenig anstrengend, bis man sich eingelesen hat. Auch weil den Lesenden einiges an Namenskenntnissen und anderen Hintergründen abverlangt wird, hätte der Neuausgabe des Romans ein Personenverzeichnis und einige Anmerkungen nicht geschadet. Das informative Nachwort der Herausgeberin Nicole Henneberg ersetzt einen solchen Apparat nicht.


    Ein wie die „Effingers“ zu Unrecht vergessener Klassiker, der durch sein ungewöhnliches Sujet und die besondere, sich jeglicher Kommentare enthaltende Schreibweise einen besonders entlarvenden und sehr authentisch wirkenden Blick auf die Endzwanziger, aber auch die immer noch und mehr denn je existierenden kapitalistischen Marktmechanismen mit ihren Auswirkungen auf die Menschen wirft. Leseempfehlung!

    Danke, sandhofer, ein sehr interessanter Blick auf Zolas Rom-Wahrnehmung. In diesem Reisebuch vermutlich für mich interessanter als in dem Städtezyklus.

    Ich habe auch einige Bände aus dem R.-M.-Zyklus gelesen und schätze Zola sehr als gnadenlosen Entlarver, aber gerade deshalb lese ich ihn nicht gerne, weil dieser Blick auf die Dauer sehr anstrengend ist. Besonders intensiv finde ich "Die Erde" und "Germinal", da musste ich mich oft nach der Lektüre erstmal wieder sammeln.

    Die Städte-Trilogie von Zola sagt mir gar nichts. Geht es da nur um "heilige Städte"? Dann fällt sie eh aus meinem Interessenfeld.

    Ich beginne gerade mit Gabriele Tergitts erstem und erfolgreichstem Roman: Käsebier erobert den Kurfürstendamm.

    Ein Roman um Aufstieg und Fall im Medien- und Künstlermilieu im Berlin der Endzwanziger.

    Ich bin ganz deiner Meinung, Zefira, würde aber auch Kindern und Jugendlichen zumuten wollen, die Originaltexte zu lesen, wenn sie nicht ausdrücklich für Kinderhand gekürzt werden. Rassistische und chauvinistische Auslassungen sollten dort kommentiert werden, damit allen Lesenden die Zeitgebundenheit klar ist.
    Wie sollen wir denn sonst mit Geschichte umgehen, wenn wir vor dem scheinbar geschützt werden, was an Unmenschlichkeiten auch den Autor*innen unterläuft? Wir müssen uns damit ehrlich auseinandersetzen können und gerade dadurch ins Nachdenken kommen und nicht in eine perfektionierte Scheinwelt eintauchen.

    Was Leibgeber oben über die Eingriffe in E-Ausgaben von Roald Dahl geschrieben hat, lässt auch mir kalte Schauer über den Rücken laufen. Selbst Eingriffe, die dem Beachten der Menschenrechte Rechnung tragen wollen, verletzen diese, indem sie die Freiheit des Wortes eingrenzen, insbesondere des historisch gebundenen Wortes. Zeitgenössische Schriftsteller*innen kann man mit ihren chauvinistischen, rassistischen oder in anderer Weise bedenklichen Worten konfrontieren, und dann sollen sie sich damit auseinandersetzen, aber seit Jahrzehnten veröffentlichte Werke sollten einen Schutz auch vor gut gemeinten Veränderungen haben. Wir sollten auch und gerade als Demokraten nicht vor kritischen Einschätzungen und Erkenntnissen bewahrt werden.

    Helena


    Das als Tragödie firmierende Stück des Euripides wurde 412 bei den Dionysien in Athen uraufgeführt.


    Hier kommt ein anderer Helena-Mythos zum Vortrag: Helena wurde nicht selbst von Aphrodite nach dem Paris-Urteil diesem zugeführt, sondern die nicht nur wegen der Verschmähung, sondern auch wegen des damit verbundenen Ehebruchs an Melenaos erzürnte Hera ließ Paris ein Luftbild nach Troya entführen und brachte die echte Helena zu Proteus, dem König von Ägypten.


    Nachdem dieser gestorben ist, flüchtet Helena zu seinem Grabmal, denn sein Sohn Theoklymenos will Helena heiraten, was diese züchtig im Angedenken an ihren Ehemann Menelaos zurückweist.

    Zum Grabmal kommt ein griechischer Kämpfer, der Helena über die Niederlage Troyas, die dabei Gefallenen und die anderen über das Mittelmeer versprengten Helden informiert, darunter auch Menelaos. Helena erkundigt sich bei Theoklymenos‘ seherisch begabter Schwester Theonoe, ob Menelaos tot sein und erhält die Auskunft, dass er überlebt habe. Kaum ist dies klar, findet sich auch der schiffbrüchige Held ein und die beiden Ehegatten erkennen einander. Mit einer Intrige und gedeckt von Theonoe gelingt den beiden die Flucht. Theoklymenos will aus Wut seine Schwester umbringen, wird aber von den beiden vom Firmament herabsteigenden Halbgöttern Castor und Pollux (Motiv des deus ex machina), ebenfalls wie Helena Söhne der Leda und von Zeus, daran gehindert und gibt klein bei.


    Also haben wir es hier, wie öfter bei Euripides, gar nicht mit einer Tragödie zu tun.


    Recht modern finde ich, dass Helenas kunstvoll gesponnene Intrige die Gatten entkommen lässt, während sich Menelaos in virilen Vorstellungen vom Zweikampf mit Theoklymenos und /oder einem heldenhaften Tod des Ehepaars zu höherem Nachruhm ergeht.


    Leider habe ich das Drama in einer sehr chauvinistischen Übersetzung von J. A. Hartung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gelesen, in der alles Schlechte, was die Griechen an den Vertretern anderer Völker finden können, als „welsch“ abgetan wird, vielleicht schon ein Ausblick auf den sich anbahnenden deutsch-französischen Krieg. Wobei das Adjektiv schon immer abwertend, früher aber als allgemein fremdländisch, insbesondere aus dem Süden stammend, benutzt wurde. Interessant wäre, ob diese Übersetzung immer für das gleiche griechische Wort benutzt wurde, oder ob Hartung mit dieser Wendung interpretatorisch eingegriffen hat.


    Auch Peter Handke hat dieses Drama übersetzt, das wäre vielleicht die interessantere Lektüre.

    Der Verne-Roman hat sich dann aber im Weiteren als wenig originell herausgestellt. Es handelt sich um eine Intrige, die einem unbedarften reichen jungen Mann, der vor der Eheschließung auf Abenteuer in der großen weiten Welt hofft, ein Robinson-Schicksal vorgaukelt. Das ist aber von Anfang an klar, so dass auch alle weiteren Geschehnisse nur den jungen Mann und seinen Gefährten, aber nicht den Leser überraschen. War wohl ein schnell gestricktes Kassenfüller-Werkchen. Der Anfang war aber gut, da die Welt des Geldadels und der Neureichen in Kalifornien sehr schön anzüglich geschildert wurde.

    Mit viel Vergnügen lese ich nach längerer Zeit mal wieder einen Jules Verne-Roman, diesmal einen von den kleineren und unbekannteren: Die Schule der Robinsons. Schon sehr schön, wie Verne am Anfang während einer Auktion einen ironischen Blick auf die Gesellschaft von San Francisco in der Nach-Goldrauschzeit der 1880er Jahre wirft.

    Das ist ein interessanter Tipp, giesbert. Danke dafür. Ich finde, dass Wielands Bedeutung innerhalb der deutschen Literatur stärker unterstrichen werden sollte und auch seine oft sehr reizvollen und immer noch sehr lesbaren Werke auf mehr Resonanz stoßen sollten, vorallem die sanft ironischen wie z.B. "Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva".

    Ich schaue wie gesagt keine Talkshows oder ähnliche Formate , ob klassisch oder online. Dass die Stellung zum Ukraine-Krieg problematisch ist, will ich gar nicht abstreiten, da ist das Buch auch schnell von der Realität überholt worden. Dennoch finde ich die grundsätzlichen Thesen der Autoren - unabhängig von den Themen, an denen sie sie festmachen, aus oben genannten Gründen richtig. Und dass man zuerst nachdenkt und dann reagiert, anstatt sich als Politiker von den Medien vor sich hertreiben zu lassen, sollte Usus sein, wird aber für die politischen Entscheider aufgrund des Drucks immer schwieriger, egalg um welches THema es geht. Aber nun kommen wir off topic hier, ich lasse es also dabei.

    Hast du das Buch denn gelesen, Diaz Grey?
    Nun, ich schaue keine Talkshows, deshalb habe ich das über das Pamphlet auch nicht gehört. Der Anmerkungsteil schien mir genau zu sein, aber ich habe keine Gelegenheit, solche Daten nachzuprüfen. Sollten einige Daten falsch sein (welche, in welchem Zusammenhang?) ändert das aber nichts an der Gesamtaussage, die mir recht schlüssig scheint, weil sie sich mit Unbehagen meinerseits und vieler anderer an der Berichterstattung deckt.

    Dass ein anderer Ton in den Medien herrscht wie noch vor zehn, fünfzehn Jahren, sollte doch auffallen: Persönliches überlagert Sachliches, Skandalisierung spielt eine große Rolle, und die ruhige Diskussion verschiedener Sichtweisen wird oft überlagert von emotionalen Angriffen. Das Letztere gab es sicherlich auch schon im Internationalen Frühschoppen vor tausend Jahren, aber dass dies in fast allen Formen auch besonders der gesprochenen Berichterstattung, ob im Radio oder Fernsehen, stattfindet, ist doch auffällig. Wird ein/e Politiker/in oder eine andere Person im Scheinwerfer der Öffentlichkeit befragt, die sich zu einer Sache äußert, wird sie oft in die Ecke gedrängt, um irgendwelche Fehleinschätzungen eigener oder beteiligter Personen einzugestehen und / oder zu beurteilen.
    Wie wir alle wissen, ist Demokratie eine langwierige und oft auch nervende Form, durch Diskussion zum gesellschaftlichen Konsens zu kommen, und hier zu mehr Versachlichung und dem Ernstnehmen der Argumente des Meinungsgegners zu kommen, würde der allgemeinen Politikverdrossenheit und dem schwindenden Vertrauen in die klassischen Medien sicher abhelfen.
    Wobei ich finde, dass sich zumindest in der Hintergrundberichterstattung über die Breite der Gesichtspunkte in letzter Zeit auch einiges tut.

    Insofern finde ich, dass das Buch sehr wohl als Erkenntnisquelle über den Gegenstand nutzt, und wenn Precht /Welzer tatsächlich unsauber belegt haben, stehen diese Belege nicht für Behauptungen von menschenverachtender und demokratiefeindlicher Art, wie sie von Sarrazin vorgetragen werden, sondern wenden sich gerade gegen solche.

    Das Sachbuch von RIchard David Precht und Harald Welzer: Die vierte Gewalt


    habe ich gerade zu Ende gelesen. Eine pointierte und gut begründete Erklärung für das Unbehagen, das viele von uns und in unserer Gesellschaft gegenüber dem informativen Journalismus, sei es in den Printmedien, sei es im Funk und Fernsehen, selbst im öffentlich-rechtlichen, überfällt. Hier geht es nicht um Fake News

    und alternative Fakten, sondern darum, dass sich der Journalismus aus sozialen und ökonomischen Gründen immer mehr an den Themen und der Darstellungsweise der Direktmedien orientiert, dadurch an Macht gegenüber der Politik gewinnt, aber seine eigentliche Funktion der Aufklärung und Grundlagengebung für eine breite und diversifizierte öffentliche Diskussion immer mehr vernachlässigt. Selten polemisch, immer faktenorientiert und sauber argumentierend stellen die Autoren diese Entwicklung in vielen Facetten und an den zentralen Themen der letzten Jahre dar.

    Sehr lesenswert!

    Edith Whartons "Haus der Freude" habe ich tatsächlich abgebrochen, was ich nur sehr selten mache. Aber diese Luxusproblemchen einer verarmten aristokratischen Schönen, die unbedingt viel Geld, aber auch einen zu ihr passenden Mann heiraten will und weil sie das nicht schafft, sozial immer mehr absteigt, kann und will ich im Moment einfach nicht nachvollziehen.

    Die zweite Fassung des Heinrich findest du z.B, in der alten schönen Leinenausgabe der Keller.Werke aus dem Aufbau-Verlag noch zu DDR-Zeiten. Der Heinrich macht die Bände 4 und 5 aus. Die Ausgabe bietet außerdem in Band 1 ein ausführliches biografisches Vorwort, editorische Notizen, eine Auswahl von Texten Kellers zu seinen Werken und Anmerkungen. Keine große Ausgabe, aber eine schöne Leseausgabe.

    Für mich ist „Die Wolken" ein humorvolles und kritisches Werk, das auch heute noch relevant ist und zeigt, wie Philosophie und Theorie oft unzureichend sind, um praktische Probleme zu lösen. Es lädt zum Nachdenken und Reflektieren über die Beziehung zwischen Philosophie und Praxis ein.

    Da gebe ich dir durchaus Recht.