Beiträge von finsbury

    Hallo,


    ich las heute Nacht das Kapitel von der Sklaverei und den Anfang vom Kriegswesen.
    Beide Kapitel machen deutlich, dass die Utopier Pragmatiker und Utilitaristen sind, die ihre Bräuche und Aktivitäten nach dem größten Nutzen richten, das ihr als absolut richtig angesehenes Staatswesen davon hat.
    Auch die von mir unten angesprochene Modernität in der Einstellung gegenüber der Frau hat sich als falsch erwiesen, denn in einer Zwischenzeile wird eindeutig gesagt: „Die Ehemänner züchtigen ihre Frauen, die Eltern ihre Kinder.“
    In dem Kapitel über das Kriegswesen kommt es meiner Meinung nach zu Widerdsprüchlichkeiten in Bezug auf Bündnisse. Die Utopier verteidigen zwar angegriffene Bundesgenossen, sind aber gegen Militärbündnisse (wohl eine Anspielung auf die ständig wechselnden Bündnisse zu Morus‘ Zeiten).


    Das kann aber auch an der Begrifflichkeit meiner Übersetzung liegen.


    Einen angenehmen Restsonntag und Wochenbeginn wünscht


    finsbury

    Hallo,


    bin ungefähr in der Mitte des zweiten Buches. Dieses lässt sich noch einfacher lesen als das erste.
    Dadurch dass Morus aber jetzt von der Kritik der bestehenden Verhältnisse zur Positivdarstellung eines Gegenentwurfes kommt, wird auch vieles sehr widersprüchlich.
    Die Idealwelt Utopia verstrickt sich wie schon unten aufgeführt, in der bestehenden Welt, weil sie aufgrund des Bevölkerungsdrucks Kolonisationstrupps aufs Festland entsendet, die die aufgefundene Urbevölkerung nur dulden, wenn sie sich ihrer Lebensweise anpassen.
    Positiv und sehr modern ist, dass die Frauen vollständig in den Arbeitsprozess integriert sind, wenn auch bei der Besetzung der höheren Stellen durchklingt, dass diese wohl Männersache sind.
    Genuss als Lebensprinzip ist der utopischen Gesellschaft zugrunde gelegt, allerdings ein kontrollierter Genuss im Sinne eines gemäßigten Epikuräertums, das Genussbefriedigung als Antwort auf zuvor erduldete Anstrengungen ansieht. Z.B. soll einem das Essen zu den Hauptmahlzeiten schmecken, weil man ja zuvor darauf verzichten musste und daher jetzt mit Genuss den Hunger befriedigen kann.
    Demnächst kommen die Kapitel "Von den Sklaven" und "Vom Kriegswesen", auf die ich schon sehr gespannt bin, stellen sie doch große Widersprüche in der utopischen Gesellschaft in den Vordergrund.


    Ein schönes Wochenende


    finsbury


    Ein Autor verändert sich im Laufe seines Lebens, entwickelt sich weiter (jedenfalls die meisten :breitgrins:). Daher verändert sich auch sein Werk. Nur welcher Teil des Werkes vorzuziehen ist, kann wohl kaum generell beantwortet werden. Das ist wohl eine Frage des Geschmacks und der Vorlieben des Lesers.


    Und es ist auch eine Frage des Alters des Lesers. Man findet sich ja meist in der Gedankenwelt der eigenen Altersgruppe besser zurecht als in anderen.
    D.h. aber nicht, dass höheres Lebensalter unbedingt ein Garant für bessere Leistung ist. Das, was dem Spätwerk an literarischer Könnerschaft und Lebensweisheit zugewachsen ist, wird oft durch eingeschliffene Manierismen, Festgefahrenheit in der eigenen Gedankenwelt und fehlende Spontaneität aufgehoben. Deshalb sollte man jedes Werk für sich - unabhängig vom Alter des Autors beurteilen.



    finsbury

    Hallo,


    gestern Nacht habe ich mich endlich mal wieder der "Utopia" zugewandt. Diese langen Lesepausen hat das gut zu lesende Büchlein eigentlich nicht verdient, aber momentan bin ich selbst dafür oft zu abgespannt.


    Bin nun mit dem spannenden ersten Teil fertig: Die Kommunismus-Diskussion zwischen Hythlodeus und Morus ist die Gleiche wie heute noch: Macht das Leistungsdenken die Gleichbehandlung unmöglich?
    Als Antwort darauf geht Hythlodeus nicht direkt auf die Frage ein, sondern beginnt nun mit seiner Darstellung der Insel Utopia.
    Diese weist große Ähnlichkeit mit der britischen Insel auf, auch Lage von Hauptfluss und -stadt gleichen bis in Details Themse und London.
    Damit hört die Ähnlichkeit aber schon auf. Denn die Utopier sind in landwirtschaftlichen und städtischen Kommunen organisiert und teilen sich die Arbeit nach einem strengen Reglement, das möglichst niemanden benachteiligt, aber persönlichen Neigungen dennoch Raum gibt.
    Interessant ist, dass in Utopia diese Utopie nur für die Bürger gilt. Es gibt daneben wie im alten Rom an das Land gebundene Sklaven, die an dieser Idealgesellschaft nicht teilhaben,sondern für diese die Drecksarbeit, wie z.B. das Schlachten durchführen, denn die Utopier essen zwar gerne Fleisch, wollen aber ihre zarte Seele nicht dadurch verrohen lassen, dass sie aufhören, Mitleid mit der Kreatur zu empfinden.
    Ebenso wird das Festland kolonisiert, und nur diejenigen Ureinwohner werden geduldet, die die Lebensweise der Utopier uneingeschränkt übernehmen.
    Ich bin gespannt, ob es wieder zu einem Dialog zwischen Hythlodeus, Aegidius und Morus kommt, und wie die beiden letzteren auf diese Umstände reagieren.


    Wer liest noch mit?


    finsbury

    Sofern ich den Titan bis dahin durchhabe (LR-Beginn 20. März, sieht also gut aus) bin ich dabei. Dafür lass ich dann lieber die restlichen Josephsromane ein bisschen warten.


    finsbury


    Ich bin mir nicht sicher, ob der Autor in der Joseph-Figur nicht eventuell eine wichtige Stufe auf dem Weg vom Poly- zum Monotheismus gesehen hat. Denkbar wäre es schon.


    Auf dieser Stufe stehen die meisten mehr oder weniger Gläubigen doch heute noch! Oder ist die Anbetung der Heiligen in der katholischen Kirche, ganz abgesehen von der Muttergottes, etwas sehr viel anderes. Theologen mögen diese als Aspekte Gottes deuten, genauso wie Jaakob das in Th. Manns Roman mit einigen anderen orientialischen Göttern auch tut, aber die normalen Gläubigen freuen sich eben, dass sie für jedes Wehwehchen bei einem anderen Heiligen ein Kerzchen anzünden können.


    Das ist zutiefst menschlich, wieviel man religionsphilosphisch da auch hineindeuten mag.


    [quote author= Sir Thomas]ich habe auch den Einstieg in den zweiten Teil hinter mir und komme nach wie vor gut zurecht mit den von Dir geschilderten Eigenarten des Erzählens. Das mag daran liegen, dass reine "Handlungsorientierung" mein Ding in den letzten Jahren nicht mehr ist. Wenn ich so etwas suchte, griffe ich zum Krimi ...
    [/quote]


    Genau das habe ich auch getan! Allerdings gelingt es mir in der Regel, mich auch von hochkomplexen Texten nicht zu sehr ermüden zu lassen, zumindest wenn sich in diesen nicht immer wieder jeder Gedanke in der zigsten Variation wiederholt, aber genau das geschieht in den bisher von mir gelesenen Teilen der Joseph-Romane ständig. Auch diese Aufzählung von Bildungsinhalten aus der Altorientalistik ist ja ganz nett, aber nicht immer zielführend.
    Nun lese ich - nach meinem seichten Krimi - wohl Anfang der Woche weiter und begebe mich auf Abrahams Spuren im zweiten Hauptteil.


    Bis dann


    finsbury

    ... Feuchtwangers "Wartesaal-Trilogie" und weitere Antifa-Romane und -erzählungen wie von Kisch, Plivier, Valtin usw. Upton Sinclair: Öl! über die amerikanischen Zustände Beginn 20. Jh., desgleichen Sinclair Lewis; bei den älteren deutschsprachigen z.B Ulrich Bräkers "Der alte Mann im Tockenburg", und selbst in der römischen Antike findest du bei den Satirikern viele haarsträubende Zustände in der Kritik, ja man kann bis zu Äsop zurückgehen und weiter ...
    Letzten Endes ist eine der wichtigsten Aufgaben der Literatur auch immer das Zeigen auf unhaltbare gesellschaftliche Zustände gewesen ...


    finsbury

    Grundsätzlich hätte ich große Lust zu einer Rilke-Lyrik-Leserunde, aber ich rudere schon mit meinen bestehenden Leserunden, weil ich beruflicherweise dieses Jahr viel mehr belastet bin, als ich ursprünglich annahm. Falls es besser wird, gerne, aber eben nur mit großem Fagezeichen.


    finsbury

    Nun,


    die ersten Seiten des jungen Joseph habe ich hinter mir. Der Erzählduktus bleibt, und der Autor geht offensichtlich nicht davon aus, dass irgendjemand diesen Band ohne Kenntnis des ersten Bandes liest. Einen so harschen Erzählanfang findet man selten: Jeder uninformierte Leser müsste eigentlich schon durch die ersten Sätze abgeschreckt sein.
    Auch sonst setzt Mann bisher sein Verhältnis von 2/3 Kommentar zu einem Drittel Erzählung uneingeschränkt fort. So bin ich erst kurz hinter den Ausführungen zur Zahlenmythologie und schon recht erschöpft. Eine entspannende Zweitlektüre ist das nun wirklich nicht!


    finsbury

    Hallo,


    habe auch begonnen und befinde mich im letzten Drittel des ersten Buches.


    Wie du, thopas, hatte ich am Anfang des ersten Buches meine Schwierigkeiten, die Perspektive zu erkennen: Da der Titel lautet "Rede des trefflichen Herrn Raphael Hythlodeus ... ", dachte ich, dass das Erzähler-Ich auch dieser sei, aber Pustekuchen: More selbst schildert erstmal ausufernd, wie er vermittelt durch seinen Freund Peter Aegid - in Antwerpen den Erzähler des Folgenden kennen lernte. Aber nachdem ich das durchschaut hatte, begann es wirklich spannend zu werden. In den bis jetzt von mir gelesenen Passagen geht es zwar nicht um Utopia, aber mindestens genauso spannend um die Kritik an den bestehenden Verhältnissen in England um die Wende zum 16. Jh.. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen: Bisher hätte ich nicht vermutet, dass jemand damals so offen und modern gegen die Missverhältnisse zu Felde ziehen konnte. Auch eine kleine Wirtschaftsgeschichte Englands mit der Umstellung von Ackerbau auf extensive Weidewirtschaft zugunsten der expandierenden englischen Wollindustrie wird einem geliefert. Bisher ein tolles Buch: Für mich müsste Hythlodeus gar nicht nach Utopia: Die Darstellung des und Kritik am Bestehenden ist genügend spannend!


    finsbury

    Hallo F. Hermann,


    da gibt's zunächst die Wúrzeln aus der alten Zeit, Igorlied und Nestorchronik, einen repräsentativen Querschnitt aus dem alten Schriftgur findest du hier.


    Desweiteren wären dir der Dramatiker Ostrovskij, alles von Puschkin, Gontscharows genialer "Oblomov", Leskovs "Ein Held unserer Zeit", Gorkijs vierbändige Autobiografie und und und ans Herz zu legen: Außerdem gibt es noch viele kaum gehobene Schätze wie Bulat Okudschawa, Samjatins "Wir", Paustowskis Erzählungen und und und. Vegessen wollen wir auch nicht Scholochows Riesenroman; Auch seine Erzählungen vom Don sind zu erwähnen.


    Aber mit den von dir erwähnten Schriftstellern bist du ja auch erstmal beschäftigt.
    Viel Spaß dabei. Die russische Literatur war und ist mir eine große Offenbarungen.


    finsbury


    [Wollen wir weiterlesen? Ich bin fast durch mit dem ersten Band. Der zweite liegt bereit, ich werde ihn direkt im Anschluss lesen. Wer macht mit?


    Wie ich unten schon ausführte, will ich durchaus weiterlesen, denke auch, dass ich parallel zu dem Thomas Morus Zeit finde für Band II, aber dann brauche ich ab 20. März erstmal Raum für den "Titan", der geht mir vor.
    Aber ich kann mich auch zwischendrin einschalten oder die Kommentare hinterher lesen. Falls sich genug melden, macht ruhig mit dem Gesamtwerk voran!


    finsbury

    Hallo,


    habe den ersten Band vor zwei Tagen zu Ende gelesen. Wie schon Tom schreibt, wird es im letzten Drittel des ersten Bandes besser. Die Handlung gewinnt an Fahrt, und die Anzahl der eingefügten redundanten Kommentare nimmt ab.
    Also werde ich wohl doch in absehbarer Zeit mit dem zweiten Band beginnen. Momentan werde ich aber erstmal die "Utopia-" und dann die "Titan-Leserunde" dazwischenfügen.


    Schönes Wochenende


    finsbury


    So viel ich weiß, ist die Verwendung des Apostrophs beim Genitiv auch heute noch erlaubt um damit Eigennamen hervorzuheben? So verwendet ihn ja auch Thomas Mann.


    Noch oder wieder, ja. Übrigens verwendet auch Karl Kraus diesen Genitiv-Apostroph. :winken:
    [/quote]


    K 16 im Duden-Regelwerk von 2006. Allerdings mit der Bemerkung, "zur Verdeutlichung der Grundform des Namens: z.B. Andrea's Blumenecke, um diesen von der männlichen Form Andreas zu unterscheiden."


    finsbury

    Hallo,



    Thomas Mann ist einer meiner erklärten Lieblingsautoren - und das schon seit vielen Jahren. Deshalb freut es mich umso mehr, dass ich endlich Zugang zu den Joseph-Geschichten finde. Damit wäre dann meine TM-Lektüre vollständig (abgesehen von Briefen, Tagebüchern etc.).


    so ähnlich geht es mir auch, die Joseph-Tetralogie ist das einzige literarische Werk von Th. Mann, das ich noch nicht gelesen habe, aber im Gegensatz zu dir, Tom, ist es mein erster Versuch und er droht fast zu scheitern, aber so weit will ich es nicht kommen lassen.


    Ich habe die Lektüre wieder aufgenommen, aber weiterhin große Schwierigkeiten mit den ermüdenden Wiederholungen dieser grundsätzlichen Aussage, dass sich im Mythos alles mische und zerfließe, dass zeitliche Abstände und verwandschaftliche Grade nur relativ seien: Dies walzt Mann in den ersten vier Hauptstücken bis zur Ermüdung aus.
    Auch finde ich das Hin- und Herwechseln zwischen unterschiedlichen Orts-, Personen- und Götterbezeichnungen übertrieben und maniriert: Es stellt den Leser vor unnötige Komplikationen, ohne einen Erkenntnis- oder literarischen Gewinn darzustellen.
    Nun jedoch schreitet die Geschichte Jaakobs etwas ballaststofffreier voran und ich schöpfe wieder Hoffnung.


    Jaakob ist nun bei dem ganz köstlich geschilderten Laban angelangt, der mich ein bisschen an die gnadenlosen Bauern aus Zolas "Die Erde" erinnert. Hier kommt wieder Manns Erzähltalent zu seiner besten Entfaltung: Vor unseren Augen entsteht dieses Gehöft im oberen Zweistromland in seiner ganzen zwiespältigen Ausstattung: Die luftige Essgalerie, der enge und bedrückende Andachts- und Dokumentenaufbewahrungsraum, die Fenster, die Jaakob zwar mit fein geschnitzten Gittern ausstatten, diese und die Wände jedoch nicht anstreichen darf, weil hier Labans Geiz sein wenig entwickeltes ästhetisches Gefühl überdeckt.
    Dagegen wird die armen Lea uns immer wieder madig gemacht, sie schielt ständig mit ihren grindigen Augen an der hässlich geröteten Nase herab: Das ist schon fast literarisches Mobbing!
    Fällt euch auch die merkwürdige Antisteigerung der Attribute von Joseph und Rahel auf? "Schön und hübsch": Benutzt Mann diese falsche Steigerung extra, um die Aufmerksamkeit des Lesers darauf zu lenken oder benutzt er "schön" in Bezug auf das Aussehen und "hübsch" in Bezug auf das Verhalten, etwa im Sinne von "gefällig", "charmant" (oder gar "kapriziös")?


    Bin nun im Kapitel "Jaakob tut einen Fund" im fünften Hauptstück und hoffe, nun ohne Unterbrechungen, wenn auch langsam weiterzukommen.


    Einen schönen Sonntag


    finsbury