Februar 2010: Th. Mann: Die Geschichten Jaakobs (Joseph I)

  • Am Wochenende habe ich den zweiten Band gelesen, die meisten Kapitel waren anstrengend, mir fehlte der Erzählfluss. Der Roman überfordert mich.
    Die Brunnenkapitel zeigen den Moment, in dem sich Josephs Einstellung verändert (mehr umgekehrt). Er erkennt seine Fehler und seine Verantwortung für das was geschieht. In der Schilderung finden sich Anklänge zur Geschichte Jesu.


    Gewöhnlich betrachte ich mich als Freund langer Romane. Hier habe ich den Eindruck TM hat etwas überzogen.


    finsbury:


    Der erste Band ist in der Blütezeit der Weimarer Republik erschienen, vielleicht war für Mann der Antisemitismus noch nicht so im Vordergrund und noch keine große Vorsicht angebracht.
    Mir erscheint es generell fragwürdig, wenn Schilderungen von Individuen auf eine Gemeinschaft übertragen werden. Wer dazu neigt, dem ist schwer zu helfen. Beschreibungen von Gruppen- oder Volkscharakteren, machen mich immer misstrauisch, und sie widersprechen meinen Erfahrungen. Es ist eher kontraproduktiv, wenn Schriftstellen immer wieder an mögliche Wirkungen denken, die sie nicht beabsichtigen. Diejenigen, die offensichtlich eine Diskriminierung beabsichtigen, sollte man eben missachten und bekämpfen.
    Mir ging es zum Beispiel bei dem billigen, blödsinnigen Racheroman von Martin Walser "Tod eines Kritikers" so, dass ich einige Personen erkannte aber nie auf die Idee kam, hier würde eine Gemeinschaft beschrieben oder Walser würde antisemitische Ideen propagieren.


    -----------


    Ich werde jetzt erst ein Mal den Roman nicht weiter lesen, obwohl ich vom nächsten Teil mehr Handlung erwarte. Die Kapitelüberschriften machen mich jedoch auch skeptisch.


    Also lasse ich euch allein. Strengt euch an, und macht mir wieder Lust auf das Buch :winken:

  • Hallo sandhofer,


    ich finde, dass das Zitieren von Autoritäten an dem Problem grundsätzlich nichts ändert. Aber das gehört nicht weiter in diesen Ordner. Belassen wir es also einfach bei unterschiedlichen Meinungen.


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Hallo finsbury


    Ich hoffe, wir haben uns nicht missverstanden. Es geht mir keineswegs um den Deppenapostroph als solchen. Der geht mir, ehrlich gesagt, mittlerweile so was von am A...ndern vorbei ...


    Aber mich hat Deine Aussage:


    zum Genitiv-s: Es verwundert mich einfach, wenn ein auch morphologisch und semantisch so gebildeter Schriftsteller wie Mann dieses Apostroph-s so verwendet, wenn auch, da hast du Recht, Zola, nur bei Eigennamen, aber das gilt ja für die sog. "Deppen-Apostroph-" Verwender auch.


    doch ein bisschen gekitzelt. Und ich wollte nur darauf hinweisen, dass Mann durchaus Gründe für seine Schreibweise vorbringen kann. Gründe, die absolut valabel sind. Adelungs Argumentation bewegt sich auf der Ebene der (Vor-)Lesbarkeit von Texten, kann also nicht gegen Grimm bzw. Duden als falsch hingestellt werden, da eine ganz andere Ebene angesprochen wird. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Nachdem Jaakob sich den Vatersegen erschlichen hat, fürchtet er die Rache des Bruders und flieht. Nicht aber Esau, sondern dessen Sohn Eliphas - ein "Milchbart" noch -, nimmt die Verfolgung auf. Es kommt zur Konfrontation und Jaakob ist sich nicht zu schade, vor dem Jüngling in den Staub zu fallen und um sein Leben zu winseln.


    Dass Jaakob kein Mann des Schwertes ist, und trotz des Namens, den er sich im nächtlichen Ringen mit dem Engel erkämpft hat (Israel: 'Gott führt Krieg' oder 'Gottesstreiter') physischen Auseinandersetzungen lieber aus dem Weg geht, wird an einigen Stellen im Text erwähnt. Als seine Söhne z.B. die Einwohner Schekems niedermetzeln, zieht er es vor, bewusst die Augen davor zu verschliessen und ist dankbar, "dass sie ihn in ihre Pläne nicht einweihten und ihn reinhielten davon, so dass er, wenn er wollte, nichts davon zu wissen oder auch nur zu ahnen brauchte."


    Trotzdem erklärt der Text Jaakobs entwürdigendes Verhalten vor dem Neffen nicht so sehr aus feiger Todesangst heraus, sondern aus Jaakobs Wissen um seine göttliche Mission, dass er Verheissungen in sich trägt, die sich nun mal nur erfüllen, wenn er am Leben bleibt.


    Das hat mich an ein Zitat aus Salingers "Fänger im Roggen" erinnert:


    Das Kennzeichen des unreifen Menschen ist, dass er für eine Sache nobel sterben will, während der reife Mensch bescheiden für eine Sache leben möchte.


    So gesehen erweist sich Jaakob als ein umsichtiger Mensch, der auch bereit ist, sich mal zu unterwerfen, wenn es der Sache dient.


    Und seine angekratzte Mannesehre - er schämt sich ja sogar vor seinem eigenen Kamel ... - wird ja schon kurz darauf durch die Traumvision der Himmelsleiter (und der damit erneuerten Bestätigung, auserwählt vor Gott zu sein) sehr schnell wieder hergestellt. Nur, dass der Text hier weniger ein Gesicht Gottes als eine Kompensationarbeit der Psyche anzudeuten scheint, in der "kraft seelischer Ersatzvorräte" über die Jaakob verfügt, sich seine Seele die Himmelsrampe "zu Trost und Befestigung hinausbaute in den Raum ihres Traumes".


    Ich glaube, es war Lost, der darauf hingedeutet hat, wie T. M. immer wieder bemüht ist, den Mythos rational und psychologisch zu untermauern.


    Liebe Grüsse


    riff-raff

  • Hallo!


    Erst jetzt habe ich die Geschichte Dinas beendet. Ich wundere mich, dass ich während der ersten Lektüre des Romans das Gruseliges von Ereignissen, wie den in Schekem, das doppelzüngiges Verhältnis Jaakobs, der bewusst nichts übernimmt, um das Massaker zu vermeiden, fast ganz ohne tiefen Eindruck lesen könnte. Zurzeit geht’s mir nicht mehr so und bestimmte Passage verursachen unangenehme Gefühle. Geht’s ihr auch so?


    Schöne Grüße
    wanderer


  • Erst jetzt habe ich die Geschichte Dinas beendet. Ich wundere mich, dass ich während der ersten Lektüre des Romans das Gruseliges von Ereignissen, wie den in Schekem, das doppelzüngiges Verhältnis Jaakobs, der bewusst nichts übernimmt, um das Massaker zu vermeiden, fast ganz ohne tiefen Eindruck lesen könnte.


    Dein Beitrag hat mich veranlasst, die entsprechende Bibelpassage nochmal zu lesen; sie weicht deutlich von Thomas Manns Version ab.


    Dina, die Tochter, die Lea Jakob geboren hatte, ging aus, um sich die Töchter des Landes anzusehen. Sichem, der Sohn des Hiwiters Hamor, des Landesfürsten, erblickte sie; er ergriff sie, legte sich zu ihr und vergewaltigte sie.


    In der Bibel wird das Gemetzel, das Simeon und Levi unter den Bewohnern von Schekem anrichten, durch die Vergewaltigung und Entehrung ihrer Schwester, zumindest ansatzweise, gerechtfertigt.


    Bei Thomas Mann hingegen hält Sichem die Sitten ein und bittet Jaakob förmlich um die Hand seiner Tochter. Er nimmt sogar die qualvolle Bedingung der Beschneidung auf sich. Und erst als ihm Dina aus spitzfindigen Gründen immer noch vorenthalten wird, erst da lässt er das Mädchen rauben und vereinigt sich mit ihr. Eine Vereinigung, die bei T. M. alles andere als wie eine Vergewaltigung geschildert wird.


    Die Rechtfertigungen, die Simeon und und Levi bei T. M. für ihre Rache anführen, stehen auf recht wackligen Beinen. Auch hier berufen sie sich auf Dinas Entehrung, die unbedingt gesühnt werden müsse, aber die Schwester ist für sie nur Mittel zum Zweck. Sie instrumentalisieren Dina um das zu erlangen, was sie schon von Anfang geplant hatten, schon als sie die Stadt zum erstenmal erblickten, nämlich sie zu brandschatzen und zu plündern.


    Bei Thomas Mann kommen Simeon und Levi also deutlich schlechter weg als in der Bibel und man kann sich fragen, was ihn dazu veranlasst hat, den Urtext so umzuformen. Sollte der Unterschied zwischen dem friedliebenden und vergeistigten Jaakob/Joseph und seinen kruden Söhnen/Brüdern noch eklatanter zum Ausdruck gebracht werden?


    Gruss


    riff-raff

  • Zitat

    Bei Thomas Mann kommen Simeon und Levi also deutlich schlechter weg als in der Bibel und man kann sich fragen, was ihn dazu veranlasst hat, den Urtext so umzuformen.


    Hier würde mich einmal interessieren, wie diese Begebenheit in der Thora geschildert wird. Ich kann mir vorstellen, dass doch einige Unterschiede zu den Büchern Mose aus der Bibel bestehen.


    Gruß


  • Hier würde mich einmal interessieren, wie diese Begebenheit in der Thora geschildert wird. Ich kann mir vorstellen, dass doch einige Unterschiede zu den Büchern Mose aus der Bibel bestehen.


    Hallo Freund Hermann :winken:


    Ehrlich gesagt, ich musste erst mal nachschlagen um überhaupt zu wissen, was die Thora ist ... - Einige scheinen die Thora und die fünf Bücher Mosis (welche den Anfang des Alten Testaments bilden und in jeder handelsüblichen Bibel zu finden sind) einfach gleichzusetzen. Wenn da aber doch Unterschiede sein sollten - vor allem im Zusammenhang mit der Geschichte um Dina -, würde mich das natürlich auch interessieren. Eine deutsche Online-Ausgabe der Thora gibt es anscheinend nicht; hab jedenfalls nix gefunden.


    Gruss


    riff-raff

  • Zitat

    Am dritten Tag aber, als sie Schmerzen hatten, nahmen Schim'on und Levi, zwei von den Söhnen Jaakows, Dinas Brüder, jeder sein Schwert, überfielen die Stadt, die sich sicher glaubte, und erschlugen alles Männliche


    So die Tora nach der Übersetzung von Moses Mendelssohn.


  • Der Deppenapostroph folgt also einer bestimmten, wenn auch andern, Logik und ist eine altehrwürdige Erscheinung. Ich vermute, Mann wusst sehr wohl, was er tat, wenn er ihn benutzte. :zwinker:


    So viel ich weiß, ist die Verwendung des Apostrophs beim Genitiv auch heute noch erlaubt um damit Eigennamen hervorzuheben? So verwendet ihn ja auch Thomas Mann.
    Ich habe mich erst heute morgen wieder über E-Mails von zwei Kollegen geärgert, die konsequent den Apostroph beim Plural-S verwenden. Brrrr...., ich muß sie mal diplomatisch darauf hinweisen.

  • Hallo zusammen!


    Das Buch wimmelt nur so von Götternamen ... Man kriegt das Gefühl, jede Sippe, jede noch so kleine Gemeinschaft hat ihren eigenen Götterreigen, dem sie huldigt. Dabei fällt mir auf, dass überhaupt kein Fundamentalismus oder Sektiererei zwischen den verschiedenen Glaubensanhängern zu herrschen scheinen. Keiner, der dem anderen seine Götter schlecht macht oder ihn zur eigenen Religion zu bekehren versucht. Da ist viel Toleranz und friedliche Koexistenz spürbar.


    Besonders erstaunlich, selbst Jaakob greift in Extremsituationen schon mal auf heidnische Götter zurück. Bei der vermeintlichen Hochzeit mit Rahel, hebt er wiederholt den bestickten Brautschleier und küsst das nackte Bildnis der Ischtat. Bei Rahels erster Niederkunft hat er nichts gegen allerlei magische Pülverchen und Salben einzuwenden und beteiligt sich sogar selber an einigen recht sonderbaren Praktiken (das rituelle Zerschlagen und Vergraben der Labartustatuette). Als Rahel mit Benjamin in den Wehen liegt, der ihr das Leben kosten wird, murmelt er unwillkürlich "einen Text, mit dem man zu Naharin Ea anging in Nöten" ...


    Wie soll man das verstehen? Als ein Rückfall in archaische Muster? Als vorübergehende Glaubenschwäche? Als schierer Prakmatismus im Sinne von, wenn's nicht hilft, schaden kann's auch nicht? Oder die Überzeugung, dass alle Götter nur Emanationen des Einen, des Vollkommenen sind?


    Jaakob scheint in seinem Glauben noch nicht richtig gefestigt zu sein. Irgendwo im Text heist es, glaube ich, dass er an seinem Gottesbilde immer noch arbeite ...


    Gruss


    riff-raff

  • Hallo,


    angeregt durch Eure Diskussion habe ich doch noch verspätet zum ersten Joseph-Band gegriffen und das Haupttstück „Am Brunnen“ in einem Zug gelesen. Die „Höllenfahrt“ ist mir aus früherer Lektüre noch gut in Erinnerung, so dass ich auf sie verzichtet habe.


    Ergänzend zu euren bisherigen Einlassungen hier noch meine Eindrücke:


    Die „Höllenfahrt“ mit dem wunderbaren Eingangssatz „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit“ (der das zentrale Motiv des Brunnens als Tor zur Unter- und Totenwelt, wie Jaakob es in seinem Denken formuliert, genial vorwegnimmt) ist, wie schon erwähnt, eine grandiose Abhandlung über mythisches Denken und mythologische Weltbilder. Ich war zuerst geneigt, Dante oder die griechischen Unterwelt-Erzählungen als Vorbild der „Höllenfahrt“ anzunehmen, habe dies aber nicht bestätigt gefunden. Es ist im weiteren Verlauf sicher interessant zu verfolgen, ob Thomas Mann diesen Parforceritt im Fortgang der Erzählung aufgreift, vertieft und ausbaut.


    Die Figur des narzisstischen Joseph passt sehr gut in die Galerie Thomas Mann-typischer Jünglinge. Ich erinnere nur an Tadzio (Der Tod in Venedig), Siegmund Aarenhold (Wälsungenblut) und insbesondere Felix Krull. Letztgenannter betreibt sogar „Politik“ mit seinem gewinnenden Äußeren. Die Spannungen zwischen Joseph und den älteren Brüdern haben eine Parallele im Leben des Autors in Form des Bruderzwists zwischen Thomas und dessen älteren Bruder Heinrich Mann.


    Gut gefallen hat mir auch das bislang noch patriarchenhaft wirkende Portrait Jaakobs: ein vom Alter gebeugter, ungepflegter, von Sorgen umwölkter Ehebrecher und Erziehungsversager. So eingängig und lebendig hat mir die Bibel ihr „Personal“ nicht nahebringen können.


    Es ist mir nicht sehr schwergefallen, den zahlreichen religiösen Anspielungen und Namen zu folgen, denn ich habe ein wenig im Thomas Mann-Figurenlexikon gelesen (vgl. Hinweis und Link im Materialordner). Dort stehen interessante und hilfreiche Zusammenfassungen zu zentralen Namen wie „Ischtar“ oder „Tammuz“.


    Insgesamt war ich positiv überrascht, diesmal ohne große Mühe den Einstieg gefunden zu haben. Mein letzter Versuch ist kläglich gescheitert, was mal wieder die These belegt, dass man ein Buch zu einem falschen Zeitpunkt angehen kann (und umgekehrt den richtigen Zeitpunkt abwarten muss, um Zugang zu finden).


    Viele Grüße


    Tom

  • Hallo Sir Thomas!


    Schön, dass du dich uns anschliesst :klatschen:


    Du scheinst ja ganz schön bewandert zu sein in Sachen Thomas Mann ... - Ich, zu meiner Schande, muss gestehen, dass "Joseph" mein erster Mann-Roman ist; bislang kannte ich nur die kürzeren Sachen von ihm wie "Tod in Venedig", "Tonio Kröger" usw.


    Warum bezeichnest du eigentlich Jaakob als Ehebrecher? Weil er mehrere Frauen hatte? Oder weil er sich an deren Mägde hielt, wenn diese ihm nicht genügend Nachwuchs bescherten? Das scheint zu jenen Zeiten gang und gäbe gewesen zu sein. Jedenfalls machte das Abraham auch schon so. Andere Zeiten, andere Sitten ...


    Gruss


    riff-raff


  • Warum bezeichnest du eigentlich Jaakob als Ehebrecher? Weil er mehrere Frauen hatte?


    Ja. Ich weiß: Wir bewegen uns hier auf dem Boden des Alten Testaments, und da war Vielweiberei wohl tatsächlich der Normalfall. Auch galten die Zehn Gebote erst ab Moses. Wie Jaakob allerdings die Frauen nach Lust und Laune "benutzt", ist schon ganz schön "schräg", oder?



    Du scheinst ja ganz schön bewandert zu sein in Sachen Thomas Mann ...


    Thomas Mann ist einer meiner erklärten Lieblingsautoren - und das schon seit vielen Jahren. Deshalb freut es mich umso mehr, dass ich endlich Zugang zu den Joseph-Geschichten finde. Damit wäre dann meine TM-Lektüre vollständig (abgesehen von Briefen, Tagebüchern etc.).


    Ein schönes Wochenende und weiterhin viel Spaß mit Jaakob und Joseph wünscht


    Tom

  • Hallo,



    Thomas Mann ist einer meiner erklärten Lieblingsautoren - und das schon seit vielen Jahren. Deshalb freut es mich umso mehr, dass ich endlich Zugang zu den Joseph-Geschichten finde. Damit wäre dann meine TM-Lektüre vollständig (abgesehen von Briefen, Tagebüchern etc.).


    so ähnlich geht es mir auch, die Joseph-Tetralogie ist das einzige literarische Werk von Th. Mann, das ich noch nicht gelesen habe, aber im Gegensatz zu dir, Tom, ist es mein erster Versuch und er droht fast zu scheitern, aber so weit will ich es nicht kommen lassen.


    Ich habe die Lektüre wieder aufgenommen, aber weiterhin große Schwierigkeiten mit den ermüdenden Wiederholungen dieser grundsätzlichen Aussage, dass sich im Mythos alles mische und zerfließe, dass zeitliche Abstände und verwandschaftliche Grade nur relativ seien: Dies walzt Mann in den ersten vier Hauptstücken bis zur Ermüdung aus.
    Auch finde ich das Hin- und Herwechseln zwischen unterschiedlichen Orts-, Personen- und Götterbezeichnungen übertrieben und maniriert: Es stellt den Leser vor unnötige Komplikationen, ohne einen Erkenntnis- oder literarischen Gewinn darzustellen.
    Nun jedoch schreitet die Geschichte Jaakobs etwas ballaststofffreier voran und ich schöpfe wieder Hoffnung.


    Jaakob ist nun bei dem ganz köstlich geschilderten Laban angelangt, der mich ein bisschen an die gnadenlosen Bauern aus Zolas "Die Erde" erinnert. Hier kommt wieder Manns Erzähltalent zu seiner besten Entfaltung: Vor unseren Augen entsteht dieses Gehöft im oberen Zweistromland in seiner ganzen zwiespältigen Ausstattung: Die luftige Essgalerie, der enge und bedrückende Andachts- und Dokumentenaufbewahrungsraum, die Fenster, die Jaakob zwar mit fein geschnitzten Gittern ausstatten, diese und die Wände jedoch nicht anstreichen darf, weil hier Labans Geiz sein wenig entwickeltes ästhetisches Gefühl überdeckt.
    Dagegen wird die armen Lea uns immer wieder madig gemacht, sie schielt ständig mit ihren grindigen Augen an der hässlich geröteten Nase herab: Das ist schon fast literarisches Mobbing!
    Fällt euch auch die merkwürdige Antisteigerung der Attribute von Joseph und Rahel auf? "Schön und hübsch": Benutzt Mann diese falsche Steigerung extra, um die Aufmerksamkeit des Lesers darauf zu lenken oder benutzt er "schön" in Bezug auf das Aussehen und "hübsch" in Bezug auf das Verhalten, etwa im Sinne von "gefällig", "charmant" (oder gar "kapriziös")?


    Bin nun im Kapitel "Jaakob tut einen Fund" im fünften Hauptstück und hoffe, nun ohne Unterbrechungen, wenn auch langsam weiterzukommen.


    Einen schönen Sonntag


    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)