August Strindberg - Vorbote des modernen Theaters

  • Hallo!


    Ich war überrascht, dass hier noch gar keine Diskussion über August Strindberg stattgefunden hat.
    Um alle Interessierten erstmal mit einigen Informationen zu diesem bedeutenden schwedischen Autor zu versorgen, folgt hier ein Link: http://de.wikipedia.org/wiki/August_Strindberg


    Kürzlich habe ich sein zweiteiliges Drama „Totentanz“, im Original heißt es „Dödsdansen“, gelesen. Der beschriebene Ehekrieg zwischen den Hauptpersonen Alice und Edgar ist schockierend. Das Ehepaar, das einen Festungsturm bewohnt, hat sich auf der Insel von den anderen Einwohnern isoliert und zieht schließlich auch den Verwandten Kurt und die gemeinsame Tochter Judith in ihren Konflikt hinein.
    Aufgeführt wird meist nur der erste Teil des Dramas, was ich allerdings nicht verstehe, da erst im zweiten Teil Judith auftritt, hier erst viele Verstrickungen klar werden und schließlich am Schluß Edgar stirbt.


    Wer kennt noch Strindbergs „Totentanz“ und hat Lust auf eine Diskussion darüber?


    Natürlich kann hier auch über andere Werke Strindbergs (kenne ich allerdings nicht) und über den Autor selbst (sicher auch interessant) diskutiert werden.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat von "Pius"

    Wer kennt noch Strindbergs „Totentanz“ und hat Lust auf eine Diskussion darüber?


    Ich sah eine Inszenierung am Wiener Akademietheater:


    August Strindberg: Der Totentanz
    (Akademietheater 20.6.)
    Regie: Peter Zadek
    Edgar: Gert Voss
    Alice: Hannelore Holger
    Kurt: Peter Simonischek


    Der Theaterfreund kennt normalerweise nur den ersten Teil des "Totentanz". Regisseure ringen sich selten durch, auch die gut einstündige Fortsetzung auf die Bühne zu bringen. Peter Zadek scheute sich erfreulicherweise nicht, einen vierstündigen Abend mit dem kompletten Stück zu gestalten.
    Wie meist verlässt sich der Regisseur auf die Literatur und setzt Regieeffekte sehr dosiert ein. Das hat ihm so mancher Theaterkritiker übel genommen. Offenbar langweiligen sich einige inzwischen, wenn vor ihnen nicht ein Feuerwerk an Regieeinfällen abgenudelt wird, so als sei Literatur nur die Vorlage zu einer lustigen Unterhaltungsmaschine.
    Man könnte Zadek vorwerfen, er wäre die Sache etwas gar zu routiniert angegangen. Aber die Routine eines ausgezeichneten Regisseurs ist für einen spannenden Theaterabend durchaus hinreichend.
    Die schauspielerische Leistung war glänzend. Gert Voss gab dem Edgar eine dynamische Entwicklung von einer (etwas) weinerlichen Figur zu Beginn bis zum autokratischen Tyrannen am Ende des zweiten Teils. Hannelore Holger brachte die Opfer-Täter-Ambivalenz der Alice sehr differenziert zum Vorschein, während Peter Simonischek einen nicht nur psychologisch überzeugenden Kurt darstellte. Toller Abschluss der diesjährigen Theatersaison. Nun herrscht in Wien sommerliche Theaterödnis bis zum September.


    CK

  • Hallo, Xenophanes!


    Das klingt nach einem sehr guten Theaterabend!


    Besonders


    Zitat

    Peter Zadek scheute sich erfreulicherweise nicht, einen vierstündigen Abend mit dem kompletten Stück zu gestalten.
    Wie meist verlässt sich der Regisseur auf die Literatur und setzt Regieeffekte sehr dosiert ein.
    Die schauspielerische Leistung war glänzend.


    ist ganz nach meinem Theater-Geschmack.


    Bisher habe ich das Werk nur gelesen.
    Allerdings überrascht mich, daß es so wenig Resonanz zu diesem Thema gibt.
    Ich dachte (kann dies freilich noch nicht beurteilen), Strindberg sei einer der "Großen" der Weltliteratur !?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Pius"

    Ich dachte (kann dies freilich noch nicht beurteilen), Strindberg sei einer der "Großen" der Weltliteratur !?


    Das ist er zweifelsohne. Aber er liegt mir nicht. Genausowenig wie z.B. Zola. Er gehört auch zu den unterdessen selten gewordenen Fällen, wo bei mir immer noch alte Reclam-Hefte herumstehen, während ich die sonst durch gebundene Ausgaben ersetze ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo xenophanes


    Wow! Um dieses Theater-Erlebnis beneide ich Dich richtig. Aber vielleicht ist ja eine Vorstellung vom Fernsehen aufgezeichnet worden. Auf 3Sat oder ARTE werden ab und zu solche Schmankerl gesendet. Darauf hoffe ich in diesem Fall jetzt einfach mal.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Zitat von "ikarus"


    Wow! Um dieses Theater-Erlebnis beneide ich Dich richtig. Aber vielleicht ist ja eine Vorstellung vom Fernsehen aufgezeichnet worden. Auf 3Sat oder ARTE werden ab und zu solche Schmankerl gesendet. Darauf hoffe ich in diesem Fall jetzt einfach mal.


    Das könnte durchaus sein. Meiner Meinung nach ist das Akademietheater in Wien derzeit die interessanteste Bühne, vor allem wenn sie Klassiker spielen.


    CK

  • August Strindberg: Fräulein Julie (UA 1889)


    Der Schwede August Strindberg (1849-1912) ist besonders als Dramatiker berühmt geworden. In Schweden gilt er als wichtigster Autor seiner Epoche. Er war zunächst dem Naturalismus verbunden, in seinen späteren Werken ließ er sich aber auch von anderen Strömungen beeinflussen. Seinen hier vorgestellten Einakter „Fräulein Julie“ begleitet er in der Erstausgabe mit einem Vorwort, das dem Stück einen Beispielcharakter für das moderne, naturalistische Theater beimisst.


    Inhalt

    Fräulein Julie ist Tochter eines Grafen und mit damals sehr unorthodoxen Methoden erzogen worden. Ihre Mutter glaubte daran, dass Frauen gleich große Fähigkeiten wie Männer haben und gleiche Rechte haben sollten und erzog sie daher wie einen Jungen, was auch ihr Vater unterstützte.

    Dies auch auf das Gesinden angewandte Verfahren führte aber zu einem Niedergang der gräflichen Wirtschaft. Julie ist nun 25 Jahre alt und hat sich gerade von ihrem Verlobten, einem Landrat, getrennt. In der Mittsommernacht trifft sie in der Schlossküche auf Jean, den Kammerdiener ihres Vaters, der letztere befindet sich außer Haus, was aus der Mutter geworden ist, wird nicht klar. Julie will, dass Jean mit ihr zum Mittsommertanz geht, was er nur ungern tut, weil er es als nicht standesgemäß ansieht. Beide kommen nach dem Tanz zurück in die Küche, aus der sich Christine, die Köchin und Geliebte Jeans, alsbald müde zurückzieht. Jean und Julie teilen sich gegenseitig ihre Ansichten vom Leben mit und beim Leser / Zuschauer entsteht der Eindruck, dass Julie auf dem absteigenden Ast der Lebensform des Geburtsadels und zudem noch ein schwaches, von unverstandenen Emotionen gepeinigtes Geschöpf ist, während sich Jean im Folgenden immer mehr als Protagonist des aufkommenden führenden Standes aus Fähigkeit und sozialdarwinistischem Überlebenswillen entpuppt. Julie und er treiben sich gegenseitig in den Beischlaf, wonach bei Julie die Reue eintritt und auch Jean, nachdem er noch Träume über eine Karriere als Hotelier mit Julie an seiner Seite fabuliert hat, bald erkennt, dass diese zu schwach ist, um seine Karriere zu unterstützen und durch den möglichen Skandal ihrer bekanntwerdenden erotischen Beziehung eher eine Gefahr für ihn ist. Deshalb unterstützt er ihren Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, und gegen Morgen, nachdem Christine von dem Verhältnis erfahren und zum Gottesdienst verschwunden ist, der Graf wieder zu Hause ist und nach seinem Kammerdiener läutet, überlässt Jean Julie sein Rasiermesser, mit dem sie sich in Selbsttötungsabsicht in eine Scheune zurückzieht.


    Fazit

    Strindberg will hier ein exemplarisches Stück naturalistisches Theater geschaffen haben, was er in dem bereits oben angesprochenen Vorwort detailliert ausführt. Allerdings gilt das meiner Ansicht nach nur – und auch hier eingeschränkt - für die Technik, nicht für den Inhalt. Die Protagonisten sprechen nicht vollendete Gedankengänge aus, wie das in den meisten früheren Dramen der Fall ist, sondern es werden natürliche Gesprächssituationen dargestellt, mit Gedankensprüngen, Rückbezug auf zuvor Gesagtes, Widersprüchlichkeiten und spontanen Assoziationen. Auch die Einhaltung von Zeit und Raum mag natürlich wirken. Aber Strindberg baut selbst Elemente ein, die dem Naturalismus widersprechen, wie Pantomime und Ballett. Vor allem will er einerseits den mündigen Zuschauer, der nicht mitfiebert im Sinne der klassischen Katharsis, sondern das Geschehen analytisch betrachtet, andererseits beschäftigt er sich in seinem Vorwort ausführlich damit, wie er die Zuschauer am besten in der Illusion des Bühnengeschehens halten kann.

    Und was nun den Inhalt angeht, so stellt Strindberg hier seine Ideologie exemplarisch dar: Das schwache, weibliche Element zerstört mit seinen Handlungen die Existenz des ohnehin überkommenen Geburtsadels. Der starke, von moralischen Werten wenig beeinflusste neue Mensch (vgl. Nietzsche) Jean befreit sich aus seiner niedrigen Stellung und schreitet über den Suizid Julies in eine selbstbestimmte Zukunft.

    Das Stück hat seine magischen Momente, wenn die Atmosphäre der Mittsommernacht die Handlung bestimmt, es gibt mir aber weder in seiner Aussageabsicht noch in der Umsetzung sonderlich viel. Ich kann mir kaum vorstellen, mit welcher Berechtigung und wie man dieses Stück heutzutage noch aufführen kann.