Beiträge von klaus

    Ich lese gerade Pfisters Mühle von Wilhelm Raabe, worin - ähnlich wie im Stopfkuchen - Gegenwart und Vergangenheit auf wunderbare Weise miteinander vermischt werden.

    Ich versuch mich mal an Jean Paul und ich hoffe dieses Mal wird was draus - ist ja wohl das kürzeste von ihm:


    Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal

    Mich hat die "Schleifenstruktur" des Romans fasziniert: aus einer Gegenwart heraus (1801) wird erzählend in die ferne Vergangenheit zurückgegangen und dann von dort wieder an die Gegenwart herangeführt, um dann auf den letzten 40, 50 Seiten die Uhr 1 Jahr vorzustellen, und dann nochmal rückblickend dieses Jahr darzustellen.


    Bei der Entwicklung der Figuren fand ich interessant, die Paare Heathcliff-Cathy I. und Hareton-Cathy II. einander gegenüberzustellen: was beim ersten Paar scheiterte, vollendet sich dann beim zweiten und Heathcliff hatte seinen Anteil daran, dass es dazu kam - obwohl er es, glaube ich, nicht anstrebte. Aber ich glaube es war sein Schicksal, der Entwicklung dieser Liebe, die die positive Spiegelung seiner katastrophalen Liebe war, noch zuzusehen. Eigentlich mußte er dann seinen Frieden finden - und tat es ja auch: im Tod.


    Ich finde das Ende sehr versöhnlich und irgendwie schließt sich ein Kreis.


    Interessant fand ich auch die Person Haretons: in ihm spiegelt sich ja Heathcliff. Es ist sozusagen sein Ziehsohn, so wie er der Ziehsohn Earnshaws war. Und er liebt ihn mehr als seinen eigenen, so wie es bei ihm war. Das wird ganz deutlich auf dtv, S.290:


    "[...]weißt du, daß ich mir zwanzigmal am Tag Hareton zum Sohn wünsche, so verkommen er auch ist? Ich hätte den Jungen geliebt, wäre er nur jemand anders."


    Nämlich nicht der Sohn Hindleys!




    Alles in Allem: mir hat diese (meine erste) Leserunde viel Spass gemacht. Ich denke, es war nicht meine letzte ...


    Gruß
    Klaus :winken:


    Erstaunlich für mich war sowieso den ganzen Roman hindurch, wie wenig Gegenwehr Heathcliff von Seiten der Bewohner von Wuthering Heights entgegengebracht wird, [...]


    Vor allem fiel mir hier die Person von Edgar Linton auf: er war doch mal Friedensrichter und mußte einige gesellschaftliche Macht und Einfluß haben, sodass es mich wundert, wie sehr er Heathcliff gewähren ließ. Erst in letzter Minute versuchte er (vergebens) zu verhindern, dass Heathcliff sein Erbe bekommt. Wenn es zu verhindern war, warum tat er es nicht viel eher? (Allerdings muß ich hier zugeben, dass ich die rechtlichen Zusammenhänge bei der Erbschaft nicht ganz verstanden habe - auch wenn es auf der von riff-raff genannten Webseite erklärt wird.)

    So direkt, wie man das aus zeitgenössischer Literatur gewähnt ist, natürlich nicht, aber zwischen den Zeilen ist da doch einiges zu erahnen


    Ich sehe das auch so: die Leidenschaftlichkeit und Hemmungslosigkeit der Beziehung zwischen Catherine und Heathcliff, die keinerlei Rücksicht auf Konventionen kannte, ließ wahrscheinlich für das lesende Publikum der Zeit um 1847 auf Einiges schließen, was nicht explizit genannt werden mußte.


    Ich bin auf eine interassante Seite gestossen (auf englisch), die sich sehr ausführlich mit unserem Roman beschäftigt: www.wuthering-heights.co.uk


    Danke für den Hinweis auf diese Seite. Es stehen dort ja auch Vermutungen über die Herkunft Heathcliffs, die unseren ähneln. Inzwischen finde ich es gar nicht mehr so schlimm, dass diese Frage im Dunkeln bleibt. Es bleibt halt ein Geheimnis ...

    Noch 2 Anmerkungen:



    ... aber die beiden Familien leben so abgeschottet von der Aussenwelt ...


    Zu diesem Eindruck der Abgetrenntheit von der ganzen Welt paßt Cathys Bemerkung kurz vor ihrem Tod (dtv, S.213):


    "Und dann [...] ist letztlich das, was mich am meisten verdrießt, dieses verfallene Gefängnis. Ich bin es leid, so leid, hier eingeschlossen zu sein."


    Die Welt, nach der sie sich sehnt, ist aber wohl mehr eine jenseitige, als die reale Welt, von der sie kaum etwas mitkriegt:


    "Ich brenne darauf, in jene herrliche Welt zu entfliehen und ewig dort zu bleiben [...]"



    Abgesehen von Heatcliff erscheint mit die Gouvernante Ellen Dean eigentlich die zupackendste Figur im Buch. Ich meine, wie sie eigenwillig in das Leben ihrer Herrschaften eingreift und all die Freiheiten, die sie sich nimmt ... Sie ist nicht nur die teilnahmslose Beobachterin und Erzählerin, aus deren Mund wir den grössten Teil der Geschichte erfahren, sie lenkt durchaus auch die Fäden des Geschehens.


    Ein schönes Beispiel für Ellens lenkende Hand (dtv, S.225): Nach Cathys Tod entdeckt sie ein Medaillon, in der sich eine schwarze Locke (Heathcliffs) befindet. Eine blonde Locke (Lintons) befindet sich, von Heathcliff entfernt, auf dem Boden. Sie nimmt beide, schlingt sie zusammen und legt sie beide wieder in das Medaillon hinein. Es deutet sich hier bereits eine Versöhnung an, die aber vermutlich in diesem Moment noch weit in der Zukunft liegt.


    Außerdem hoffe ich immer noch auf einen bibliophilen "Tod in Venedig" - vergleichbar mit den schönen Jubiläumsausgaben des "Kleinen Herrn Friedemann" und "Tonio Kröger". Mal sehen, die Hoffnung stirbt nie.


    Hallo Tom,


    grad stolpere ich über Deinen Beitrag. Kannst Du etwas über diese bibliophilen Ausgaben von Friedemann und Tonio Kröger sagen? Wie sind sie ausgestattet? Und enthalten sie auch andere Novellen (der Friedemann, wenn ich es richtig sehe, war ja eine Novellensammlung)?


    Gruß
    Klaus :winken:


    PS. Leitet sich Dein Forumsname von dem Lübecker Kaufmannssohn ab? :zwinker:


    Manchmal erscheint mir die Geschichte wie am Reissbrett konstruiert. Das meine ich gar nicht mal negativ, aber die beiden Familien leben so abgeschottet von der Aussenwelt, dass es mir manchmal vorkommt als würde man zwei Mäusepopulationen unter experimentellen Bedingungen betrachten. Da ist zwar ab zu zu von einem Village namens Gimmerton die Rede und am Anfang des Romans wird Liverpool erwähnt, von wo Mr. Earnshaw den kleinen Heathcliff mitbringt, aber ansonsten könnte man meinen ganz England sei bis auf die beiden Familien Linton und Earnshaw ausgestorben. Da gibt es auch keine weitere Verwandten oder Freunde. Wobei ich mir schon denken kann, dass man damals wirklich so abgeschnitten von der Umwelt lebte. Kein Telefon, Fernsehen oder Internet halt wie in unserem heutigen globalen Dorf.


    Genau das ist auch mein Eindruck: es ist so wenig von der restlichen Welt außerhalb der beiden Häuser Wuthering Heights und Thrushcross Crange vorhanden, dass es schon etwas Beklemmendes hat. Auch das Personal ist ja für einen Roman dieser Länge äußerst beschränkt. Es gibt so gut wie keine Menschen außerhalb der Familien Earnshaw und Linton. Und wenn dann doch einmal ein Arzt (Kenneth) für die Handlung benötigt wird, taucht er wie aus der Versenkung auf.



    Abgesehen von Heatcliff erscheint mit die Gouvernante Ellen Dean eigentlich die zupackendste Figur im Buch. Ich meine, wie sie eigenwillig in das Leben ihrer Herrschaften eingreift und all die Freiheiten, die sie sich nimmt ... Sie ist nicht nur die teilnahmslose Beobachterin und Erzählerin, aus deren Mund wir den grössten Teil der Geschichte erfahren, sie lenkt durchaus auch die Fäden des Geschehens. Manchmal findet ich es amüsant zu sehen, wie es Brontë gelingt, es immer wieder so hinzubiegen, dass Mrs. Dean bei allen wichtigen Handlungen des Buches persönlich anwesend ist. Der grösste Teil des Romans wird ja aus ihrem Blickwinkel erzählt und was sie nicht selbst erlebt (oder von Bekannten mitgeteilt kriegt) könnten wir anders ja gar nicht erfahren :smile:


    Ja die Ellen, da hab ich mir auch so meine Gedanken gemacht. Sie kriegt ja wirklich alles mit, selbst intimste Gespräche. Aber weil Emily nun mal diese Konstruktion gewählt hat, muß sie auch viel mitkriegen. Aber ist das realistisch? Einen allwissenden Erzähler wollte sie wohl nicht nehmen. Heathcliff oder Cathy (I.) konnte sie als Ich-Erzähler nicht nehmen, weil beide sterben. Also hat sie eine ihnen nahestehende Person gewählt und weil diese sich aus eigenem Antrieb nicht hinsetzen wird um die Geschichte aufzuschreiben, hat sie noch die Rahmenhandlung mit Lockwood erfunden, dem Ellen dann die Geschichte erzählt. Es wird immer das Multiperspektivische an dem Roman gerühmt. Aber bis auf wenige Ausnahmen ist es doch die Perspektive Ellens - oder?

    Nun, mein Reclam-Büchlein hat 200 Seiten. Ich gebe die Frage zurück - Schaffen wir das? - Andererseits geht der Fontane etwas tiefer und ist nicht so schnell zu lesen wie die Bronte. Ich habe also volles Verständnis wenn du jetzt erst mal die Dämonen lesen willst. :winken:


    Ich würde sagen: wenn wir spätestens Mitte Februar mit den Irrungen anfangen, bin ich dabei - sonst erst nach den Dämonen.


    Ich hab’ mal an der Uni Bonn ein Seminar gehört, da ging es hauptsächlich darum wie Charlotte in „Jane Eyre“ das Wetter beschreibt um die dann folgenden Situationen anzudeuten. Sehr interessant.


    Das hört sich wirklich interessant an. Hast Du sowas evtl. auch in Wuthering Heights entdeckt?



    Aber es gibt ja noch einen interessanteren Lesevorschlag und zwar zu Anne Bronte die jüngsten der drei Bronte-Sisters und zwar zu ihrem zweiten Roman: „Die Herrin von Wildfell Hall“
    http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4499.0.html


    und ich würde mich freuen, wenn du und klaus daran teilnehmen würdest. Ob wir Anne vor oder nach Theodor Fontanes „Irrunggen, Wirrungen“ lesen, diese Entscheidung würde ich klaus überlassen.
    http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4516.0.html


    Das finde ich sehr nett von Dir. Den Fontane will ich auf jeden Fall lesen, gerne im Anschluß. Einen weiteren Brontë würde ich aber lieber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ich gehöre zu den Kreuzundquer-Lesern und liebäugele gerade mit den Dämonen/Böse Geister ab 1. März. Schaffen wir bis dahin den Fontane?


    Gruß, Klaus :winken:

    Da der Anfang von Doderers Strudlhofstiege hier schon erwähnt wurde (mein Favorit), werf ich mal ein:


    Die Trottas waren ein junges Geschlecht.


    Joseph Roth, Radetzkymarsch


    So, ich bin jetzt auch mit dem 1. Buch durch.


    Dann bin ich ja doch nicht so schnell. Bei mir wird es jetzt übrigens wahrscheinlich etwas langsamer gehen, aber ich werde mich weiter an der Diskussion beteiligen.



    Manchmal bin ich froh, dass am Anfang des Buches diese Genealogie zu finden ist, wo man nachschlagen kann, wenn man etwas den Überblick verloren hat.


    Ich finde die Familienverhältnisse eigentlich nicht so furchtbar kompliziert. Am Anfang war es eine Hilfe, später habe ich immer weniger draufgeschaut.



    Andererseits geht dadurch natürlich auch etwas Spannung verloren, wenn z.B. von Anfang an klar ist, dass Catherine I eben nicht Heathcliff heiratet, wie man zunächst ja vermuten könnte und jetzt schon bekannt ist, wer Catherine II heiratet und in welcher Reihenfolge. Zuerst hatte ich gedacht, dass der Verlag oder die Übersetzerin sich diese Arbeit gemacht haben, aber anscheinend ist diese Personentafel von Emily Brontë. Was meint ihr? und greift ihr auch manchmal darauf zurück oder würdet ihr lieber auf diesen Spoiler verzichten?


    Das habe ich genauso empfunden. Nicht nur durch die Hinweise auf die Heiraten, sondern auch durch die Sterbedaten wird viel verraten. Andererseits: wir lesen ja einen Klassiker und keinen Krimi und ich glaube, jeder der Anna Karenina oder die Buddenbrooks anfängt, weiß, dass am Ende Anna sich vor den Zug schmeißt und Hanno an Typhus stirbt (ich hoffe ich habe hier jetzt nichts verraten :redface:). Allerdings habe ich mir in dieser Leserunde einen unbefangenen Blick bewahren wollen und habe über den Inhalt sowenig wie möglich vorab lesen wollen.

    So - das 1. Buch ist geschafft. Und wie gefällt es mir bisher?


    Ich habe manchmal Schwierigkeiten, die Handlung und vor allem Handlungsmotive nachzuvollziehen, auch der Personen, die nicht "wahnsinnig" sind, vor allem Isabella und Ellen Dean. Warum z.B. gab Ellen Isabellas Flucht nicht ehe bekannt, sondern verschwieg sie? Warum läßt Ellen sich weiter von Heathcliff benutzen? Wie kann sich die so behütet aufgewachsene Isabella so in Heathcliff verlieben, dass sie alles für ihn aufgibt?


    Was richtig Freude macht zu lesen, sind die Ausbrüche von abgrundtiefem Hass bei Heathcliff (und einige Kapitel vorher bei Catherine). Folgende Tirade z.B. hat vom Sprachrhythmus schon etwas Opernhaftes (da wäre auch das Original interessant, aber ich will riff-raff nicht zu sehr bemühen):


    "Ich möchte, daß du dir endlich vor Augen führst, daß ich weiß, daß du mich teuflisch behandelt hast - teuflisch! Hörst du? Und falls du dir einredest, daß ich das nicht gemerkt hätte, dann bist du dumm - und falls du denkst, ich lasse mich mit süßen Worten trösten, dann bist du verrückt und falls du dir einbildest, ich würde leiden, ohne Rache zu nehmen, dann werde ich dich schon sehr bald vom Gegenteil überzeugen!" (dtv, S.150)


    Und gegenüber seiner Frau findet er Worte von blankem Zynismus:


    "Es war schon eine Glanzleistung ihres Scharfblicks, zu entdecken, daß ich sie nicht liebte." (dtv, S.201)


    Solche Stellen gibt es einige. Eine schöne Wiedererkennungsstelle war die Sache mit der Tötung des Hündchens. Da hatte man sich bei der ersten Erwähnung noch gefragt: wer war's, und warum? Dann hatte ich es vergessen, bis es Heathcliff aufklärte und damit seine Boshaftigkeit und seinen Hass noch unterstrich.


    Also: ich bin gespannt, wie es weitergeht. Wie weit seid ihr?

    Herzlich willkommen auch von mir. Ich bin ja auch noch ein Neuling, aber bisher gefällt's mir hier sehr gut.


    Gruß
    Klaus :winken: