Hallo zusammen!
Um ein bisschen auf den eigentlichen Titel des Threads zurückzukommen; hier ein Auszug aus Wie Gertrud ihre Kinder lehrt von Johann Heinrich Pestalozzi:
Wie entkeimt der Begriff von Gott in meiner Seele? Wie kommt es, daß ich an einen Gott glaube, daß ich mich in seine Arme werfe und mich selig fühle, wenn ich ihn liebe, wenn ich ihm vertraue, wenn ich ihm danke, wenn ich ihm folge?
Das sehe ich bald: Die Gefühle der Liebe, des Vertrauens, des Dankes und die Fertigkeiten des Gehorsams müssen in mir entwickelt sein, ehe ich sie auf Gott anwenden kann. Ich muß Menschen lieben, ich muß Menschen trauen, ich muß Menschen danken, ich muß Menschen gehorsamen, ehe ich mich dahin erheben kann, Gott zu lieben, Gott zu danken, Gott zu vertrauen und Gott zu gehorsamen, "denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie will der seinen Vater im Himmel lieben, den er nicht sieht?"
Ich frage mich also: Wie komme ich dahin, Menschen zu lieben, Menschen zu trauen, Menschen zu danken, Menschen zu gehorsamen? Wie kommen die Gefühle, auf denen Menschenliebe, Menschendank und Menschenvertrauen wesentlich ruhen, und die Fertigkeiten, durch welche sich der menschliche Gehorsam bildet, in meine Natur? - und ich finde, daß sie hauptsächlich von dem Verhältnis ausgehen, das zwischen dem unmündigen Kind und seiner Mutter statthat.
Die Mutter muß, sie kann nicht anders, sie wird von der Kraft eines ganz sinnlichen Instinktes dazu genötigt, das Kind pflegen, nähren, es sicherstellen und es erfreuen. Sie tut es, sie befriedigt seine Bedürfnisse, sie entfernt von ihm, was ihm unangenehm ist, sie kommt seiner Unbehilflichkeit zu Hilfe - das Kind ist versorgt, es ist erfreut, der Keim der Liebe ist in ihm entfaltet.
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Dieses sind die ersten Grundzüge der Selbstentwicklung, welche das Naturverhältnis zwischen dem Säugling und seiner Mutter entfaltet. In ihnen liegt aber auch ganz und in seinem ganzen Umfang das Wesen des sinnlichen Keims von derjenigen Gemütsstimmung, welche der menschlichen Anhänglichkeit an den Urheber unserer Natur eigen ist. Das heißt: Der Keim aller Gefühle der Anhänglichkeit an Gott durch den Glauben ist in seinem Wesen der nämliche Keim, welcher die Anhänglichkeit des Unmündigen an seine Mutter erzeugte. Auch ist die Art, wie sich diese Gefühle entfalten, auf beiden Wegen ein und dieselbe.
Auf beiden Wegen hört das unmündige Kind, glaubt und folgt, aber es weiß in diesem Zeitpunkt in beiden Rücksichten nicht, was es glaubt und was es tut. Indessen fangen die ersten Gründe seines Glaubens und seines Tuns in diesem Zeitpunkt bald an zu schwinden. Die entkeimende Selbstkraft macht jetzt das Kind die Hand der Mutter verlassen, es fängt an sich selbst zu fühlen, und es entfaltet sich in seiner Brust ein stilles Ahnen: Ich bedarf der Mutter nicht mehr. Diese liest den keimenden Gedanken in seinen Augen, sie drückt ihr Geliebtes fester als je an ihr Herz und sagt ihm mit einer Stimme, die es noch nie hörte: Kind! es ist ein Gott, dessen du bedarfst, wenn du meiner nicht mehr bedarfst, es ist ein Gott, der dich in seine Arme nimmt, wenn ich dich nicht mehr zu schützen vermag; es ist ein Gott, der dir Glück und Freuden bereitet, wenn ich dir nicht mehr Glück und Freuden zu bereiten vermag. Dann wallt im Busen des Kindes ein unaussprechliches Etwas, es wallt im Busen des Kindes ein heiliges Wesen, es wallt im Busen des Kindes eine Glaubensneigung, die es über sich selbst erhebt; es freut sich des Namens seines Gottes, sobald die Mutter ihn spricht. Die Gefühle der Liebe, des Dankes, des Vertrauens, die sich an ihrer Brust entfalten hatten, erweitern sich und umfassen von nun an Gott wie den Vater, Gott wie die Mutter. Die Fertigkeiten des Gehorsams erhalten einen weiteren Spielraum: Das Kind, das von nun an an das Auge Gottes glaubt wie an das Auge der Mutter, tut jetzt um Gottes willen recht, wie es bisher um der Mutter willen recht tat. Quelle
Grüsse
Sandhofer