Alte Handlung, neue Sprache - Klassik modern!

  • Hallo,


    gestern im Bücherforum von Literaturschock gefunden:


    "Zwei ehemalige "Bild"-Redakteure schreiben die angeblich schwer verständlichen Klassiker in moderner Sprache neu. Was als Konkurrenz zum Groschenroman gedacht war, entpuppt sich jetzt ausgerechnet bei Schülern als Bestseller...."


    Quelle: Alte Handlung, neue Sprache


    Was haltet ihr davon?


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hallo zusammen!


    Na ja, wenn ich an all die mehr oder weniger intelligenten Postings von Schülern denke, die wir hier schon gelesen haben ...


    Ich glaube, dass diese Hefte weder Lust auf die 'wirklichen' Klassiker machen, noch die Lust darauf verderben. Die Konsumenten dieser Hefte sind Schüler, die ansonsten in der Bibliothek "Königs Erläuterungen" ausleihen, anstatt das Buch zu lesen. Oder die fix-fertige Arbeit kaufen, die der Kollege beim andern Lehrer vor 2 Jahren abgegeben hat.


    Bearbeitungen von Klassikern hat es schon immer gegeben. Stifters Nachsommer war jahrzehntelang nicht in der Originalversion greifbar. Goethe und Schiller wurden kommentarlos zensuriert, bis weit ins 20. Jh. hinein.


    Reader's Digest: ein Welterfolg.


    Was soll's? Fast-Food-Liebhaber wird es immer geben. Wenn jeder ein Gourmet wäre, wäre das Gourmet-Sein uninteressant. :breitgrins:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo ihr Lieben,


    hat sich denn schon jemand diese Hefte gekauft und kann darüber ein Urteil abgeben? Erst dann kann man doch sagen, inwieweit das Fast-Food ist oder doch eine kompetente Angelegenheit.


    Liebe Grüße Jana

    Wer nicht lachen kann, ist nicht ernst zu nehmen. (Thomas Bernhard: Der Untergeher)

  • Hallo Jana


    'Kompetent'? - In welchem Sinn? Den Text eines Klassikers abzuändern, ist allenfalls für Kinderbuch-Editionen gang und gäbe. (Ich habe Gulliver und Robinson so kennengelernt. Auch in Heftform. Von Pädagogen zubereitet und im Allgemeinen wahnsinnig unbeliebt bei den Kindern. (Weil: Man roch natürlich den Braten ...) Ich weiss nicht, ob's die Hefte heute noch gibt: SJW - für die Pampas-Bewohner ... Persönlich würde ich den Gulliver ja nie mehr in der Kinderbuch-Version lesen.)


    Was für eine Kompetenz meinst Du also: eine pädagogische?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen !


    Traurig, traurig, dass so etwas auch nur einer kauft ! Wie kann man Sprache vom Inhalt trennen ? Für angeblich schwer verständliche Wörter benutze man eine gut kommentierte Ausgabe. Gerade eingesetzte Stilmittel und Wörter/Sätze/Verse machen das Lesen erst interessant. Wer sich mit der Sprache nicht auseinandersetzten will, der braucht sich nicht auf Klassiker einlassen.


    Und die "armen, gequälten" Schüler sollten meiner Meinung nach durch die Lektüre von Klassikern auf die Möglichkeiten der Sprache aufmerksam gemacht werden.


    Das fällt ja eindeutig unter "worst books" !


    Gruß von Steffi

  • Hallo,
    ich bin auch dagegen. Dann kann man doch direkt nur Comics lesen!?
    Man sollte doch eher die Schüler fordern und versuchen, dass sie auch niveauvolle Sachen lesen. Ich finde auch, eben die Sprache, der Stil und das Niveau machen klassische Bücher aus und wenn wir damals in der Schule nicht eine so gute Lehrerin gehabt hätten und wir nicht so schöne Bücher gelesen hätten (z.B:Eichendorff- Aus dem Leben eines Taugenichts), dann wäre ich auch niemals dazu gekommen, als Hobby zu lesen.
    Groschenromane, bei denen man gar nicht nachdenken muss und die schöne Sprache nicht geniessen kann (wie Goethes Faust) sind doch langweilig und unterfordernd! Dann kann man sich direkt Gebrauchsanleitungen von dem Fernseher durchlesen.
    Vielleicht wollen sie aber das Niveau allgemein senken, so dass es nicht mehr so auffällig ist, wie niveaulos die Bild-Zeitung ist :breitgrins:

  • Hallo zusammen,


    wieder so ein unsinniges Paradoxon wie „Moderne Klassiker“. Es gibt keine „Modernen Klassiker“ und keine „Klassik modern“. Wenn ich „Die Räuber“ in einer modernen Sprache erzähle, sind es nicht mehr „Die Räuber“ von Schiller, und nur die sind Klassik.


    Sandhofer hat gepostet:
    Reader's Digest: ein Welterfolg.


    Im Vergleich zu der Idee, die Storys von Klassikern in einer modernen Sprache neu zu schreiben, halte ich die Idee von RD, zeitgenössische Unterhaltungsliteratur gekürzt herauszugeben nur für eine lässliche Sünde.



    Steffi hat gepostet:
    Das fällt ja eindeutig unter "worst books" !


    Da bin ich wieder mal ganz Deiner Meinung, Steffi


    Gruß von Hubert


  • Hallo ihr Lieben,


    ich habe schon Interesse in diese Reihe mal reinzuschnüffeln. :entsetzt:
    Dass diese Reihe nicht die Klassiker ersetzen kann und ersetzen darf, ist mir klar. Und ich denke, dass in der Schule auf jeden Fall die Originale gelesen werden müssen. Schließlich gehören deutsche Klassiker zum Kulturgut. Die Schulzeit ist für viele Menschen die einzige Zeit, in der sie sich mit Literatur auseinander setzen. Deshalb sollte gerade dann und dort das Original gelesen werden, weil man sonst nie dazu kommt und auch kein Umfeld hat, um sich mit klassischer Literatur auseinander zu setzen.


    Was mich an den Texten interessieren könnte:
    Es gibt Probleme, die zu jeder Zeit auftreten können. Beispielsweise: Kabale und Liebe. Ein Mann liebt eine Frau, die seinem Stand nicht angehört. Die Liebesbeziehung wird von seiten des Vaters in die Schranken verwiesen.
    Es gibt zwar keine ständische Gesellschaft mehr, aber manchmal üben Eltern einen starken Einfluss auf ihre Kinder bei der Partnerwahl aus (aus welchen Gründen auch immer und nach welchen Kriterien auch immer).
    Es würde mich interessieren, wie die Autoren diesen Stoff umgesetzt haben.
    Ich könnte jetzt noch keine endgültigen Kriterien dafür angeben, was ich erwarte und wann ich diese Literatur als absolut schrecklich empfinde.
    Denn, die Nähe zur absolut leichten Literatur ist ja schon da.


    Auf jeden Fall darf die Sprache nicht zu umgangssprachlich sein und das eigentliche Problemfeld sollte abgehandelt werden und die Bezüge zur Zeitgeschichte zu erkennen sein.


    Bis jetzt habe ich noch nicht reingeschaut.


    Was wären denn eure Kriterien?

    Zitat

    Gerade eingesetzte Stilmittel und Wörter/Sätze/Verse machen das Lesen erst interessant. Wer sich mit der Sprache nicht auseinandersetzten will, der braucht sich nicht auf Klassiker einlassen.

    Das schreibt Steffie. Ich möchte ihr da zustimmen.


    Liebe Grüße Jana

    Zitat

    Wer nicht lachen kann, ist nicht ernst zu nehmen. (Thomas Bernhard: Der Untergeher)

  • Hallo zusammen,
    hallo Jana,


    Du hast gepostet:
    Es gibt Probleme, die zu jeder Zeit auftreten können. ..........
    Es würde mich interessieren, wie die Autoren diesen Stoff umgesetzt haben.


    Dass es Probleme gibt, die zu jeder Zeit auftreten können und dass es legitim ist, diese Motive auch immer wieder in der Literatur zu bearbeiten ist unumstritten. Es gibt nichts spannenderes als solche Literaturmotive (Don Juan, Undine, etc) durch die Zeiten zu verfolgen. Dabei wird ein alter Stoff von immer anderen Künstlern immer wieder neu umgesetzt. Die Betonung liegt auf Künstler und auf umgesetzt. In diesem Fall, wurde aber, wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, nichts umgesetzt, sondern die Handlung 1 zu 1 übernommen und in einer modernen Umgangssprache wiedergegeben. Das ist aber m.M. nach mehr als lächerlich.


    Verfälschend ist dazu, diese Werke dann als Schillers „Räuber“ oder Shakespeares „Romeo und Julia“ zu bezeichnen. Natürlich ist das Thema von „Romeo und Julia“ ein Motiv, welches zu allen Zeiten und an allen Orten möglich ist. Leonard Bernstein hat diesen Stoff z.B. wunderbar umgesetzt in seinem Musical „West Side Story“ und Shakespeares Handlung nach New York verlegt und mit der modernen Sprache der Bronx umgesetzt und ich habe mal in Berlin ein Ballet gesehen wo dann mit Bernsteins Musik die gleiche Handlung nach Kreuzberg verlegt, von Türken und Deutschen getanzt wurde und G. Keller hat die Story mal in einer seiner Novellen aufs Dorf verlegt.. Das alles kann große Kunst sein. „Romeo und Julia“ aber im alten Verona sich in Bild-Zeitungs-Sprache unterhaltend – dafür scheint mir das Wort „Kitsch“ zu anspruchsvoll.


    Gruß von Hubert

  • Hallo ihr,


    Ich habe schon zum Thema im bücher4um gepostet, aber ich denke irgendwie: warum ist ein Satz wie Leckt mich am Arsch (Götz von Berlichingen) unverständlich (Kulturjournal) dass man ihn umändern muss?


    Ich fand den Satz gerade gut, denn so konnte man ihn gefahrlos nutzen - man konnte sich auf Goethe berufen. ;)


    Ich finde zwischen Bearbeitung und Original liegt halt doch immer noch ein Unterschied. Zwar kann man Plenzdorfs Wibeau lesen und den Werther vom Prinzip her kapieren, aber den Werther im Original und mit allen "unverständlichen" Wörtern, möchte ich nicht missen.


    Zudem: man braucht das Versmaß manchmal...
    Das ist nicht nur Etikette gewesen, dass man im Jambus geschrieben hat, sondern hatte seinen Sinn. Wenn ich das eliminiere, dann kann ich auch gleich drauf verzichten und eine Kindlers Literaturlexikon Beschreibung lesen. Die ist kürzer als eine schlechte Bearbeitung und hat doch noch mehr Hirn.

  • Hallo ihr Lieben,


    wenn sozusagen das Original umgangssprachlich geschrieben wurde und zusätzlich noch verkürzt wurde, dann lohnt sich der Zeitaufwand wirklich nicht. Nö, da habe ich was bessere zu tun (u.a. die West Side Story sehen, die Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe lesen usw. :bang: ) :breitgrins:


    Liebe Grüße Jana

    Wer nicht lachen kann, ist nicht ernst zu nehmen. (Thomas Bernhard: Der Untergeher)

  • Hallo zusammen!


    Wir mögen präzise Zitate, gell Hubert? :breitgrins: :breitgrins: :breitgrins:

    Zitat von "Holger"

    warum ist ein Satz wie Leckt mich am Arsch (Götz von Berlichingen) unverständlich (Kulturjournal) dass man ihn umändern muss?


    Ich fand den Satz gerade gut, denn so konnte man ihn gefahrlos nutzen - man konnte sich auf Goethe berufen. ;)


    Zitat von "Johann Wolfgang Goethe"

    Sag deinem Hauptmann vor Ihro Kaiserlichen Maj. hab ich, wie immer, schuldigen Respeckt. Er aber sags ihm, er kann mich im Arsch lecken. schmeisst das Fenster zu

    Götz von Berlichingen, 1. Fassung, III. Aufzug.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • hallo sandhofer,


    natürlich kenne ich den wortlaut auch, aber ich habe im kulturjournal den rezensenten genau diese stelle vortragen hören: vollkommen anders und ohne jeden arsch und ohne jedes lecken.


    was bitte schön, ist denn da noch berlichingen dran?


    ok. werde mich in zukunft um korrekte zitation bemühen ;)

  • Hallo zusammen,


    wer das Thema des Götz-Zitats vertiefen möchte, dem sei Grimmelshausens Simplicissimus empfohlen; - dagegen ist Goethes Götz Literatur für Klosterschüler.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!
    Hallo Holger!

    Zitat von "Holger"

    natürlich kenne ich den wortlaut auch, aber ich habe im kulturjournal den rezensenten genau diese stelle vortragen hören: vollkommen anders und ohne jeden arsch und ohne jedes lecken.


    was bitte schön, ist denn da noch berlichingen dran?


    ok. werde mich in zukunft um korrekte zitation bemühen ;)


    War ja auch nicht gegen Dich gerichtet :smile: , sondern als Hinweis darauf gedacht, dass der 'Original-Götz' tatsächlich nicht dem heutigen Sprachgebrauch entspricht, ein von der Sprache des 18. Jahrhunderts unbeleckter Leser tatsächlich seine Mühe haben könnte, 'seinen' Götz wiederzuerkennen oder auch nur zu verstehen.


    Hubert
    Grimmelshausen, Luther, das Volksbuch vom Till Eulenspiegel ... : Goethe hat ja diese Sprache nicht erfunden. Und frühere Jahrhunderte waren bedeutend weniger zart besaitet als das 19., oder - quant à ça - das 21. ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen, hallo Sandhofer,


    also, auch wenn die Sprache des 18. Jahrhunderts ein wenig anders ist, als die heutige: ich versteh sie trotzdem. Sicher: nicht jeden Wink, aber den Hintern hätte ich schon als Schüler verstanden... wenn wir da mal den Götz gelesen hätten und nicht Im Westen nichts Neues.

  • Hallo Sandhofer,


    Ok. Ok. Ich sollte meine Mittel- und Althochdeutsch-Kenntnisse (die aber nichts mit dem dortigen Frühneuhochdeutsch zu tun haben und auch nicht helfen) auch nicht unterschlagen... ;)


    Aber dennoch, wenn man die Reclam-Ausgabe liest (die ich gerade aus den Reclam-Stapeln rausgequetscht habe) - wie kann man die als normaler interessierter Leser nicht verstehen?
    Und darin sind schon ein paar gute Worterläuterungen.


    Also ehrlich gesagt: wer das Deutsch nicht versteht, hat ein Problem.
    Ich verstünde es, wenn man mal zurückgeht und Gottscheds sterbenden Cato heranzieht, DIESE Sprache ist dann schon reichlich unverständlich.
    (Ok, für mich)
    Oder wenn man so schöne Bücher wie Hartmann von Aue "Der arme Heinrich" nimmt, ok, das ist kompliziert, da erschließt sich vieles erst nach langem Forschen.


    Aber wenn man was nachdichtet -dann soll mans gut machen und mit Gefühl für die eigentliche Sprache. Oder man überführts halt in eine andere Umgebung (Werther=Wibeau wäre da das gelungendste Beispiel).
    Aber nicht "hach, es versteht keiner, dichten wirs mal um"


    Dann kann man auch Gesetze für Laien veröffentlichen. Wenns auf den Wortlaut ja nicht ankommt.


    Nix für ungut.
    Holger.