Lese-Fundstück

  • Hier beschreibt ein frustrierter Justiziar in einem Krankenhaus der DDR den Aufmarsch in arbeitsrechtliche Querelen verkanteter Angestellter:


    „Eine kalkige, dünnflüssige Brühe goß sich über die Gesichter & ihre Geschichten aus, die in dein Büro im äußersten Winkel des Krankenhauses gerieten, & spülten sie ineinander zum verdorbenen Lethestrom. Zanksuch Kleinlich- & Gläubigkeit – die 3 Schienen, auf denen die beständig leckgeschlagenen Karonskähne mit Griesgram als Obulus zum Alltags=Spülicht des-Ostens, der Republik der Geister, allzeit vom Stapel gingen…“


    Gefunden in „Hundsnächte“ von Reinhard Jirgl.

  • gerhard Roth:


    »Oft blickte ich von meinem Bett aus durch die Fenster auf die Straße, auf die Häuser, auf die Bäume, und ich kam mir vor wie jemand, der in der Gegenwart nur wie im Exil lebt, der in den Alltag verbannt ist, zur Strafe für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat oder von dem er nichts weiß. Ich erlebte die christliche Transsubstantiation, die Kommunion, in der heiligen Messe des Lesens.«


    Habe ich in Zeit-online aufgeschnappt. Möge mir Messe und Verbrechen erspart bleiben, aber "Exil" ist gut.

  • Moin, Moin!


    Normalerweise begegne ich persönlichen Buchempfehlungen natürlich mit dem gebührenden Mißtrauen. Ich habe ohnehin schon genug zu lesen, und wenn mir jemand sagt, ich solle ein bestimmtes Buch lesen, ist meine erste Reaktion, seine Glaubwürdigkeit infrage zu stellen oder mein Gedächtnis nach irgendeinem konträrem Standpunkt zu durchsuchen. (So wie der Stein immer die Schere stumpf macht, schlägt ein lauwarmes "Och, war ganz nett" jederzeit ein "Mensch, das mußt du lesen". Ist einfacher so.) (Nick Hornby: Mein Leben als Leser)


    Einen Schriftsteller als Schwager zu haben, hätte sich als fatal erweisen können. Er hätte erfolgreicher oder weniger erfolgreich sein können als ich. Oder er hätte Bücher verfassen können, die mir zuwider sind oder unlesbar erscheinen. (Stellen Sie sich mal vor, Ihr Schwager hätte ‘Finnegan’s Wake’ geschrieben und Sie hätten wirklich viel um die Ohren. (Nick Hornby: Mein Leben als Leser)


    Auch schön, ist Hornby über <a href="http://buecherlei.net/archives/252">Lesen und Vergessen</a> und über <a href="http://buecherlei.net/archives/253">Biografien</a>

  • Moin, Moin!


    Gestern hättest Du Tinka sehen sollen, wie sie “Romeo und Julia” las (sie grast augenblicklich die Literatur nach Liebesgeschichten ab und ärgert sich über die vielen unglücklichen Ausgänge). Sie fraß dazu Kekse mit Schlagsahne und hörte Beat-Musik, je nach ihrer Beziehung zu den einzelnen Titeln in unterschiedlicher Lautstärke. Dazwischen gab sie ihr Kommentare: “Mann o Mann, ich ahne Schreckliches!” Oder: “Ja, sieht denn der Blödmann nicht, daß die gar nicht tot ist?! Oder: “Wie die schon reden! O jammervoller Tag, o Tag, o Tag! Wer sagt denn so was! Oder haben die früher so geredet?” Und am Ende: “So, jetzt hat er, was er wollte!” Damit meinte sie Shakespeare. (Christa Wolf, in: Reimann/Wolf: Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen. 1964-1973)

  • Moin, Moin!


    Beklommen sah ich die Heerscharen der Gläubigen, denen sich, wenn man den Namen des Papstes ausspricht, von ganz allein die Augen nach oben drehen. (Christa Wolf an Charlotte Wolff, 17.5.1984)


    Sehen Sie, hetereosexuelle Männer, die in den Stand der Ehe treten, sind wie Priester: Sie legen ein Keuschheitsgelübde ab, nur wird ihnen das anscheinend erst drei, vier, fünf Jahre später bewußt. (Philip Roth: Das sterbende Tier, S. 76)


    ... verlief ihre Geschichte bergab, zuletzt mit einem enormen Neigungswinkel. (Arnold Stadler: Der Tod und ich, wie zwei)


    Vom Vorlesen des Weihnachtsevangeliums aus der Bibel wollten wir schon gar nichts wissen. Da waren wir alle, außer Mutter, schon ziemlich betrunken und warteten nur noch auf ein Zeichen zum Streit. Jedes Weihnachten war es so: ein Widerwort genügte, und das Fest fiel in sich zusammen. (Arnold Stadler: Der Tod und ich, wie zwei, S. 40)


    Es gab Tage, da konnte sich Sebastian nur mit sehr konkret ausgestalteten Mordphantasien über Wasser halten. (Jakob Hein: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, S. 67)


    Überhaupt kam Iris die Suche nach einem Mann wie ein Überlebenskampf im Treibsand vor. (Jakob Hein: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, S. 55)


    Morgens fühle ich mich oft wie eine fluglahme Rohrdommel, die nur mit Mühe etwas krächzen kann. Dafür komme ich mir an sehr gelungenen Abenden wie eine unvergleichlich schöne Raubkatze vor. An den Tagen dazwischen fühle ich mich am ehesten wie irgendein Nutztier." (Jakob Hein: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, S. 38)


    Blumenhandel ist noch eine Möglichkeit, wenn man gern sehr früh aufsteht, wenig Geld verdienen möchte, viel Geschmack und Ahnung von guten Blumen hat und möglichst noch keine Blumenkette einen Laden in der Nähe aufgemacht hat. (Jakob Hein: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, S. 28)


    Alle sagen, diese kugelförmigen Gläser sind falsch für Goldfische, aber immer noch besser, als japsend auf der Anrichte zu liegen, da können sie jeden Goldfisch fragen. (Jakob Hein: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, S. 31)

  • Moin, Moin!


    Die Stunde flieht.
    Dem Gestern stürzt das Heute Flink nach.
    Doch jene bringt die schönste Beute,
    Durch die wir lesend etwas besser werden.
    (Quevedo y Villegas)


    Ich "arbeite" längst gelesene Bücher auf und stoße auf viele Bibliomanes, so auf die <a href="http://www.buecherlei.de/fab/autor/rs/rathvegh.htm">Liga gegen das Verleihen von Büchern</a> oder die despektierliche Einschätzung des Mißbrauchs von Büchern <a href="http://buecherlei.net/archives/478">durch Frauen</a>.


    Bei den <a href="http://buecherlei.net/archives/476">Bibliomanen</a> <a href="http://buecherlei.net/archives/477">hinzugekommen</a> ist der Ungar Jamnitzky. Eine <a href="http://buecherlei.net/archives/472">alte Anekdote</a>, die mir jetzt schon mehrfach untergekommen ist, berichtet von einem zum Tode verurteilen Chinesen, der auf dem Weg zum Henker liest.

  • Zitat

    Der Hang zur Überinterpretation ist die Pestillenz der heutigen Philologie. Es fehlt an Leuten, die dem Volk der Lesenden die frohe Botschaft des plaisir de la lecture zurückbringen.


    ...meinte der Herausgeber der großen Diderot-Sammlung von 1967, Hans Hinterhäuser, in seinem editorischen Nachwort.


    Habt also Spaß am Lesen!

  • Moin, Moin!


    Lukian und Fichtner besorgten mir Material, das wir bei einem Notar hinterlegten. Selbst im Falle meines plötzlichen Grippetodes würde Keferloher durch diese Papiere so sehr belastet werden, daß man ihn für den Urheber meines Hustens halten mußte. (Helmut Krausser: Eros, S. 99)


    Meine Mum gehörte zu den Müttern, bei denen man sich freut, daß sie so nahe wohnen. Vor allem deshalb, weil sie dann nie über Nacht bleiben. Ich liebe sie innig, aber nur fein dosiert. Eine Tasse Tee hier, ein Abendessen dort - und natürlich so viele Babysitten, wie ich aus ihr herausquetschen konnte. (Jasper Fforde: Irgendwo ganz anders, S. 24)


    Im Vorraum hielt ich die Hände ins Waschbecken. Ich betete um Wasser, abhängig von der Laune der Sensoren. (Christian Schünemann: Die Studentin, S. 75)


    "Spelunke" trifft es nicht. Da könnte ich Ihnen ganz andere Läden zeigen. Dies dagegen ist, wie der Wirt oft zu sagen pflegt, ein solides Altberliner Frischbiergeschäft. (Ralf Rothmann: Berlin Blues. Ein Schauspiel, S. 20)


    .. das alkoholisch-ölige Umherschweifen ihres Blicks. (Wilhelm Genazino: Mittelmäßiges Heimweh)


    Nirgendwo ist das Fallgeräusch leerer Sätze so deutlich hörbar wie in einem Großraumbüro am Nachmittag. (Wilhelm Genazino: Mittelmäßiges Heimweh)


    Radfahrern, die zu knapp und von hinten an mir vorbeifahren, möchte ich am liebsten hinterherpöbeln, aber dann tröstet mich der trockene Schreck im Gesicht der Leute, die aus einer Bank kommen und gerade ihren Kontostand gesehen haben. (Wilhelm Genazino: Mittelmäßiges Heimweh)

  • Moin, Moin!


    Der Anblick der vielen Bücher auf Ihrer Ebene hat die Leute auf meinen richtigen Beruf verfallen lassen, und gelegentlich fordern die Herren im Seaview Hotel (Beer by Hürlimann) mich auf, über ihren jeweiligen Intimfeind einen Roman zu verfassen; so vernichtend soll die Strafe sein. (Uwe Johnson an Max Frisch, 22.3.1975)

  • José Maria Eca de Queiroz (1846 - 1900) war ein herrlich respektloser Spötter. In der "Reliquie" gibt es neben einer ganzen Reihe von fröhlichen Unverfrorenheiten gegen den Katholizismus auch eine Charakterisierung des imperialen Deutschtums, die es wert ist, in meinen Zitateschatz überführt zu werden. Der Held der Geschichte trifft als Reisegefährten einen deutschen Altertumsforscher, der so charakterisiert wird:


    Zitat

    Auch war er unausstehlich stolz auf sein Vaterland. Andauernd, und mit tönender Stimme, pries er Deutschland, die geistige Mutter der Völker; hernach bedrohte er mich mit dessen unwiderstehlichen Waffen. Deutschlands Allwissen! Deutschlands Allmacht! Ein riesiges, hinter Folianten verschanztes Kriegslager, wo die waffenstarrende Metaphysik Wache hält und "Halt, wer da!" ruft - so regierte Deutschland.

  • Moin, Moin!


    José Maria Eca de Queiroz (1846 - 1900) war ein herrlich respektloser Spötter.


    Ich las von ihm bislang "Der Mandarin" - "Das Verbrechen des Pater Amaro" - "Die Reliquie" - "Vetter Basilio" -"Das berühmte Haus Ramirez" - "Stadt und Gebirg" sowie das umfängliche "Die Maias". Ein Autor, den ich Rolf Vollmanns Falschmünzer verdanke. Wunderbar.

  • Moin, Moin!


    Arbeiter streiken vielleicht selten, wenn es dem Kapitalismus günstig ist. Nicht aus Dummheit, sondern ehernen Gesetzen folgend. Was immer auch Arbeiter tun mögen, innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems werden sie das tun, was dem Kapitalismus dienlich ist, weil sie ein Teil des Kapitalismus sind, weil sie mit ihm, während der Herrschaft dieses Systems, verbunden sind auf Tod und Verderben, auf Leben und Untergang. Der Aktive leistet, der Inaktive leidet. Innerhalb dieses Systems ist der Kapitalist der Aktive. Er weiß, was er will. Er will Geld verdienen. Der Arbeiter will nur etwas abhaben. Er will es genauso machen wie der Kapitalist, er will mehr haben als sein Mitprolet. Wenn der Bäcker streikt und gewinnt, dann wird für den Schuster das Brot teuer, und dann muß der Bäcker mehr für die Stiefelsohlen bezahlen. Innerhalb dieses Systems dient alles dem Kapitalismus. Nicht weil die einen brutalen Ausbeuter, die andern Hungernde und die übrigen Arbeiterverräter sind, sondern weil sie sich alle in derselben Maschine befinden. (B. Traven: Die weiße Rose)


  • Im Fach daneben ein paar Bücher. Das Guinness Buch der Rekorde. Ein Kreuzworträtsellexikon. Das Buch der Tausend Witze. Nichtlesers Standardbibliothek. (Stefan Schwarz: Das wird ein bisschen wehtun)


    Hab ich auch gelesen (nicht Nichtlesers Standardbibliothek, sondern den Schwarz :zwinker:). War humorvoll und auch ein bisschen wie der Titel, wenn man die Probleme mit den Eltern aus eigener Erfahrung kennt.


    finsbury