Grimmelshausen - Abenteuerlicher Simplicissimus

  • Hallo liebe Mitleser!


    Das Titelkupfer ist (eine Besonderheit der Barockzeit) emblematisch angelegt: Die üblichen, formalen Bestandteile des Emblems sind Inscriptio (Überschrift), Pictura (Bild) und Subscriptio (Gedicht) Da Grimmelshausen zeichnerisches Talent hatte, ist anzunehmen, dass er den Entwurt für das Kupfer selbst zeichnete. Da auch bei Gutenberg nur Überschrift und Bild dargestellt sind, hier noch das Gedicht, das man sich direkt unter dem Bild vorzustellen hat:


    Ich wurde durchs Feuer wie Phoenix geborn.
    Ich flog durch die Lüfte! Wurd doch nit verlorn,
    Ich wandert durchs Wasser, Ich reist über Land,
    in solchem Umbeschwermen macht ich mir bekannt,
    was mich oft betrübet und selten ergötzt
    was war das? Ich habst in dies Buche gesetzt,
    damit sich der Leser gleich wie ich itzt tue,
    erntferne der Torheit und lebe in Ruhe.


    Das abgebildete Wesen trägt eindeutig einen Satyrkopf (Die Eselsohren sind dafür Erkennungszeichen seit der römischen Satire) und verweist somit auf den satirischen Charakter des Romans. Die Episoden des Romans werden möglicherweise (will ich aber noch beim Lesen überprüfen) durch die im aufgeschlagenen Buch abgebildeten Gegenstände angedeutet: Krone, Kanone, Würfel, Biene, Turm, Römerglas, Wickelkind (auf der linken Seite von oben nach unten), Narrenkappe, Schiff, Baum, Kröte (auf der rechten Seite, der Rest ist von mir nicht zu identifizieren)


    Der Körper des Wesens könnte auf die vier Elemente hinweisen, das Monstrum hätte also wie auch das Gedicht andeutet beim „Umbschwermen“ „elementare“ Erfahrungen gemacht.
    In der Grimmelshausen-Forschung wird es aber auch als Verkörperung des Fabelwesens gedeutet, welches Horatius zu Beginn seines literaturtheoretischen Lehrbriefs „Ars Poetica“ schildert. Mir persönlich erscheint die folgende Deutung am wahrscheinlichsten: Der Satyrkopf sitzt auf dem Körper einer mittelalterlichen Chimäre. In diese Tradition gestellt, verweist das Wesen auf moralische Verkommenheit, auf eine gottferne Seele. Das Bild zeigt also den inneren Seelenzustand des Romanhelden zu Beginn des Romans ohne beschönigende Masken (die am Boden liegen). Auch das Gedicht nimmt diese Deutung auf und verweist auf die im Buche zu findende Überwindung dieses Seelenzustandes. Das Titelkupfer stimmt so den Leser auf ein allegorisch-moralisches Verständnis der erzählten Handlung ein.


    Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Deutung der Geste der linken Hand. In der Forschung wird sie meistens als Geste des „Hörneraufsetzens“ gedeutet. Mir persönlich (und auch diese Deutung ist in der Literatur zu finden) erscheint es eher als soll der Betrachter auf zwei der Gegenstände im Buch besonders aufmerksam gemacht werden. Der Zeigefinger deutet auf einen Baum, der kleine Finger auf das Wickelkind. Wenn man das Buch als Allegorie deuten will, würde das passen. Der Baum der Erkenntnis und das Kind in der Krippe, wären dann Sündenfall und Erlösung der menschlichen Seele im christlichen Sinn.


    Lassen wir uns mal überraschen. Viel Spaß beim Lesen.


    Hubert

  • Hallo Atomium


    ich habe die Verfilmung als Kind gesehen, da war ich ca. 12. Ich weiß fast gar nichts mehr, nur eine Szene blieb mir in Gedächtnis. Simplicissimus hatte starke Blähungen und konnte "luftablassen" mit Donnerhall, das fand ich natürlich als kleine Range total witzig *gggg*.


    Ich kann mich auch nicht erinnern, daß es mal eine Wiederholung gab.


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo!


    Ich habe nun angefangen mit der Lektüre.
    Meine ersten Eindrücke:


    Man kann dieses Buch nicht schnell lesen. Die Wortwahl, die vielen Hinweise auf die griechische Mythologie, die Bibel, Heilige, wollen alle verarbeitet werden.


    Der Krieg wird innerhalb der ersten drei Kapitel in wenigen Worten so dargestellt, dass die Gräuel lebendig werden.


    Die Teile in Dialekt sind gut verständlich. Vielleicht haben sich deutsche Dialekte weniger verändert als die Hochsprache? Simplicius' Vater spricht wohl so eine Art Rheinfränkisch (kann das sein - spricht man das im Spessart?), das mir sehr bekannt vorkommt. Auch das Niederdeutsch der plündernden, marodierenden, folternden, vergewaltigenden und brandschatzenden Soldaten ist gut zu verstehen, auch wen Simpl. es nicht versteht.


    Bei der Darstellung von Simpl. Leben vor dem Krieg und seinen Tagen im Wald habe ich mich an einen Film erinnert, den ich vor einigen Jahren einmal gesehen habe, eine DDR-Produktion eines Grimmschen Märchens "Jorinde und Joringel". Der Film spielt während des Dreissigjährigen Kriegs in einem Wald. Der Film hat mich damals sehr beeindruckt. Falls Ihr die Gelegenheit habt, ihn zu sehen - empfehlenswert: http://www.kinderfilm-online.d…t/page/buch-j/jorinde.htm


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen!


    Ich fühle mich bisher einsam mit meinem Simplicius.
    Oder gibt es doch noch jemanden, der schon angefangen hat?


    Und Ihr anderen? Wann wollt Ihr mit dem Grimmelshausen beginnen?


    Ich wüßte gerne, ob ich weiter so alleine vor mich hinlese (pfeif)
    und noch nichts poste oder ob es doch noch jemanden gibt auf diesem großen Schlachtfeld.


    Gruß von
    Atomium

  • Hallo Atomium,


    Ich habe mit dem Simplicissimus noch nicht angefangen. Im Moment lese ich noch die rororo-Monographie über Grimmelshausen von Curt Hohoff. Da ich den Simplicissimus in grauer Vorzeit schon einmal gelesen habe, bin ich über die Geschichte in etwa informiert, wenn ich auch sicher Vieles vergessen habe. Ich kann mich nur dunkel erinnern, dass ich im Einzelnen Schwierigkeiten hatte, die geschilderten Ereignisse mit den historischen Abläufen in Verbindung zu bringen, denn zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges sagt Grimmelshausen so gut wie gar nichts (soweit ich mich erinnern kann), was auch nicht verwunderlich ist, denn zu seiner Zeit war das ja allen noch im Bewußtsein. Deshalb erst die Grimmelshausenbiographie und nach Möglichkeit auch ein Buch über den dreißigjährigen Krieg.


    Leider befinde ich mich mal wieder in einer workaholic-Phase mit 50 Arbeitsstunden pro Woche, so dass ich nicht viel Zeit habe und es manchmal auch an der Konzentration mangelt. Ich denke aber schnell aufholen zu können, wenn ich erst mal angefangen habe.


    Aus dem Anfang des Romanes erinnere ich mich an die Unwissenheit des Simplicissimus: Er wird vor dem Wolf gewarnt, weiß aber nicht, wie ein Wolf aussieht, so dass er die schwedischen Reiter, die den Hof überfallen, für Wölfe hält. Er flieht dann in den Wald, wo er den Einsiedel trifft, der sich um ihn kümmert. Simplicissimus ist so unwissend, dass er nicht nur seinen Namen nicht weiß, sondern nicht einmal weiß, dass er einen Namen haben müßte. Beim Einsiedel lernt er lesen, wird unterrichtet und insbesondere zum Christen erzogen (welch gute Lehren er später aber wieder vergißt). Das geht so lange gut, bis der Einsiedel stirbt.


    Überzeugt Dich die Geschichte? Versteht man, warum Simplicissimus nicht zu seinen Eltern zurück möchte? Ist es richtig vom Einsiedel, dass er den Jungen von der Welt isoliert?


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald!


    Da ich wirklich noch am Anfang der er Lektüre bin, kann ich noch nicht viel sagen.


    Zitat

    Überzeugt Dich die Geschichte? Versteht man, warum Simplicissimus nicht zu seinen Eltern zurück möchte? Ist es richtig vom Einsiedel, dass er den Jungen von der Welt isoliert?


    Ich finde es unglaubwürdig, dass ein Kind, das im Wald auf einem einsamen Hof wohnt, nicht weiss, wie ein Wolf aussieht - wenn es denn welche gibt in der Gegend. Wenn der Vater warnt, wird es auch Wölfe geben, dann sollte man sie heulen hören.
    Aber die Konstruktion braucht Grimmelshausen, um Simpl. Unwissenheit zu zeigen - er denkt ja, die Reiter seien Wölfe.
    Auch die Idee, dass er keinen Namen hat und nicht weiss, dass Menschen Namen haben, ist nur als Stilmittel erklärlich. Selbst ein sehr einsiedlerisch lebendes Kind hat sicher schon einmal Menschen getroffen, die nicht seine Eltern sind. Immerhin spielt die Geschichte nicht in der sibirischen Tundra sondern im Spessart.


    Bist Du sicher, dass die Reiter schwedische Soldaten sind? Sie sprechen Niederdeutsch...


    Gibt es in der Literatur Schätzungen, wie alt Simpl. war bei der Zerstörung seines Elternhauses? Grimmelshausen selbst war wohl 14, als er von daheim verschleppt wurde. Mir scheint Simpl. von seinem Verhalten her jünger zu sein.


    Ich werde langsam weiterlesen,
    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen,


    nachdem ich mir heute eine Erstausgabe von Grimmelshausens „Simplicissimus“ in Oberkirch angesehen habe und anschliessend in der Grimmelshausen-Gastsätte „Silberner Stern“ in Gaisbach Elsässer Flammkuchen gegessen hatte, habe ich endlich auch das Buch angefangen zu lesen. Dazu eine Flasche Spätburgunder „Simplicius“ (steht tatsächlich auf dem Etikett) Rotwein – da kam ich mit dem Lesen ziemlich gut voran.


    M.M. nach ist der Simplex höchstens 6 – 7 Jahre zu Beginn des Buches. Kann mich aber auch irren, aber sicher ist der Roman am Anfang nicht autobiographisch. Das mit den Wölfen: ich denke der Knan hat das nur gesagt um die Aufgabe des Hirten etwas aufzuwerten, wenn da wirklich Wölfe gewesen wären, hätte wohl nicht der kleine Junge auf die Tiere aufgepasst. Deshalb war es auch nicht wichtig, dass der Knan erklärte wie Wölfe aussehen. Es muß eben aufgepasst werden, weil Gefahr droht. Zu welchem Heer gehörten die Reiter? Ich denke das spielt überhaupt keine Rolle. Heute habe ich im Museum gelesen:


    1638 fielen protestantische Schweden in Oberkirch ein und plünderten die Stadt. In den folgenden Jahren wurde die Stadt abwechselnd Opfer schwedischer und kaiserlicher Söldnerheer. Beide waren gleich rücksichtslos. Und auch den Bauern war es egal ob sie von schwedischen oder kaiserlichen, protestantischen oder katholischen Söldnern ausgeraubt wurden.


    In dieser Phase des Krieges, kam es den Söldnern (die ja für Sold, nicht für eine bestimmte Sache kämpften) nicht drauf an in welchem Territorium ein Dorf lag – Hauptsache es gab etwas zu plündern, zu foltern, zu vergewaltigen.


    Ich finde auch, die Grausamkeit des Krieges kommt gut rüber, daneben ist das Buch aber auch voller Humor und ich kann mir vorstellen, dass die Zeitgenossen öfter laut gelacht haben. Wir sind da natürlich durch Ingo Appelt, Michael Mittermeier & Consorten etwas abgestumpft.


    Ich wundere mich wie belesen Grimmelshausen war, der zitiert ja so ziemlich aus allem was bis dahin geschrieben war, das hätte ich so nicht erwartet.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Obwohl ich den Simplicius nicht mitlese, verfogle ich doch Eure Diskussion interessiert. Ich habe mich vor Jahren mit der Barock-Literatur ein bisschen nächer beschäftigt, von daher auch den Grimmelshausen natürlich gelesen. Wenn ich also meinen Senf dazu geben darf. (Nicht als Besserwisser, ich möchte meine Erinnerungen an den Simpel ein bisschen auffrischen ...)


    Wie alt ist Simpel zu Beginn? Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass Grimmelshausen auch eine Satire schreibt. Simpel wird wohl an Kalenderjahren älter sein als er aufgrund seiner - von Gr. natürlich schamlos übertriebenen - Einfalt wirkt.


    Die Wölfe? Die gab's zu jener Zeit noch. Und kleine Hütejungen, die kaum wussten, wie so ein Wolf aussehen könnte - die gab's auch ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Atomium,


    Zitat von "Atomium"

    Selbst ein sehr einsiedlerisch lebendes Kind hat sicher schon einmal Menschen getroffen, die nicht seine Eltern sind. Immerhin spielt die Geschichte nicht in der sibirischen Tundra sondern im Spessart.


    Ich meine aber auch gehört zu haben, dass gerade der Spessart damals und noch mehr als hundert Jahre später (denke an Hauffs "Das Wirtshaus im Spessart") wegen seiner Unsicherheit eher verrufen war. Es muss auch noch lange Zeit nach Grimmelshausen sehr einsame Gegenden im Spessart gegeben haben. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob wir die Maßstäbe des 21. Jahrhunderts an die Verhältnisse des 17. anlegen dürfen. Das betrifft auch die Unwissenheit des Simplicissimus.


    sandhofer: Was ist den von Deiner Beschäftigung mit der Barockliteratur außer dem Simplicissimus sonst noch hängengeblieben? Hast Du Empfehl--- äh Tipps? Interessante Sekundärliteratur?


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald!


    Ich fürchte, ich muss Dich enttäuschen. Sekundärliteratur hat sich in der Zwischenzeit verflüchtigt. Und Primärliteratur: Natürlich Gryphius, irgendwo noch ein Haufen Gedichte, den Schlesischen Engel nicht zu vergessen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Harald hat gepostet:
    Ich habe mit dem Simplicissimus noch nicht angefangen. Im Moment lese ich noch die rororo-Monographie über Grimmelshausen von Curt Hohoff


    Hallo Harald,


    lohnt es sich die rororo-Monographie zu lesen? Der grobe Lebensweg von Grimmelshausen ist mir schon bekannt und meines Wissens sind ja eh nicht viele Daten aus seinem Leben (gesichert) bekannt?



    Sandhofer hat gepostet:
    Obwohl ich den Simplicius nicht mitlese, verfogle ich doch Eure Diskussion interessiert. Ich habe mich vor Jahren mit der Barock-Literatur ein bisschen nächer beschäftigt, von daher auch den Grimmelshausen natürlich gelesen. Wenn ich also meinen Senf dazu geben darf


    Hallo Sandhofer,


    Du weißt ja, Anmerkungen und Bemerkungen, auch von Nichtmitlesern sind immer willkommen. Weißt Du warum Grimmelshausen den „Simplicissimus“ und die meisten seiner anderen Werke unter Pseudonym veröffentlicht hat? War das in der Barock-Literatur üblich?



    Grüße von Hubert

  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Der auf dem Titel angegebene Name ist ja ein Anagramm des Namens des Dichters. Es war zu jener Zeit durchaus üblich, sich hinter solchen Spielereien zu verstecken.


    Seine 'ernsthaften' Romane hat Grimmelshausen m.W. unter seinem echten Namen versteckt. Es gehört für ihn wohl mit zur satirischen Absicht, versteckt zu bleiben.


    Übrigens: die Rowohlt-Monographie gehört m.M. zu den besten dieser Reihe - gerade weil sie sich nicht ausschliesslich mit Grimmelshausens Leben beschäftigt, sondern gute einführende Hinweise zu seinen Werken gibt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "Hubert"

    Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Deutung der Geste der linken Hand. In der Forschung wird sie meistens als Geste des „Hörneraufsetzens“ gedeutet. Mir persönlich (und auch diese Deutung ist in der Literatur zu finden) erscheint es eher als soll der Betrachter auf zwei der Gegenstände im Buch besonders aufmerksam gemacht werden. Der Zeigefinger deutet auf einen Baum, der kleine Finger auf das Wickelkind. Wenn man das Buch als Allegorie deuten will, würde das passen. Der Baum der Erkenntnis und das Kind in der Krippe, wären dann Sündenfall und Erlösung der menschlichen Seele im christlichen Sinn.


    Hallo Hubert,
    Hallo zusammen,


    ich weiß noch nicht ob ich mitmache, im Moment bin ich noch von Virginia Woolfs' Roman "Zum Leuchtturm" erfüllt, das muß ich erst setzen lassen.


    Aber ich wollte erwähnen, daß dieses Handzeichen auch von abergläubischen Menschen gegen den Bösen Blick gemacht wird. Könnte evtl. auch passen, bei der Gestalt.


    Zitat von "Hubert"

    nachdem ich mir heute eine Erstausgabe von Grimmelshausens „Simplicissimus“ in Oberkirch angesehen habe und anschliessend in der Grimmelshausen-Gastsätte „Silberner Stern“ in Gaisbach Elsässer Flammkuchen gegessen hatte, habe ich endlich auch das Buch angefangen zu lesen. Dazu eine Flasche Spätburgunder „Simplicius“ (steht tatsächlich auf dem Etikett) Rotwein – da kam ich mit dem Lesen ziemlich gut voran.


    deine Einstimmung finde ich klasse :breitgrins:


    LG Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo Sandhofer,


    vielen Dank für Deine schnelle Anwort. Dass das Pseudonym beim „Simplicissimus“ ein Anagramm ist, weiß man ja erst seitdem man das Pseudonym gelüftet hat. Aber warum hat er ein Pseudonym benutzt?. Du sagst, es war durchaus üblich – sind Dir andere Pseudonyme von Barockdichtern bekannt? Warum war es üblich?


    Übrigens hat Grimmelshausen nur drei seiner Schriften unter seinem Namen veröffentlicht:
    - Ratio Status
    - Dietwalt und Amelinde
    - Proximus und Lympida.


    Alles andere erschien unter Pseudonym. Neben dem Anagramm „German Schleifheim von Suldfort“ gab es noch folgende Pseudonyme die Grimmelshausen abwechselnd benutzte:
    - Melchior Sternfels von Fuchshaim
    - Samuel Greifrison vom Hirschfeld
    - Philarchus Grossus von Tromerheim
    - Michael Rechulin von Sehmsdorff
    - Erich Steinfels von Grufensholm
    - Simon Leugfrisch von Hartenfels
    - u.a..


    Maria hat gepostet:
    Aber ich wollte erwähnen, daß dieses Handzeichen auch von abergläubischen Menschen gegen den Bösen Blick gemacht wird


    Hallo Maria,


    ja natürlich, das kann auch sein, meine Deutung ist ja nur eine von vielen möglichen.


    Gruß von Hubert

  • Hallo Hubert,


    Die rororo-Monographie über Grimmelshausen ist wie alle Bändchen dieser Reihe kurz (ca. 130 Seiten, viele Illustrationen), eignet sich also in erster Linie als Einführung in den Autor, sein Werk und seine Zeit. Als solche finde ich sie sehr gelungen, sehr lesbar. Schwerpunkt ist natürlich der Simplicissimus, aber auch seine anderen Werke werden besprochen. Wie bei allen Bänden dieser Reihe gibt es eine Zeittafel und eine ausführliche Bibliographie.


    Wenn Du allerdings Grimmelshausens Biographie, soweit sie erforscht ist, schon kennst, wird Dir das Buch nicht viel Neues bringen.


    Für mich war besonders die folgende Erkenntnis interessant: Abgesehen von allem, was er als Junge und als junger Mann erlebt hat, hat die Tatsache, dass er im Alter von 13 Jahren von Soldaten verschleppt wurde, dazu geführt, dass sein vorgezeichneter Bildungsweg abrupt unterbrochen wurde. Er hat dann als erwachsener Mann versucht, das Versäumte nachzuholen, und muss wohl immer unter diesen Defiziten gelitten haben. Er hat gelesen, was immer erreichbar war. Sein Bildungshunger hat dann aber nicht dazu geführt, dass er als Autor der Gelehrsamkeit gehuldigt hätte: sondern im Gegenteil hat er gegen alle diejenigen polemisiert, die eine für sein Gefühl unnatürliche (gekünstelte) Sprache sprechen oder schreiben. Er hat sich über jede Art von Eitelkeit und geziertem Getue lustig gemacht. Seine ganze Persönlichkeit ist von den Kriegsjahren geprägt worden (Lebensjahre 13 bis 27!), und alles, was er später gelernt hat, hat diese Erfahrungen nicht mehr verdrängen können. So hat es sich dann auch in seinen sehr viel später erschienenen Schriften Bahn gebrochen.


    Der Simplicissimus war übrigens so erfolgreich, dass Grimmelshausen bald weitere Schriften derselben Art und zum Teil mit demselben Personal nachgeschoben hat (eine Praxis, die also nicht der Hollywood-Film des 20. Jahrhunderts erfunden hat...), u.a. Courasche, Springinsfeld, Das wunderliche Vogelnest. Er hat aber auch einige Romane im Stil der damals gängigen Literatur geschrieben, u.a. "Der keusche Joseph" - der erste Josephsroman der deutschen Literatur! Den werde ich mir bei Gelegenheit besorgen, wenn er überhaupt zu beschaffen ist. Mich würde schon interessieren, wie der sich von den simplizianischen Schriften unterscheidet.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!


    Ihr macht mir richtig Lust, den Simplicius auch nochmal zu lesen. Zumal ich eine wunderschöne Ausgabe besitze, die ich nach dem Kauf nie gelesen habe, da ich sie nur 'en passant' kaufte und damit ein zerfleddertes Taschenbuch (Reclam?) ersetzen wollte.


    Hubert hat gefragt:

    Zitat

    Aber warum hat er ein Pseudonym benutzt?. Du sagst, es war durchaus üblich ? sind Dir andere Pseudonyme von Barockdichtern bekannt? Warum war es üblich?


    Hm. Schutz gegenüber dem eigentlichen Arbeitgeber oder anderen Zeitgenossen, welche die Satire in den falschen Hals kriegen könnten. (Es waren noch andere Zeiten damals: Eine einstweilige Verfügung wurde - oft aus dem Hinterhalt - gleich vor Ort mit dem Schwert oder der Pistole ausgeführt ...)
    Zum Teil wohl auch ein Überbleibsel der früheren Zeiten, wo Dichten etwas für Mönche und ähnlich unmännliche Zeitgenossen war, ein gestandener Mann aber keine solchen 'Lügengeschichten' verbreitete.
    Last but not least: Es war 'part of the game, part of the fun'.


    Haralds Ausführungen zu den Rowohlt-Monographien kann ich nur beistimmen. Es sind nach wie vor meine Lieblinge, wenn es darum geht, mich einführend über Leben & Werk eines Menschen zu orientieren.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    Obwohl der Barockdichter Grimmelshausen sich auch im hohen Romangenre betätigt hat, ist er heute hauptsächlich durch die von ihm selbst als "Simplicianischen Schriften" benannten Werke bekannt. Dies sind:


    - Abentheurlicher Simplicissimus Teutsch, I. - V. Buch
    - Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi, VI. Buch
    - Landstörtzerin Courasche
    - Seltzamer Springinsfeld
    - Wunderbarliches Vogel-Nest
    - Des Wunderbarlichen Vogelnests Zweiter Teil


    Zu diesen Werken, die nach Grimmelshausens Willen einen Zyklus von zehn Büchern bilden, kommt noch eine Reihe von kleineren Erzählwerken, die im gleichen Stil geschrieben und mit der Titelfigur verbunden sind, wie z.B.:

    - Simplicissimi Wunderliche Gauckel-Tasche
    - Des Abenteuerlichen Simplicii Verkehrte Welt
    - Simplicissimi Galgen-Männlein
    - u.a.


    Alle diese Erzählwerke wurden von Grimmelshausen vorbereitet bzw. ergänzt durch traktatförmige Schriften, die ebenfalls in einer Beziehung zu Simplicissimus stehen:


    - Satyrischer Pilgram
    - Simplicianischer Zweyköpfiger Ratio Status
    - Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel


    Es gibt also noch einiges zu lesen. :breitgrins:


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen,


    Simplicius' Traum (Mitte 15. Kapitel bis Mitte 18. Kapitel) lässt mich etwas ratlos zurück, muss ich wohl nochmals lesen, oder habt ihr eine gute Deutung für das Geträumte parat?


    Gruß von Hubert

  • Hallo Hubert,


    Ist es nicht offensichtlich? Der Traum, oder besser die Vision der damaligen Gesellschaft. Die "Wurzeln" (die Bauern) beschaffen die Nahrung. Weiter oben die "oberen" Schichten der Gesellschaft, aber auch das Kriegsvolk, das einerseits Krieg gegen seine eigene Lebensgrundlage führen, andererseits aus diesem Boden immer wieder ergänzt wird.


    Natürlich kann Simplicissimus eine solche Vision nicht haben, es ist Grimmelshausens Sicht. So psychologisch-realistisch schrieb man zu Grimmelshausens Zeiten noch nicht.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.