Hallo liebe Mitleser!
Das Titelkupfer ist (eine Besonderheit der Barockzeit) emblematisch angelegt: Die üblichen, formalen Bestandteile des Emblems sind Inscriptio (Überschrift), Pictura (Bild) und Subscriptio (Gedicht) Da Grimmelshausen zeichnerisches Talent hatte, ist anzunehmen, dass er den Entwurt für das Kupfer selbst zeichnete. Da auch bei Gutenberg nur Überschrift und Bild dargestellt sind, hier noch das Gedicht, das man sich direkt unter dem Bild vorzustellen hat:
Ich wurde durchs Feuer wie Phoenix geborn.
Ich flog durch die Lüfte! Wurd doch nit verlorn,
Ich wandert durchs Wasser, Ich reist über Land,
in solchem Umbeschwermen macht ich mir bekannt,
was mich oft betrübet und selten ergötzt
was war das? Ich habst in dies Buche gesetzt,
damit sich der Leser gleich wie ich itzt tue,
erntferne der Torheit und lebe in Ruhe.
Das abgebildete Wesen trägt eindeutig einen Satyrkopf (Die Eselsohren sind dafür Erkennungszeichen seit der römischen Satire) und verweist somit auf den satirischen Charakter des Romans. Die Episoden des Romans werden möglicherweise (will ich aber noch beim Lesen überprüfen) durch die im aufgeschlagenen Buch abgebildeten Gegenstände angedeutet: Krone, Kanone, Würfel, Biene, Turm, Römerglas, Wickelkind (auf der linken Seite von oben nach unten), Narrenkappe, Schiff, Baum, Kröte (auf der rechten Seite, der Rest ist von mir nicht zu identifizieren)
Der Körper des Wesens könnte auf die vier Elemente hinweisen, das Monstrum hätte also wie auch das Gedicht andeutet beim „Umbschwermen“ „elementare“ Erfahrungen gemacht.
In der Grimmelshausen-Forschung wird es aber auch als Verkörperung des Fabelwesens gedeutet, welches Horatius zu Beginn seines literaturtheoretischen Lehrbriefs „Ars Poetica“ schildert. Mir persönlich erscheint die folgende Deutung am wahrscheinlichsten: Der Satyrkopf sitzt auf dem Körper einer mittelalterlichen Chimäre. In diese Tradition gestellt, verweist das Wesen auf moralische Verkommenheit, auf eine gottferne Seele. Das Bild zeigt also den inneren Seelenzustand des Romanhelden zu Beginn des Romans ohne beschönigende Masken (die am Boden liegen). Auch das Gedicht nimmt diese Deutung auf und verweist auf die im Buche zu findende Überwindung dieses Seelenzustandes. Das Titelkupfer stimmt so den Leser auf ein allegorisch-moralisches Verständnis der erzählten Handlung ein.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Deutung der Geste der linken Hand. In der Forschung wird sie meistens als Geste des „Hörneraufsetzens“ gedeutet. Mir persönlich (und auch diese Deutung ist in der Literatur zu finden) erscheint es eher als soll der Betrachter auf zwei der Gegenstände im Buch besonders aufmerksam gemacht werden. Der Zeigefinger deutet auf einen Baum, der kleine Finger auf das Wickelkind. Wenn man das Buch als Allegorie deuten will, würde das passen. Der Baum der Erkenntnis und das Kind in der Krippe, wären dann Sündenfall und Erlösung der menschlichen Seele im christlichen Sinn.
Lassen wir uns mal überraschen. Viel Spaß beim Lesen.
Hubert