Über Klassiker, Kanons, Leselisten etc.

  • Hallo allerseits
    Hallo Knightley


    Zitat

    Ganz subjektiv: braucht die Literatur, außer für jene, die Literatur "irgendwie" zu ihrem Beruf gemacht haben, Kategorien?


    Als ich Knightleys Aussage gelesen habe, meinte ich, meine eigene zu lesen. Auch ich brauche keine Kategorien, wüsste auch nicht, wozu sie dienen sollten ..


    Wir könnten ja mal alle fragen, die sich hier im Klassikerforum treffen, denn all diese Leute müssen ja einen Grund haben, warum sie sich hierherberufen fühlen.
    Ich beispielsweise habe die Leselustseite per Zufall gefunden und als ich dort die Klassikersparte entdeckte, dachte ich mir "Das ist es!!!" Endlich mal Leute, mit denen Du über Deine Lieblingsbücher diskutieren kannst.


    Ich gehe davon aus, dass die meisten hier eine persönliche Ansicht haben, eine eigene Meinung (wo auch immer hergeleitet) dazu, was ein Klassiker ist, genau wie ich. Wenn ich m ir die Bücher ansehe, die hier gelesen oder besprochen werden, sehe ich, dass viele das ähnlich sehen wie ich.


    Es kann ja ruhig jeder einem "unerfahrenen Leser" helfen und ihm Tipps geben, was er lesen soll/te.
    Nur kann auch solch ein Tipp genauso abschreckend sein wie zu sagen: "Na Ich jedenfalls lese Klassiker" - Genau die Erfahrung habe ich auch schon gemacht.
    Ich brauche nur Dostoj sagen, dann wissen schon alle, dass das wieder "so was Schweres" ist. Lieber erzähle ich von dem Humor des Schriftstellers, seiner tiefen Religiosität, der interssanten Darstellung des Lebens Ende des 19.Jahrhunderts ....


    Ich bin jedenfalls meinem damaligen Lehrer dankbar für den Tipp "Schuld und Sühne".
    Und einen Lesetipp meiner Bekannten (sie hatte mir mal "ES" von Stephen King empfohlen) würde ich NIE wieder beachten!! :zwinker:


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • Hallo Daniela,


    Liegt es an der späten Abendstunde, dass ich Deine Botschaft nicht verstehe?


    Zitat von "elahub"

    Als ich Knightleys Aussage gelesen habe, meinte ich, meine eigene zu lesen. Auch ich brauche keine Kategorien, wüsste auch nicht, wozu sie dienen sollten ..


    Na zum Beispiel dazu, dass man miteinander kommuniziert. Wie willst Du z.B. jemandem mitteilen, dass Du einen Roman, ein Kinderbuch, ein Drama, eine SF- oder eine Fantasygeschichte oder was auch immer gelesen hast, wenn es diese Kategorien nicht gibt? Was ist mit den Begriffen "Text", "Autor", "Sprache"... alles Kategorien... you get the idea.


    Wir diskutieren hier über "Klassiker", deshalb ist für mich der Versuch einer genaueren Begriffsbildung als der in der Alltagssprache gegebenen für dieses Wort nicht ganz fehl am Platze.


    Zitat

    Wir könnten ja mal alle fragen, die sich hier im Klassikerforum treffen


    Natürlich kann man Leute fragen... aber <b>was</b> willst Du sie fragen? Hier fehlt mir ein Nebensatz, der die Frage spezifiziert.


    Zitat

    denn all diese Leute müssen ja einen Grund haben, warum sie sich hierherberufen fühlen.


    Vielleicht bin ich etwas zu genau mit der Sprache, aber meiner Meinung nach kann man nur einen Grund haben, etwas zu tun. Ein Gefühl wird normalerweise nicht bewußt gesteuert, deshalb kann man keinen Grund haben, etwas zu fühlen. Vielleicht ist die Ursache des Gefühls gemeint? Aber was hätte diese Ursache mit der Notwendigkeit von Kategorien zu tun?


    Zitat

    Ich beispielsweise habe die Leselustseite per Zufall gefunden und als ich dort die Klassikersparte entdeckte, dachte ich mir "Das ist es!!!" Endlich mal Leute, mit denen Du über Deine Lieblingsbücher diskutieren kannst.


    Das ging mir ganz genauso! Den Zusammenhang mit Kategorien oder Begriffen verstehe ich aber nicht.


    Zitat

    Ich gehe davon aus, dass die meisten hier eine persönliche Ansicht haben, eine eigene Meinung (wo auch immer hergeleitet) dazu, was ein Klassiker ist, genau wie ich. Wenn ich mir die Bücher ansehe, die hier gelesen oder besprochen werden, sehe ich, dass viele das ähnlich sehen wie ich.


    Dieselbe Unschärfe von Definition und Aussage wie schon vorher. Meinst Du, jeder habe einen eigenen Begriff (so dass jeder, der das Wort "Klassiker" benutzt, etwas anderes meint) - oder meinst Du, dass alle dieselbe Definition von "Klassiker" haben (denselben Begriff verwenden), aber unterschiedliche Werke als "Klassiker" bewertet wissen wollen?


    Worauf bezieht sich "das" im Nebensatz "dass viele das ähnlich sehen wie ich"? Es kann sich ja nur auf die vorangegangene Bemerkung beziehen, dass jeder seine eigene Meinung zu haben scheint, was Klassiker sind. Dieses also scheint jeder ähnlich zu sehen, und das wiederum erkennst Du an den besprochenen Büchern? Ist es aber nicht in Wirklichkeit so, dass an den besprochenen Büchern nur erkannt wird, dass jeder seine eigene Meinung hat, was Klassiker sind - aber nicht, dass jeder meint, dass jeder andere seine eigene Meinung hat? (Letzteres klingt verworren, ist aber das, was Du sagst, wenn auch wahrscheinlich nicht meinst!!!)


    Zitat

    Es kann ja ruhig jeder einem "unerfahrenen Leser" helfen und ihm Tipps geben, was er lesen soll/te.
    Nur kann auch solch ein Tipp genauso abschreckend sein wie zu sagen: "Na Ich jedenfalls lese Klassiker" - Genau die Erfahrung habe ich auch schon gemacht.


    In welcher Situation Du diese Erfahrung gemacht hast, würde mich schon interessieren. Die betreffende Person hat entweder kein Vertrauen in Dein Urteil gehabt oder ist davon ausgegangen, dass Dein Geschmack für sie nicht maßgeblich ist... oder?


    Wenn es eine vernünftige Begriffsbildung gibt, dann sollte jedem klar sein, was mit "Klassiker" gemeint ist. Und wenn jemand entscheidet, dass das für ihn oder sie nichts ist, dann ist das doch legitim, oder nicht? Wo ist das Problem?


    Zitat

    Ich brauche nur Dostoj zu sagen, dann wissen schon alle, dass das wieder "so was Schweres" ist. Lieber erzähle ich von dem Humor des Schriftstellers, seiner tiefen Religiosität, der interessanten Darstellung des Lebens Ende des 19.Jahrhunderts ....


    Entweder es ist wirklich "schwer" für die Betreffenden - dann haben sie ein Recht, so zu urteilen - oder es handelt sich um ein Mißverständnis oder um Unverständnis. Das wäre aber für mich ein Grund mehr zur Klärung!


    Zitat

    Ich bin jedenfalls meinem damaligen Lehrer dankbar für den Tipp "Schuld und Sühne".
    Und einen Lesetipp meiner Bekannten (sie hatte mir mal "ES" von Stephen King empfohlen) würde ich NIE wieder beachten!! :zwinker:


    Hier habe ich endgültig den roten Faden verloren... argumentierst Du für oder gegen Tipps...?


    Mein Standpunkt kurz und plakativ: Gute Definitionen versachlichen die Diskussion und verhindern, dass man aneinander vorbei redet. Sie sind für jede Analyse unerläßlich. Wer nur lesen will, braucht sich über die Kategorisierungen von Texten keine Gedanken zu machen. Wer über das Gelesene sprechen will (und das trifft m.E. auf alle Forumsteilnehmer zu), kommt ohne sie nicht aus.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Harald hat, zu der Frage, braucht die Literatur Kategorien, geschrieben:


    Die Literatur nicht, aber wir. D.h. wirklich brauchen tun wir sie auch nicht, aber der menschliche Verstand ist nun einmal so beschaffen, dass er kategorisieren will.




    Hallo Harald, diesen Satz verstehe ICH nun nicht. WIR brauchen Kategorien (eigentlich) nicht, aber der Verstand ...?
    Muß ich daraus schließen, daß der Verstand eine VON MIR UNABHÄNGIGE "Materie" ist, die MICH beherrscht?
    Bisher war ich froh, wenn ich gelegentlich behaupten konnte, Verstand zu HABEN, ergo ihn zu beherrschen.
    In Deiner Antwort auf Danielas Post hast Du dann Kategorien genannt, die ich weit eher als die des "Klassikers" akzeptieren kann: Science Fiction, Märchen usw. Diese sind doch auch wesentlich deskriptiver als der Begriff "Klassiker". (Und beispielsweise gibt es dann ja auch SF-Klassiker).
    Science Fiction und dergleichen würde ich dann "konkrete" Kategorien nennen und "Klassiker" wäre dann eine "subjektive" Kategorie.
    Doch - nach wie vor - brauche ich sie? Wie wenig ist damit doch über ein Buch gesagt.


    Gleichwohl kann ich Deinen Erwiderungen im übrigen meinen Respekt nicht versagen, ganz besonders dort, wo Du einen Kanon als "Hilfe" bezeichnest - Zeitersparnis usw.


    Gerade in Deiner letzten Erwiderung hast Du, vielleicht besser, als ich es habe ausdrücken können, zusammengefasst, was ich MEINTE: ein Kanon ist sicher dann "unschädlich", wenn ich mich von seinen Vorgaben zu emanzipieren weiß.


    Mir machen nur solche Listen Sorge, die eine Lektüre als VERBINDLICH erklären mit der Zumutung, man MÜSSE dieses und jenes gelesen haben.
    Ähnliches habe ich in diesem Thread gelesen und hoffe in diesem Fall ganz aufrichtig, es mißverstanden zu haben. Wäre mir sonst eine zu elitäre Auffassung.


    Herzlich grüßt
    ALLE
    Knightley

    Er selbst kam sich nicht wirklich vor, wie er da, über die Wirklichkeit träumend, durch sie hindurchging
    <br />
    <br />Zitat aus &quot;Hardenberg. Eine Novelle&quot; von Jürg Amann

  • Hallo Knightley,



    Ich habe mich da wirklich sehr ungenau ausgedrückt. Zunächst einmal habe ich mich in meiner Antwort auf Daniela nur ganz allgemein über den Sinn von Kategorien äußern wollen. Damit ist nichts darüber gesagt, wie wertvoll <b>bestimmte</b> Kategorien sind, was eher Dein Ansatz war.


    Die Frage nach dem "Ich" und dem Verstand scheint mir sehr schwierig zu sein. Ich bin weder in Gehirnforschung noch in kognitiver Psychologie und ähnlichen Gebieten wirklich bewandert. Aus dem, was ich im Laufe der Jahre aufgeschnappt habe, habe ich mir eine vorläufige Meinung gebildet.


    Ich glaube weder, dass ich meinen Verstand beherrsche noch umgekehrt. Was wir Verstand nennen, scheint mir ein Bündel von Funktionen des Gehirns zu sein: Gedächtnis, Sprache, räumliches Vorstellungsvermögen, analytisches Denken, emotionales Einfühlungsvermögen, Zahlen, Mechanik, Phantasie... Wir haben die Vorstellung, dieses Orchester zu dirigieren, und das mag zum Teil stimmen. Es gibt aber auch Anekdoten von Forschern, die längere Zeit über einem schwierigen Problem gebrütet haben und dann im Traum oder in einem Augenblick, wo sie an ganz anderes gedacht haben, plötzlich auf die Lösung gekommen sind. D.h. das Gehirn muss irgendwie selbständig, dem "Ich" unbewußt weitergearbeitet haben.


    Was Kategorien betrifft, so hängt die Neigung unseres Denkens, die Dinge zu klassifizieren, eng mit der Sprache zusammen. Man weiß z.B. aus der Sprachwissenschaft, dass es Fälle gibt, wo Leute auf Grund von Verletzungen des Gehirns bestimmte Wörter nicht mehr finden können und sie durch andere Wörter derselben Kategorie ersetzen, z.B. "Stuhl" statt "Tisch", "Zange" statt "Hammer". Es könnte also sein, dass Klassifizierung in unserem Gehirn schon hart verdrahtet ist (nicht die Kategorien als solche, aber der Prozess, dass Kategorien gebildet und die Nomina den Kategorien zugeordnet werden).


    Es gibt einen bekannten amerikanischen Sprachwissenschaftler (George Lakoff), der ein Buch darüber geschrieben hat: "Women, fire and dangerous things - What categories reveal about the mind". Ich habe es leider noch nicht gelesen.


    Was ich also sagen wollte, ist dieses: Unser Verstand hat diese Neigung zum klassifizieren, aber die konkreten Klassifizierungen sind immer fragwürdig. D.h. von jeder Kategorie könnte man wohl nachweisen, dass wir im Notfall auch ohne sie auskämen - daher meine Aussage, dass wir sie nicht wirklich brauchen - aber wenn wir alle Klassifizierungen auf einem Streich über Bord werfen würden, hätten wir erhebliche Probleme - zu bequem sind die "Schubladen" im Denken und in der Kommunikation des Alltags.


    Zitat

    In Deiner Antwort auf Danielas Post hast Du dann Kategorien genannt, die ich weit eher als die des "Klassikers" akzeptieren kann: Science Fiction, Märchen usw. Diese sind doch auch wesentlich deskriptiver als der Begriff "Klassiker". (Und beispielsweise gibt es dann ja auch SF-Klassiker).
    Science Fiction und dergleichen würde ich dann "konkrete" Kategorien nennen und "Klassiker" wäre dann eine "subjektive" Kategorie.
    Doch - nach wie vor - brauche ich sie? Wie wenig ist damit doch über ein Buch gesagt.


    Das mag wohl sein. Und der Grund, warum wir gerade über den Begriff "Klassiker" viel heftiger diskutieren als über "Märchen" oder "Fantasy" scheint darin zu liegen, dass dieser Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch viel unschärfer, ungenauer ist. Hinzu kommt das logische Problem, das ich oben beschrieben habe: In der Frage "Was ist ein Klassiker?" kann man erst dann sagen, wonach gefragt wird, wenn die Frage beantwortet ist. Was ich hier "Unschärfe" nenne, hat unterschiedlichen Sprachgebrauch zur Folge, und das ist wohl das, was Du "subjektiv" nennst.


    Zitat

    Mir machen nur solche Listen Sorge, die eine Lektüre als VERBINDLICH erklären mit der Zumutung, man MÜSSE dieses und jenes gelesen haben.
    Ähnliches habe ich in diesem Thread gelesen und hoffe in diesem Fall ganz aufrichtig, es mißverstanden zu haben. Wäre mir sonst eine zu elitäre Auffassung.


    Da bin ich ganz Deiner Meinung. Mir kann niemand vorschreiben, was ich lese. Allerdings würde ich schon nach dem Ersteller eines Kanons differenzieren. Wenn jemand wie MRR, der sich ein Leben lang mit Literatur beschäftigt hat, bestimmte Werke hervorhebt, würde ich diese zumindest in Erwägung ziehen. Wenn ich dann nach einigen Versuchen feststelle, dass ich seine Einschätzungen nicht nachvollziehen kann, würde sein ganzer Kanon in meiner Wertschätzung sinken. Wenn ich andererseits durch einige seiner Tipps auf Wertvolles gestoßen bin, was ich sonst nie gefunden hätte, würde mein Vertrauen in seinen Kanon zunehmen.


    Was haltet Ihr z.B. von den Dialogen von Arno Schmidt? (Ein ganz neues Thema :-)).


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo allerseits
    Hallo Harald


    Harald, auch ich habe in der Schule im Leistungskurs Deutsch gelernt, wie man Texte auseinanderpflücken und zergliedern kann, "Analysieren" wurde das genannt. In manchen Fällen, z. B. Reden von Politikern, kann das hilfreich sein, zu verstehen, was gemeint ist. Mir persönlich ist es eher gegen den Strich gegangen - ich lese Texte lieber "am Stück" und versuche, den Inhalt zu begreifen und auch zu sehen, was dahinter versteckt sein könnte.


    Nun aber doch zu Deinem Posting:


    Hallo Daniela,


    Zitat

    Liegt es an der späten Abendstunde, dass ich Deine Botschaft nicht verstehe?


    Das kann ich Dir nicht beantworten :zwinker:


    Zitat

    Wie willst Du z.B. jemandem mitteilen, dass Du einen Roman, ein Kinderbuch, ein Drama, eine SF- oder eine Fantasygeschichte oder was auch immer gelesen hast, wenn es diese Kategorien nicht gibt? Was ist mit den Begriffen "Text", "Autor", "Sprache"... alles Kategorien... you get the idea.


    Ich mache es immer so, dass ich Namen des Autors und Titel des Buches nenne. Falls mein Gegenüber dann Bedarf an näheren Informationen hat, bin ich gern bereit, mit ihm/ihr darüber zu reden.
    Ich weiß nicht, seit wann "Text", "Autor", "Sprache" Kategorien sind aber falls dem neuerdings so ist, gilt auch hier das Ebengesagte.





    Hier hast Du sogar den Nebensatz, der Dir angeblich fehlt, selbst abgeschnitten! Allerdings muss ich Dir in gewisser Weise recht geben, denn auch mit dem Nebensatz ist die Satzstellung etwas schief geraten.
    Ich dachte es war trotzdem deutlich, aber ich mache gern einen zweiten Versuch:


    Wir reden hier darüber, ob es eine Definition für "Klassiker" gibt und ob eine solche überhaupt nötig ist.
    Ich denke, dass alle Klassikerforumsteilnehmer deshalb hierherkommen und auch hierbleiben, weil sie sich für Klassiker interessieren. Mein Originalsatz zielte darauf ab, die Betreffenden zu fragen, was sie unter Klassiker verstehen, in der Annahme, dass sie ähnliche Vorstellungen davon haben, denn sonst wären sie wahrscheinlich nicht hier.


    Ich denke nicht, dass man ZU genau sein kann mit der Sprache, aber ich wiederum verstehe absolut nicht, was Du meinst mit:


    Zitat

    Vielleicht bin ich etwas zu genau mit der Sprache, aber meiner Meinung nach kann man nur einen Grund haben, etwas zu tun. Ein Gefühl wird normalerweise nicht bewußt gesteuert, deshalb kann man keinen Grund haben, etwas zu fühlen. Vielleicht ist die Ursache des Gefühls gemeint? Aber was hätte diese Ursache mit der Notwendigkeit von Kategorien zu tun?


    Jeder kann nicht nur einen, sondern mehrere Gründe haben etwas zu tun.
    Und von welchem Gefühl redest Du?


    Zitat

    Den Zusammenhang mit Kategorien oder Begriffen verstehe ich aber nicht.


    Ich persönlich habe hier nur über Kategorien geredet, nicht von Begriffen allgemein. Ich habe auch absolut nichts gegen Definitionen, im Gegenteil, sie können das Leben ungemein erleichtern.
    Nur brauche ich keine Kategorien für die Literatur.


    Zitat

    Meinst Du, jeder habe einen eigenen Begriff (so dass jeder, der das Wort "Klassiker" benutzt, etwas anderes meint) - oder meinst Du, dass alle dieselbe Definition von "Klassiker" haben (denselben Begriff verwenden), aber unterschiedliche Werke als "Klassiker" bewertet wissen wollen?


    Ja, ich meine, jeder habe einen eigenen Begriff. Das bedeutet allerdings nicht, dass jeder etwas anderes meint! Jeder kann schließlich selbst eine Vorstellung davon haben, was für ihn ein Klassiker ist (was ja auch aus dieser Diskussion in diesem Thread deutlich wird) und trotzdem werden viele feststellen, dass sie ähnliche bis gleiche Vorstellungen haben.


    Zitat

    Ist es aber nicht in Wirklichkeit so, dass an den besprochenen Büchern nur erkannt wird, dass jeder seine eigene Meinung hat, was Klassiker sind - aber nicht, dass jeder meint, dass jeder andere seine eigene Meinung hat? (Letzteres klingt verworren, ist aber das, was Du sagst, wenn auch wahrscheinlich nicht meinst!!!)


    An den besprochenen Büchern kann erkannt werden, dass viele ähnliche Interessen haben, nämlich z. B. das Interesse, diese bestimmten Bücher zu lesen und zu besprechen. An dem, was jede/r Einzelne zu bestimmten Büchern zu sagen hat, kann wiederum erkannt werden, dass die Auffassung eines Buches oder einer Textstelle unterschiedlich sein kann.
    Was Du schreibst, klingt (für mich wenigstens) nicht verworren, allerdings bitte ich Dich, mir zu überlassen, was ich meine und was ich nicht meine :zwinker: .



    Zitat

    In welcher Situation Du diese Erfahrung gemacht hast, würde mich schon interessieren. Die betreffende Person hat entweder kein Vertrauen in Dein Urteil gehabt oder ist davon ausgegangen, dass Dein Geschmack für sie nicht maßgeblich ist... oder?


    Ich weiß zwar nicht, warum Dich "meine Situationen" interessieren aber warum nicht ... ich habe beispielsweise einer Kollegin den Tipp gegeben, das Buch "Zirkuskind" von John Irving zu lesen (kein Klassiker, ich weiß, aber hier geht es darum, ob Tipps gegeben werden sollen) und sie hat es auch gelesen. Ich habe es nach einigen Wochen kommentarlos zurückerhalten und da andere Bücher sonst immer sehr wohl mit Kommentaren "versehen" werden und ich meine Kollegin schon sehr lange kenne, habe ich daraus geschlossen, dass ihr das Buch nicht gefallen hat und folglich wird sie von mir keinen Tipp mehr befolgen. Das hat mit Vertrauen in Geschmack nichts zu tun; es ist einfach so, dass jede/r ihren/seinen eigenen Geschmack hat.



    Zitat

    Und wenn jemand entscheidet, dass das für ihn oder sie nichts ist, dann ist das doch legitim, oder nicht? Wo ist das Problem?


    Ich habe kein Problem damit und das hatte ich auch nicht behauptet.


    Zitat

    Entweder es ist wirklich "schwer" für die Betreffenden - dann haben sie ein Recht, so zu urteilen - oder es handelt sich um ein Mißverständnis oder um Unverständnis.


    Die Menschen, die ich kenne, die behaupten, Dostojewski sei zu schwer, haben noch niemals etwas von ihm gelesen. Deshalb können sie meiner Meinung nach nicht urteilen!
    Allerdings hat jede/r das Recht, zu lesen, was sie/er mag :zwinker:
    Es handelt sich also weder um Missverständnis noch um Unverständnis, denn beides würde voraussetzen, dass gelesen wurde, worüber geurteilt wird.


    Zitat

    Hier habe ich endgültig den roten Faden verloren... argumentierst Du für oder gegen Tipps...?


    Ich hatte bereits gesagt, dass jede/r Tipps geben kann, warum nicht?
    Bei mir persönlich verhält es sich so, dass ich sie bei einigen Leuten annehme, in diesem Fall ein empfohlenes Buch lesen würde und bei anderen eben nicht. Beides auf Grund der gemachten Erfahrungen.


    Zitat

    Wer über das Gelesene sprechen will (und das trifft m.E. auf alle Forumsteilnehmer zu), kommt ohne sie nicht aus.


    Du kannst gern weiterhin alles in Kategorien einteilen und auch darüber reden. Ich konnte bis jetzt, hier und auch anderswo, über Gelesenes sprechen, ohne den Begriff "Klassiker" zu verwenden :smile:


    liebe Grüße


    :winken:


    Daniela

    &quot;Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde.&quot; - John Irving

  • Hallo alle,
    Hallo Daniela,


    Ich will mal versuchen, auf die Hauptpunkte Deiner Antwort einzugehen:


    Zitat von "elahub"

    ich lese Texte lieber "am Stück" und versuche, den Inhalt zu begreifen und auch zu sehen, was dahinter versteckt sein könnte.


    Das verstehe ich schon. Es birgt aber die Gefahr, dass Du etwas in Texte hineininterpretierst, was nicht in ihnen steckt. Ich jedenfalls werde mich immer bemühen, das, was ich meine, auch so explizit und klar wie möglich zu sagen, damit meine Leser es nicht erahnen müssen. Ob mir das auch gelingt, können und dürfen dann die Leser - in diesem Fall Ihr - entscheiden.


    Zitat

    Ich mache es immer so, dass ich Namen des Autors und Titel des Buches nenne. Falls mein Gegenüber dann Bedarf an näheren Informationen hat, bin ich gern bereit, mit ihm/ihr darüber zu reden.
    Ich weiß nicht, seit wann "Text", "Autor", "Sprache" Kategorien sind aber falls dem neuerdings so ist, gilt auch hier das Ebengesagte.


    Vielleicht liegt hier ein Mißverständnis vor: Ich benutze "Kategorie" synonym mit "Begriff". D.h. viele Nomina bezeichnen Kategorien: "Haus", "Katze", "Stern", "Erzählung", ... bezeichnen alle eine Menge von Objekten, die auf Grund gemeinsamer Eigenschaften zu einem Begriff oder eben einer Kategorie zusammengefaßt werden. Ohne Begriffe aber ist m.E. weder Denken noch Kommunikation möglich. Damit ist allerdings noch nichts über darüber gesagt, wie sehr eine <b>bestimmte</b> Kategorie zur Erkenntnis beiträgt, wie ich in meinem letzten Beitrag (Antwort an Knightley) schon gesagt habe. Wenn Du daher Unterscheidungen wie 'Märchen', 'Fantasy', 'SF'-Geschichte nicht für hilfreich hältst, kannst Du sie natürlich weglassen. Allerdings benutzen viele Leute diese "Label", und meiner Meinung nach ist es schwer, ganz ohne sie auszukommen. Ich kann aber gut verstehen, dass man im Einzelfall gute Gründe hat, solche "Schubladen" zu vermeiden.


    Zitat

    Wir reden hier darüber, ob es eine Definition für "Klassiker" gibt und ob eine solche überhaupt nötig ist. Ich denke, dass alle Klassikerforumsteilnehmer deshalb hierherkommen und auch hierbleiben, weil sie sich für Klassiker interessieren. Mein Originalsatz zielte darauf ab, die Betreffenden zu fragen, was sie unter Klassiker verstehen, in der Annahme, dass sie ähnliche Vorstellungen davon haben, denn sonst wären sie wahrscheinlich nicht hier.


    Der Nebensatz, den ich abgeschnitten habe und der die Frage enthalten sollte, fragte aber nach dem Grund der Teilnahme am Klassikerforum. Und jetzt sagst Du, der Satz zielte darauf ab, die Betreffenden zu fragen, was sie unter Klassiker verstehen. Das ist aber doch eine andere Frage!? Du siehst daran, dass es nicht verkehrt ist, explizit zu formulieren. Zu leicht schleichen sich Mißverständnisse ein.


    Eine Definition scheint mir immer dann notwendig, wenn in der Diskussion das Gefühl entsteht, dass man trotz Gebrauch desselben Wortes nicht immer dasselbe meint. Das scheint mir hier der Fall zu sein. Selbst wenn jeder Einzelne der Meinung ist, es sei ganz klar, was "Klassiker" bedeutet, und man brauche deshalb nicht darüber zu diskutieren, kann es immer noch möglich sein, dass alle diese individuell klaren Definitionen unterschiedlich sind. Diese Diskrepanzen wird man erst in der Diskussion feststellen.


    Ob die Motivation für die Beteiligung am Klassikerforum bei allen dieselbe ist, weiß ich nicht. Ja, es kann das Interesse an Klassikern sein. Es kann aber auch das Bedürfnis sein, über Klassiker zu reden (was etwas anderes ist, als sie zu lesen). Es kann das Bedürfnis sein, über <b>bestimmte</b> Klassiker zu reden. Es kann das Bedürfnis sein, theoretisch über Klassiker zu diskutieren. Es kann das Bedürfnis sein, sich zu informieren, was andere Leser interessiert. Es kann das Bedürfnis sein, sich zu einer Lektüre inspirieren zu lassen, auf die man sonst nicht gekommen wäre. Es kann das Bedürfnis sein, anderen seine eigenen Gedanken mitzuteilen. Du siehst, es gibt viele plausible Möglichkeiten. Wie allerdings aus den individuell unterschiedlichen Interessen-Gemischen folgen soll, dass alle denselben Begriff von "Klassiker" haben, ist mir schleierhaft. Die Begriffe müssen zunächst ja nur so ähnlich sein, dass für jeden etwas dabei ist - genug, dass er oder sie dabei bleibt. Und dabei vergißt Du noch all jene, die vielleicht mal hereingeschaut haben und sich vielleicht gesagt haben: "Das sind ja gar nicht die Werke, die ich unter 'Klassiker' verstehe; dieses Forum interessiert mich nicht."


    Selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass tatsächlich alle denselben Begriff haben, ist immer noch nicht klar, wie dieser gemeinsame Begriff am klarsten formuliert werden kann. Aber wie gesagt, ich zweifele daran, dass jeder unter Klassiker (exakt) dasselbe versteht. Nun, das wird (hoffentlich) die Diskussion ergeben. Ich habe übrigens einen Vorschlag gemacht. Warum wird der nicht diskutiert?


    Zitat

    Ich denke nicht, dass man ZU genau sein kann mit der Sprache, aber ich wiederum verstehe absolut nicht, was Du meinst mit:



    Jeder kann nicht nur einen, sondern mehrere Gründe haben etwas zu tun.
    Und von welchem Gefühl redest Du?


    Sorry, das war mein Fehler. Ich wollte sagen: Man kann nur einen Grund haben, etwas zu <b>tun</b> (und nicht, etwas zu <b>empfinden</b>). Die Betonung liegt nicht auf 'einen', sondern auf 'tun'. "Der Grund, aus dem ich dieses schreibe" ist sinnvoll; er bezeichnet meine Absicht, den Zweck, den ich verfolge. "Der Grund, aus dem ich die Treppe hinuntergefallen bin" dagegen kann man nicht sagen, denn ich bin ja nicht mit Absicht gefallen. Die Frage "Welchen Grund hatte die Dame, in Ohnmacht zu fallen?" impliziert, dass es sich um eine selbstfabrizierte Ohnmacht handelt...


    Zitat

    Ja, ich meine, jeder habe einen eigenen Begriff. Das bedeutet allerdings nicht, dass jeder etwas anderes meint! Jeder kann schließlich selbst eine Vorstellung davon haben, was für ihn ein Klassiker ist (was ja auch aus dieser Diskussion in diesem Thread deutlich wird) und trotzdem werden viele feststellen, dass sie ähnliche bis gleiche Vorstellungen haben.


    Ähem, hier komme ich nicht mit. Natürlich hat jeder seine eigene Vorstellung; die Vorstellung eines anderen <b>kann</b> ich nicht haben. Dass viele Leute feststellen, dass diese Vorstellungen ähnlich sind, scheint mir auch plausibel. Es geht aber doch darum, ob diese Vorstellungen <b>gleich</b> sind bzw. wenn nicht, wo die Unterschiede liegen.


    Zitat

    An den besprochenen Büchern kann erkannt werden, dass viele ähnliche Interessen haben, nämlich z. B. das Interesse, diese bestimmten Bücher zu lesen und zu besprechen. An dem, was jede/r Einzelne zu bestimmten Büchern zu sagen hat, kann wiederum erkannt werden, dass die Auffassung eines Buches oder einer Textstelle unterschiedlich sein kann.


    Ich hoffe, ich habe Dich jetzt verstanden... Ich glaube, Du sagst damit: "Ich möchte über <b>bestimmte</b> Bücher reden; ob diese so oder so klassifiziert werden, ist mir eher egal, ich halte das nicht für wichtig..."


    Zitat

    allerdings bitte ich Dich, mir zu überlassen, was ich meine und was ich nicht meine :zwinker: .


    Aber gern. Ich würde mir nur gerne die Erlaubnis reservieren, nachzufragen, wenn ich Dich nicht verstehe, damit Deine Meinung bei mir auch richtig ankommt.


    Zitat

    Die Menschen, die ich kenne, die behaupten, Dostojewski sei zu schwer, haben noch niemals etwas von ihm gelesen. Deshalb können sie meiner Meinung nach nicht urteilen!
    Allerdings hat jede/r das Recht, zu lesen, was sie/er mag :zwinker:
    Es handelt sich also weder um Missverständnis noch um Unverständnis, denn beides würde voraussetzen, dass gelesen wurde, worüber geurteilt wird.


    In der Tat, hier handelt es sich um ein klassisches Vorurteil. Darüber braucht man kein Wort zu verlieren (es sei denn, man wolle sich als Missionar betätigen - meine Sache wäre das nicht...).


    Wenn ich Deine Meinung richtig verstanden habe, dann interessiert Dich dieser Thread eigentlich gar nicht, sondern Du hältst ihn für unwesentlich. Ich werde daher in einem weiteren Beitrag versuchen, auf das Thema zurückzukommen.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo alle,


    Ich möchte noch einmal eine Lanze für die "Konsens"- oder soziologische Definition von "Klassiker" brechen.


    Danach wären Klassiker solche Werke, die von einem informierten Lesepublikum als besonders bedeutend, interessant, wichtig, lesenswert, unterhaltsam, ... eingestuft werden. D.h. "Klassiker" wären die Werke, die von den meisten als "Klassiker" bezeichnet werden (m.E. keine zirkuläre Definition).


    Diese Definition stimmt im Wesentlichen mit Sandhofers Beitrag überein, mit dem dieser Thread eröffnet wurde.


    Der Vorteil einer solchen Definition ist, dass man keine objektiven (werkimmanenten) Kriterien braucht. Ich glaube, dass es noch nie gelungen ist, solche Kriterien überzeugend zu formulieren und einwandfrei anzuwenden.


    Genau genommen ist dieser Begriff sogar objektiver als sogenannte objektive Kriterien. Denn man kann die Entscheidung, welche Werke Klassiker sind, durch Befragung klären, während sogenannte objektive Kriterien meistens sehr subjektiv sind, da es immer Einzelne sind, die sie vorlegen.


    Ein weiterer Vorteil ist, dass prinzipiell <b>jedes</b> Werk den Klassikerstatus erreichen kann. Es gibt keine formalen Kriterien, die zu einem vorzeitigen Ausschluss der Kandidatur führen könnten.


    Was meint Ihr?


    - Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo allerseits
    Hallo Harald


    Zitat

    Wenn ich Deine Meinung richtig verstanden habe, dann interessiert Dich dieser Thread eigentlich gar nicht, sondern Du hältst ihn für unwesentlich. Ich werde daher in einem weiteren Beitrag versuchen, auf das Thema zurückzukommen.


    Ich denke, dass wir uns jetzt etwa verstanden haben :zwinker: Die Diskussion werde ich weiterhin mit Spannung verfolgen.


    liebe Grüße


    :winken:


    Daniela

    &quot;Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde.&quot; - John Irving

  • Hallo zusammen,
    so bequem diese Definition ist , so kann ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass durch Mehrheitsentscheidung ueber ein Begriff entschieden wird, von dem jeder eine unterschiedliche Auffassung hat.
    In diesem Forum beschaeftigen wir uns ja nicht mit "Klassikern" im Sinne von repraesentativen Werken verschiedener Genres. Man koennte sicher von "Klassikern" der SF-Literatur, von "Klassikern" der Trivialliteratur usw. sprechen. Doch meine ich, dass wir, wenn wir von Klassikern hier sprechen, einen gewissen Qualitaetsstandard im Kopf haben. Es mag schwierig sein, diese qualitativen Merkmale allgemeingueltig zu formulieren. Dies heisst aber nicht, dass es solche nicht gibt. Ginge es nur um Geschmacksfragen (und sei es aus Furcht, fuer elitaer gehalten zu werden), koennten wir uns diese Diskussion auch sparen.


    Gruss
    Antonio

  • Hallo Antonio,


    Zitat von "Antonio"

    so bequem diese Definition ist , so kann ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden, dass durch Mehrheitsentscheidung ueber ein Begriff entschieden wird, von dem jeder eine unterschiedliche Auffassung hat.


    Prinzipiell ist jeder Begriff eine Mehrheitsentscheidung. Ein extremes Beispiel: Du kannst das Wort "Haus" im Sinne von "Katze" verwenden und umgekehrt, wirst aber nicht sehr weit damit kommen. Die Mehrheit der Sprecher bestimmt den Sprachgebrauch, an den man sich halten muss, wenn man verstanden werden will. Nichts ist so demokratisch wie die Sprache.


    Zitat

    Doch meine ich, dass wir, wenn wir von Klassikern hier sprechen, einen gewissen Qualitaetsstandard im Kopf haben. Es mag schwierig sein, diese qualitativen Merkmale allgemeingueltig zu formulieren. Dies heisst aber nicht, dass es solche nicht gibt.


    Eben das bezweifele ich. Ich behaupte sogar, dass der sogenannte Qualitätsstandard auf subjektiven ästhetischen Vorlieben beruht.


    Vielleicht könntest Du Dein Argument mit einem Vorschlag unterstützen, wie der Qualitätsstandard aussehen könnte und wie man ihn auf einzelne Werke anwenden könnte. Du hast dann eine zweistufige Aufgabe: Erstens, die Qualitätskriterien zu formulieren; und zweitens, diese Kriterien auf die literarischen Werke anzuwenden. Und das eigentliche Problem liegt meiner Meinung nach in der zweiten Stufe. Denn Kriterien zu formulieren ist noch gar nicht mal so schwer, wenn man den literaturwissenschaftlichen Jargon beherrscht. Aber dass irgendein Satz von Kriterien objektiv anwendbar ist, halte ich für ausgeschlossen.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald,
    natuerlich beruht Sprache letztendlich auf Konsens. Waehrend aber "Haus" und "Katze" bestimmte Qualitaetsmerkmale erfuellen muss, um von der Mehrheit als "Haus" oder "Katze" bezeichnet zu werden, fehlen diese Merkmale offenbar fuer "Klassiker".
    Dass eine Mehrheit dennoch Trivialliteratur von Literatur unterscheiden kann (instinktiv?), die das Potenzial hat, auch in zweihundert Jahren mit Interesse, Freude und geistigen Gewinn gelesen zu werden, hat m.M. nach damit zu tun, dass es diese objektiven Kriterien gibt.
    Formulieren kann ich sie leider nicht.



    Gruss
    Antonio

  • Zitat von "Harald"

    Ich möchte noch einmal eine Lanze für die "Konsens"- oder soziologische Definition von "Klassiker" brechen.
    Danach wären Klassiker solche Werke, die von einem informierten Lesepublikum als besonders bedeutend, interessant, wichtig, lesenswert, unterhaltsam, ... eingestuft werden. D.h. "Klassiker" wären die Werke, die von den meisten als "Klassiker" bezeichnet werden (m.E. keine zirkuläre Definition).
    Diese Definition stimmt im Wesentlichen mit Sandhofers Beitrag überein, mit dem dieser Thread eröffnet wurde.


    Das glaube ich nicht. Sie mag nicht zirkulär sein, aber sie ist tautologisch: eine sache, die bislang den namen X (werk) trug, erhält nun den namen Y (klassiker). Kein zusätzlicher erkenntnisgewinn, der erlauben würde, festzustellen, ob ein Z ebenfalls von den meisten als klassiker bezeichnet werden würde.


    Zitat

    Der Vorteil einer solchen Definition ist, dass man keine objektiven (werkimmanenten) Kriterien braucht. Ich glaube, dass es noch nie gelungen ist, solche Kriterien überzeugend zu formulieren und einwandfrei anzuwenden.


    Um einen begriff (werk) vom anderen (klassiker) zu unterscheiden, braucht man objektive kriterien. Das heißt kriterien, die die menschen dem "werk", aber nicht dem klassiker" zueignen. Das ist grundprinzip jeder sprache. Ob ein tisch ein stuhl oder ein tisch genannt wird, entscheidet sich nach objektiven kriterien: der eine ist platt, der andere hat beine. Analog müssen angebbare kriterien existieren, die die menschen in übereinstimmung anwenden, sonst würde ja jeder für das gleiche anderen begriffe verwenden. Um die antwort, was ein klassiker ist, braucht man also solche objektiven unterscheidungskriterien.
    Der brockhaus hatte doch 4 praktikable genannt: stil, zeit, mustergültig und herausragend. Der brockhaus sagt also, daß verschiedene kriterien die klassikerzugehörigkeit festlegen. Da dies im sprachgebrauch so ist, muß man es eben akzeptieren. Das ist die obere ebene.
    Die zweite eröffnet sich, wenn man sich für eine dieser bedeutugen entschieden hat, und dann zB fragt, wie unterscheidet man "mustergültigkeit" von nicht-mustergültigkeit, oder wenn man die andere schublade wählt, was unterscheidet die herausragende qualität von der nicht herausragenden. Man darf also diese schubladen nicht durcheinander bringen und muß zunächst die lade auswählen, deren definition man nehmen will.
    Jede definition, oder auch der gebrauch der worte, aber bedarf objektiver kriterien, sonst wäre kommunikation nicht möglich. Offen ist dann, ob diese kriterien für uns überhaupt erkennbar sein müssen oder nicht, und weiter, ob die anwendung der kriterien sie selbst beeinflußt, - die obige vermutung, daß die kanon-klassiker-debatten tautologisch sein: Wir lesen, fällen qualitätsurteile, die kritiker geben urteile über den künstlerischen wert, wir zeigen kauf- und wiederleseverhalten. All dieses agieren kann schon unabdingbarer bestandteil des prozeeses sein, der klassiker und kanons macht . Dann wären die objektiven kriterien vielleicht partiell unsichtbar und das abstimmungsverhalten müßte hinter ein breiter gefaßtes verhalten treten, in dem dann nicht souverän abgestimmt wird, sondern das urteil der gewichteten meinungen sich eben so ergibt, wie es sich ergibt. Das hieße, es ist gar nicht nötig, daß alle über künstl. wert, qualität und kanon- oder klassikerstatus übereinstimmten, jene aber dennoch existieren.


    gruß hafis

  • Hallo Hafis,


    Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, um Klarheit in die Diskussion zu bringen. Aber ich will es mal versuchen:


    Zitat

    Das glaube ich nicht. Sie mag nicht zirkulär sein, aber sie ist tautologisch: eine sache, die bislang den namen X (werk) trug, erhält nun den namen Y (klassiker). Kein zusätzlicher erkenntnisgewinn, der erlauben würde, festzustellen, ob ein Z ebenfalls von den meisten als klassiker bezeichnet werden würde.


    Tautologisch können nur Aussagen sein, nicht Definitionen. Beispiel für eine tautologische Aussage: "Wenn alle Menschen sterblich sind, und wenn Sokrates ein Mensch ist, dann ist Sokrates sterblich" (manche Beispiele sterben nie aus...). Diese Aussage ist tautologisch, weil Du ihre Wahrheit einsehen kannst, ohne zu wissen, was "Sokrates", "Mensch" und "sterblich" konkret bedeutet. Die Wahrheit steckt schon in der formalen Konstruktion der Aussage.


    Zweitens, in dem konkreten Fall ist es ja <b>nicht</b> so, dass eine Sache, die den Namen "Werk" trägt, automatisch den Namen "Klassiker" bekommt. Hatte ich mich so ungenau ausgedrückt? Die Titel "Klassiker" wird in meinem System erst nach Erfüllung objektiv nachprüfbarer Bedingungen verliehen, allerdings von Kriterien, die nicht im Werk selber, sondern in seiner Rezeption verankert sind. Es kann also weder von "Tautologie" noch von "Zirkularität" die Rede sein.


    Ich will versuchen, etwas genauer zu beschreiben, wie ich mir das vorstelle. Es müssten zu <b>allen</b> in Frage kommenden Werken (das können zehntausende sein) folgende Fragen beantwortet werden:


    - Welche dieser Werke werden in der Schule gelesen? Wie häufig?
    - Welche dieser Werke werden in den Seminaren diskutiert? Wie häufig?
    - Über welche dieser Werke werden Magisterarbeiten oder Dissertationen verfaßt?
    - Welche dieser Werke werden wie häufig in Kanons (MRR etc.) aufgenommen?
    - Welche dieser Werke tauchen wie häufig in den Leselisten der Universitäten auf?
    - Über welche Werke und über die Autoren welcher Werke wird Sekundärliteratur geschrieben?
    - Zu den Autoren welcher Werke existieren Biographien bzw. werden solche verfasst?
    - Zu welchen Autoren existieren historisch-kritische (Gesamt-)Ausgaben oder werden solche erstellt, und mit welchem Aufwand?
    - Welche Werke wurden wie oft in andere Sprachen übersetzt?
    - Welche Werke werden gekauft, welche werden in den Bibliotheken ausgeliehen? Entsprechend für Sekundärliteratur, Biographien etc.


    Solche und ähnliche Fragen sollte man beantworten und mit unterschiedlicher Gewichtung zu einer Gesamtauswertung zusammenfassen (natürlich kann man über den Sinn einzelner Fragen diskutieren, aber ich denke, die Tendenz ist klar). Daraus sollte sich eine Rangliste ergeben, für wie bedeutend die Werke von der Gesamtheit der Literatur-Rezipienten gehalten werden. Allerdings ergibt sich dann keine scharfe Trennung in Klassiker und Nichtklassiker (was m.E. auch nicht sinnvoll ist), sondern jedes Werk ist eben "mehr" oder "weniger" ein Klassiker.


    Zitat

    Um einen begriff (werk) vom anderen (klassiker) zu unterscheiden, braucht man objektive kriterien. Das heißt kriterien, die die menschen dem "werk", aber nicht dem klassiker" zueignen. Das ist grundprinzip jeder sprache. Ob ein tisch ein stuhl oder ein tisch genannt wird, entscheidet sich nach objektiven kriterien: der eine ist platt, der andere hat beine. Analog müssen angebbare kriterien existieren, die die menschen in übereinstimmung anwenden, sonst würde ja jeder für das gleiche anderen begriffe verwenden.


    Da sehe ich einigen Klarstellungsbedarf. Ich meine, genau das ist <b>nicht</b> das Grundprinzip einer Sprache.


    Zunächst mal ein starkes Argument gegen Deine These: Wenn die Bedeutung von Wörtern auf Grund objektiver Kriterien festgelegt ist, wieso können sich die Bedeutungen dann jemals ändern? Es steht aber fest, dass Bedeutungen sich allmählich ändern, und zwar <b>unmerklich</b>. Mit "unmerklich" meine ich nicht, dass jemand, der die Sprache bewußt über einen längeren Zeitraum verfolgt, diese Änderungen nicht feststellen kann, sondern dass der normale Sprecher im normalen Sprachgebrauch sich dieser Änderungen nicht bewußt ist. Ein kleines Beispiel: Das deutsche Wort "Nacht" und das englisch Wort "night" gehen auf dasselbe Wort einer Sprechergemeinschaft von vor ca. 2000 Jahren zurück. Nun kann "night" zwar "Nacht" wie im Deutschen bedeuten, es heißt aber je nach Kontext auch "Abend" - "tonight" z.B. heißt häufig "heute abend". Also eine Abweichung in der Bedeutung. Es wird aber in der zweitausendjährigen Sprachgeschichte des Englischen und des Deutschen aber keinen Moment gegeben haben, wo man sich gesagt hat: "Laßt uns doch dieses Wort anders als bisher benutzen". Wie paßt das mit der These der objektiven Kriterien zusammen?


    Ich will aber nicht einfach verneinen, sondern eine plausible Gegenthese aufstellen:


    So etwas wie eine "feste Bedeutung" gibt es eigentlich gar nicht; was es gibt, ist die "Verwendung" im Sprachgebrauch. Jeder Sprecher bildet sich aus dem Sprachgebrauch heraus eine Vorstellung von der Bedeutung des Wortes. D.h. es gibt immer die Möglichkeit von Abweichungen in der Vorstellung von Wortbedeutungen. Was die Abweichungen davon abhält, ins Uferlose zu wuchern, ist die Notwendigkeit, verstanden zu werden: Jeder wird versuchen, die Wörter so zu verwenden, wie alle anderen, und bekommt in der Kommunikation Feedback. Dadurch entstehen unzählige Regelkreise, die eine gewisse Konvergenz des Gebrauches bewirken. Wenn sich aber z.B. eine Sprechergemeinschaft in zwei Gruppen zerteilt, die nur schwach oder gar nicht miteinander kommunizieren, dann sind die Regelkreise unterbrochen und es beginnen die Wortbedeutungen auseinanderzudriften. Siehe Deutsch/Englisch, oder in jüngerer Zeit britisches und amerikanisches Englisch. (Wenn ich mich richtig erinnere, bedeutet z.B. "mad" im BE "verrückt" und im AE "wütend".)


    Bei Begriffen habe ich die Vorstellung, dass es einen Kernbereich gibt, in dem die Verwendung unbestreitbar ist, d.h. einen Bereich von Objekten, auf die der Begriff nach übereinstimmendem Urteil aller zutrifft, und einen noch größeren Bereich, auf den der Begriff nicht zutrifft. Dazwischen liegt eine Grauzone, in der die Anwendung zweifelhaft ist und von unterschiedlichen Sprechern unterschiedlich beurteilt wird.


    Nimm so einen einfachen Begriff wie "Haus". Du sagst, es gibt objektive Kriterien für die Anwendung. Bist Du sicher? Du denkst an das Ideal-Haus und meinst, der Begriff sei völlig klar. Das Problem ist aber die Grauzone. Ist z.B. eine Villa ein Haus? Ein Palast? Ein Schloß? Eine Hütte? Eine Kirche ("Gotteshaus")? Eine Burg? Ein Bürogebäude? Ein Fabrikgebäude? Eine Werkstatt? Ein gemaltes Haus? Ein Puppenhaus? Ein Monopoly-Haus? Ein Haus, das in einem Roman vorkommt, aber nicht wirklich existiert? Wo ist da die Grenze? Oder stell Dir folgendes Gedankenexperiment vor: Da ist das Ideal-Haus. Ich räume die Einrichtung aus, ein Stück nach dem anderen. Dann beginne ich das Dach abzudecken, Dachziegel für Dachziegel. Dann nehme ich die Fenster und Türen heraus, baue ziegelsteinweise die Wände ab... Du verstehst schon: Wann hört das Haus auf, ein Haus zu sein? Auf dem Weg vom "Haus" zum "Nicht-Haus" geht man durch die Grauzone.


    Warum ist das in der Praxis kein Problem, bzw. woher kommt die Illusion von "klaren, objektiven" Begriffen? Ich glaube, das liegt daran, dass wir in der Sprachpraxis die Anwendung von Begriffen in der Grauzone vermeiden. Wir sagen eben "Rohbau" oder "Neubau" oder "Ruine" oder "Gebäude" oder ... was auch immer gut paßt.


    Zitat

    Um die antwort, was ein klassiker ist, braucht man also solche objektiven unterscheidungskriterien.
    Der brockhaus hatte doch 4 praktikable genannt: stil, zeit, mustergültig und herausragend. Der brockhaus sagt also, daß verschiedene kriterien die klassikerzugehörigkeit festlegen. Da dies im sprachgebrauch so ist, muß man es eben akzeptieren.


    Wer sagt, dass die Brockhaus-Definition den Sprachgebrauch wiedergibt? Ich glaube wiederum, dass der gewöhnliche Sprachgebrauch (wissenschaftliche Diskussionen also ausgenommen) <b>nie</b> von Definitionen abhängig ist. Hast Du bei der Verwendung des Wortes "Klassiker" jemals eine Definition referenziert? Ich jedenfalls nicht (wie gesagt, wissenschaftliche oder Diskussionen wie diese ausgenommen). Ist es nicht eher so, dass man solche Wörter wie alle Wörter eher gefühlsmäßig verwendet?


    Weiter, inwieweit ist die Brockhaus-Definition praktikabel? Was heißt z.B. "mustergültig"? Gültig nach welchem Muster? Hier ergibt sich dasselbe Grauzonenproblem wie für den Begriff "Klassiker" selbst.


    Zitat

    Jede definition, oder auch der gebrauch der worte, aber bedarf objektiver kriterien, sonst wäre kommunikation nicht möglich.


    Ich hoffe, ich habe Dich/Euch davon überzeugt, dass dem nicht so ist!


    Zitat

    Offen ist dann, ob diese kriterien für uns überhaupt erkennbar sein müssen oder nicht, und weiter, ob die anwendung der kriterien sie selbst beeinflußt,


    Das verstehe ich nicht... wie kann es Kriterien geben, die nicht erkennbar sind? Ein Kriterium ist doch etwas, was ich zur Unterscheidung benutze. Etwas anderes sind Merkmale - die kann ich erkennen oder auch nicht.


    Zitat

    Das hieße, es ist gar nicht nötig, daß alle über künstl. wert, qualität und kanon- oder klassikerstatus übereinstimmten, jene aber dennoch existieren.


    Vielleicht fragst Du hier nach gemeinsamen Merkmalen (nicht nach bewußt angewandten Kriterien). Das ist natürlich eine interessante Frage. Aber diese Frage kann m.E. erst gestellt werden, nachdem die "Rangliste" nach einem Verfahren ähnlich dem oben angedeuteten erstellt wurde. Diese Frage wäre dann auch nicht durch eine theoretische Diskussion, sondern <b>empirisch</b> zu überprüfen: Haben die Werke, die weit oben auf der Rangliste landen, empirisch nachweisbar gemeinsame Eigenschaften gemein, die sie von den weiter unten liegenden unterscheiden? Auch hier wieder wird man kein absoluten Trennungen haben.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Zitat von "Harald"

    Tautologisch können nur Aussagen sein, nicht Definitionen.


    Ist eine definition keine aussage?

    Zitat

    Beispiel für eine tautologische Aussage: "Wenn alle Menschen sterblich sind, und wenn Sokrates ein Mensch ist, dann ist Sokrates sterblich" (manche Beispiele sterben nie aus...). Diese Aussage ist tautologisch, weil Du ihre Wahrheit einsehen kannst, ohne zu wissen, was "Sokrates", "Mensch" und "sterblich" konkret bedeutet. Die Wahrheit steckt schon in der formalen Konstruktion der Aussage.


    Also vielleicht täusche ich mich hier, aber ich halte dieses beispiel überhaupt nicht für eine tautologie. Eine solche liegt dann vor, wenn das erklärende und das zu erklärende identisch sind: die aussage: a liegt vor, also liegt a vor. Erna ist größer als hans, weil erna größer als hans ist. Eine rote tomate hat die farbe roter rosen. Politiker lügen...
    Aber im beispiel: wenn a ist b, und wenn c ist a, dann c ist b. Für mich ist das eine klassische logische schlußfolgerung, ein syllogismus, der natürlich erkentnnis bringt.


    Zitat

    Die Titel "Klassiker" wird in meinem System erst nach Erfüllung objektiv nachprüfbarer Bedingungen verliehen, allerdings von Kriterien, die nicht im Werk selber, sondern in seiner Rezeption verankert sind. Es kann also weder von "Tautologie" noch von "Zirkularität" die Rede sein.


    Dann nicht. Ob es aber jetzt diese objektiv nachprüfbaren bedingungen gibt, ist vielleicht nicht unstrittig. Vielleicht gibt es in der literaturtheorie unterschiedliche ansichten dazu?


    Zitat

    Es müßten zu allen in frage kommenden werken folgende fragen beantwortet werden...


    Es könnte sein, daß diese fragen im wesentlichen klassiker und andere differenzieren. Aber sicher bin ich mir nicht, ob die rezeption allein hinreichend ist. werden wirklich alle, die nach abstimmung heute als klassiker genannt würden, fortwährend belesen und bearbeitet?


    Zitat

    Solche und ähnliche Fragen sollte man beantworten und mit unterschiedlicher Gewichtung zu einer Gesamtauswertung zusammenfassen (natürlich kann man über den Sinn einzelner Fragen diskutieren, aber ich denke, die Tendenz ist klar). Daraus sollte sich eine Rangliste ergeben, für wie bedeutend die Werke von der Gesamtheit der Literatur-Rezipienten gehalten werden.


    Das problem liegt hier nur darin, daß es vielleicht niemanden gibt, der eine solche gesamtauswertung vornimmt. Dann ließe sich eine objektiv unstrittige beantwortung der fragen gar nicht ergeben. Als folge wäre der klassikerstatus nicht unstrittig.


    Zitat

    Wenn die Bedeutung von Wörtern auf Grund objektiver Kriterien festgelegt ist, wieso können sich die Bedeutungen dann jemals ändern


    Mit objektiven kriterien meinte ich, daß die kommunikanten einig über den gebrauch, die bedeutung sind. Das läßt einen bedeutungswandel natürlich zu. So wie kinder im spiel sich rollen zuweisen, können wir worten unterschiedliche bedeutungen zuweisen, zB jugendslang- vs. erwachsenensprache, oder über die zeit.
    Anders ist dies bei logischen beziehungen, -sätzen wie einer logischen schlußfolgerung. Hier ist kein bedeutungswandel möglich.
    Dazu gehört auch die definition: wenn ich klassiker als das resultat obiger fragen definiere, ist dies ein objektives kriterium, daß logischerweise nicht änderbar ist, weil es voraussetzung und nicht folge ist: wenn x erfüllt, dann klassiker. Anderen oder anderen epochen steht es frei, y statt x zu wählen. Welche instanz soll dann richten?


    Da ich jetzt keine zeit mehr habe, kommt die restliche antwort morgen.
    gruß hafis

  • Zitat von "Harald"

    Wer sagt, dass die Brockhaus-Definition den Sprachgebrauch wiedergibt? Ich glaube wiederum, dass der gewöhnliche Sprachgebrauch (wissenschaftliche Diskussionen also ausgenommen) <b>nie</b> von Definitionen abhängig ist. Hast Du bei der Verwendung des Wortes "Klassiker" jemals eine Definition referenziert? Ich jedenfalls nicht (wie gesagt, wissenschaftliche oder Diskussionen wie diese ausgenommen). Ist es nicht eher so, dass man solche Wörter wie alle Wörter eher gefühlsmäßig verwendet?


    Ist nicht die wiedergabe des sprachgebrauchs die aufgabe jedes lexikon? Welche aufgabe hätte es denn sonst ?
    Der sprachgebrauch setzt ein einigung von sender und empfänger über die bedeutung (die "definition") bzw. den gebrauch von worten, sätzen und sprachregeln voraus. Wäre der sprachgebrauch vom gefühl des einzigen abhängig, würde A heute für stuhl tisch sagen und morgen auto. Das geht doch wohl nicht. Dann könnte man nicht mehr kommunizieren. Und was ist ein fremdsprachen-lexikon oder allgemein das vokabellernen anderes als das erlernen von "objektiven" kriterien zur sprachanwendung, als eine "definition"?
    Du selber hast doch für das wort "klassiker" eine definition gegeben: klassiker ist, wer die obigen kriterien erfüllt.
    Die frage ist, ob diese definition hinreichend den gebrauch dieses wortes beschreibt. Die obige definition beruht ausschließlich auf einer empirischen beobachtung. Das heißt, daß keinerlei deduktive oder induktive schlüsse möglich sind. Ich kann nicht sagen, wenn X ein klassiker ist, dann ist Y auch ein klassiker. Oder wenn X ein klassiker, dann gilt für X die eigenschaft A(X). Kurzum, diese definition eignet sich nur, um daten nach einer messung zu kategorisieren. Ich beobachte den markt, und kann dann gewisse werke mit dem klassikeretikett versehen.
    Man kann hier fragen, ob diese obige definition hinreichend ist. Werden ovid's metamorphosen oder homer's werke tatsächlich heute mehr gelesen und beforscht als zB ein recht moderner schriftsteller (von denen die meisten sicher nicht den klassikerstatus erlangen werden)? Ist nicht bei vielen klassikern eigentlich alles schon erforscht?
    Wenn der brockhaus recht hat, dann beschriebe eine definition allein von der rezeption nicht hinreichend die bedeutung des wortes klassiker. Wäre die definition hinreichend, gäbe es ja keine klassikerdebatte, weil ja alles unstrittig und klar wäre. Sätze wie "klassiker sind werke mit hohem/höherem künstlerischen wert, werke mit hoher/höherer qualität, werke die mustergültig bewahrenswertes tradieren, werke, die identitätsstiftend sind" gäbe es dann nicht. Genau diese sätze gibt es aber (siehe brockhaus). Auch ist es natürlich so, daß viel gelesene und viel beforschte werke nicht allein deswegen klassiker sind oder klassiker bleiben.
    Das wort "klassiker" wird also nicht nur in bezug auf die rezeption eines werkes gebraucht und bestimmt, sondern auch auf eventuelle werkimmanente oder auch allgemein normative kriterien. Der Satz "das ist ein klassiker des horror-genres" ist die behauptung der mustergültigkeit und nicht des viel-gelesens oder viel-erforscht werdens, und der satz "dies stück hat klassische qualitäten" ist die behauptung der herausragenden qualität.


    Zitat

    Weiter, inwieweit ist die Brockhaus-Definition praktikabel? Was heißt z.B. "mustergültig"? Gültig nach welchem Muster? Hier ergibt sich dasselbe Grauzonenproblem wie für den Begriff "Klassiker" selbst.


    Die definition des brockhaus ist aus dem grund praktikabel, weil sie ja die praktizierte anwendung des begriffs umschreibt! Warum dann gewisse werke "in der öffentlichen meinung" als mustergültig oder herausragend bezeichnet werden, ist eine andere frage, -die vielleicht über den diskurs zu beantworten ist. Der gebrauch dieser wörter ist aber klar. Es sind synonyma zum "klassiker".
    Wenn eine solche "grauzone" sprache inpraktikabel macht, gäbe es dann überhaupt noch literturkritik oder literaturwissenschaft?


    Zitat von "Harald"

    Das verstehe ich nicht... wie kann es Kriterien geben, die nicht erkennbar sind? Ein Kriterium ist doch etwas, was ich zur Unterscheidung benutze. Etwas anderes sind Merkmale - die kann ich erkennen oder auch nicht.


    Wenn man an das unbewußte glaubt, sind damit wesentliche kriterien unseres handelns für uns selbst nicht erkennbar. "Der kanon macht uns", schrieb bloom. Wenn unser denken vom abendländischen kanon geprägt ist, könnte es unmöglich sein, von diesem so zu abstrahieren, daß wir nichts anderes als den abendländischen kanon sehen. Die beurteilungskriterien könnten vom kanon vorgegeben sein.
    Wenn "die meinung" im diskurs das urteil fällt, muß dies nicht unbedingt heißen, daß das urteil nach gewissen kriterien nachvollziehbar sein muß.


    Zitat von "Harald"

    Aber diese Frage kann m.E. erst gestellt werden, nachdem die "Rangliste" nach einem Verfahren ähnlich dem oben angedeuteten erstellt wurde. Diese Frage wäre dann auch nicht durch eine theoretische Diskussion, sondern <b>empirisch</b> zu überprüfen: Haben die Werke, die weit oben auf der Rangliste landen, empirisch nachweisbar gemeinsame Eigenschaften gemein, die sie von den weiter unten liegenden unterscheiden?


    Das kann man auch umkehren: zuerst werden die den klassiker definierenden merkmale bewertet und daraus ergibt sich der status bzw. die rangliste.
    gruß hafis

  • Sehr interessanter Ordner, ich werde ihn mal nach oben holen.


    Bei Kanon muss ich immer an diesen denken:


    http://www.derkanon.de/


    Also verkehrt finde ich einen literarischen Kanon nicht, er ist gut für den Einstieg, aber da er immer auch recht persönliche Vorlieben und Abneigungen des Aufstellers einschließt, sollte man ihn nur als Sprungbrett ins Meer der Weltliteratur nutzen und möglichst bald seine/ihre eingenen Bahnen schwimmen und den eigenen Kanon aufstellen können. Dazu muss man natürlich viel lesen, aber wem sage ich das... Man sollte einen Kanon natürlich nicht überbewerten.


    Grüße, FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Dass da u.a. die Päpstin genannt ist ...

    Die Päpstin habe ich zugeklappt bei dem Satz: "Er war dermaßen gutaussehend, dass es ihr den Atem verschlug."


    Edit: da kommen ja noch weit mehr Titel, bei denen ich mir an den Kopf fasse ...

    "50 Shades Of Grey" ist stilistisch unterste Schublade, da hat mir die Leseprobe gereicht.

    Dass von den vielen lesenswerten skandinavischen Krimis ausgerechnet "Erlösung" von Jussi Adler Olsen genannt wird, finde ich reichlich beliebig. Die Krimis von Nesbø sind stilistisch ausgereifter und weit vielfältiger ausgestaltet. Adler Olsens Krimis sind nicht schlecht, gerade "Erlösung" ist gut, aber verglichen mit Nesbø und Mankell ist es eher Slapstick.

    "Der Schwarm" zu nennen scheint mir auch etwas, hm, anfechtbar.

    Ist natürlich zum Teil Geschmackssache. Die Hype um "Schlafes Bruder" habe ich auch nie nachvollziehen können.

    Zweites Edit: Und dann noch ausgerechnet die Millennium-Trilogie von Stieg Larson!
    Total unpersönlicher, uninspirierter Stil, das Personal ein einziger Griff in die Klischeekiste!
    Sowas ärgert mich wirklich. Vor allem, wenn durch solche Listen womöglich bei einem Nichtkenner des Genres der Eindruck erweckt wird, als sei das ganze Genre "skandinavischer Krimi" derart flach geschrieben.
    Ich hoffe, ich trete damit niemandem auf die Füße. Die Bücher sind zweifellos spannend, vielleicht mit dem Ansatz, die Gewalt in der Familie zu thematisieren (ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, dass es Stieg Larson zumindest im ersten Band um dieses Thema ging), auch durchaus achtenswert, aber das ist wirklich alles Positive, was ich persönlich darüber sagen kann.

  • danke für deine Eindrücke Zefira

    So ein Kanon ist immer etwas subjektives. Und ich hätte gerade im 21 Jahrhundert einige Titel weg.


    Die Päpstin hab ich gelesen. Kann mich aber nicht mehr erinnern.


    50 Shades of Grey kenn ich nur den Namen nach. Mich interessiert weder der Film noch das Buch. Der Hype geht voll an mir vorbei.


    Von den skandinavischen Autoren kenne ich nicht viele. Finde aber Mankell sehr gut. Da hab ich einiges gelesen.


    Den Schwarm fand ich dagegen sehr interessant. Ob er auf die Liste der besten Bücher gehört kann natürlich diskutiert werden.


    Schlafes Bruder musste ich in der Schule lesen und fand es sehr gut. Keine Ahnung wie der Roman jetzt auf mich wirken würden.


    Die Millenium Trilogie hab ich auch gelesen. Aber eher weil der Hype voll da war. Das erste Buch fand ich noch spannend, an den Inhalt der anderen kann ich mich kaum mehr erinnern.


    Ich mag solche Listen aber eher wegen der älteren Bücher. Vor allem Neuzeit und Mittelalter. Was mir eindeutig fehlt ist Chaucer.

  • "Der Schwarm" war für viele schon deshalb ein großartiges Buch, weil er ein Genre bedient, das bis dahin im deutschsprachigen Raum völlig unterrepräsentiert war.

    Ich weiß noch, wie Arno Strobel (das war, bevor er selbst als Thrillerautor Karriere machte) in einem Autorenforum sinngemäß erklärte, er lege an dieses Buch keine literarischen Maßstäbe an - allein dass dieses Buch erschienen sei, mache es zu etwas Besonderem (gebe ich jetzt aus meiner Erinnerung sinngemäß wieder).

    So ähnlich ist man wohl bei mehreren der Bücher auf der Liste verfahren. Ein bestimmtes Genre produziert plötzlich viele Bestseller und man nimmt halt den ersten oder den meistverkauften Band des Genres quasi stellvertretend auf die Liste - so kam wahrscheinlich auch "50 Shades Of Grey" hinein.


    Edit: Mich wundert übrigens, dass nichts von Knausgård auf der Liste ist. Der hat doch genug Staub aufgewirbelt. Oder habe ich ihn übersehen?