Monika Maron: Artur Lanz

  • finsbury: Zustimmung! Aber ich denke, die Ost-West-Trennlinie ist nur eine von vielen Bruchlinien, an denen sich die Polarisierung unserer Gesellschaft heute manifestiert. Daneben und überlagernd gibt es auch die Alterslinie, die Stadt-Land-Linie, die Linie von konservativeren und progressiveren Milieus usw... So denke ich, dass viele ältere Menschen auf dem Land in Ost und West gar nicht so sehr unterschiedliche Ansichten haben. Dass im Osten mehr AfD gewählt wird, hat sicher dann einfach damit zu tun, dass es im Westen tiefer in der alten Parteienstruktur verankerte Identitäten gibt. Aber das ändert sich auch...

  • Ich möchte hier ungern in eine politische Diskussion einsteigen, aber ich oute mich mal - ich kenne hier auf dem Land, wo ich wohne, etliche AfD-Wähler persönlich. Das sind mehrheitlich einfach Menschen, die sich von keiner anderen Partei irgendwie repräsentiert fühlen. Von der AfD natürlich auch nicht, aber von den anderen noch weniger. Die Alternative wäre dann, entweder überhaupt nicht zu wählen oder irgendeine Winzpartei, die keine Rolle spielt (ein Weg, den ich übrigens persönlich schon mehrmals gewählt habe, weil mir nichts Besseres einfiel).

    ps. Ich merke gerade, "etliche" wäre übertrieben. Wenn ich meine Bekannten in Gedanken durchgehe, sind es fünf - nein, sechs, von denen ich es definitiv weiß, und noch ein paar, von denen ich es wohlbegründet vermute. Aber gemessen an der Anzahl meiner Bekannten sind sechs schon viel, ungefähr die Hälfte aller meiner Bekannten, mit denen ich überhaupt über politische Themen rede.

    ps. Ich habe hier mehrfach editiert wegen der Mengenangaben - zuerst schrieb ich, ich kenne "viele, viele" AfD-Wähler, dann änderte ich das in "etliche", weil mir aufging, dass ich so viele gar nicht kenne; es sind nur ungefähr die Hälfte der Menschen, die ich überhaupt gut genug kenne, um über sowas zu reden. Ich editiere ein letztes Mal, um klarzustellen, dass ich im Westen aufwuchs und wohne und alle Leute, von denen ich weiß, dass sie AfD wählen, ebenfalls hier sozialisiert wurden. Ich habe auch so meine Vermutungen, warum sie AfD wählen, aber das führt jetzt sicher zu weit.

  • Das ist interessant, Zefira


    Ich wohne ebenfalls auf dem Dorf und könnte hier niemanden nennen, von dem ich sicher weiß, dass sie AfD gewählt haben. Bei der letzten Landtagswahl hatten wir allerdings im Dorf einen AfD-Stimmenanteil, der über dem hessischen Durchschnitt lag, ebenso aber auch einen höheren Anteil bei Stimmen für die Grünen. Meine Vermutung war und ist, dass bei den AfD-Stimmen die Russlanddeutschen einen erheblichen Anteil stellen. Wenn ich allerdings bei Dorffesten oder sonst mal beim Frisör Unterhaltungen von Leuten hier zuhöre, wird ganz schnell klar: Die Meinungen, die die AfD im Hinblick auf Migration vertritt, wären hier keine Ausnahme, eher die Regel.

  • Zitat

    Meine Vermutung war und ist, dass bei den AfD-Stimmen die Russlanddeutschen einen erheblichen Anteil stellen.

    Von den sechsen in meinem Bekanntenkreis, von denen ich sicher weiß, dass sie AfD wählen, ist niemand ein Russlanddeutscher. Ein Beispiel mal: ein Mann, der bei mir in der Nähe wohnt, aus einer hier im Dorf recht bekannten Familie (mit "Hausnamen"), ein Alteingesessener, ehemaliger Lehrer, jetzt im Ruhestand. Er ist Waldbesitzer und arbeitet regelmäßig in seinem Waldstück, pflanzt Bäume und kümmert sich, war früher mit einem hiesigen Jugendorchester und im Jugendsport sehr engagiert.


    Diesen Mann braucht man nur mit einem Namen oder einer Nachricht zu triggern, dann legt er los und hört so schnell nicht mehr auf. Die Merkelregierung macht alles, alles falsch, angefangen von Klimaschutzbemühungen, Energiewende, die ganze Globalisierung ist Unfug, weil sie den Mittelstand kaputt gemacht hat, die EU in der derzeitigen Form gehört in die Tonne, der Euro gleich mit, der Gipfel von allem ist die derzeitige Flüchtlingspolitik und das Sahnehäubchen darauf die Corona-Maßnahmen. In seiner Familie gab es übrigens einen Corona-Fall, aber offenbar leichter Verlauf.


    (Als ich noch selbst schrieb, habe ich übrigens über diesen Mann mehrere Geschichten geschrieben, ich gab ihm einen anderen Namen und stellte seine Eigenarten satirisch überhöht dar. Der kleine Leserkreis, den ich damals hatte - alles Leute, die ihn nicht kannten - hat sich immer sehr amüsiert. Aber das ist sehr lange her, noch vor AfD-Zeiten.)


    Dieser Fall ist besonders krass, aber typisch; die Leute, von denen ich weiß, dass sie AfD-Wähler sind, denken im wesentlichen alle so. Das sind Leute von über 60, die feststellen, dass das Leben seit 1980 mit jedem Jahr teurer und komplizierter geworden ist. Das die AfD da wirklich ein Rezept hat, glaubt wohl keiner so wirklich, aber wenigstens sind sie dagegen, so weiterzumachen wie bisher ...

  • Es war wohl zu erwarten, dass es bei der heutigen Lesung in Frankfurt/Main keine weitere Einlassung der Autorin zur Trennung des Fischer-Verlages geben würde. Am Rande gab es zumindest einen ermutigenden Zuruf an Maron, der man ihre Enttäuschung über die Trennung dann anmerkte. Sie hat da ein Stück Heimat verloren, so mein Eindruck. Dabei will ich es belassen.

    Es ging ausschließlich um ihr Buch und da ich dieses nicht vollständig kenne - insbesondere das Ende fehlt mir, auch bei den Lesestellen wurden bewusst zentrale Stellen ausgelassen - kann eine literarische Würdigung nicht ernsthaft durch mich folgen. Ich lese den Encke-Artikel nun erneut und finde vieles von Encke im heutigen Gespräch wieder. Maron denkt über Männer nach, die sich Babys vor den Bauch binden und damit von weitem so aussehen wie Schwangere und die mit ihren Frauen zur Schwangerschaftsgymnastik gehen, was so Maron (sinngemäß) vollkommen widersinning sei. Männer, die dadurch in eine Männlichkeitskrise geraten. Der Moderator widerspricht heftig, er kenne diese in die Krise gestürzten Männer nicht aus seinem Umfeld und schon gar nicht von sich selber und hält das Thema eher für ein Randphänomen. Maron lächelt dies weg. Es geht im Gespräch um Fußballer, die heute alle gleich aussehen und keine echten Typen wie in den 70er mehr seien. Auch hier gibt der Moderator zu bedenken, dass dies evtl. gar nicht an den Männern liege, sondern die Einheitsbrei-Antworten in die Journalistenmikrofone durch die Vereinsschulungen erzeugt würden. Diesen Thesen muss man nicht zustimmen, Encke schlussfolgert aus all dem (sie führt die Beispiele aus dem Text an, das heutige Gespräch kennt sie ja nicht), dass es ein schlechtes Buch sei, was man mE aus den durchaus witzigen Stellen nicht so ohne weiteres ableiten kann. Ich sehe das Buch nicht als politische Agenda Marons, sie greift ein Thema auf, welches sie persönlich bewegt. Ob sie jedoch die Heldenwelten von heutigen Männern und Frauen, die sie ausdrücklich einbezieht, damit getroffen hat, bleibt am Ende für meine Bekannte und mich zweifelhaft. Und so denke ich, Enckes Artikel weiter vorne als Tiefpunkt der deutschen Literaturkritik zu bezeichnen, geht ebenfalls zu weit. "Auge um Auge, Zahn um Zahn" mag hier jedoch durchaus in der Würdigung erlaubt sein ,-)

  • Vielen Dank für Deinen Bericht!


    Zu meiner Kritik an Julia Encke: Gewiss benennt sie in ihrem Artikel zentrale Aussagen des Buches - diese findet man wirklich im Buch wieder. Aber sie beachtet zu wenig die Frage, wer eigentlich spricht. Aussagen und Gedanken der Hauptfigur Charlotte Winter werden eins zu eins Monika Maron als Autorin zugeordnet. Und das ist letztlich ein Anfängerfehler. Die Unterscheidung zwischen Figur und Autor gilt es zunächst zu wahren, wenn im nächsten Schritt sicher auch die Frage erlaubt ist, was von der Autorin in ihren Figuren zu finden ist. Im vorliegenden Fall tappt man besonders leicht in diese Falle, weil es Parallelen zwischen den Gedanken Charlotte Winters und den öffentlichen Aussagen Monika Marons gibt. Zugleich ist aber auch davon auszugehen, dass auch die anderen Figuren im Buch Schöpfungen Monika Marons sind - und auch sie (das ist meine Meinung) Ansichten der Autorin aufgenommen haben. Zumindest möchte die Autorin, dass diese Ansichten im Buch vorkommen. Im Gegensatz zu Julia Encke bin ich der Meinung, dass das Buch tatsächlich dialektisch angelegt ist. Ihr vernichtendes Urteil entbehrt daher einer textlichen Grundlage im Buch.


    Julia Enckes Reaktion ist aber insofern symptomatisch, als es eine affekthafte Reaktion auf den Text ist. Die Gedanken von Charlotte Winter erregen Anstoß, sie regen die moderne Leserin auf. Der Affekt wendet sich gegen die Autorin. Und beeinträchtigen damit den klaren Blick auf die Konstruktion des Textes. Allerdings kann sich Julia Encke sicher sein, dass die zitierten Ansichten bei einem großen Teil ihrer Leserschaft ähnliche Affekte auslösen - womit sie sich die Mechanismen unserer heutigen Empörungskultur zunutze macht (wenngleich natürlich auf gehobenem Niveau, wir sind ja nicht bei der BILD). ;-)


    Zum Thema Heldentum: Die Idee, dass wir in einer postheroischen Gesellschaft leben, ist kein Gedanke Monika Marons. Er taucht in der politischen Analyse seit einigen Jahren auf, ich habe ihn durch Herfried Münkler kennengelernt, der ihn wohl auch geprägt hat. Monika Maron hat ihn in ihrem Roman lediglich auf das Erleben der Erzählerin und eine konkrete Figurenkonstellation angewandt.

    https://www.nzz.ch/postheroische_gesellschaft-1.8205032

  • Mit großem Interesse verfolge ich das hier. Leider bin ich nicht in der Lage, auf dem Niveau mitzudiskutieren ((zum kleineren Teil liegt das daran, dass ich das Buch (noch) nicht gelesen habe und die Mehrzahl der Rezensionen)). Was ich aber gerne mal loswerden würde, ist: Ich bin begeistert, wie zivilisiert die Diskussion hier in dem außerordentlich verminten Gelände abläuft. Das hat mir schon bei Munin gefallen.

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.