Friedrich Schiller: Wallensteins Lager (1798).

  • Friedrich Schiller: Wallenstein. Ein dramatisches Gedicht


    Erster Teil: Wallensteins Lager


    Prolog.

    Gesprochen bei Wiedereröffnung der Schaubühne in Weimar am 12. Oktober 1798



    Herzog Carl August von Sachsen-Weimar hatte Goethe im Januar 1791 die Direktion für das neu zu schaffende Weimarer Hoftheater übertragen. Der alte Schauspielsaal im Residenzschloss war 1774 durch einen Brand zerstört worden, und in den darauf folgenden Jahren musste in Weimar und Ettersburg improvisiert werden.

    Am 11. Oktober 1798 kam Schiller zur Hauptprobe von „Wallensteins Lager“ von seinem Wohnsitz Jena aus nach Weimar.


    Der Theatersaal war durch den Stuttgarter Architekten Nikolaus Thouret neu gestaltet worden. Den Vorhang zierte die von Thouret gemalte Muse der Dichtung. Goethe gedachte seinem Freund Schiller eine eigene Loge zu, dessen dramatisches Talent nach Jahren mit anderer Beschäftigung wieder erwacht war, um ihm angesichts seiner Krankheit eine bequeme Haltung während der Aufführungen zu verschaffen und ihn vor aufdringlichen Blicken zu schützen.


    Die zentrale Loge war dem Herzog und seiner Familie vorbehalten. Carl August war gegenüber dem theatralischen Schaffen Schillers skeptisch eingestellt, nicht nur weil ihm einst die Radikalität der „Räuber“ Unbehagen bereitet hatte, sondern auch weil Schiller seine als Schauspielerin debütierende Mätresse Henriette Jagemann konsequent ignorierte.


    Goethe hatte Schillers Prolog überarbeitet, der für die gesamte Trilogie bestimmt war. Der Schauspieler Heinrich Vohs deklamierte ihn. Das Publikum ist überaus aufmerksam. Aber es will auch unterhalten werden, und deshalb folgt der Darbietung von „Wallensteins Lager“ noch ein Stück von Kotzebue: „Die Corsen“.


    Den Abend beschließt eine Einkehr in dem aus Thomas Manns „Lotte in Weimar“ bekannten Gasthaus „Elephant“. Die freundliche Aufnahme der Premierenaufführung treibt Schiller voran. Er bezieht zeitweise mit seiner Frau Charlotte eine Wohnung im Weimarer Stadtschloss. Sein Dramaturg wird Goethes Schwager August Vulpius.


    Allein drei Schreiber beschäftigte Schiller in der Folgezeit mit der Reinschrift des Manuskripts!


    Prolog


    Ich kann es wegen der Hysterie nicht mehr hören, die seit Monaten von verschiedenen Seiten entfacht und immer wieder erneuert wird, das Wort „Maske“,


    doch kommt es gleich im ersten Satz des „Prologs“ daher. Das Publikum habe bereits in diesem Saal der „scherzenden, der ernsten Maske Spiel“ erlebt, also Komödien und Tragödien angeschaut.



    Schiller bezeichnete den Wallenstein als „Ein dramatisches Gedicht“. Es enthält Elemente der Komödie wie der Tragödie. Gleich im ersten Teil „Wallensteins Lager“ kommt in den Volksszenen das eher Komödiantische zur Geltung, während in der Tragödie traditionell die hohen Herrschaften agierten und strenge Regeln herrschten.


    Im „Prolog“ wird der neue Schauspielsaal gepriesen, sein Architekt gelobt (sein Name Nikolaus Thouret wird nicht genannt).


    „Schnell und spurlos“ gehe des Mimen Kunst vorüber, während die Werke der Bildhauerkunst und der Poesie noch Jahrtausende weiterlebten. Hingegen sterbe im Theater der Zauber unmittelbar mit Ende der Aufführung ab.



    „Schwer ist d i e Kunst, vergänglich ist ihr Preis.“ Ein geflügeltes Wort Schillers.


    Am Ende dieses, des 18. Jahrhunderts, wurde „selbst die Wirklichkeit zur Dichtung“ (Napoleon landete 1798 im sagenumwobenen Ägypten, was natürlich nicht erwähnt wird), um „Herrschaft und um Freiheit“ werde heftig gerungen.


    „Freiheit“ – das ist die zentrale Losung der Französischen Revolution, die 1792 Schiller zum Bürger Frankreichs machte.


    Vor 150 Jahren habe ein Friede Europa eine „alte feste Form“ gegeben (der Westfälische Frieden von Münster und Osnabrück 1648), die in diesen Tagen – um 1798 – endgültig zerfiel.


    Der Dichter erinnert an die vorausgegangenen Kriegsjahre: 1631 war Magdeburg zerstört worden, ein schreckliches Symbol für die Vernichtungen des gesamten Dreißigjährigen Krieges


    (Magdeburg als Hochburg des lutheranischen Protestantismus, als des „Herrgotts Kanzlei“, Schiller hatte selbst die Zerstörung Magdeburgs in seiner „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ 1791 geschildert, der mehr als 30000 Einwohner, Männer, Frauen, Kinder zum Opfer fielen.


    Mit Magdeburg wurde die „Jungfrau“ (im Wappen) geschändet – empfohlen sei Gertrud von Le Forts (1876-1971) Gleichnis „Die Magdeburgische Hochzeit“. (1938).


    Für die Zerstörungskraft des Krieges standen im 19. Jahrhundert symbolhaft Moskau 1812 und Paris 1871,

    für das 20. Jahrhundert Verdun 1916 und Hiroshima 1945 - für das 21. Jahrhundert ?



    Zeit der Handlung des folgenden Stückes ist nun das Jahr 1634. Der Krieg währte schon 16 Jahre, keine Friedenshoffnung war in Sicht.


    Und nun werde ein „verwegener Charakter“ geschildert. Sein Name wird noch nicht genannt. Doch:


    „Nicht e r ist’s, der auf dieser Bühne

    Heut erscheinen wird.“


    Es ist „Wallensteins Lager“, ein bunter Haufen von Leuten, die mit dem Heerführer Wallenstein mitzogen und mit deren Reaktionen er immer rechnen musste.


    Wer von uns mag, kann hier mit seinen Gedanken zum ersten Teil, „Wallensteins Lager“, beginnen.

  • Erster Auftritt


    Als erste handelnde Gestalten treten ein Bauernknabe namens Emmerich und ein älterer Bauer vor Marketenderzelten in Wallensteins Lager auf. Bauern und Soldaten konnten im Dreißigjährigen Krieg zu erbitterten Feinden werden, die sich mit Mord und Totschlag begegneten. Friedrich Schiller erfasst gleich zu Beginn, dass sich mit Bauern und Kriegsleuten die zentralen Kontrahenten des Krieg gegenüberstanden. Mobile Offiziere und Söldner konnten die Seite wechseln, der ansässige Bauer war dem Militär ausgeliefert.


    Die Söldner gingen bald zum Plündern über, wenn sie auf Bauernsiedlungen stießen. Doch diese neuen Haufen, die „frisch von der Saal und dem Main“ gekommen seien, beschwichtigt der ältere Bauer, führten ihre Beute bereits mit. Wenn die Bauern es pfiffig anstellten, könnten sie den Soldaten diese Beute wieder abjagen.


    Der Bauer bringt die Würfel ins Spiel. In dieser Zeit der Ungewissheit konnte man durch Würfeln sein Schicksal mitbestimmen. Auf einer zeitgenössischen Radierung von Callot ist zu sehen, wie Soldaten vor einem "Galgenbaum" um ihr Leben würfelten. Es werden noch die Sterne folgen, mit deren Hilfe man glaubte, in die Zukunft zu schauen.


    Zweiter Auftritt.


    Ein Trompeter nennt den Bauern, der um einen Bissen und Trank bittet, einen „Halunken“. Doch bald kommen weitere Soldaten in ein „Gemunkel“ über das, was sich hier im böhmischen Lager zusammenbraute, was die „Herrn Generäle und Kommandanten“ da oben alles ausheckten. Diesen großen Herren hatten die Soldaten bereits Spitznamen verliehen. Sie waren nicht bloß Werkzeuge in den Händen der kriegführenden Herren, sondern machten sich ihre eigenen Gedanken, um ihre Lage, Verbesserungen oder Verschlechterungen, zu erfassen.



    Exkurse:


    In ähnlicher Weise sollten in den ersten Jahren des Ersten Weltkrieges auch die einfachen Soldaten in Jaroslav Hašeks Abenteuern des braven Soldaten Schwejk darüber rätseln, was die Anführer alles ausheckten und was sie an neuen Schrecken zu erwarten hatten. Im Krieg schieden sich die Geister: neben Plünderern und Kriegsgewinnlern gab es auch anständig Gebliebene.


    Im Zusammenhang mit Monika Marons „Munin“ (2018) hatten wir hier im Forum bereits eine Diskussion über Zeitzeugenberichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, wie das neu herausgegebene Tagebuch des Söldners Peter Hagendorf (1601-1679). In den langen Kriegs-Jahren waren Bauern und Soldaten nicht immer nur Feinde. Mitunter verhalfen sie sich gegenseitig zum Überleben.


    Auf engem Raum für längere Zeit zusammengepfercht, waren sie gezwungen, sich zu arrangieren. Während eines Vortrages über Nonkonformisten der Zeit des Dreißigjährigen Krieges haben wir uns einst in Havelberg an den von James Clavell inszenierten Film „Das vergessene Tal“ (1971) mit Michael Caine in der Rolle des Söldnerhauptmanns erinnert. Auch hier mussten sich in einem abgeschlossenen Tal Bauern und Söldner zusammenraufen, um gemeinsam zu überwintern.


    Auch heute, im Jahr 2020, hören wir von gewaltsamen Auseinandersetzungen, die unversöhnlich erscheinen. Oppositionelle Demonstranten oder auch Randalierer und Plünderer geraten in erbitterte Auseinandersetzungen mit der Polizei – denkt man daran, dass man eines Tages auch wieder miteinander und nebeneinander leben muss?

  • Zum Prolog,


    zunächst mal ganz herzlichen Dank, Karamzin, für deine ausführlichen Anmerkungen, die weit über das hinausgehen, was meine Hanser-Ausgabe zur Verfügung stellt.

    Die Magdeburger "Bluthochzeit", von Tilly, dem bekannten General des Dreißigjährigen Krieges so genannt, ist eigentlich die völlige Zerstörung und Plünderung Magdeburgs durch Tillys Söldner. Weil die Stadt sich aber dem Protestantismus verschrieben hatte und sich schon Jahrzehnte lang gegen kaiserliche Tribute wehrte, sah Tilly diesen Überfall als eine symbolische Unterjochung (wie wohl damals vielen eine Hochzeit erschien) der Magdeburger Jungfrau, dem Symbol im Wappenschild der Stadt, durch den Kaiser. Laut GEO Epoche war Magdeburg zu diesem Zeitpunkt eine der der bevölkerungsreichsten und prosperierendsten Städte des Kaiserreiches, wessen ich mir überhaupt nicht bewusst war.

    Was ich im Prolog noch nicht verstanden habe, ist die von dir, Karamzin, zitierte Stelle über die Kunst, warum hier diese Betonung?
    Soll das bedeuten, dass damit die Kunst an sich, nicht andere Bedeutungen gemeint sind, oder ist es ein Hinweis auf die spätere Erwähnung der Kunst, wo ebenfalls der Artikel hervorgehoben wird:

    Denn jedes Äußerste führt sie, die alles begrenzt und bindet, zur Natur zurück,
    Sie sieht den Menschen in des Lebens Drang

    Und wälzt die größte Hälfte seiner Schuld

    Den unglückseligen Gestirnen zu.


    Dieser Passage vorweg geht der Hinweis auf den undurchschaubaren Charakter des historischen Wallensteins, was ich so verstehe, dass wir dieses Drama so sehen / bzw. lesen sollen, indem wir begreifen, dass wir es nicht mit einer historischen Person, sondern einem tragischen Helden zu tun haben werden, der zumeist an dem inneren Widerspruch der äußeren Umstände scheitert.


    Wallensteins Lager


    Dieser Teil der Dramentrilogie ist im Knittelvers verfasst, einem freien Versmaß, dessen Vers-Enden sich nur im Paarreim reimen müssen, was aber bei Schiller auch nicht immer zutrifft. Schiller benutzt den Knittel-Vers in diesem ersten Teil, um die rauen Stimmen der Söldner und anderen Fußvolks auch in der Versform zu unterstützen. Zudem ist der Knittelvers das beliebteste Versmaß der Jahrhunderte vor und während des Dreißigjährigen Krieges. In den beiden anderen Teilen wechselt der Autor dann zu jambischen Versen, um die Tragik des Dargestellten zu betonen. Man könnte also fast sagen, dass das "Lager" der Buffo-Teil der Trilogie ist, wozu auch die farbigen Typen passen, die hier zur Darstellung kommen. Dass die Bauern die größten Opfer im Dreißigjährigen Krieg darbringen mussten, ist bekannt. Zusätzlich zu dem, was Karamzin oben ausführt, kommt noch, dass vielen der geschädigten Bauern gar nichts anderes übrig blieb, als sich selbst für die Heere anwerben zu lassen. So wird es wohl zu engen Verquickungen zwischen Landbevölkerung und Söldnern gekommen sein: Diejenigen, deren Heimat und Broterwerb zerstört worden war, verwüsteten an anderer Stelle die Lebensgrundlage ihrer Standesgenossen.
    Weiterhin bemerkenswert ist, dass das "Lager" im Gegensatz zu den anderen beiden Teilen, keine Aufzüge, sondern nur Auftritte hat, also auch hier weniger Regelhaftigkeit aufweist, was zu den obigen Beobachtungen passt.



  • Hallo finsbury, vielen Dank für Deine Anmerkungen, auch die über das Versmaß helfen mir weiter.


    „Schwer ist d i e Kunst, vergänglich ist ihr Preis.“


    Die Hervorhebung bezieht sich m.E. allein auf die theatralische Kunst: was man gerade gesehen hat, ist im nächsten Moment schon wieder vorbei, ist vergänglich, die Schauspieler treten wieder ab.

  • Ja, du hast natürlich Recht, ich habe die Stelle noch einmal gelesen, man muss das "die" als "diese" lesen in Abgrenzung zu den anderen, viel länger überdauernden Künsten.


    Mit dem "Lager" bin ich nun fertig, man könnte es aber auch nochmal lesen. Es ist sehr verwirrend, die Rollen, die zumeist jeweils mit den Waffengattungen verknüpft sind, auseinanderzuhalten: erster Kürassier, zweiter Arkebusier, Dragoner, dann die Jäger, der Trompeter und Wachtmeister, das fordert schon sehr aufmerksames Lesen.

    Denn es gibt durchaus unterschiedliche Charaktere, die die Einstellung zum Söldnerleben spiegeln:

    Der erste Jäger (unreflektiert) und der erste Kürassier teilen sich in die Einschätzung, dass sie hauptsächlich Spaß haben wollen, da sie ja schließlich den Kopf hinhalten. Das Morden und Vergewaltigen sehen sie als normal, Vergewaltigungen werden z.T. als Affairen verniedlicht.
    Dennoch ist der erste Kürassier in seinem Kopf etwas weiter: Er erkennt das Kalkül dieses Krieges und leitet daraus ein Leben und Lebenlassen ab. So rettet er das Leben des Bauern, als dieser beim Falschspiel erwischt wird (11. At.) und drückt seine Einstellung auch unmissverständlich aus:

    Kamerad, die Zeiten sind schwer,
    Das Schwert ist nicht bei der Waage mehr;
    (eine tolle Metapher finde ich, die heute noch für die meisten kriegerischen Konflikte gilt)
    Aber so mags mir keiner verdenken,
    Dass ich mich lieber zum Schwert will lenken.

    Kann ich im Krieg mich doch menschlich fassen,
    Aber nicht auf mir trommeln lassen. (11. At.)


    Der erste Arkebusier dagegen versucht das Leid der Landbevölkerung begreiflich zu machen, unterliegt aber dem größeren rhetorischen Geschick des ersten Kürassiers.

    Aber ungeachtet ihrer unterschiedlichen Einstellung zum Töten und Plündern sind sie alle der Meinung, dass sie unter Wallenstein eine größere Möglichkeit eingeschränkter Freiheit haben als unter anderen Kriegsherren, egal ob Protestanten oder Katholiken. Besonders die direkten kaiserlichen Einflussnahmen lehnen sie ab und wollen sich nicht aufteilen und für andere Kriegsregionen einteilen lassen. Zum Ende kommt dann Max Piccolomini ins Spiel, dessen Tapferkeit schon vorher erwähnt wurde. Ihn wollen sie als Vermittler ihrer Petition, unter der Führung Wallensteins zusammenzubleiben, gewinnen.



  • Nachdem Ihr zwei dankenswerterweise den Grund gelegt habt, macht Ihr es mir leicht, ein wenig Senf dazu zu geben:

    Schiller ist ja bekannt dafür, dass seine Werke voller geflügelter Worte sind. Karamzin hat

    schon darauf aufmerksam gemacht. Ich hatte aber nicht in Erinnerung, dass die geprägten Goldstücke in der Wallenstein Trilogie so dicht schon gleich am Anfang gesät sind. Die Passage, bei der finsbury beim ersten Lesen ein wenig ins Grübeln gekommen ist, fasst Schiller bündig zusammen in dem seither geflügelten Wort: Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.

    Wenig später ein anderer Kernsatz: Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken. Und dann:

    Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst. Das alles schon im Prolog.

    Im Lager dann der herrliche Satz: Und wie er räuspert, wie er spuckt, das habt ihr ihm glücklich abgerückt.

    Tilly wird die Haltung gegenueber seiner Truppe zugeschrieben: leben und leben lassen. Bei einige solchen Kernsätzen ist mir nicht klar, ob sie von ihm stammen oder ob er "Sprichwörter" eingebaut hat.

    Womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte, es hier und bei Schiller zu finden ist: Prost Mahlzeit! Das hätte ich zeitlich in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts verortet, so schnoddrig-"modern" wie das klingt.

    Jetzt kommen wieder zwei, die auch"Volkston" sein könnten: Wir haben das Heft noch in der Hand und ...hat auch einen großen Stein im Brett.

    Worüber ich nicht schlecht gestaunt habe, ist, dass am Schluss des Lagers ein Lieblingslied meines Vaters "auftaucht":

    Wohlauf Kameraden aufs Pferd, aufs Pferd!

    Ins Feld in die Freiheit geritten!

    Im Felde, da ist der Mann noch was wert,

    Da wird das Herz nochvgewogen.

    Da tritt kein andrer für ihn ein,

    auf sich selbst steht der da ganz allein.

    Ihr werdet vielleicht fragen, wie konnte so ein altmodischer song ein Lieblingslied seines Vaters sein?: Ich bin ein Nachkömmling, bei meiner Geburt war mein Vater, geb.1887, 50 Jahre alt. Er hat am ERSTEN Weltkrieg 1914-1918 teilgenommen. Da "war die Kavallerie noch etwas"....

    Ja, und nun noch was, woran ich mich nicht erinnerte: Da tritt doch der Kapuziner auf, der in einer längeren "Philippika" dem zuchtlosen Haufen "die Leviten liest". Heute Nacht "schoss es mir durch den Kopf": Sollte das die sprichwörtliche Kapuzinerpredigt sein? Ja, so ist es. Das Netz weiß so was!

    Einen schönen Sonntag!

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • "Prost Mahlzeit" oder vielmehr etwas gesetzter "Prosit die Mahlzeit" habe ich mal in einem Buch von 1880 gefunden. Von Schiller hätte ich es allerdings auch nicht erwartet.

    Ich kann leider im Moment nicht mitmachen, ich verreise morgen. Mit Schiller mag ich mich unterwegs nicht plagen ... Vielleicht ziehe ich später nach ...

  • Zefira, Du würdest Dich nicht plagen. es ist kurzweilig, auch Dank unserer beiden VOR-leser finsbury und Karamzin. Das siehst Du ja auch schon an Prost Mahlzeit!....

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Ja, die Dichte an sprichwörtlich gewordenen Formulierungen: Da schlägt in der deutschen Sprache niemand den Schiller, vielleicht kommt Luther noch nah dran. Im Büchmann hinten im Namenverzeichnis ist sein Teil bei den Deutschen am größten. Und innerhalb dessen allein für die drei Wallenstein-Teile und den Prolog an die zehn Seiten. Auch der zweite Teil, "Die Piccolomini" beginnt sofort mit einem inzwischen geflügelten Wort: Spät kommt ihr, doch ihr kommt, sagt Illo zu Isolani.

    Volker, was du da schreibst über die Möglichkeit deines persönlichen Rückblicks in die Geschichte finde ich faszinierend: Da öffnen sich immer Augen in die Vergangenheit.
    Mein Onkel (wäre inzwischen über 110 Jahre alt) , der Bruder meiner Mutter, konnte sich wiederum noch an einen Großonkel erinnern , der beim deutsch-französischen Krieg von 1870/71 mitgekämpft hat: Da überlief es mich immer, wie weit teilweise persönlich vermittelte Erinnerungen zurückreichen können.

  • In meiner Erfurt Zeit (vor 1974) hatte ich eine Aufführung des "Wallensteins" im städtischen Theater gesehen, in der ebenfalls gesungen wurde:

    "Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd

    Ins Feld, in die Freiheit gezogen."


    Das entsprach ja auch dem Zeitgeist mit der Förderung alles Militärischen in der DDR. Im Publikum war die Melodie noch bekannt (ich kannte sie auch), und es wurde mitgesungen.

    (ansonsten erlebte ich noch Aufführungen von "Kabale und Liebe" sowie des "Don Carlos"; "Die Räuber" oder der "Wilhelm Tell" wurden hingegen nicht mehr gegeben).




    Die Kapuzinerpredigt


    Die an die Soldaten in „Wallensteins Lager“ gerichtete „Kapuzinerpredigt“, auf die hier bereits verwiesen wurde, lehnte sich in ihrer Rhetorik und in ihren Versen an die Predigten des Mönches Abraham a Sancta Clara (1644-1709) an, des wohl bedeutendsten barocken Bußpredigers im deutschen Sprachraum, der allerdings kein Kapuziner, sondern ein Augustiner-Barfüßer war. Während der großen Pest-Epidemie in Wien machte er Hexen und Juden dafür verantwortlich, (obwohl es dort zu der Zeit gar keine Juden gab), er predigte gegen die verderblichen Laster Völlerei, Trunksucht und Habgier.


    Goethe hatte seinem Freund dessen Schriftensammlung „Judas der Erzschelm“ in drei Bänden (1687-1695) als Materialgrundlage zukommen lassen.


    Und nun kommt doch noch eine Erinnerung an DDR-Zeiten (*vorsichtig umguck‘, ob ich das machen darf?*):


    Der kommunistische Schriftsteller Ernst Fischer (1899-1972), 1945 österreichischer Volksbildungs-Staatssekretär, hatte 1955 mit seiner Frau Louise Fischer (vormals verheiratet mit Hanns Eisler, Komponist unserer Nationalhymne und einer Vertonung des heute höchst aktuellen Gedichts „Deutschland meine Trauer“ von Johannes R. Becher, das der andere große Augsburger Bertolt Brecht ausdrücklich der Allgemeinheit empfahl, obwohl er Becher als das größte A… ansah, das er kenne; eine andere Vertonung stammte von Wolf Biermann ('wieder fein raus sei')


    dieser Ernst Fischer also hatte 1955 einen Roman in Dialogen „Prinz Eugen“ erscheinen lassen, in dem auch Predigten des Abraham a Sancta Clara wiedergegeben wurden. Der wetterte in Wien um 1683 ebenfalls gegen die Juden, und diese Zitate konnten (erst) zehn Jahre nach 1945 ihre Wirkung nicht verfehlen.



    Ich besaß den Roman. Der Autor aber wurde als „Revisionist“ nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 zur „Unperson“ erklärt, und es erschien nicht ratsam, erkennen zu lassen, dass man Ernst Fischer lese, obwohl er ein überaus farbenprächtiges Bild der Zeit des Prinzen Eugen von Savoyen (1663-1736) mit den Dialogen zahlreicher Volksgestalten der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges und der Gefahr der Türkeninvasion ("Prinz Eugen, der edle Ritter") vermittelte. Hier finden sich zweifellos Anklänge an "Wallensteins Lager".

  • "Die Gustel von Blasewitz"


    Sie taucht als Marketenderin in "Wallensteins Lager" auf. Die Gestalt ist mir seit der Kindheit bekannt, am Rathaus von Blasewitz ist ihre Figur angebracht. Blasewitz war 1785-1787 noch ein auf der Seite von Dresden-Altstadt gelegenes Dorf. Auf der Neustädter Seite jenseits der Elbe lag Loschwitz mit seinen Weinbergen, wo Friedrich Schiller im Häuschen seines Freundes Gottfried Körner zu Gast wohnte.

    Sie hieß eigentlich Johanne Justine Segedin (1763-1856), bediente Schiller als Schankwirtin und heiratete in der Dorfkirche von Leuben (wo meine Großeltern begraben liegen) den Advokaten Renner.

    Die Erwähnung der "Gustel von Blasewitz" ist nur eine freundliche Erinnerung Schillers an eine recht glückliche Zeit, in der auch die Ode "An die Freude" entstand, die den Freunden Körner und Huber sowie den Schwestern Stock galt.

  • hab das schon beim Munin bewundert, was Du alles weißt und wie Du es "rüberbringst". Der Vers über die Gustel von Blasewitz ist mir auch noch aus der Schulzeit in Erinnerung, obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo das liegt und wie Schiller zu der Figur kam. Schön, mit Euch lesen zu dürfen!

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Für mich ist das eine sehr wertvolle Diskussion. Es ist sehr sehr lange her, dass ich den Wallenstein gelesen habe, aber mit so vielen anschaulichen Hintergrundinformationen fühlt man sich direkt in die Zeit zurückversetzt. Man ist im Theater mit dabei und sieht sich die Urauführung an (und darf sich sogar den Platz aussuchen) oder man sieht den Schiller in der Schenke sitzen und sich ein Gläschen leisten.


    Auch die Korrepondenz zwischen Form und Inhalt finde ich sehr interessant, besonders hier, ich zitiere finsbury:

    "Dieser Teil der Dramentrilogie ist im Knittelvers verfasst, einem freien Versmaß, dessen Vers-Enden sich nur im Paarreim reimen müssen, was aber bei Schiller auch nicht immer zutrifft. Schiller benutzt den Knittel-Vers in diesem ersten Teil, um die rauen Stimmen der Söldner und anderen Fußvolks auch in der Versform zu unterstützen. Zudem ist der Knittelvers das beliebteste Versmaß der Jahrhunderte vor und während des Dreißigjährigen Krieges. In den beiden anderen Teilen wechselt der Autor dann zu jambischen Versen, um die Tragik des Dargestellten zu betonen. Man könnte also fast sagen, dass das "Lager" der Buffo-Teil der Trilogie ist, wozu auch die farbigen Typen passen, die hier zur Darstellung kommen. Dass die Bauern die größten Opfer im Dreißigjährigen Krieg darbringen mussten, ist bekannt. Zusätzlich zu dem, was Karamzin oben ausführt, kommt noch, dass vielen der geschädigten Bauern gar nichts anderes übrig blieb, als sich selbst für die Heere anwerben zu lassen. So wird es wohl zu engen Verquickungen zwischen Landbevölkerung und Söldnern gekommen sein: Diejenigen, deren Heimat und Broterwerb zerstört worden war, verwüsteten an anderer Stelle die Lebensgrundlage ihrer Standesgenossen." Dadurch wird doppelt angezeigt, welchen Splatz und welche Rolle den verschiedenen Ständen im Spiel eingeräumt wird.


    Und nicht zuletzt die angeregte Diskussion über die Sprichwörter. Ich wusste nicht, dass die bei Schiller so häufig waren.


    Vielen Dank an euch!

    „Seit ich die deutsche Sprache kenne, träume ich nicht mehr davon die Welt zu verändern. Ich habe nur noch ein Ziel im Leben: Ich will diese Sprache erneuern.“ Abbas Khider

  • Es wundert mich doch ganz schön ...



    Das ist für mich das Verblüffende, das mich beim abermaligen Durchlesen von „Wallensteins Lager“ nach vielen Jahren erstaunt:


    Schiller wusste in Umrissen, wie sein dramatisches Gedicht weitergeführt werden würde. Wahrscheinlich hatte er auch Goethe davon berichtet, wie es mit dem Schauspiel weitergehen würde.


    Das Weimarer Publikum jedenfalls wusste es am 12. Oktober 1798 definitiv nicht !

    Es bekam hier deftige Volksszenen vorgesetzt, die es aus keiner der bisher gewohnten Komödien kannte.


    Das Publikum musste höchst aufmerksam sein, denn es werden Personen eingeführt, die man sich erst einmal merken muss. Sie kommen nämlich erst in den kommenden Teilen vor, nicht hier in „Wallensteins Lager“. So wird "Terschky" erwähnt und dann der Holk und später der Kroate Isolani,

    ... ich werde zu den Anspielungen in "Wallensteins Lager" auf geschichtliche Ereignisse noch etws schreiben.


    der Questenberg, „von Wien die alte Perücke“, wie ihn der Wachtmeister benennt, wird noch gar nicht beim Namen genannt, geschweige denn wird seine Bedeutung in der Intrige um Wallensteins Untergang klar.


    Wage ich einmal ein Gedankenspiel. Gehen wir von 2020 um 150 Jahre zurück, wie Schiller im Jahr 1798 zum Westfälischen Frieden vom Jahr 1648, so kommen wir auf das Jahr 1870. Bismarck, ein gewiefter Taktiker, hatte die Franzosen unter ihrem Kaiser Napoleon III. zu einem Krieg provoziert. Als der spanische Königsthron einem Sprößling aus dem katholischen Haus Hohenzollern-Sigmaringen angeboten wurde, musste sich der Neffe des großen Kaisers Napoleon provoziert fühlen, der dachte, diese Preußen schnell besiegen zu können, und von sich aus den Krieg erklärte. Stellen wir uns „Moltkes Lager“ der Preußen und ihrer Verbündeten in diesem September 1870 vor Beginn der Kampfhandlungen vor. Würden noch einmal Reitermassen zur Attacke reiten, würde es Bajonettangriffe geben? Beides kam zum letzten Mal vor.


    Die meisten von uns können sich das nicht vorstellen. Im Geschichtsunterricht wurden dieser Krieg und die Schlacht von Sedan wahrscheinlich nicht mehr behandelt.

    Machen wir uns nichts vor, für heutige Schülergenerationen dürften Bismarck, die DDR, das Hitlerregime, das Kaiserreich alles gleichermaßen weit zurückliegende geschichtliche Perioden gewesen sein.

    Vielmehr zählt vielfach die unmittelbare Gegenwart, das Blinken auf dem Smartphone, was war gleich noch einmal vorige Woche ... Dieser Wechsel im Zeitgefühl ist nun einmal so als Tatsache in den letzten beiden Jahrzehnten vonstatten gegangen , mitunter kann vielleicht der Geschichtsunterricht doch noch interessant gestaltet werden, was weiß ich ...


    Aber das Weimarer Bühnenpublikum vom 12. Oktober 1798?

    Es hielt still und lauschte aufmerksam den Deklamationen auf der Bühne über mehrere Stunden hinweg. Vielleicht, weil der große Schiller selbst in seiner Loge dabei war.

    Das Publikum ließ diese bunte Aufführung von "Wallensteins Lager" an sich vorbeiziehen, die so gar nicht nach den klassischen Theaterregeln gestaltet worden war. Und es dürften damals doch noch viel mehr Geschichtskenntnisse vorhanden gewesen sein, als heute, und man hat vielleicht tatsächlich gerade erst Friedrich Schillers „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ gelesen.


    Friedrich Schiller brauchte nur das Treffen bei Leipzig 1631 ins Gespräch zu bringen – dann wussten offenbar die meisten immer noch, dass der Zerstörer Magdeburgs, der Katholik Tilly in diesem Jahr bei Breitenfeld entscheidend von den Schweden Gustav Adolfs geschlagen worden war.


    Die Zuschauer wussten, dass Gustav Adolf 1632 bei Lützen unterging, so weit war das auch wieder nicht vom Territorium Sachsen-Weimars entfernt.


    Und seit dem Untergang der Franzosen in der Schlacht bei Roßbach gegen die Preußen des Großen Königs im Siebenjährigen Krieg 1757, das überhaupt nicht weit vom Schlachtort Lützen entfernt war, waren gerade erst einmal etwas mehr als 40 Jahre vergangen, da jagten die Bauern in Sachsen-Weimar versprengte Franzosen und Angehörige der buntgescheckten Reichsarmee mit der Heugabel.


    Das Weimarer Publikum mochte sich daran erinnern, dass im Heer Gustav Adolfs von Schweden strenge Zucht, Einfachheit und protestantische Tugenden geherrscht hätten – Carl August wird sich amüsiert haben.


    Aber von einer Auflösung der in „Wallensteins Lager“ gebotenen Rätsel war das Theaterpublikum noch etliche Monate entfernt.

  • Kleine Fortsetzung


    Schon den Intriganten Questenberg "die alte Perücke" zu nennen, könnte für die Zuschauer ein kapitaler Witz gewesen sein.


    Ein Anachronismus. Denn Wallenstein, Gustav Adolf, Tilly und der wilde Holk trugen, wie auf den Kupferstichen zu sehen war, wirklich noch ihr Naturhaar. Die Perücken verbreiteten sich in Europa erst Jahrzehnte später in der Zeit des ab 1643 regierenden Sonnenkönigs Ludwig XIV.


    In Kotzebues Drama oder in den "Nachtwachen des Bonaventura" August Klingemanns von 1804 stolziert wirklich noch der Nachtwächter durch die Gassen:


    "Hört Ihr Leut und lasst Euch sagen: Die Uhr am Turm hat Zehn geschlagen!"


    Da bildeten sich am kleinen Platz am Stadttor keine erregten Menschenmengen, die sich darüber aufregten, dass die Stadtwächter, die doch alle Bürger in ihren Mauern beschützen sollten, sträflich vor allem "das fahrende Volk" kontrollierten, das da auf der Landstraße umherzog, weil man in dessen Reihen traditionell mehr Straftäter vermutete als unter der einheimischen Bürgerschaft.


    Die Angst vor verheerenden Seuchen war natürlich noch viel größer, so dass die Anstalten der Policey für vernünftig gehalten werden mussten.

    Aber sehr viele, die meisten Menschen wurden von der "Schwindsucht" dahingerafft, von Tuberkulose und Lungenentzündung, gegen die es noch keine Heilmittel gab.


    Anfang 1791 war das Gerücht im Umlauf, dass Friedrich Schiller verstorben sei. Vor Aufregung versammelte der dänische Dichter Jens Baggesen im fernen Holstein all die lesenden Grafen und Bildungsbürger: sollte man schon eine Gedenkfeier für Schiller veranstalten? Oder wartete man erst einmal ab ?


    was letztlich besser war. Dann konnte der Herzog von Augustenberg dem glücklicherweise noch lebenden Dichter in Jena eine so bedeutende Summe zukommen lassen, dass dieser von der doch unbefriedigenden Geschichtsschreibung als Broterwerb abließ und sich, auf seine dramatische Kunst besinnend, wieder einem neue Drama zuwandte, dem Wallenstein.


    Schiller wusste, dass sich Goethe schon vor Jahren dem früh im Jahr 1639 verstorbenen Herzog Bernhard von Weimar zugewandt hatte, der in den drei auch in "Wallensteins Lager" erwähnten Anläufen 1632, 1633, 1634, sich in Regensburg zu behaupten, als Feldherr mitmischte. Das war ein Vorfahre des regierenden Herzogs Carl August.

    Der unstete Jakob Michael Reinhold Lenz, der Goethe zu dieser Zeit in allem nachahmte und dessen Geliebte ebenfalls nachträglich heimsuchte, die Friederike Brion oder die regierende Herzogin Anna Amalia, worauf er 1776 aus Weimar ausgewiesen wurde und für immer ins Baltikum und nach Russland zog, wandte sich ebenfalls dem Bernhard-Stoff zu und gleichfalls vergeblich - Bernhard als letzter "Held" des Dreißigjährigen Krieges fiel also letztlich auch für Friedrich Schiller als Dramenheld aus.

    Die faszinierende Gestalt blieb der Wallenstein, rätselhaft blieben die Sterne, nachdem auch Freund Goethe zu verstehen gegeben hatte, dass sich mystisch-kabbalistische Wortspiele, mit denen er sich seit seiner Jugend in Frankfurt auskannte, nicht für die Bühne eigneten.


    Gerade war das Buch "Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern" der neueste 'Bestseller', den Christoph Wilhelm Hufeland, Arzt in Weimar und Jena, 1796 erscheinen ließ. Das wichtigste war: Mäßigung in allem, eine Ausgeglichenheit und Heiterkeit zu erlangen, Körper, Seele und Geist in Einklang zu bringen. Samuel Hahnemann, ein anderer erfahrener Arzt, füllte zur gleichen Zeit kleine Fläschchen mit homöopathischen Mitteln ab - konnten die die Heilung bringen?


    Doch schon im Vorjahr 1797 verließ Wilhelm von Humboldt enttäuscht den "Kulturraum Weimar-Jena", wie es so schön um das Goethe-Jahr 1999 herum hieß, dem letzten Aufflackern des Bildungsbürgerlichen vor Anbruch des neuen Jahrtausends, für immer, wie sich herausstellen sollte, und bestellte sein Gut in Tegel, vor den Toren Berlins.

    Auch Hufeland zog es nach Berlin, er verließ für immer Weimar. Mit der 1709 als Pestlazarett gegründeten "Charite" fand er dort die nach Göttingen modernste Institution für Heilmedizin vor. Der König und die Königin Luise sollten zu seinen Patienten gehören. Doktor Heim empfahl schon einmal einer Dame, die fragte, ob Sauerkraut auf dem Kopf gegen Kopfweh helfe, sie solle auch noch ein Würstchen dazu legen ...


    Kann man sich das im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vorstellen, da ein höflich (!) über die Schulter hinweg ausgeborgter Salzstreuer schon tödliche Folgen haben konnte, wie der Wuschelkopp verkündete, wo eine allein auf einer Parkbank sitzende Frau aufgescheucht werden musste, die ein Buch las (!), nicht etwa auf ihrem Handy herumspielte, das hätte man vielleicht noch durchgehen lassen.


    Und ein großer Kulturvermittler empfahl den vielen Millionen Lesern im Lande, die ihm fasziniert zuschauten, die Bücher, die ihm - oder vielmehr der Redaktion - mißfielen, nicht etwa beiseite zu legen, sondern im hohen Schwung in eine Tonne zu werfen. Das Land der Dichter und Denker hatte es schon im 20. Jahrhundert zu solchen Mitteln im Umgang mit Büchern gebracht.


    Die gebildete Kurländerin Elisa von der Recke, mit der Goethe und Schiller als einer "gelehrten Dame" nicht viel anfangen konnten, hatte sich gegen Scharlatane, Magnetiseure und windige Heilsbringer gewandt und vorgeschlagen, dass die Damen ihre Reifröcke und Korsetts ablegten und gegen luftige, nicht einengende Gewänder austauschten, am besten in Weiß, so wie man sich die Kleidung der Antike vorstellte.


    Himmel, was hat das alles mit "Wallensteins Lager" zu tun !?

    Acht Jahre später würde Schiller im Oktober 1806 schon tot sein, und französische Marodeure würden in Goethes Domizil am Frauenplan das Haus nach Weinflaschen durchwühlen, worauf sich die beherzte Putzmacherin Christiane Vulpius, die Schwester des Dramaturgen von "Wallensteins Lager" diesen Plünderern entgegen stellen würde und worauf sie der erschütterte und dankbare Hausherr zu seiner Ehefrau nehmen würde...


    Draußen schlägt die Kirchturmuhr 8.15 Uhr, immer Viertel nach Acht, ich muss noch etwas anderes tun,

    und fort

  • Noch einmal der Kapuziner

    Und die schwedische Landung auf Usedom 1630


    Die Karneval-Saison in diesem Winter wird heute in den Nachrichten wegen der Unklarheiten bei der Politik gegenüber der Corona-Pandemie in Frage gestellt.

    Nun habe ich mit Karneval nie sonderlich viel am Hut gehabt, wenn ich auch einsehe, dass ihn ein Teil der Bevölkerung für sehr wichtig hält und diese tagelangen Veranstaltungen angesichts des wirklichen oder scheinbaren Ernstes der Lage auch ihre über die Jahrhunderte bestätigte entlastende Funktion haben. Endlich kann man mal straflos ablästern über „die da oben“.


    Die Knittelverse der Kapuzinerpredigt, aber auch anderer Redebeiträge in „Wallensteins Lager“, kommen mir vor wie bestimmte „Büttenreden“.

    Mir geht es sogar so, dass diese Knittelverse irgendwie ansteckend wirken und man selbst beginnt, in solchen Versen zu denken. Ich kann mich sogar entsinnen, schon in Knittelversen geträumt zu haben.


    Aber während auch heute als Prälaten verkleidete Büttenredner mit einem wohligen „Helau!“ verabschiedet werden, muss der Kapuziner am Schluss um sein Leben fürchten. Nur die unempfindlichen Kroaten retten ihn ("Bleib da, Pfäfflein, fürcht dich nit“). Die kamen aus dem südlichen Teil des Königreichs Ungarn und waren den Habsburger Kaisern immer treu geblieben, sie schützten die Landesgrenzen und ließen sich auch gegen aufständische Ungarn gebrauchen, selbst noch in der Revolution von 1848.

    Die Jäger aber rufen aus: „Pfaffe! Jetzt ist’s um dich geschehn!“


    Der Kapuziner ist der Erste, der zum Angriff auf Wallenstein, das Idol der Soldaten, übergeht. Der Prediger begeht damit ein großes Wagnis, da er wissen musste, dass ihm die Soldateska nicht etwa wegen seiner Anprangerung ihrer Sünden gefährlich werden konnte - die war das gewöhnt, dass man ihnen die Moral las. Aber indem der Kapuziner predigt:


    „Kömmt doch das Aergerniß von oben!“


    lenkt er die Aufmerksamkeit der Umstehenden im Lager und des Theaterpublikums späterer Tage auf die zentrale Figur des Dramas, und zwar auf die vermeintlichen Gefahren und bedenklichen Züge, die von Wallenstein als vom Kaiser mit nahezu unbegrenzten Vollmachten ausgestattetem Generalissimus ausgehen konnten. Jesuiten und Kapuziner (Joseph Roth: „Die Kapuzinergruft“ !) waren die Stützen des Kaisers in Wien, die den Herrscher zu lenken suchten und ihn eine tiefe katholische Religiosität konservieren ließ,

    während Wallenstein mit dem „Teufel im Bunde“ sein konnte und man nicht sicher war, ob er die Pfaffen doch noch dulden oder er schon heimlich vom Glauben abgefallen und mit den ketzerischen evangelischen Schweden paktieren würde.


    „Weiß doch niemand, an wen d e r glaubt!“ schimpft der Bußprediger und geht noch weiter:


    „Der die Völker von der wahren Lehren

    Zu falschen Götzen thut verkehren.“


    Wallenstein habe sich, so der Kapuziner, gerühmt, „die Stadt Stralsund“ haben zu wollen. Im Jahre 1628 war die Hansestadt Stralsund (die Hanse bestand formell noch bis 1669) in die Reichspolitik hineingezogen worden, als der 1627 vom Kaiser zum Herzog von Mecklenburg erhobene Wallenstein in Pommern einmarschierte. Doch Stralsund widerstand der dreiwöchigen Belagerung durch Wallensteins Truppen und schloss einen 20-jährigen Allianzvertrag mit dem protestantischen Schwedenkönig Gustav II. Adolf ab. Dieser „Löwe aus Mitternacht“ landete schließlich am 6. Juli 1630 mit seiner 13000 Mann starken, disziplinierten, vorwiegend aus Landeskindern bestehenden Armee auf Usedom.


    Jedes Jahr im Juli donnern heute noch in Stralsund die Geschütze zu den „Wallensteintagen“, da feiern die Bürger die erste Niederlage Wallensteins vor den Toren ihrer Stadt, die protestantisch blieb.


    Es war mitten im Krieg, im Jahr 1916, als Albrecht Döblin, der eine Zeitungsnotiz las, ein „Gesicht“ bekam. In seinem Roman „Wallenstein“ hielt er mit einem ununterbrochenen musikalischen Wortstrom fest, was er „schaute“, die landung der Schweden auf Usedom 1630:


    „ … Die Männer aus Svealand und Gotland, von Söderhamn Örebro Falun Eskilstuna, Fischer, Meerfahrer Bergmänner Ackerer Schmiede, die starkbeinigen kleinen Menschen aus dem seenreichen Finnland, die noch mit den Bären und Füchsen zu kämpfen hatten, in Waffen geübt, schwärmten in Eisen und Stahl … mit Pferden Pfeil und Bogen. Sie führten Faschinen Körbe schleppten Brot und Bier …“ Und so weiter. Alfred Döblin: Wallenstein. Roman. Berlin/Darmstadt/Wien 1965.


    zu empfehlen auch:


    Silvia Verena Tschopp: Heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. Pro- und antischwedische Propaganda in Deutschland 1628 bis 1635. Frankfurt/Main u. a. 1991.

    Michael Schippan: 6. Juli 1630. „Der Löwe aus Mitternacht“ – Gustav Adolf landet auf Usedom. In: 100 Denkwürdige Tage. Wendepunkte und Wegmarken der deutschen Geschichte. Bd. 7: Juli. Köln 2006, S. 60-79. (in dieser zwölfbändigen Taschenbuch-Reihe noch: 25.2.1634. Die Ermordung Wallensteins. Bd. 2: Februar; 23.5. 1618. Der Zweite Prager Fenstersturz. Bd. 5: Mai; 24.10. 1648. Der Westfälische Friede. Bd. 10: Oktober).



    Und während Ihr gern schon im anderen Diskussionsstrang den Personen im Umfeld Wallensteins und der Piccolomini zuschaut, will ich hier noch etwas ‚nachwaschen‘ und so manches zu „Wallensteins Lager“ mitteilen.

  • vielen Dank, Karamzin! Ein Glück, dass ich nochmal zurückgeschaut habe. Du bist ja voller Goldadern! Ich habe leider einen zu wenig "kontinuierlichen Kopf" für solche goßen Linien, aber viel Spaß an den Brosamen, die von der Reichen Tische fallen und da ist natürlich die Sache mit dem Sauerkraut und dem Würstchen auf dem Kopf was Erstklasiges. Was Du mir aber erklären "musst", gerne in einer PN, ist die Sache mit dem Salzstreuer und der Frau auf der Bank. Da hab ich nie was von gehört. Hat die Corona gekriegt oder was? Spaß beiseite: Ganz herzlichen Dank für die Zusammenhänge und Hintergründe!!!

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • Was mich immer wieder fasziniert, ist, wie prägnant der Schiller formuliert. Z.B. dies Zitat (ich hoffe, dass ich es korrekt wiedergebe, aber es ist immer auch interessant, WIE man es behält):

    Über Wallenstein:

    Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt,

    schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.

    Ach, wer das doch könnte, nur ein einziges Mal!

    if all you have is a hammer, all you see looks like a nail.

  • vielen Dank, Karamzin! Ein Glück, dass ich nochmal zurückgeschaut habe. Du bist ja voller Goldadern! Ich habe leider einen zu wenig "kontinuierlichen Kopf" für solche goßen Linien, aber viel Spaß an den Brosamen, die von der Reichen Tische fallen und da ist natürlich die Sache mit dem Sauerkraut und dem Würstchen auf dem Kopf was Erstklasiges. Was Du mir aber erklären "musst", gerne in einer PN, ist die Sache mit dem Salzstreuer und der Frau auf der Bank. Da hab ich nie was von gehört. Hat die Corona gekriegt oder was? Spaß beiseite: Ganz herzlichen Dank für die Zusammenhänge und Hintergründe!!!

    Ich habe einfach die Nase voll von all den Wahnsinnsgeschichten, die uns in den letzten Monaten aufgetischt wurden, und da erschien mir das ausgehende 18. Jahrhundert mit seiner perspektivreichen Suche nach neuen medizinischen Heilmethoden noch als eine vergleichsweise vernünftige Zeit.


    Ich habe mich zu recht früher Stunde, bis 8.15 Uhr, zu solchen zeitgeschichtlichen Exkursen hinreißen lassen, so dass noch kein Einfluss irgendwelcher Getränke anzunehmen ist. Selbst die Endzeit der DDR mit dem Jahr 1989 reicht nicht im entferntesten an die jetzige mit ihrem Wahnsinn heran,=O damals ging es noch einigermaßen übersichtlich zu und man ging den Menschen nicht ans Gesicht: nur die Parteiführung wusste nicht mehr, was die Stunde geschlagen hatte.


    (die Salzstreuer-Story ist von Drosten, die von der Parkbank ging durch das Land, und oben habe ich mit den "Stadtwächtern" die neuerlichen unfassbar dämlichen Angriffe auf unsere Polizei als wichtigem Garanten für die Ordnung im Lande persifliert).


    Aber in meinen abschließenden Betrachtungen zur Lektüre von "Wallensteins Lager" wird es wieder gesittet im historischen Sinne zugehen.


    Ich habe keine neue Ausgabe mit Kommentaren zur Hand genommen, wenn sich dann in meinen noch folgenden Ausführungen daraus etwas wiederholen sollte, ist es nicht solchen hilfreichen Angaben entnommen, sondern einem ehrwürdigen Band aus dem Nachlaß meiner Schwiegereltern: Schillers Werke. Illustriert von ersten deutschen Künstlern. Hrsg. von J. G. Fischer. zweiter Band. Stuttgart und Leipzig.


    Vielleicht haben mich die wilden Radierungen darin zu solchen zeitgeschichtlichen Exkursen inspiriert.:)

  • Auch ich danke dir herzlich für die vielen interessanten Details.
    Zu den Perücken (#16) habe ich aber auch noch was hinzuzufügen. Ich stolperte beim Lesen auch darüber, weil ich aus meinen Lektüren zum Dreißigjährigen Krieg auch nur die kernigen Mannsbilder in der - wie ich finde - recht kleidsamen Tracht des frühen 17. Jahrhunderts im Schmuck ihrer eigenen Haare kannte. Aber in der GEO Epoche zum Thema sind auch zwei Abbildungen, die unmittelbar nach oder während des Friedensschlusses entstanden sind, die Perückenträger zeigen.
    Joachim von Sandrart: Friedensmahl zu Nürnberg, 1649. Hier trägt auf jeden Fall der prachtvoll gewandete Gastgeber aus Schweden im rechten Bildvordergrund eine Perücke, wenn auch noch nicht gepudert.
    Und der vorher zu den Verhandlungen entsandte französische Gesandte Henri II von Bourbon-Orléans trägt auch eine schon ziemlich aufgemotzte Perücke, wenn auch nicht solche gräulichen "Kunstwerke" wie die Schickeria am Hof seines Verwandten Ludwig, dem Sonnenkönig in Versailles. Und ob die Herren auf diesem Gemälde eines Balles von 1635 wohl wirklich alle so wallendes Haupthaar haben?