Iwan A. Gontscharow - Oblomow

  • Argh, ich fürchte, irgendwo habe ich den Faden verloren. Wo wohnt Oblomow eigentlich, während er mit Olga verkehrt?
    Die alte Wohnung ist geräumt, die Möbel sind bei Tarentjews Verwandtschaft, aber die Räume nicht eingerichtet, er ist anscheinend in einer "Datsche", die er jetzt verlassen muss - wie ist er dorthin geraten? Ich muss noch mal zurück ...

    PS: Habe den Anschluss wiedergefunden. Nun wohnt Oblomow in der Wohnung, die Tarantjew ihm besorgt hat. Bei seinem zweiten Auftritt hat Tarantjew es nun auch mit mir endgültig verdorben. Ein Ekelpaket sondergleichen, Oblomow hätte ihn vierkant rauswerfen sollen.
    So langsam zeichnet sich auch ab, was Oblomows Schicksal sein wird.
    Übrigens lese ich die Haushaltsszenen sehr gerne, wenn es zum Beispiel um die Piroggen geht. Ich liebe solche Schlaglichter auf Kleinigkeiten aus der Haushaltsführung vergangener Zeiten; wie zum Beispiel Wäsche gebügelt wird, ein Webstuhl vorbereitet, Brot gebacken ...

  • Es wird nicht erklärt, wie er in die Datscha kommt, jedenfalls bisher nicht. Ich bin ganz am Anfang dieser Liebesgeschichte, die Gontscharov nicht mit der ersten Begegnung der beiden Liebenden, sondern mit den dadurch verursachten Verwandlungen Oblomovs beginnen lässt, diesmal, wie ich finde, ein gelungene romantechnische Überraschung, die eine weitere Steigerung der durch Stolz verursachten Veränderung bedeutet.

    Mit Stolz bin ich noch nicht so ganz klar, einerseits teile ich deine Meinung, Zefira, dass er ein problematisches Selbst- und Weltbild hat, das Oblomov auch in seiner trägen Art sehr gut durchschaut. Auf der anderen Seite bringt er die Geschichte voran, genauso wie Menschen seines Schlages damals die Gesellschaft zumindest wirtschaftlich voranbrachten. Allerdings hat nicht er, sondern eher Oblomov, die "tiefen Blicke", von denen Goethe spricht.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich habe gerade die Trennungsszene gelesen, die zwar wirklich zum Heulen traurig ist, andererseits aber auf den Punkt bringt, dass Oblomow keineswegs bloß ein auf dem Sofa wachsendes Gemüse ist, sondern ein tief empfindender, fein gezeichneter Charakter.


    Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ja "ein Oblomow" gern runtergebrochen auf das, was man heute Couchkartoffel nennt. (Ich habe in einem anderen Forum einen Bekannten, der seinen dicken faulen Kater Oblomow genannt hat.)


    Und nun beginnt sich eine Liebesgeschichte ganz anderer Art abzuzeichnen.

  • Bin mittendrin in der Liebesgeschichte. Die Datsche wurde Oblomov durch Olgas Tante vermittelt, die mit Olga direkt daneben wohnt oder gegenüber. Aber das hast du sicher schon nachgeschlagen, Zefira.

    Die Schilderung des Sichverliebens der beiden - zwei, die nicht dazu geschaffen wurden, sich zu verstellen - ist Gontscharov sehr einfühlsam gelungen. Auch schön, wie zunächst Oblomovs Idealbild einer Ehefrau gezeichnet wird, das viel mit einem gemütlichen, nicht zu heißen, aber auch nicht zu kalten und sehr zuverlässigen Heizkissen gemeinsam hat und dann die erwachende Leidenschaft, die eigentlich beiden - weder Oblomov noch Olga - nicht zu entsprechen scheint, gezeichnet wird.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Ich bin inzwischen schon bei der Wiederbegegnung Olgas und Stolz' (Stolzens) und jetzt passiert zwischen den beiden einiges, was mich unvernünftig ärgert und aufwühlt. Wie sich Stolz da wundert, dass Olga ihn mit Fragen löchert, obwohl er sie doch angemessen mit Blumen und Alben "versorgt" hat, so dass sie zufrieden sein müsste ... welch ein Kerl! Gut, dass sie ihn trotzdem nicht in Ruhe lässt.

    Und wie er ihr jetzt vehement einredet, dass sie für Oblomow ja eigentlich gar keine Liebe empfände ...

    Ich kenne das Buch ja eigentlich, kann mich aber nicht erinnern, dass mich die Erstlektüre so "mitgenommen" hat. Vielleicht habe ich es auch damals gar nicht ausgelesen.

  • Ich bin gerade über eine interessante Randbemerkung gestoßen. In meiner Ausgabe weißt der Übersetzer an einer Stelle darauf hin, dass Calebs den Typ ergebener Diener in den Romanen Walter Scotts und William Godwins beschreibt. Sind die beiden Autoren zufällig jemand aus dem Forum bekannt?

  • Die Liebesgeschichte zieht sich hin. Mir wird's allmählich zuviel. Bin jetzt in II, 10 und gerade verfällt Oblomov nach einer durchwachten Nacht der Ernüchterung, mal sehen, was es damit auf sich hat.
    Scott und Godwin sind vielen hier im Forum ein Begriff, aber wen meinst du mit Calebs, DerFuchs? Mir ist eine solche Person bisher nicht in dem Roman begegnet, nur Sachar, der zwar einerseits ein ergebener Diener seines Herrn, andererseits aber auch dessen Quälgeist, Spiegelbild und Fluch darstellt.

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Die Liebesgeschichte zieht sich hin. Mir wird's allmählich zuviel. Bin jetzt in II, 10 und gerade verfällt Oblomov nach einer durchwachten Nacht der Ernüchterung, mal sehen, was es damit auf sich hat.
    Scott und Godwin sind vielen hier im Forum ein Begriff, aber wen meinst du mit Calebs, DerFuchs? Mir ist eine solche Person bisher nicht in dem Roman begegnet, nur Sachar, der zwar einerseits ein ergebener Diener seines Herrn, andererseits aber auch dessen Quälgeist, Spiegelbild und Fluch darstellt.

    Das ist ist keine Person aus den Roman. Es geht um Sachar, über den gesagt wird, dass er so gar nicht den Typ "Calebs" also der Dienerfigur aus den Romanen von Scott und Godwin entspricht.

  • Danke für die Aufklärung.

    Von Scott kenne ich "Das Herz von Midlothian" und den "Ivanhoe", kann mich aber bei den beiden nicht an einen Diener namens Caleb erinnern. Bisher habe ich nur über Godwin, aber nichts von ihm gelesen. Godwin hat ja wohl einen Roman mit diesem Namensträger geschrieben.

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  • Ein Diener namens Caleb spielt eine Rolle in der "Braut von Lammermoor". Ich kenne den Roman nicht (nur die Oper), aber eben habe ich mal bei Gutenberg den Anfang des 9. Kapitels überflogen. Darin kommt ein Dialog vor, aus dem deutlich wird, was mit dem "Typus Caleb" gemeint ist.

    »Und ich sage,« sprach Ravenswood, sich langsam erhebend, »daß mir an nichts so wenig liegt. Wessen Hunde kommen so nahe zu uns?«

    »Die des edlen Lords Bittlebrains,« antwortete Caleb, der nach dem ungestümen Laird von Bucklaw in das Schlafgemach seines Herrn getreten war, »und in Wahrheit ich weiß nicht, was für ein Recht sie haben, innerhalb der Gemarkung von Ew. Herrlichkeit Freijagd zu heulen und zu bellen.«

    »Ich auch nicht, Caleb,« versetzte Ravenswood, »außer daß sie die Gemarkung sammt dem Jagdrecht gekauft haben, und sich für berechtigt halten mögen, das zu genießen, was sie mit ihrem Geld bezahlt haben.«

    »Das mag so sein, Mylord,« versetzte Caleb; »aber es ist nicht schön von ihnen, daß sie hierherkommen, und ein solches Recht ausüben, während Ew. Herrlichkeit auf seinem eigenen Schlosse Wolf's Crag wohnet. Lord Bittlebrains thäte wohl, daran zu denken, was seine Vorfahren gewesen sind.«

    Dieser Dienertypus, der mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr Klassenbewusstsein mitbringt als sein Herr, pflanzt sich durch die ganze englischsprachige Literatur fort, bis hin zu Maugham - ich meine mich an eine solche Figur in Maughams Erzählungen zu erinnern, da war er allerdings schon eine eher komische Gestalt.

    By the way - was bedeutet eigentlich die Abkürzung Ew, weiß das jemand? "Ehrenwert" kann es doch wohl nicht heißen, das gäbe ja grammatisch keinen Sinn.


    ps. Hab's schon gefunden, es ließ mir keine Ruhe:

    Das in formellen Schreiben der Zeit um 1900 noch oft zu findende »Ew.« (in »Ew. Majestät«, »Ew. Magnificenz«, »Ew. Wohlgeboren« usw.) ist übrigens eine alte Abkürzung für »Eure« oder alternativ »Euer«.

    Quelle: Titularen und Anreden in Deutschland um 1900




  • Der Butler wird ja nicht "ew" gesagt haben.

    Mir war spontan "ehrenwerte Herrlichkeit" in den Sinn gekommen, weil es ja im Englischen die Abkürzung "Hon." für "honorable gibt. Ich glaube, im britischen Parlament sagt man das heute noch, gleich nach dem "ooooorder". :D:D

  • Ich bin quasi auf der Zielgeraden im 8. Kapitel des letzten Teils. Die eingehende Darstellung der Stolz-Olga-Ehe langweilt mich zusehends.
    Oblomow dagegen scheint völlig heruntergekommen zu sein. Wenigstens hat er jetzt Tarantjew hinausgeschmissen, der in Zusammenarbeit mit dem "Brüderlein" auf dem besten Wege war, ihn bis aufs letzte Hemd auszunehmen. Ich fürchte trotzdem, dass es mit ihm kein gutes Ende nimmt.

  • Leider musste ich mal wieder eine Pause einlegen. Nachdem mich das Hin und Her der Liebesbeziehung zwischen Oblomov und Olga zusehends nervte, tauchte nun zu Beginn des dritten Teils wieder Tarantjev auf, noch penetranter als in der ersten Szene mit ihm. Du schreibst ja auch, Zefira, dass er kaum zu ertragen ist. Ich habe jetzt erstmal einen Krimi dazwischengeschoben, bevor ich mich seelisch für Tarantjev gewappnet fühle, auch auf die Gefahr hin, dass ich dann wieder alleine zu Ende lese wie beim Cervantes :lesen:.
    Es scheint ja auch nur alles noch elender zu werden, worauf man allerdings ja auch gefasst sein musste.

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    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Erzähl mal im entsprechenden Faden, welchen Krimi Du liest und ob er gut ist. Ich hatte jetzt hintereinander drei aus der Onleihe, einen richtig guten und zwei sehr mäßige, von denen ich mir viel mehr erwartet hatte ...

  • Ich bin inzwischen durch und habe auch gleich das Nachwort von Rudolf Neuhäuser gelesen, in dem es heißt, dass sich die Lesart des Romans durchaus gewandelt hat, was die Einschätzung der Hauptcharaktere angeht. Neuhäuser arbeitet einige interessante Parallelen zu Goethes Faust heraus und versucht nachzuweisen, dass der tief religiöse Gontscharow mit Oblomow den Typus eines kontemplativen Gläubigen schaffen wollte, dessen beschauliches Leben eines Tages stillsteht, "ohne Schmerz und ohne Aufhebens".

    Was Stolz betrifft, zitiert Neuhäuser einen Brief Tschechows aus dem Jahr 1889, in dem Stolz folgendermaßen charakterisiert wird: "... eine durchtriebene Bestie, die sehr hoch von sich denkt und mit sich zufrieden ist."

    Es ist allerdings merkwürdig, wie Stolz seinen Freund bei jedem seiner Besuche, kaum dass er durch die Tür getreten ist, zu schulmeistern anfängt - auch wenn es aus seiner Sicht berechtigt, ja unbedingt nötig sein mag -; so geht man normalerweise mit gleichaltrigen Freunden nicht um.

  • Seit einigen Tagen lese ich wieder, habe die tatsächlich abgrundtief traurige Trennungsszene zwischen Olga und Oblomov hinter mir und treffe nun Oblomov nach monatelanger Depression wieder munter und näher angeschlossen an Agafja Matwejewna an. Hier ist er seiner Art nach am besten aufgehoben. Agafja ist eine echte "Kümmerin", die sich in der Dienerrolle gefällt, ihn nur verwöhnen will und keine Ansprüche an das Leben stellt wie Olga.
    Olga selbst tut mir leid. Wie schrecklich muss es für Frauen wie Olga in dieser patriarchalischen Gesellschaft gewesen sein, wo man nur durch die "richtige" Heirat ein wenig Einfluss auf seinen Lebensweg nehmen konnte und daher im Ehepartner nicht nur den Geliebten, sondern auch die einzige Hoffnung auf persönliche Selbstverwirklichung suchen musste.
    Dass sie dann mit Stolz, wie du oben schreibst, Zefira, vielleicht auch einen Griff ins Klo gemacht hat, kann ich mir durchaus vorstellen. Oblomov hätte ihr keinen aussichtsreichen Wirkungskreis in Aussicht stellen können, aber sie nicht unterdrückt.

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  • Auch ich bin jetzt durch.

    Die letzten 200 Seiten haben mir gut gefallen und ich bin entsprechend schnell durchgekommen.


    Stolz sehe ich nicht so negativ wie du, Zefira. Sicherlich ist er schrecklich von sich eingenommen und seine Sicht der Beziehung zwischen Olga und Oblomov ist dementsprechend, aber immerhin gibt er Olga wenigstens in Ansätzen die Umgebung, die ihr wacher Geist braucht. Ich finde, dass Gontscharow sehr ausgewogen und differenziert die Licht- und Schattenseiten der Hauptpersonen darstellt, bis auf Olga, die ja wie ein Ideal erscheint, wie auch Neuhäuser in seinem Nachwort schreibt. Oblomovs Schicksal betrauern wir Leser, weil er so sympathisch dargestellt wird, obwohl ja eigentlich dazu gar kein Anlass besteht. Was eigentlich ist denn so rein an seiner Seele? Er durchschaut die Petersburger Gesellschaft, das zeigt eher seine Klugheit, aber er kümmert sich um nichts, lässt die Beziehung zu Olga aus Faulheit schleifen, zieht sie dann durch seine Versicherungen unnötig in die Länge und ist zwar wohl charmant, aber im Wesentlichen ein verantwortungsloser Faulpelz, der für die von ihm Abhängigen keinen Finger krumm macht. Er sieht sich zwar ehrlich und macht sich nichts vor, aber ändern tut er deshalb nichts. Und das ist eine Masche - die ich selbst auch oft drauf habe - nach dem Prinzip: Und ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert.


    Stolz dagegen ist der Macher, der vor der Ruhe flieht, weil sie ihn vielleicht zur Reflexion über seine besinnungslose Hast durchs Leben veranlassen könnte. Ich finde, dass der Hinweis Neuhäusers auf die "Ennui" und Depression, die den modernen, aus der festen religiösen Orientierung entlassenen Menschen befällt, wenn er über genügend selbstbestimmte Zeit verfügt, eine sehr sinnvolle, die Zeiten übergreifende Interpretation des Romans ermöglicht. Und sie passt auch noch wunderbare in unsere Zeit, denn was machen wir anders, als vor der Sinnfrage in den Konsum, in einen vollgestopften Freizeitterminkalender zu fliehen? Ob man dabei zum modernen Oblomov in Form einer Couch-Kartoffel mit Serienkonsum wird oder ein moderner Stolz ist, der nach dem Job vom Fitnessstudio zum Ökotreff und von da zu allen möglichen Kulturveranstaltungen hastet, das sind nur Varianten des Stils unserer Zeit.
    Der beste Mensch in diesem Roman ist für mich Agafja Matwejewna, die ihr Leben völlig ohne Hintergedanken in Oblomovs Dienst stellt. Allerdings heißt das nicht, dass ich das gut finde.


    Im Nachhinein muss ich sagen, dass mir die Lektüre auch beim zweiten Mal viel gebracht hat. Ich habe den Roman davor 1987 gelesen und konnte mich weder an irgendeine Szene noch meine Meinung zu dem Buch erinnern. Beim Reread habe ich einige Male das Buch aus der Hand legen müssen, weil ich mich sowohl bei einigen Beschreibungen von Oblomov als auch von Stolz ertappt fühlte …. .

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)