Oktober 2003: Dos Passos - U.S.A

  • Hallo zusammen,
    hallo Emma,


    ist es nicht so, dass Mac tatsächlich nichts tut um weiterzukommen, und das J. W., der ja auch aus kleinen Verhältnissen kommt, etwas erreicht, weil er sich bemüht (und damit meine ich nicht nur - bemüht um reiche Erbinnen)?


    Bin allerdings noch auf dem 42. Breitengrad. Habt Ihr Euch schon mal über diesen Buchtitel Gedanken gemacht?


    Liebe Grüße von Hubert

  • Hallo Hubert & Co.!


    Soso. Kondome also.
    Zunächst mal habe ich recherchiert:
    Bei Planned Parenthood (Pro Familia in USA) bin ich fündig geworden:


    Zitat

    Rubber condoms were mass-produced after 1844, when Charles Goodyear patented the vulcanization of rubber, which he invented five years earlier. Condoms made of sheep's intestines are still available. They are now disposable and should only be used once. In the 1940s and 50s, they were washed, slathered in petroleum jelly, and kept in little wooden boxes in a bedroom drawer—but they weren't talked about—in front of the kids, anyway.


    The American Social Hygiene Association fought hard to prohibit condom use in the early part of this century. Social hygienists believed that anyone who risked getting "venereal" diseases should suffer the consequences, including American "dough boys"—U.S. soldiers who fought in World War I. The American Expeditionary Forces, as our army was called, were the only armed forces in Europe during the war who were denied the use of condoms. It is not surprising that our troops had the highest rates of sexually transmitted infections of all—70 percent of our "boys" were just unable to "just say 'no.'"


    The Secretary of the Navy was only one of many military leaders who believed that condom use was immoral and "unChristian." It was a young Assistant Secretary of the Navy, Franklin Delano Roosevelt, who, when his boss was away from the office, ordered the distribution of prophylactic kits to help sailors treat infections that they could have prevented with condoms.


    Quelle: http://www.plannedparenthood.org/articles/condomhistory.html


    Das erklärt doch, warum die Seeleute und Soldaten alle solche Probleme haben. Und was J.W. und seine Abenteuer in Atlantic City angeht, da wird es noch eine kleine Enttäuschung in Hinblick auf Empfängnisverhütung geben...


    Doch nun zur interessanten Frage

    Zitat

    (Woher ich das weiss? ) Woher? Erzählen?


    In der Zeit kurz nach dem ersten Weltkrieg, so erzählte es mir die Zeitzeugin meines Vertrauens, damals ein Grundschulkind, hingen bei Ihrer Tante in der "Guten Stube", die nur am Sonntag betreten wurde (wenn überhaupt) merkwürdige Dinge zum Trocknen aufgespannt, längliche Säckchen unbestimmbarer Verwendung. Sie traute sich aber nicht die Tante zu fragen. Als sie ihre Mutter danach fragte gab die eine merkwürdige Antwort. Jahre später erklärte ihr die Mutter, dass es sich um Kondome gehandelt habe, wohl die oben erwähnte waschbare Sorte. Die Mutter hatte übrigens nach der Entdeckung ihrer Tochter auch dafür gesorgt, dass Ihre Schwägerin das Trocknen an einem unzugänglicheren Ort vornahm...


    Gruß
    Atomium

  • Hi zusammen,
    hallo Hubert,


    Zitat

    weil er sich bemüht (und damit meine ich nicht nur - bemüht um reiche Erbinnen)?


    *ggg*


    ja, vielleicht ist Moorehouse wirklich aktiver, aber vielleicht hatte er auch einfach den besseren Start ins Leben von beiden.
    Ich finde nämlich schon, dass Mac sich bemüht sein Leben in die Hand zu nehmen, am Anfang zumindest. Er beginnt ja zunächst bei seinem Onkel zu arbeiten, da kann er aber nicht mehr weitermachen, weil dieser sein Geschäft schließen muss (weswegen war das eigentlich noch mal genau? Das habe ich beim Lesen in Englisch nicht so ganz mitbekommen. Deswegen weil der Onkel sozialistische Parolen verbreitet???). Dann zieht er mit diesem Bingham los, von dem wird er aber auch nur übers Ohr gehauen. Ich habe das alles eher so empfunden, dass sich Mac zwar jedes Mal bemüht, aber vom Pech verfolgt ist, bzw. seiner Unerfahrenheit zum Opfer fällt. Und solche Leute wie dieser Bingham das gnadenlos ausnutzen. Von dem hätte er ja niemals auch nur einen roten Heller gesehen, oder?


    Ich finde auch, dass es doch noch soziale Unterschiede zwischen der Familie von Mac und der von J.W. gibt. Dessen Vater war ja immerhin stationagent mit einem zwar nicht gerade fürstlichen Einkommen (irgendwann wird ja mal drauf hingewiesen dass der Vater das versprochene Weihnachtsgeld nicht bekommt) aber die Familie ist ja irgendwie damit zurecht gekommen. Dagegen hatte ich während der Einführungsszene von Mac, als seine Mutter gestorben ist und sie dann wegziehen zu einem Verwandten, die ganze Zeit so ein irisches Szenario von früher im Kopf. Wie z.B. bei „Angela’s Ashes“, wo die Familie auch so bettelarm ist und immer auf die Hilfe von reicheren Verwandten angewiesen ist.


    Auch was die schulische Bildung betrifft: Bei J.W. erfährt man, dass er eine public school besucht hat, später sogar die High School abschließt. Es wird gesagt, dass er ein ziemlich helles Köpfchen ist. Bei Mac wird genau mit einem Satz erwähnt, dass er überhaupt zur Schule geht und das scheint auch nur die absolute Grundstufe der Bildung zu sein.
    Ganz allgemein wirkt J.W.’s ganzer Hintergrund auf mich eine Stufe „besser gestellt“ als der von Mac. Vielleicht hat er aus dem Grund einfach bessere Voraussetzungen gehabt als dieser.


    _____________________________


    Ich habe den 42. Breitengrad mal bei Google eingegeben und Google hat auch tatsächlich was ausgespuckt (was wäre man nur ohne?), weiß jetzt aber nicht so genau, ob das etwas damit zu tun haben könnte, weil das die Zeitspanne von 1789 bis 1823 betrifft.


    Es wird gesagt das in dem 1819 geschlossenen Adam-Onis-Vertrag Spanien die amerikanische Expansion an den Pazifik über den 42. Breitengrad akzeptiert und damit auch Florida an die USA abtritt.


    Link: http://www.zum.de/psm/usa/usa4.php


    Vielleicht habt ihr ja noch etwas anderes gefunden, so richtig sicher bin ich mir wirklich nicht, was die Zuordnung zu unserem Buch betrifft,


    Liebe Grüße und bb,
    emma


    P.S. Mensch Atomium, das ist ja 'ne story!! Ich könnte mich über den Boden kugeln :smile:

  • Hallo zusammen,


    Atomium
    :breitgrins: Das ist ja echt eine tolle story :redface: Danke!


    Emma
    Ich sage ja nicht, dass Mac ein Faulpelz ist oder nichts tun will aber im großen und ganzen stimme ich bei meiner Beurteilung über ihn Atomium zu, der weiter obern geschrieben hat:

    Mac lässt sich treiben, wird immer wieder von etwas eingefangen, macht sich aber wieder frei weil er denkt, er hätte ein besseres Ziel gefunden, lässt sich wieder treiben um gleich darauf wieder, wie ein Stück Holz, irgendwo hängen zu bleiben. Es scheint, als habe er immer nur die Antriebsenergie für das Losmachen, aber nicht mehr die Energie für den Weg, und ganz sicher nicht die Energie, am Ziel zu kämpfen.
    Bob Dylan würde sagen: "Like a Rolling Stone" :zwinker:


    Du hast recht, am Anfang hat er etwas Pech. Das sein Onkel die Druckerei zu macht, dafür kann er nichts, aber er hat daraus auch keine Lehren gezogen.


    J. W. ist auch nicht besser gestartet. Als der die Uni besuchen will, erklärt sein Vater: die finanzielle Situation der Familie sei nicht allzu glänzend, die kleinen Geschwister waren krank, die Rate für das Haus fällig ... und John reiste als Buchvertriebsagent durch die Staaten.
    „Es war ein schlimmes Jahr für J.W.M. Er war zwanzig, und er rauchte und trank nicht und hielt sich rein für das reizende Mädchen, das er einmal heiraten würde.“


    Dagegen Mac nachdem er einen Sommer lang für die CPR gearbeitet hatte und dreiundachzig Dollar in einer schweinsledernen Brieftasche besaß fährt mit Ike auf dem Schiff nach Seattle::
    „Sie schlenderten auf dem Deck umher, rauchten Zigaretten, schauten nach den Frauen.“


    Und als sie 2 Mädchen aufgetrieben haben, die aus jedem von ihnen 15 Dollar herausholten, bevor sie sich auszogen:
    „Und als sie es ein paar Mal gemacht hatten, saßen sie alle beieinander um den Tisch und tranken noch einiges mehr und Ike hatte seidene Damenstrümpfe an und tanzte einen Salometanz.“


    Ohne jetzt Moralapostel so spielen, aber da sehe ich schon Unterschiede zwischen den Beiden.


    Er beginnt ja zunächst bei seinem Onkel zu arbeiten, da kann er aber nicht mehr weitermachen, weil dieser sein Geschäft schließen muss (weswegen war das eigentlich noch mal genau? Das habe ich beim Lesen in Englisch nicht so ganz mitbekommen. Deswegen weil der Onkel sozialistische Parolen verbreitet???).


    Die Frau des Onkels erklärt es, nachdem alles zu spät ist: „Didn’t I tell you, Tim O’Hara, no godd’ll ever come with your fiddlin’ round with these godless labor unions and social-democrats and knights of labor, all of ‘em drunk and loafin’ bums like yourself, Tim? Of course the master printers ‘ud have to get together und buy up your outstandin’ paper and squash you, and serve you right too, ---


    Und vorher hatte der kleine Mac schon das –Wort „foreclose“ aufgeschnappt.
    Also: Onkel Tim, der in seiner Druckerei Aufträge der Gewerkschaften zum Selbstkostenpreis durchführte und auf der neuen Druckmaschine als erstes: „Workers of the world unite; you have nothing to lose but your chains“.drucken ließ, war natürlich den anderen Druckereibesitzern ein Dorn im Auge. Also schlossen sich diese zusammen, kauften seine „outstanding paper“ (Wechsel oder Schuldverschreibungen) auf, prolongierten diese aber am Fälligkeitstag nicht, sondern legten sie ihm vor und forderten Zahlung. Da er nicht flüssig war, besoff sich der Onkel sechs Tage lang und meldete dann Konkurs an..


    Dein Link mit dem 42. Breitengrad ist zunächst mal sehr interessant. Unabhängig vom Buchtitel, gibt er aber weitere Rätsel auf, weil Florida ja viel weiter südlicher liegt. Der 42. Breitengrad durchzieht u.a. die Stadt Chicago, die ich eigentlich gar nicht so weit südlich vermutet hätte, wenn man bedenkt, dass auch Skopje (Hauptstadt von Mazedonien) auf dem 42. Breitengrad liegt. Zum Vergleich Brüssel (liegt knapp unter dem 51nd Parallel) und Mönchengladbach (sogar etwas über dem 51nd Parallel) sind also ca. 1000 km nördlicher als Chicago. (51 – 42 = 9 x 60 x 1,85 = 999 km). Hättet ihr das gedacht?


    Viele Grüße


    Hubert


  • Hallo zusammen,
    Hallo Hubert,


    super, vielen Dank für Deine Erläuterung, was sich genau abgespielt hat in dem print shop seines Onkels. Schemenhaft hatte ich mir das auch schon so gedacht, aber was genau passiert ist, verstehe ich jetzt viel besser. Manchmal stoße ich mit dem Roman ganz schön an meine Englischverständnis-Grenzen :redface: vor allem wenn auch noch irgendein slang miteingearbeitet ist.
    By the way, weiß eigentlich jemand, was dieses “fo’c’stle” bedeutet??? Sind das die Kojen? Und wie heißt das Wort im Ganzen?


    Tja, mit Mac und J.W. – in einigen Punkten bin ich schon Deiner Meinung. Vor allem was sein „sich treiben lassen“ und die Richtungslosigkeit seines Lebens betrifft. Das ist bei ihm natürlich deutlich zu erkennen und auch nicht zu leugnen. Nur die Gründe, die dahin geführt haben, die sehe ich einfach anders. Mir fällt es schwer, Macs ziellose Lebensführung unter anderem damit zu begründen, dass er z.B. im Gegensatz zu Moorehouse raucht und trinkt. Ob jemand raucht oder nicht (vor allem in dieser Zeit, in der noch nicht auf jeder Zigarettenpackung „Rauchen lässt Ihre Haut vorzeitig altern“ etc. stand :zwinker: ) ist doch eher individuell zu sehen und hat gar nichts mit seiner Einstellung zum Leben zu tun. Das Trinken ist da schon eine andere Sache, aber hier bei Mac kommt mir sein Trinken doch wenn schon eher als ein Resultat seiner Hoffnungslosigkeit bezüglich eines besseren Lebens vor als etwas, das dazu geführt hat, dass er so lebt wie er lebt.



    Was sein Pech in beruflicher Hinsicht betrifft...Du schreibst:

    Zitat

    Das sein Onkel die Druckerei zu macht, dafür kann er nichts, aber er hat daraus auch keine Lehren gezogen.


    Ich meine, was hätte Mac aus der Pleite seines Onkels lernen sollen? Dass es sich finanziell nicht lohnt sich für die ausgebeuteten Arbeiter einzusetzen?



    ...und die familiäre Situation:
    Ich hatte ja oben bereits gesagt, dass es J.W.s Familie bestimmt nicht immer gutging - er konnte vielleicht nicht die Universität besuchen, aber immerhin hat er vorher bereits eine bessere Bildung erhalten als Mac. Moorehouse sehe ich einfach deutlich eher der bürgerlichen Schicht zugehörig, während Mac der Arbeiterschicht viel näher ist.



    Wie Atomium weiter oben schreibt, vertritt Dos Passos zu dieser Zeit tatsächlich noch eine sozialistische Einstellung. Da wäre es doch merkwürdig wenn er es so darstellen wollte, als sei Mac selbst an seinem ganzen Unglück Schuld. Um das genauer zu klären, ist es vielleicht auch hilfreich, Sekundärliteratur miteinzubeziehen, die auch die Autorintention berücksichtigt. In Linda W. Wagner’s Dos Passos - Artist as American heißt es dazu unter anderem:

    Zitat

    „Mac [...] remains the prototype of the disadvantaged but ambitious American.“


    und an einer anderen Stelle:

    Zitat

    „Dos Passos’ interest in Mac might better be seen as an outgrowth of his realization that the familiar American success story was sheer bunk. […], the American myth that any person could become successful was not only misleading; in the present national economic circumstances, it was tragically false. Not every poor child grew up to financial wizardry or even financial stability. […] By creating Mac’s story, Dos Passos had many of the elements for just such a success story. When the poor Scotch-Irish boy loses his mother and starts for a new life in Chicago with his unemployed father, uncle, and little sister, we see the rags-to-riches plot begin to develop. Instead, in Dos Passos’ telling, it becomes a rags-to-rags story, with the addition of a labor-agitator uncle whose philosophy might seem to provide an answer, except that his own life – and that of Mac himself – is hardly “successful” on any terms.”


    Im Buch selbst kommt durch die Aussage von Mac’s Onkel Tim auch sehr deutlich zum Ausdruck, wer die Schuld an der ganzen Misere trägt:

    Zitat

    „it ain’t your fault and it ain’t my fault...it’s the fault of poverty, and poverty’s the fault of the system...that don’t give a man the fruit of his labor...The only man that gets anything out of capitalism is a crook, an’ he gets to be a millionaire in short order…But an honest workin’ man like John or myself we can work a hundred years and not leave enough to bury us decent with…And who gets the fruit of our labor, the gaddam businessmen, agents, middleman (wie z.B. J.W. Moorehouse??) who never did a productive piece of work in their life.” (The 42nd Parallel, S.28 in der Penguin Ausgabe)


    Und die sechs Tage Dauersuff beginnt er auch erst nachdem klar ist, dass der Laden nicht mehr zu retten ist. Ich lese hier die Ausführungen von Mac’s Onkel eigentlich als ein Statement Dos Passos’, besonders wenn man eben seinen politischen Hintergrund zu der Zeit berücksichtigt.


    Dass das letztendlich zu einem Motivationsverlust bei Mac führt finde ich dann eigentlich auch nicht mehr verwunderlich...wenn man sich abstrampelt, ohne dass das schließlich zu einer Verbesserung seines Lebens führt, ist doch die Resignation vorprogrammiert.


    __________________________


    Deine Infos zu den Breitengeraden sind ja spannend. Woher hast Du denn diese Berechnungsformel? Oder ist das etwas was man im Geographieunterricht gelernt haben sollte??? *peinlich*


    Ich habe außer dem Link aber gestern noch etwas anderes zu dem Titel gefunden. Dabei soll sich The 42nd Parallel auf den Weg entlang des Breitengerades beziehen, den die ambitionierten Protagonisten der fiktiven Geschichten aus dem Streben nach Erfolg heraus von Westen oder Mittelwesten nach Osten (New York) zurücklegen und damit dem Weg der Stürme folgen, die ungefähr demselben Weg über das Land hinweg folgen.
    Dos Passos hatte wohl im Manuskript eine klimatologische Erklärung in einer Randbemerkung angefügt:

    Zitat

    „alternate areas of high and low pressure...orming slightly north of the Canadian border, frequently in the vicinity of Medicine Hat…cycloni disturbances…Blizzards in winter sweeping east and south following a well-defined track approximately along the 42nd parallel.”


    So, das war das Wort zum Sonntag. :smile: In der nächsten Woche werde ich wahrscheinlich nicht dazu kommen, mich weiter mit Dos Passos zu beschäftigen, wird zeitlich etwas turbulent. Ich wünsche Euch aber noch viele neue Erkenntnisse und werde mich bald wieder einklinken. Schöne Vorweihnachtszeit und liebe Grüße,


    emma

  • Hallo Emma, hallo zusammen,


    Fo'c'stle heisst "Forecastle" und ist nautisches Englisch. Es heisst Logis oder auch Vorschiff. (Ich wusste es auch nicht, besitze aber zum Glück einen Harper/Collins EN/DE, den ich nur empfehlen kann.)


    zu MAC: Dein Zitat über die Amerikanischen Karrieren finde ich sehr interessant: rags-to-rags statt rags-to-riches.
    Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher.


    Bemerkenswert ist doch, dass es Mac dann am besten geht, als er (vermutlich) durch das Verlassen seiner Familie dafür gesorgt hat, dass es der nächsten Generation auch nicht besser gehen wird und er in Mexico-Stadt als bourgeoiser Buchhändler lebt. Interessant ist hier auch, wie das Buchmotiv immer wieder aufgegriffen wird, um Macs Weg zu beschreiben. Vom Vertreter von Liebesromanen für die Dame und erotischen Romanen für den Herrn über den Besucher von Leihbibliotheken, der kommunistische Standardwerke verschlingt, bis hin zum Buchhändler. Allerdings dauert das Glück nur kurz an, dann muss er Mexiko-Stadt verlassen und wir erfahren nicht, wie die Geschichte weitergeht. Ich habe mittlerweile mit dem 3. Band begonnen und Mac ist noch nicht wieder aufgetaucht.


    Wenn man die Theorie rags-to-rags verfolgt, und sie erscheint mir gut zu belegen, dann ist das Verlassen der Familie und damit die Vekleinerung wenn nicht Zerstörung der Chancen der Kinder nur konsequent. Damit wäre auch die schlechte Beziehung zu Maisie ein Baustein in dem Bauwerk USA, in dem er es nicht weiter bringen kann. Maisies Ansprüche führen dazu, dass Mac keine Rücklagen bilden kann und von Krankheiten oder dem Tod des Vaters aus der Bahn geworfen wird.


    Interessant finde ich auch, dass nur kinderlose Frauen als gute Partnerinnen dargestellt werden. Bei Mac ist das die junge Frau aus Mexiko-Stadt, für J.W. Moorehouse seine Sekretärinnen Miss Rosendahl und Janey sowie seine Muse E.
    Sowie Frauen Kinder bekommen, werden sie zum Problem. J.Ws zweite Frau wird leidend und erotisch uninteressant, Maisie wird nervtötend mit ihren Forderungen, Anne-Elisabeth störend mit ihren Wünschen nach einer gemeinsamen Zukunft.


    Dos Passos wiederholt auch an mehreren Stellen, dass der wahre Kämpfer für die sozialistische Sache allein bleiben muss. Nur ist das ähnlich realistisch wie die tatsächliche Einhaltung des Zölibats. - Übrigens eine interessante Parallele: Sozialismus als Ersatzreligion.


    Was mich stört? Die Freiheit, die Fortpflanzung selbst bestimmen zu können, wird nicht als Recht wie die Rechte der Arbeiter erkannt. Dabei ist dieses Recht, wie man im Buch sieht, für die Wohlfahrt der Arbeiterklasse mindestens genauso wichtig. Doch das hatte die Sowjetunion ja am Ende ihrer Tage auch noch nicht wirklich begriffen. Abtreibungen waren leider häufiger als der Zugang zu funktionierenden Kontrazeptiva.


    Zum 42. Breitengrad:

    Zitat

    12) Außenpolitisch: Kontinentaler Interessenausgleich mit Spanien
    Florida wird im Adam-Onís-Vertrag 1819 an die USA abgetreten. Spanien akzeptiert amerikanische Expansion an den Pazifik über dem 42 Breitengrad; USA erkennen spanischen Besitz im Südwesten an (Texas und Mexiko: Problem jedoch für Spanien: Unabhängigkeitskriege. Spanien verliert 1821 Mexiko => Mexikanischer Präsident setzt 1835 Verfassung Texas außer Kraft => Texanische Revolution) Hintergrund für Monroe-Doktrin; Amerikanischer Kontinent verwahrt sich gegen Rekolonialisierung. (Selbständigkeit: 1810 Ecuador & Kolumbien, 1811 Paraguay. Venezuela, 1813 Rio de la Plata, Uruguay usw.) Realität sah anders aus: "Die lateinamerikanischen Nationen wußten nur zu gut, dass, wenn etwas ihre Unabhängigkeit bewahren helfen konnte, es die britische Kriegsmarinen und nicht die Erklärung Monroes war." (Dippel) Monroe-Doktrin aber Ausdruck gewachsenen Amerikanischen Selbstbewusstseins.


    Quelle: http://www.zum.de/psm/usa/usa4.php


    Der 42. Breitengrad war also eine Zeitlang auch die Grenze zwischen dem bereits unabhängigen Amerika und dem noch kolonialen Mexiko, das das heutige Kalifornien und Texas mit einschloss. Vielleicht auch ein Symbol für die Befreiung von Unterdrückung?


    1919


    AM 18. Januar 1918 beginnt in Paris die Friedenskonferenz.



    Hier sind noch interessante Links, z. B. zu Colonel House:


    http://www.nv.cc.va.us/home/ce…iplomats/House/House.html

    Zitat

    "at last, Mrs. Wilson heard her husband's door open and Colonel House take his leave. 'I opened the door connecting our rooms. Woodrow was standing. The change in his appearance shocked me. He seemed to have aged ten years. Silently he held out his hand which I grasped crying 'what is the matter? What has happened?' He smiled bitterly. 'House has given away everything I had before won before we left Paris'." (A)
    COLONEL HOUSE AND GERMANY'S WESTERN BORDER

    What brought about this traumatic scene? Woodrow Wilson had left Paris and the Paris Peace Conference from February fourteenth to March fifteenth, leaving Colonel Edward House in charge of the American delegation. Wilson made his dramatic response to his wife after being informed by House of what had happened while Wilson was gone. What did House do to make Wilson feel this way, what decisions had he made? House later claimed that he had tried to set the stage for Wilson to return and conclude all outstanding issues at the conference and that he, House, had no intention of finalizing any particular aspects of the treaty, such as the Franco-German border. But House had done enough to cause Wilson to feel that he had to redo everything.


    Ich habe mich lange gefragt, warum der zweit Band einer USA-Trilogie zu einem Großteil in Europa spielt. Eine Erklärung ist, dass dies der erste Auftritt der USA als Weltmacht war. Sicher, die USA haben viele Kriege geführt und gewonnen. Aber mit ihrem Einsatz im WELTkrieg wurden sie zur WELTmacht.


    So, genug,
    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen,


    „Der 42. Breitengrad“ liegt hinter mir und ich wende mich nun „Neunzehnhundertneunzehn“ zu. Da ihr, Emma und Atomium, ja schon viel weiter seid (Emma Band 2?;Atomium Band 3), müsste ich mich einerseits beeilen, andererseits, will ich aber Sandhofer nicht zu weit davon eilen. Deshalb meine Bitte an alle, kurz die eigene Standortbestimmung in der Trilogie anzugeben. ???


    Emma hat gepostet:
    Tja, mit Mac und J.W. – in einigen Punkten bin ich schon Deiner Meinung. Vor allem was sein „sich treiben lassen“ und die Richtungslosigkeit seines Lebens betrifft. Das ist bei ihm natürlich deutlich zu erkennen und auch nicht zu leugnen. Nur die Gründe, die dahin geführt haben, die sehe ich einfach anders.


    Dos Passos wäre kein guter Autor, wenn er die Gründe schon deutlich vorgegeben hätte. Sicher gibt es verschiedene Gründe und noch mehr Sichtweisen die zu Macs Erfolglosigkeit? führen? Und um der Diskussion willen, bin ich ja auch sehr froh, dass Du das anders siehst.


    Mir fällt es schwer, Macs ziellose Lebensführung unter anderem damit zu begründen, dass er z.B. im Gegensatz zu Moorehouse raucht und trinkt. Ob jemand raucht oder nicht (vor allem in dieser Zeit, in der noch nicht auf jeder Zigarettenpackung „Rauchen lässt Ihre Haut vorzeitig altern“ etc. stand ) ist doch eher individuell zu sehen und hat gar nichts mit seiner Einstellung zum Leben zu tun. Das Trinken ist da schon eine andere Sache, aber hier bei Mac kommt mir sein Trinken doch wenn schon eher als ein Resultat seiner Hoffnungslosigkeit bezüglich eines besseren Lebens vor als etwas, das dazu geführt hat, dass er so lebt wie er lebt.


    Macs „ziellose Lebensführung“ begründe ich auch nicht damit, dass er raucht und trinkt, ich habe das nur angeführt um zu zeigen, dass es Unterschiede zwischen Mac und J.W. gibt, und die haben nichts mit der Ausbildung oder Herkunft zu tun, sondern mit der Lebenseinstellung. Ich glaube auch nicht, jetzt nach dem 8. Mac-Kapitel (und wahrscheinlich taucht er auch nicht mehr auf), dass Mac ein Verlierer ist. Im Gegenteil, er hat m.M. nach mehr Glück als J.W.:


    MAC: „So Mac found himself running a bookstore …. . It felt good to be his own boss for the first time in his life. Concha, …, was delighted. She kept the books and talked to the customers so that Mac didn’t have much to do but sit in the back and read and talk to his friends.


    J.WARD: “Then one evening J.W. looked very worried indeed and said when he was taking her home ….. that his wife didn’t understand their relations and was making scenes and threatening to divorce him.”


    Also, wer ist hier der Verlierer: Mac ist sein eigener Chef, seine Lebensgefährtin, eine junge, feurige Mexikanerin, nimmt ihm mit Begeisterung jede Arbeit ab, so dass er genügend Zeit hat zum Lesen und für seine Freunde. Was will „Mann“ mehr? Hoffnungslosigkeit kann ich jedenfalls nicht erkennen. J.W. dagegen, mit einer älteren, kranken Frau verheiratet, die ihn jederzeit finanziell ruinieren kann, da seine Firma nur mit dem Geld der Schwiegermama läuft?.- Und im Gegensatz zu Mac, dem alles ohne Anstrengung in den Schoß gefallen ist, bemüht er sich ohne Ende. Als Beispiel für die Unterschiede der Beiden, die Party die Ben und Mac für J.W und Barrow geben, als J.W. nach Mexiko kommt:


    Mit Frauen wollen Ben und Mac den „big contact man from New York“ für sich (und ihre Ideen) gewinnen („Concha bring a couple of friends, nice wellbehaved girls not too choosy, like she knew), (sie schließen also von sich auf andere) aber „The party at Ben’s didn’t come off so well. J. W. Moorehouse didn’t make up to the girls as Ben had hoped.” Und als sich J.W. ins Hotel verabschiedet um noch zu arbeiten:
    „After that the party was not so refined. Ben brought out a lot mor cognac and the men started taking the girls into the Bedrooms and hallways and even into the pantry and kitchen.” (Boris und Dieter lassen grüßen).
    Es ist also keineswegs so, dass J.W. auf Grund besserer Voraussetzungen (Herkunft, Ausbildung) mehr erreicht als Mac, sondern J.W. bemüht sich noch und noch und kommt auf keinen grünen Zweig, aber Mac, der sein Leben mit Saufen und Huren verbringt (ich übertreibe absichtlich ein bisschen), hat alles Glück der Welt.? (Wenn ich nicht schon 2 mal Math. 6 in den letzten Tagen zitiert hätte: War Dos Passos eigentlich religiös?)


    Was sein Pech in beruflicher Hinsicht betrifft...Du schreibst: „Das sein Onkel die Druckerei zu macht, dafür kann er nichts, aber er hat daraus auch keine Lehren gezogen“
    Ich meine, was hätte Mac aus der Pleite seines Onkels lernen sollen? Dass es sich finanziell nicht lohnt sich für die ausgebeuteten Arbeiter einzusetzen?


    So wie Du es formulierst, habe ich es natürlich nicht gemeint. Aber ich finde, bevor jemand die Welt verbessert, soll er erst sein eigenes Leben in Ordnung bringen. Ich finde es jedenfalls nicht so toll, wenn Mac seine (schwangere) Verlobte und seine Arbeit in Frisco verlässt um in Nevada eine Zeitung für die IWW zu drucken. Davon abgesehen, hat m.M. nach J.W. den „ausgebeuteten Arbeitern“ mehr geholfen als Mac.


    Wie Atomium weiter oben schreibt, vertritt Dos Passos zu dieser Zeit tatsächlich noch eine sozialistische Einstellung. Da wäre es doch merkwürdig wenn er es so darstellen wollte, als sei Mac selbst an seinem ganzen Unglück Schuld. Um das genauer zu klären, ist es vielleicht auch hilfreich, Sekundärliteratur miteinzubeziehen, die auch die Autorintention berücksichtigt. In Linda W. Wagner’s Dos Passos - Artist as American heißt es dazu unter anderem: ZITAT: „Mac [...] remains the prototype of the disadvantaged but ambitious American.“


    Mit Verlaub, aber Linda W. Wagner irrt, Mac ist weder benachteiligt, noch ehrgeizig, wie ich hoffentlich am Text nachgewiesen habe. Außerdem zeigt Dos Passos selbst in seinen eingeschobenen Biografien, dass Ehrgeizige, egal welcher Herkunft, auch Chancen haben. Zwei Beispiele:


    1. Andrew Carnegie ... clerked in a bobbin factory at $2.50 a week. …. (ca. 20 Zeilen später) Andrew Carnegie became the richest man in the world …


    2. The Electrical Wizard: Edison (sein Vater war Schindelmacher), ging nur drei Monate lang in die Schule, weil der Lehrer meinte, er sei nicht ganz bei Verstand. .... (zwei Seiten später): Das Patentamt hatte alle Hände voll zu tun, um die Patente und geschützten Muster zu registrieren, die er anbrachte. (Also auf Herkunft und Schulbildung kommt es wohl nicht an?)


    Diese eingeschobenen Biografien sind m.M. nach jeweils Meisterwerke. Wie Dos Passos hier auf 2-3 Seiten das wesentliche eines Lebens wiedergibt und es schafft einem auch für Menschen zu interessieren, die man vorher nicht mal dem Namen nach kannte (z.B. Gene Debs oder Bill Heywood waren mir vorher unbekannt): das soll ihm erst mal einer nachmachen. Mein Lieblingssatz aus „The 42nd Parallel“ stammt übrigens auch aus der Carnegie-Biografie: „whenever he made a billion dollars he endowed an istitution to promote universal peace – always – except in time of war.”


    Breitengrade: Woher hast Du denn diese Berechnungsformel?


    Die Breitengrade unterteilen sich jeweils in 60 nautische Meilen und eine Seemeile ist 1,85 km. Also sind es von einem Breitengrad zum anderen 60 x 1,85 km = 111 km und vom 42. Breitengrad zum 51. Breitengrad neunmal soviel also 111 x 9 = 999 km. Zur Probe könnte man auch rechnen: Erdumfang über die Pole: 40.0000 km (da die Pole abgeplattet sind - die Erde ist ja keine exakte Kugel - ist der Umfang hier kürzer als am Äquator) also 40.000 : 360 x 9 = 999,99 km


    Ich habe außer dem Link aber gestern noch etwas anderes zu dem Titel gefunden. Dabei soll sich The 42nd Parallel auf den Weg entlang des Breitengerades beziehen, den die ambitionierten Protagonisten der fiktiven Geschichten aus dem Streben nach Erfolg heraus von Westen oder Mittelwesten nach Osten (New York) zurücklegen und damit dem Weg der Stürme folgen, die ungefähr demselben Weg über das Land hinweg folgen.


    Wow, Supererklärung, das ist es :klatschen: Aus der Klimatologie Amerikas: „...diese generell auftretenden Stürme sind seit jeher für die amerikanischen Meteorologen ein Forschungsobjekt von unerschöpflichem Interesse ... (sie folgen) ... drei Wege oder Bahnen von den Rocky Mountains bis zum Atlantischen Ozean, und die mittlere Trasse fällt ungefähr mit dem 42. Breitengrad zusammen; ...“


    Es ist übrigens nicht uninteressant, die Wege der einzelnen Protagonisten auf einer USA-Karte zu verfolgen.

    In der nächsten Woche werde ich wahrscheinlich nicht dazu kommen, mich weiter mit Dos Passos zu beschäftigen, wird zeitlich etwas turbulent.


    Das geht mir genauso. Ab Dienstag bis Ende der Woche, steht bei mir jeden Abend „Weihnachtsfeier ...“ im Kalender.


    Atomium
    Vielen Dank für Deine Erklärungen zu „fo’c’stle“. (Das hätte ich auch nicht gewusst) und für Deine diversen Links.


    Du hast gepostet:
    Der 42. Breitengrad war also eine Zeitlang auch die Grenze zwischen dem bereits unabhängigen Amerika und dem noch kolonialen Mexiko, das das heutige Kalifornien und Texas mit einschloss. Vielleicht auch ein Symbol für die Befreiung von Unterdrückung?


    1821 vollzogen die mexikanischen Kreolen die Unabhängigkeit vom Mutterland Spanien und 1847, also lange vor MAC & Co. marschieren die USA in Mexiko ein. Ein Jahr später wurde Mexiko von den USA besiegt und verlor damit nicht nur Texas und Kalifornien, sondern auch Arizona, Nevada, Utah und Neu-Mexiko. Dabei reichen Texas, Arizona und Neu-Mexiko sicher nicht bis zum 42. Breitengrad. Kalifornien, Nevada und Utah möglicherweise schon, trotzdem verlief die Grenze zwischen Mexiko und den USA sicher auch vor 1848 nur auf einer kurzen Strecke in der Nähe des 42nd Parallel. Mir erscheint die Erklärung mit den Wegen der Stürme und Protagonisten für den Romantitel deshalb wahrscheinlicher.


    Liebe Grüße von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Nur ein kleines Lebenszeichen von mir - ich bin noch keine einzige Zeile weiter. Irgendwie fehlt mir die Motivation, wenn ich mal 5 min. Zeit habe zum Lesen, mich mit Dos Passos' Anti-Helden herumzuschlagen...


    Mac ist für mich wirklich einer, der sich nur treiben lässt. Er hätte, wenn geografisch woanders aufgewachsen, genau so gut im Kuklux-Clan landen können. Vielleicht ist das ja, was uns Dos Passos vermitteln will?


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    schön, dass Du noch lebst. :zwinker:


    Du hast gepostet:
    Irgendwie fehlt mir die Motivation, wenn ich mal 5 min. Zeit habe zum Lesen, mich mit Dos Passos' Anti-Helden herumzuschlagen...


    Was heißt das? Du hast doch hoffentlich nicht aufgegeben? Meine Frage zielte darauf ab, ob ich mit dem Lesen auf Dich warten soll oder nicht. Wirst Du möglicherweise an Weihnachten oder danach wieder mehr Zeit zum Lesen (von Dos Passos) haben?


    Gruß von Hubert

  • Ne, ne, aufgeben is' nich'! Von Freitag an habe ich dann wieder mehr Zeit - hoffentlich. Aber Dos Passos werde ich weiterhin nur langsam angehen. Er ist mir eine sorgfältige Lektüre wert. Immerhin habe ich bemerkt, wieviel ich vergessen habe seit meiner ersten Lektüre (eigentlich fast alles).


    Wenn Ihr auf mich warten wollt, wird es aber für Euch gaaaaaaaaaaaaaanz langsam voran gehen :breitgrins:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo!


    Ich bin im drittletzten Teil des dritten Bandes angekommen. Aber ich werde wieder vorne beginnen und beim zweiten Lesen die Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen besser nachvollziehen.


    Mir geht es im Leben wie beim Lesen leider so, dass ich mir Namen schlecht merken kann. Wenn dann Nebenfiguren in mehreren Kapiteln auftauchen, tue ich mir oft schwer mit Ihnen.


    Außerdem haben sich viele Fragen ergeben, für die ich Antworten suche.
    Warum spielt der Krieg in so vielen Kapiteln über den Krieg so eine marginale Rolle - beispielsweise?


    Ich werde mich in nächster Zeit aber nur sporadisch melden können,


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen!


    So, wir kommen wieder voran. Mac bin ich (definitiv?) los. Was mich immer noch beschäftigt: Warum diese Figur? Er ist, was in meiner Gegend respektlos ein 'Quartalssäufer' genannt wird, der seine linken Ideale eigentlich nur hat, weil er nicht fähig ist, sich seiner Umwelt zu stellen. So bald etwas nicht rund läuft, läuft er - nämlich davon.


    Überhaupt ist mir auch bei Janey (bzw. ihrem Bruder) aufgefallen: Für Dos Passos (die Amerikaner? nur diese Figuren?) bedeutet Veränderung immer zugleich örtliche Veränderung. Sie können nicht am Ort verändern, wo sie sind. Womit sie letzten Endes gar nichts verändern können - siehe Mac.


    Grüsse


    Sandhofer


    PS. Sind in anderen Ausgaben auch - wie in meinem Pinguin - die 'Camera Eyes' 1 oder 2 Punkt grösser gesetzt?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Ich habe jetzt '42nd Parallel' fertig und stecke so auf S. 400 in 'Nineteen Nineteen'. Meine Meinung zu Mac hat nicht geändert: er ist für mich der absolute Antipathie-Träger des ersten Teils. Wann immer das Leben eine Entscheidung und Durchhalten von ihm verlangt, zögert und schwankt er - und zieht schliesslich den Schwanz ein. Da kommt die Revolution nach Mexico City, und was macht unser Revoluzzer? Er rennt davon, wie alle andern Amis auch. In Vera Crusz will er sich zuerst von seiner Concha trennen und alleine zurück nach USA. Er bringt den Mut nicht auf, gibt sein Ticket zurück und wird wohl den Rest seines Lebens unter der nur oberflächlich weichen, in Wirklichkeit aber stahlharten Knute seiner Mexikanerin verbringen. Was man Dos Passos zu Gute halten muss: Solche Figuren gibt es wirklich, noch heute. Ich habe in Brasilien Dutzende dieser eingewanderten weissen US-Amerikaner und Europäer gesehen, die am zweituntersten Niveau der Gesellschaft mit einer Einheimischen (und unter deren Fuchtel) ums Überleben strampeln, nicht immer in den Grenzen der Legalität ...


    Der zweite Teil von 'U.S.A.' beginnt wider mein Erwarten ja nicht 1919 sondern früher.


    Was mich anfänglich irritierte: Schon zu Ende von Teil 1 treffen sich plötzlich die Hauptpersonen der einzelnen Erzählstränge. Ich hatte zuerst das Gefühl. es wäre doch besser gewesen, wenn dieser aus Trivialfilmen bekannte Trick nicht stattgefunden hätte. Dann habe ich mir überlegt, dass hier das Verhältnis wohl umgekehrt gewesen sein muss: Die Trivialfilme haben von Dos Passos & Co. abgekupfert. Dennoch: Wäre es nicht interessanter gewesen, die USA jener Zeit aus voneinander völlig unabhängigen Quellen kennenzulernen?


    Andererseits hat May den Trick schon in den 1870er Jahren verwendet ...


    Frohe Festtage!


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    ich wünsche Euch allen ein schönes Weihnachtsfest mit besinnlichen Stunden und gemeinsamer Zeit mit den Lieben.


    Bis bald


    emma


    P.S. Ich bin immer noch in 1919 und zwar beim 36. Camera Eye (Penguin Ausgabe S. 534).

  • Frohe Feiertage!


    Pünktlich zum Fest bin ich fertig geworden, damit kann ich mich jetzt wieder anderen Dingen zuwenden. Die Familie freut sich :zwinker: .


    Ich habe im ganzen Buch keine Hauptfigur gefunden, die mir sympathisch ist. Das ist sicher Absicht.
    Die Männer haben fast alle ein Alkoholproblem. Da gibt es nicht nur Quartalssäufer, sondern mindestens zwei Pegeltrinker.
    Ich frage mich, ob das nicht eine Kritik an der Prohibitionspolitik ist, denn wir befinden uns ja mitten in dieser Zeit. Ständig hängt man in Speakeasies rum und geht zum Bootlegger...
    Dos Passos denkt offensichtlich, dass Prohibition nicht zu mehr Nüchternheit führt sondern nur zu mehr Aufwand beim Saufen.


    Die Frauen dieser Männer werden (nach der Geburt der Kinder) schizophren oder frigide.


    Die weiblichen Hauptfiguren lassen sich nur auf die falschen Männer ein. Es gibt im ganzen Buch auch keine gute Beziehung oder Ehe. Vielleicht kann man es auf den Satz bringen "Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen."


    Beim Durchlesen merke ich, dass mein Beitrag nicht gerade die passende Stimmung für den heutigen Tag verbreitet, deshalb höre ich jetzt auf. Ich habe noch weitere Beobachtungen wie diese auf Lager...


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen,


    nachdem ich letzte Woche nicht zum Lesen gekommen bin, befinde ich mich immer noch am Anfang des zweiten Bandes und stelle fest, das ich jetzt gegenüber euch Allen weit zurückhänge. Ich werde versuchen über die Feiertage etwas aufzuholen.


    Ich wünsche Euch allen ein schönes, besinnliches Weihnachtsfest.


    Hubert

  • Hallo zusammen!


    (Hallo Hubert!
    Ich wollte Dich keinesfalls unter Druck setzen. Im Moment habe ich aber Zeit und Musse zum Lesen, und nachdem Mac weg ist, geht's auch schneller vorwärts :zwinker: )


    Fragt mich nicht warum - der Kerl ging mir echt auf den Keks. So absolut wischi-waschi; jetzt verstehe ich, warum die anderen Peanuts den Charly Brown immer so unausstehlich fanden ...


    Sicher sind alle mehr oder weniger Versager; und Probleme mit dem Alkohol und dem anderen Geschlecht haben sie auch.


    Warum sind plötzlich alle Hauptpersonen in Europa, in 1919?


    Ich habe da so meine Theorie:
    Für die US-Amerikaner ist soziale Veränderung offenbar auch immer örtliche Veränderung. Das Pionier-Denken, das zur Erschliessung des Wilden Westens geführt hat, drückt da wohl durch. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts war damit aber Schluss: Amerika war 'erobert'. Den Mexikanern konnte man auch bald nichts mehr abnehmen. (Dos Passos zitiert irgendwo Wilson explizit zu diesem Thema!) Eine ganze Generation wuchs auf, ohne ein Ziel zu haben: die 'Lost Generation'. Hemingway, Faulkner, Fitzgerald, Dos Passos. Der Krieg in Europa gab ihnen die Gelegenheit, doch noch etwas Neues zu erleben. Deshalb dieser Massen-Exodus der Jungen, der Intellektuellen. Die nächste Generation hatte sich dann bereits daran gewöhnt, nichts mehr zu haben, das erforschens- und erstrebenswert gewesen wäre (ausser Geld ...). Die übernächste Generation erforschte dann mit Kennedy den Mond, mit LSD die eigene Psyche. Ich halte es für keinen Zufall, dass unter der (sagen wir mal: ziemlich konservativen) Regierung von Bush jr. plötzlich Mond- und Marsbesiedelung wieder offizielles Thema werden. Der US-Amerikaner kann offenbar Entwicklung wirklich nur räumlich denken. (Im Gegensatz zu Dos Passos' Figuren entwickeln sich z.B. Figuren und Gesellschaft bei Prousts "A la recherche du temps perdu" auf sehr engem Raum: Paris und 2 oder 3 'Aussenstationen'.)


    Ist Euch übrigens auch aufgefallen, dass Dos Passos Sprache und Denkweise seiner erzählenden Partien immer den jeweiligen Hauptpersonen anpasst. V.a., wenn er die Kindheitspartien schildert, fällt das m.M. sehr stark auf. Die kindliche Weltsicht dominiert diese Passagen. Oder wenn er Joe Williams begleitet, und ohne Zögern von Limeys, Frogs und Wops spricht, statt von Engländern, Franzosen und Italienern. Nicht sehr feine Ausdrücke, soviel ich weiss.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen


    Sandhofer hat geschrieben:
    So, wir kommen wieder voran. Mac bin ich (definitiv?) los. Was mich immer noch beschäftigt: Warum diese Figur? Er ist, was in meiner Gegend respektlos ein 'Quartalssäufer' genannt wird, der seine linken Ideale eigentlich nur hat, weil er nicht fähig ist, sich seiner Umwelt zu stellen. So bald etwas nicht rund läuft, läuft er - nämlich davon.


    In meiner Gegend werden bestimmte Alkoholiker als Quartalssäufer bezeichnet, aber ich denke nicht, dass Mac Alkoholiker ist auch wenn er natürlich öfter mal einen säuft. Mit seinen linken Idealen ist es natürlich nicht so weit her, er ist links, weil Vater und Onkel links waren. Warum diese Figur? Dos Passos benutzt Mac m.M. nach, um in seinem „Amerika-Epos“ USA zunächst mal die räumliche Ausdehnung der USA erfahrbar zu machen. Mac geht also zunächst (stellvertretend für die ersten Siedler) vom äußersten Osten der USA über New York und Chicago zur Westküste und dann vom äußersten Norden (kanadische Grenze) über San Francisco nach dem Süden (sogar bis Mexiko). Damit ist die Funktion dieser Person erfüllt und er wird nicht mehr auftauchen?.

    Sind in anderen Ausgaben auch - wie in meinem Pinguin - die 'Camera Eyes' 1 oder 2 Punkt grösser gesetzt


    In meiner amerik. Ausgabe (Signet Classic) sind die Newsreel und die Camera-Eyes größer gesetzt als die Kurzbiographien und die erzählenden Teile. In meiner deutschen Ausgabe ist grundsätzlich alles in gleicher Größe gesetzt, mit Ausnahme einiger Schlagzeilen in den Weltwochenschauen, die unterschiedliche Schriftgrößen, manchmal auch Fettdruck haben.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    So, nun habe ich "Nineteen Ninteen" beendet.


    Mir scheint, dass in diesem Teil die Newsreels und die Camera Eyes zeitlich zusammenfallen mit den Erzählteilen, oder?


    Jedenfalls kommt es mir vor wie ein Puzzle. Teilchen um Teilchen fällt alles an den rechten Ort und findet einen Zusammenhang.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,


    In der Sekundärliteratur (z.B. D. Pizer: „DosPassos’ U.S.A.: A Critical Study) wird die Meinung vertreten es handelt sich bei der Trilogie um eine Collage aus vier gleichwertigen Diskursen (Camera Eye; Newsreel; Kurzportraits historischer Personen; erzählte Lebensläufe fiktiver Figuren). Ich dagegen bin eher der Meinung es handelt sich um einen (oder drei) realistischen/naturalistischen Roman(e), mit modernem Beiwerk (subjektives Camera Eye; collagierte öffentliche Texte in den newsreel; satirische Kurzportraits historischer Personen). Wie empfindet ihr das: Gleichwertige moderne Textarten oder konventioneller Roman mit modernen Zutaten?


    Ich habe mal die einzelnen Textarten untersucht. Neben den 68 Newsreel und den 51 camera eye gibt es 52 Abschnitte mit konventionell erzählten Lebensläufen von 12 Personen und 26 Kurzporträts von historischen Personen (+ 1 Kurzportait eines unbekannten Soldaten). Diese Zahlen deuten auf eine genaue, zunächst aber nicht erkennbare, Planung hin. (12 Personen in 52 Abschnitten und 26 Kurzportraits, wobei die Kurzportraits genau über die einzelnen Bände verteilt sind: 1. Band: 9 Portraits, 2. Band: 8 (+1) Portraits; 3. Band: 9 Portraits).


    Ist/war für euch immer klar, um welche historische Person es sich bei den 26 Kurzportraits jeweils handelt(e)? (Beispiel: The boy orator of the Platte - da dauerte es bei mir etwas bis ich den amerik. Außenminister erkannte) Nach welchem System hat Dos Passos wohl die 26 Personen ausgesucht?


    Gruß von Hubert


    PS: sandhofer: einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Kameraauge und erzählenden Teilen kann ich nach wie vor nicht unmittelbar ausmachen. Kannst Du da mal Beispiele nennen?