Oktober 2003: Dos Passos - U.S.A

  • Zitat von "Hubert"

    Hallo zusammen,
    Hallo Sandhofer,


    Du hast gepostet:
    Ist vielleicht persönliches Ressentiment. Dos Passos, dort, wo er nur erzählt, ist mir zu bieder. Aber mag sein, ich bin von Proust und Musil allzu verwöhnt ...


    Das hatte ich ja gesagt, das Proust der größere Erzähler ist, aber wenn ich nur noch Romane lese, die mit der ?Recherche ...? mithalten können, wäre meine Lesekarriere vermutlich leider schon zu Ende, auch Musil bekäme dann wahrscheinlich keine zweite Chance.


    Nun, Musil und ein paar andere schon noch. Stefan Zweig, wenn er längeres als eine Novelle schreibt, allerdings tatsächlich kaum mehr. Es stimmt schon, dass ich wählerisch geworden bin. :breitgrins:


    Zitat

    Als ich Mac zum letzten Mal sah, war er in Vera Cruz ohne Job und ohne Buchhandlung gestrandet, hatte soeben sein Ticket nach USA wieder storniert und sah sich eigentlich auf Gedeih und Verderb der Sippe seiner Conchita ausgeliefert.


    In meiner amerikanischen Ausgabe (Signet Classic) endet die Mac-Story so:
    ?Next morning Mac woke up early with a slight headache. He slipped out of the house alone and walked out along the breakwater. He was beginning to think it was silly to give up his bookstore like that. He went to the Ward Line office and took his ticket back. The clerk refunded him the money and he got back to Concha?s sister?s house in time to have chocolate and pastry with them for breakfast.?


    Eben!


    Gruss


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    hallo Sandhofer,


    He was beginning to think it was silly to give up his bookstore like that. He went to the Ward Line office and took his ticket back.


    Für mich heißt das nicht: Er gab sein Ticket zurück und stand jetzt ohne Job und Buchladen da, sondern er dachte darüber nach, dass es dumm sei, seinen Buchladen aufzugeben um nach USA zurück zu gehen (ob mit oder ohne Concha?) und als Folge dieses Nachdenkens gibt er sein Ticket zurück, - er geht also zurück nach Mexiko-City (den Buchladen hatte er ja nicht verkauft, sondern nur gegen einen 60-Tage-Schuldschein verpfändet) und in Mexiko-City hat er auch nichts mit der Sippe (wie Du sagst) von Concha, die ja in Vera Cruz lebt, zu tun, sondern lebt wieder als glücklicher Buchhändler (Mac got to like the life of a storekeeper. He got up when he wanted to and walked up the sunny streets …), mit seiner ihn liebenden Concha (die ihm ja -was ihre Liebe beweist- bedingunslos nach USA gefolgt wäre).


    Also Mac hat sich verändert. Er läuft nicht mehr davon wie z.B. in Frisco, sondern er denkt nach und trifft eine richtige Entscheidung!!!


    Gruß von Hubert




  • Hallo zusammen!
    Hallo Hubert!


    Hmm. Mac habe ich noch nicht so gesehen. Mag sein, Du hast reich. Mag sein, nicht. Wenn ich die anderen Figuren so betrachte, glaube ich es ehrlich gesagt, nicht.


    Vielleicht ist es das, was mich am meisten 'stört' bei "U.S.A.": Nicht nur, dass alle das gleiche Schicksal erleiden, sie erleiden es auch alle immer und immer wieder. Wirklich: Ob eine Entwicklung stattfindet, ist für mich, nach der neuesten Bruchlandung (wörtlich und übertragen) von Anderson einmal mehr unklar.


    Einmal - meinethalben pro Person - hätte es wirklich getan. Dos Passos' 'message' kommt mir ein bisschen allzu heftig 'rüber. Deshalb möchte ich auch nicht auf die 'Pausen' mit den anderen 3 Dirksursarten verzichten. Sie machen das Buch für mich noch lesenswert und halten mich bei der Stange. Ohne diese wäre "U.S.A." wohl kaum ein grosses Buch geworden.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    hallo Sandhofer,


    Du hast gepostet:
    Hmm. Mac habe ich noch nicht so gesehen. Mag sein, Du hast reich. Mag sein, nicht. Wenn ich die anderen Figuren so betrachte, glaube ich es ehrlich gesagt, nicht.


    Zuerst von den anderen Figuren auf Mac zu schließen und dann zu sagen Mac ist wie die anderen, halte ich für unfair. Mac unterscheidet sich schon dadurch von den anderen, dass er nach Mexiko gegangen ist, er hat sich dort aus eigener Kraft selbständig gemacht und er führt als Buchhändler ein zufriedenes Leben. Ich sehe da schon gewaltige Unterschiede zu den anderen, wobei ich auch bei den anderen Figuren keine gleichgestrickten Geschichten sehe, sondern jeder geht einen eigenen Weg.


    Vielleicht ist es das, was mich am meisten 'stört' bei "U.S.A.": Nicht nur, dass alle das gleiche Schicksal erleiden, sie erleiden es auch alle immer und immer wieder. Wirklich: Ob eine Entwicklung stattfindet, ist für mich, nach der neuesten Bruchlandung (wörtlich und übertragen) von Anderson einmal mehr unklar.


    Ich bin noch nicht bei Andersons Bruchlandung, ansonsten kann ich diese Aussage nicht nachvollziehen. Zu Dos Passos Figuren in U.S.A. schreibt Marshall McLuhan in „Die innere Landschaft“:
    Die Heimatlosigkeit seiner Charaktere ist, zusammen mit ihrer individuellen und kollektiven Unfähigkeit zu Selbstkritik und Distanzierung, ihr auffallendser Zug. Das Zuhause ist der positive, wenngleich nicht ausgesprochene Traum Dos Passos’. Er erkennt das Hauptübel der Welt, als er sich von Thomas Jeffersons Ideal einer Farmer- und Handwerkerökonomie ab- und dem Hamiltonschen Zentralismus, der Macht und Größe zuwendet. .... Denjenigen die ein kritisches Bewusstsein haben, verschreibt Dos Passos die Pflicht der selbstlosen Ergebenheit den Verbesserungen der Zivilisation gegenüber. ,,, -Es kann sein, dass Dos Passos seinen künstlerischen Schwung eben durch den Erfolg jener sozialen Anliegen verloren hat, die das militante Thema seines Werkes USA bilden. Es scheint dem Künstler in ihm Elan gegeben zu haben, eine Sache gegen eine blinde und gleichgültige Welt verteidigen zu müssen. Seitdem verdeckt der Reporter Dos Passos den Künstler. Wenn das der Fall ist, ist niemand glücklicher als Dos Passos, eine Künstlerschaft für eine so hervorragende Sache eingebüßt zu haben.“


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Inzwischen habe ich einige Teile zum zweiten Mal gelesen, nicht alle erzählerischen, wen wundert es, die überspringe ich zuweilen.


    Der Begriff der "Heimatlosigkeit" hat mich nachdenklich gemacht. Ich hätte eher von Ziellosigkeit gesprochen. Ich sehe es als das gemeinsame Problem aller Figuren an, dass sie nicht wissen, was sie wollen oder was gut für sie ist.


    Mac denkt, dass er die Revolution will, aber als sie kommt, flieht er und stellt fest, dass er eigentlich lieber Kleinbürger ist.


    J.W. denkt, dass Status und beruflicher Erfolg das ist, was er will, er wird aber nicht glücklich in der aus ökonomischen Gründen eingegangenen Ehe.


    Eveline meint, sie brauche Freiheit und einen Beruf, will dann aber doch einen bestimmten Mann und scheitert daran, ihn nicht zu bekommen.


    Mary French kämpft für das Große und Gute und hätte vermutlich doch lieber ein kleines Haus mit Garten, Kinder und einen Mann, der nicht ständig mit einem Bein im Gefängnis steht.


    Ein Rätsel bleibt mir übrigens Mrs Anderson. Warum verhält die sich so merkwürdig? Hat da jemand eine Idee?


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen!
    Hallo Harald!


    Du schreibst:

    Zitat

    Zuerst von den anderen Figuren auf Mac zu schließen und dann zu sagen Mac ist wie die anderen, halte ich für unfair. Mac unterscheidet sich schon dadurch von den anderen, dass er nach Mexiko gegangen ist, er hat sich dort aus eigener Kraft selbständig gemacht und er führt als Buchhändler ein zufriedenes Leben.


    Nun, ich hatte auch nicht die Absicht, Mac gegenüber fair zu sein. :breitgrins: Aber Dos Passos verführt einen wirklich zu solchen Reaktionen.


    Im übrigen wäre es wohl auch anders für mich, wenn Mac nicht ständig von der Revolution träumen und davon quakeln würde, im eintretenden Fall aber wegrennt.


    Wie weit ist er mit seinem Leben als Buchhändler wirklch zufrieden? Immerhin spielt er doch extrem mit dem Gedanken, in die USA zurückzugehen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    In der Zwischenzeit habe ich die 1000er Grenze bei meinem Pinguin überschritten. Wer noch nicht soweit ist und sich eine eventuelle Spannung erhalten will, mag bitte dieses Posting übersehen.


    Es geht um Frank, Agnes, Margo und Tony. Noch in den Szenen bevor Frank stirbt, erfahren wir, dass Agnes (und er? - ich bin mir da nicht so sicher) sich nun zum Christian Science bekennen. Später - Frank ist tot und die andern drei in Südkalifornien - bekennt sich offenbar auch Margo dazu.


    Gleichzeitig besuchen die beiden Frauen aber Séancen eines Mediums, das sie immer wieder in Verbindung setzt mit dem verstorbenen Frank. In einer dieser Séancen, die wir Leser miterleben dürfen, verspricht ihnen Frank, sich um den (als Erpresser und Immer-noch-Ehemann) der Karriere von Margo hinderlich gewordenen Tony zu kümmern, bzw. das Problem in 24 Std. zu lösen.


    Tatsächlich lesen die beiden Frauen 24 Std. später in der Zeitung, dass Tony erschlagen in seinem Haus aufgefunden wurde.


    Nun habe ich schon gestutzt, als ich erfuhr, dass die beiden Christian Science-Anhängerinnen gleichzeitig Séancen besuchen. Das gehört m.W. nicht zu diesem Glauben, widerspricht ihm wohl sogar. Ein bisschen peinlich (für den Autor) empfand ich aber diese prompte Wunscherfüllung, die der Tote den beiden Frauen gewährte. Irgendiwe haben das, scheint mir, Dos Passos' Figuren nicht verdient. Schon der zweite Unfall Andersons war melodramatisch und wäre in jedem Roman der Pilcher vorhersehbar gewesen.


    Was meint Ihr dazu?


    Grüsse


    Sandhofer

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  • Hallo Sandhofer!


    Zitat

    Schon der zweite Unfall Andersons war melodramatisch und wäre in jedem Roman der Pilcher vorhersehbar gewesen.


    Ja, das mag wohl sein, so stelle ich mir die Bücher von Frau P. vor.
    Es passt auch zu meiner Frage nach dem merkwürdigen Verhalten von Frau Anderson. Musste der arme Mann auch noch mit einer Frau geschlagen sein, die nicht mehr mit ihm schlafen will und die noch nicht mal mit ihm redet? Die ihn im eigenen Haus in sein Zimmer sperren will?


    Muss Margo einen Schwulen heiraten, der bei allen unpassenden Gelegenheiten wie ein "Jack in the Box" wieder aus der Kiste springt?


    Warum verhält sie Joeys Frau so merkwürdig? Bei ihm ist sie keusch, bringt ihn um die Hochzeitsnacht, um dann später alle Männer anzuschleppen, die nicht wegrennen. Es ist als hätte Dos Passos einen Vertrag mit der "Bewegung zur Verhinderung der Ehe" gehabt. Was schief gehn kann, geht schief. Das war dann aber wohl eher Herr Murphy als Frau Pilcher.


    Ich bin auch immer noch nicht so sicher, was ich von dem Buch nun halte. Gelernt habe ich aber auf jeden Fall was, nicht zuletzt durch die Diskussion hier. Ich bin wirklich froh, dieses Forum gefunden zu haben - vielen Dank, Nimue!!!!!!!!!!!!!!!!!



    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen,


    Atomium hat gepostet:
    Ich sehe es als das gemeinsame Problem aller Figuren an, dass sie nicht wissen, was sie wollen


    Zumindest Ben Compton unterscheidet sich und zwar sowohl von den bürgerlichen Romangestalten als auch von seinen Klassenbrüdern Mac, Joe und Charley (wobei auch jeder dieser drei ein völlig anderes Schicksal erlebt, viel gemeinsames kann ich nicht erkennen). Ben denkt über die Gesellschaft in der er lebt nach und wird aktiv: erst streikt er allein, dann zusammen mit gleichgesinnten Arbeitern. Als I.W.W.-Organisator greift er ein und verändert das Denken und die Haltung anderer. In Ben Compton äußert sich jene demokratische Kraft, die 1919 in den USA tatsächlich Massenscharakter hatte und viele eine amerikanische Revolution (die damit nach der russischen wahrscheinlich zur Weltrevolution geworden wäre) erhoffen ließ. Dass die Monopole den Kampf gegen die Arbeiter gewannen, dafür kann Ben ja nichts.


    Mac denkt, dass er die Revolution will, aber als sie kommt, flieht er und stellt fest, dass er eigentlich lieber Kleinbürger ist.
    J.W. denkt, dass Status und beruflicher Erfolg das ist, was er will, er wird aber nicht glücklich in der aus ökonomischen Gründen eingegangenen Ehe.
    Eveline meint, sie brauche Freiheit und einen Beruf, will dann aber doch einen bestimmten Mann und scheitert daran, ihn nicht zu bekommen.
    Mary French kämpft für das Große und Gute und hätte vermutlich doch lieber ein kleines Haus mit Garten, Kinder und einen Mann, der nicht ständig mit einem Bein im Gefängnis steht
    .


    Ich denke, dass es Dos Passos mit diesen und den anderen Gestalten, den wechselnden Schauplätzen und den sozialen Abstufungen der Figuren gelungen ist, ein geschichtliches Panorama seines Landes, den USA zu zeigen und uns durch leitmotivisch wiederkehrende Begebenheiten (Suche nach einem Job; Reisen aus Lust, in Geschäften oder auf der Flucht; Kämpfen bei politischen Auseinandersetzungen oder bei Schlägereien im Suff) die Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg, der doch für ihn, wie er 1928 in seinem Essay „My Life“ bekannte, die entscheidende Erfahrung war, die ihn zum Radikalen machte, realistisch vor Augen zu führen.


    Sandhofer hat gepostet:
    Hallo Harald!
    Im übrigen wäre es wohl auch anders für mich, wenn Mac nicht ständig von der Revolution träumen und davon quakeln würde, im eintretenden Fall aber wegrennt.

    Hallo Sandhofer,


    ich bin zwar nicht Harald, aber wahrscheinlich hast Du eh mich gemeint,
    dass Mac ein toller Held ist, behaupte ich ja nicht und Aufgabe eines Romans ist es auch nicht Sympathieträger zu schaffen, aber ich kenne solche Gestalten auch aus dem wirklichen Leben und für mich war die Mac-Geschichte so interessant, dass ich sie auch gelesen hätte, wenn sie außerhalb der Trilogie und fortlaufend erzählt gewesen wäre.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Hallo Hubert!

    Zitat

    ich bin zwar nicht Harald, aber wahrscheinlich hast Du eh mich gemeint

    - oooooooooops, tut mir leid. :redface:


    Zu Mac: Ich verlange ja auch nicht lauter Sympathieträger in einer Geschichte. Aber wenn ich dann einen schon als Antipathieträger empfinde, dann drücke ich es aus. Es hat mich ehrlich gesagt selten eine Figur so genervt wie Mac. (Bei Zweigs 'Maria Stuart' hat mich Zweigs Schreibe genervt, nicht eine seiner Figuren. Selbst bei Brecht war es eigentlich nie so schlimm wie mit Mac.) Und es gibt halt diese Typen, die mich so nerven, dass sie mir sogar den Spass an der Geschichte verderben. Das mag (ähnlich wie bei Brecht) von Dos Passos gar so gemeint sein, halte ich auch für legitim.


    Zu Anderson noch: Der Vergleich mit Pilcher war vielleicht gewagt. ("Vielleicht" deshalb, weil ich die Rosamunde ehrlich gesagt nur von den kitschigen Bildchen zu ihren Fernseh-Verfilmungen kenne.) Wer aber wirklich ähnlich melodramatisch geschrieben hat, war natürlich Hemingway. Auch bei ihm die von der Gesellschaft eingeengten Protagonisten (im Unterschied zu Dos Passos eigentlich nur Männer, die Gesellschaft dafür oft in Frauengestalt inkarniert ...), die sich unbewusst zu befreien suchen, in der Befreiung aber - nachgerade tragisch - scheitern.


    Insofern eine positivere Beurteilung von Anderson.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    Du hast gepostet:
    Zu Anderson noch: Der Vergleich mit Pilcher war vielleicht gewagt. ("Vielleicht" deshalb, weil ich die Rosamunde ehrlich gesagt nur von den kitschigen Bildchen zu ihren Fernseh-Verfilmungen kenne.) Wer aber wirklich ähnlich melodramatisch geschrieben hat, war natürlich Hemingway. Auch bei ihm die von der Gesellschaft eingeengten Protagonisten (im Unterschied zu Dos Passos eigentlich nur Männer, die Gesellschaft dafür oft in Frauengestalt inkarniert ...), die sich unbewusst zu befreien suchen, in der Befreiung aber - nachgerade tragisch - scheitern.


    Zu Pilcher kann ich nichts sagen, da ich weder ihre Bücher noch die Fernseh-Verfilmungen kenne. Hemingway lese ich eigentlich gerne, aber Dos Passos steht m.M. nach weit über Hemingway, obwohl mich eure letzten Postings über Geisterbeschwörungen etc. doch etwas überrascht haben, aber so weit bin ich noch nicht. Also mein abschließendes Urteil steht noch aus.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen,


    Zitat aus meinem Posting vom 30.12.2003:
    Nach welchem System hat Dos Passos wohl die 26 Personen ausgesucht?


    Nun ich denke Dos Passos hat die historischen Biographien sehr bewusst ausgewählt. Die neun Biographien aus „the 42nd Parallel“ lassen sich z.B. in drei Gruppen à 3 Personen zusammenfassen:


    1. Historische Figuren als Gegenpol zu den fiktiven Gestalten, die zeigen dass man es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit Wille und Ehrgeiz tatsächlich zu etwas bringen kann:
    die Erfinder Thomas Alva Edison und
    Charles Proteus Steinmetz und
    der Naturwissenschaftler Luther Burbank.


    2. Angeblich bedeutende Männer, die Dos Passos aber in ihrer Verlogenheit entlarvt. Bei diesen Biographien erreicht seine Ironie ihren Höhepunkt:
    der redebegabte William Jennings Bryan, den Dos Passos als Demagogen und Phrasendrescher zeigt,
    Minor Cooper Keith, in dessen Biographie Dos Passos deutlich ausspricht, dass viele Arbeiter sterben mussten um der United Fruit Company die Herrschaft über mittelamerikanischer Bananenrepubliken zu sichern und
    Andrew Carnegie, dessen Image als Wohltäter und Stifter Dos Passos in Frage stellt, wenn er berichtet, dass sich Carnegie diese Wohltätigkeit nur leisten konnte, weil er von Kriegen profitierte.


    3. Männer, die gegen die Monopolisten und gegen die mit diesen verbündete Regierung kämpften und auf der Seite der Arbeiter standen wie
    der Streikorganisator Gene Debs,
    der Mitbegründer der I.W.W. Bill Haywoods und
    der antimonopolistische Senator Robert La Follette.



    Im Forum „Gemeinsames Lesen – Chronik“ habe ich noch ein paar Links zu diesen neun historischen Figuren zusammengetragen.


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen,


    die in U.S.A eingefügten Biographien bedeutender amerikanischer Personen gehören m.M. nach zum poetischsten und eindrucksvollsten der Trilogie. So unparteilich wie Dos Passos die erzählenden Teile des Romans schildert, so parteilich ist er bei den Biographien. Genau das aber macht die Trilogie interessant. Bei den Biographien merkt man deutlich wo Dos Passos Herz schlägt ...und deshalb unterscheiden sich diese von üblichen „objektiven“ Biographien – ich habe manche der Biographien schon drei Mal gelesen und bin immer noch begeistert


    Zu den in „The 42nd Parallel“ enthaltenen Biographien noch ein paar zusätzliche Informationen:


    1. Gene Debs (S. 37 in der Penguin-Ausgabe), der Eisenbahnführer, 1918 von Woodrow Wilson ins Gefängnis geworfen, weil er gegen den Krieg redete.


    Zitat: „Solange es eine unterdrückte Klasse gibt, gehöre ich zu ihr, ....,solange noch eine Menschenseele im Gefängnis sitzt, bin ich nicht frei.“ Gene Debs


    Weitere Infos unter:
    http://www.kentlaw.edu/ilhs/debstory.htm


    http://www.labornet.org/viewpoints/meister/debs.htm



    2. Luther Burbank (S. 81), der Pflanzenzüchter, der mit Thomas Edison und Henry Ford befreundet war.


    Zitat: „Wer nicht gerne denkt, sollte wenigstens von Zeit zu Zeit seine Vorurteile neu gruppieren.“ - Luther Burbank


    Weitere Infos unter:
    http://www.tobias-taeuber.de/K…nien/personen/burbank.htm



    3. Bill Heywood (S. 90), der Gewerkschaftsmann, der 1905 den Vorsitz der Konferenz führte, die in Chicago das Manifest entwarf, das die Gewerkschaft Industrial Workers of the World (I.W.W.) ins Leben rief; Mitbegründer der Kommunistischen Partei in USA.


    http://www.local709.org/WILLIAM%20HAYWOOD.htm


    http://www.pbs.org/joehill/faces/bill_haywood.html



    4. Bryan William Jennings (S. 150),


    William Jennings Bryan (1860 in Dayton, Tenn. geboren; gestorben 1925), dreifacher demokratischer Präsidentschaftskandidat (1896, 1900 und 1908), ab 1913 Außenminister unter Wilson, dessen Kandidatur er 1912 förderte, Sein pazifistischer. Kurs stieß jedoch zunehmend auf Widerstand, so dass Bryan 1915 nach dem Lusitania-Zwischenfall zurücktrat. Bryan war prominenter Anti-Evolutionist, prophezeite 1922 das Ende des Darwinismus, den er als eigentliche Ursache für den ersten Weltkrieg ausmachte.



    5. Minor Cooper Keith (S. 207), Gründer der United Fruit Company


    Die Geschichte des internationalen Fruchthandels begann 1870 mit dem Amerikaner Minor C. Keith. Er pachtete auf Costa Rica 3000 qkm Land, um dort eine Bananenplantage anzulegen, und baute eine Eisenbahnlinie zur Küste. 1899 gründete er gemeinsam mit dem Reeder L.D. Baker und dem Geschäftsmann A. Preston die United Fruit Company. In kürzester Zeit wurden nun Plantagen in ganz Mittelamerika errichtet und darüber die Entwicklung und Politik der meisten mittelamerikanischen Länder kontrolliert.
    Quelle:
    http://www.lis.uni-bremen.de/e…/ex_fruechte_sachinfo.htm



    6. Andrew Carnegie (S. 224), Stahlmagnat und Philanthrop, Namensgeber für die New York Carnegie Hall (1835 – 1919)


    Zitat: „Den Beweis der Tüchtigkeit erbringt man nicht so sehr in dem,
    was man selber leistet, als vielmehr durch die Leistungen derer,
    mit denen man sich zu umgeben versteht..“


    Link (von EmmaPeel)
    http://www.pbs.org/wgbh/amex/c…feature/meet_andrews.html



    7. Thomas Alva Edison (S. 249)


    http://www.net-lexikon.de/Thomas-Alva-Edison.html


    http://www.diabetes-world.net/de/26559



    8. Charles Proteus Steinmetz (S. 272)


    1865 in Breslau geboren, wanderte Steinmetz im Alter von 24 Jahren nach Amerika aus und erreichte New York im Jahre 1889. Bereits als Jugendlicher zeigte Steinmetz seine Begabung auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und errichtete bald darauf sein eigenes Forschungslabor, in dem er bemerkenswerte Erfolge im Studium elektrischer Ströme erzielte. Einige Jahre später bekam er einen Auftrag der General Electric Company und setzte seine Forschungsarbeit bei der Hauptgeschäftsstelle der Firma, in Schenectady, New York fort. Bis zu seinem Tode im Jahre 1923, nach einer glänzenden Karriere, hatte Steinmetz mehr als 200 Erfindungen patentiert und war als "Zauberer von Schenectady" bekannt geworden.


    Mit Bild
    http://www.heinrich-beck-insti…scientific/steinmetz.html


    Nur Bild:
    http://www.becklaser.de/heinbeck/steinmetz-fotos1.html


    Geschichten über Rauchen und Selbstbewusstsein
    http://www.yaws.de/dipling/witze/steinmetz.htm



    9. Robert La Follette (S. 303)


    Seit 1856 dominierten die Republikaner das politische Geschehen in Wisconsin. Mit der Wahl von Robert M. La Follette zum Gouverneur im Jahr 1900 begann die Politik in Wisconsin, auf die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zu reagieren
    Zu Wisconsin (zur Info runterscrollen):
    http://www.amerika-live.de/USA/Wisconsin/wisconsin.htm


    (Fortsetzung folgt)


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen,


    Atomium hatte gepostet:
    Vielleicht ist das ja eine von Dos Passos' Botschaften - der amerikanische Traum ist NICHT zu verwirklichen.


    Hmm, bei den fiktiven Personen magst Du Recht haben, aber die von Dos Passos geschilderten historischen Figuren beweisen ja das Gegenteil:


    -T.A.Edison (eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär)


    -Steinmetz (als armer Einwanderer zum erfolgreichen Erfinder mit über 200 Patenten)


    -Die Brüder Wilbur und Orville Wright (Fahrradmechaniker, die den ersten Motorflug durchführten und danach von Königen und Kaisern empfangen wurden)


    Wie ist das zusammen zu bringen?


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen,
    hallo Hubert!


    Du hast Recht was Edison - und sicher auch Ford - angeht, und auch Steinmetz und die Wrights haben sicher den amerikanischen Traum verwirklicht.


    Es ist allerdings auffällig, dass Dos Passos sich entschieden hat, nicht solche Biographien zu erzählen in den persönlichen Teilen der Geschichte. Die einzige, die den Traum irgendwann doch nocht erfüllt, ist Margo Dowling - das jedenfalls bekommt man am Rande in einem Dick S. gewidmeten Kapitel mit.


    Doch steht das wirklich im Widerspruch? Ford, Edison, ... - sie sind nach der Lektüre der Miniaturen alle nicht mehr die leuchtenden Vorbilder, als die sie dem unbedarften Leser vielleicht vorher erschienen. Sie setzen ihre Verwirklichung des persönlichen Traums auch auf dem Rücken anderer durch.


    Wer das nicht will oder kann, kommt eben nicht so hoch.


    Das ist allerdings eine Einstellung, die dem Kommunisten Dos Passos auch nicht sympathisch ist.


    Ein ganz anderer Gedanke zum Abschluss - ich habe gestern eine Kurzgeschichte von 1931 gelesen, in der es darum geht, wie eine kommunistische Zelle irgendwo auf dem Land ausgehoben wird vom Sheriff. Die Hauptfiguren der Geschichte sind alle schwarz und es geht auch um den besonderen Rassismus gegenüber schwarzen Kommunisten. Dabei ist mir aufgefallen: Alle unsere Protagonisten waren weiss!
    Das war mir vorher nie in den Sinn gekommen. So farbenblind kann man sein.


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen!


    Nur eine klitzekleine Bemerkung zu Hemingway: Ich weiss nicht genau, wo ich ihn anzusiedeln hätte. Wahrscheinlich irgendwo um den 50. Platz, wenn es darum ginge, eine Bestenliste der Autoren des 20. Jh. zu machen. Insofern ist die 'Ehrenrettung' für Dos Passos auch nur eine kleine. Aber ein abschliessenes Urteil ist das nicht ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    hallo Atomium,


    Du hast gepostet:
    Ford, Edison, ... - sie sind nach der Lektüre der Miniaturen alle nicht mehr die leuchtenden Vorbilder, als die sie dem unbedarften Leser vielleicht vorher erschienen. Sie setzen ihre Verwirklichung des persönlichen Traums auch auf dem Rücken anderer durch.


    Bei den historischen Figuren ist m.M. nach zu unterscheiden zwischen Minor Cooper Keith, Carnegie, Morgan und Ford einerseits die ihren Erfolg tatsächlich auf dem Rücken anderer erzielten und Figuren wie Burbank, Edison, Steinmetz und den Wrights, die Erfolge aus eigener Kraft/Wille/Beharrlichkeit/Intelligenz hatten ohne anderen zu schaden.


    Warum haben die fiktiven Figuren auf Dauer keinen Erfolg? Um ein komplettes Bild der USA zu zeigen musste Dos Passos ja beides zeigen: Erfolg und Misserfolg, bei den historischen Figuren konnte er ja nur auf erfolgreiche Menschen zurück greifen, sonst wären sie ja nicht historisch, also musste er im fiktiven Teil einen Gegenpol schaffen.


    Die Sache mit den fehlenden Schwarzamerikanern bei Dos Passos war mir überhaupt nich aufgefallen, aber gibt mir jetzt doch zu denken. Warum hat Dos Passos diesen Teil der Bevölkerung nicht erwähnt, wenn er doch ein komplettes Bild der USA zeigen wollte?


    Gruß von Hubert

  • Hallo zusammen!


    Nun habe auch ich 'U.S.A.' zu Ende gelesen. Noch ist es zu früh für ein Urteil. Es ist sicher ein grosses Buch, aber ich weiss immer noch nicht, ob ich es wirklich werde mögen können.


    A propos 'mögen': Mein Urteil zu Mary French muss ich doch noch korrigieren. Bei ihrem letzten Auftritt erweist sie sich als die einzige, die wirklich zu ihren Idealen hält.


    Zu den Schwarzen: Ich dachte, ich hätte das schon einmal gepostet; aber wahrscheinlich habe ich es vergessen. Schon bei Mac war mir aufgefallen, dass die Situation der Schwarzen mit keinem Wort erwähnt wurde. Und meines Wissens war zur Zeit, in der 'U.S.A.' spielt, Chigaco eine Hochburg der schwarzen Arbeiter. Aber, soweit ich mich erinnere, ist es nur 'Daughter' (eine Südstaatlerin?), die einmal die Sozialisten mit 'Niggern' gleichstellt - als Untermenschen, die eigentlich nicht ganz akzeptiert werden. Natürlich teilt der Autor 'Daughters' Ansichten nicht, dennoch berührt es tatsächlich merkwürdig, dass dieser Teil der amerikanischen Bevölkerung ganz weggelassen wird. Immerhin kommen irische, skandinavische, italienische Immigranten zum Zug. Nur die Schwarzen fehlen - und die Chinesen kommen nur am Rand vor, als Betreiber von zwielichtigen Spelunken, v.a. bei Mac.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen!


    Nachdem ich nun eine Nacht drüber geschlafen habe ...


    Es ist ein grosses Buch, sicher kein einfaches Buch. Mir persönlich zu 'naturalistisch'. (Ich lese auch nicht gern Zola.)


    An der Idee des Tryptichon würde ich festhalten. Zusätzlich würde ich dieses Buch als 'fotografisches Negativ' bezeichnen. Dos Passos schildert sehr vieles im Grunde genommen seitenverkehrt und in den falschen Farben*. Beispiele: Keiner** macht (im bürgerlichen Sinn) Karriere, und wer Karriere macht, ist meist ein schlechter Kerl. Europa und nicht Amerika ist das Ziel der Sehnsüchte.


    Am besten gefallen hat mir tatsächlich der Mittelteil.


    Könnten die erzählenden Teile leben ohne die übrigen? M.M. nach nicht. Zu monoton würde das Ganze. Es ist, wie wenn man eine ganze Sammlung Short Stories von Hemingway aufs Mal liest. :entsetzt: Witzigerweise finde ich, dass die beste Story (die einzige, die ich mir losgelöst vom Roman vorstellen kann: Andersons zweiter Unfall) genau die ist, die im Rahmen des Romans am schlechtesten wirkt. Das Melodramatische, das in einer Short Story Platz haben könnte, wirkt im Ganzen des Romans nur noch kitschig, weil alle darauf gewartet haben. Besser wäre es m.M. gewesen, wir hätten davon nur über Dritte erfahren. (Aber diesen Trick verwendete Dos Passos ja schon beim Tod des Bruders und Matrosen der Handelsmarine.)


    Grüsse


    Sandhofer


    * Vielleicht kommen deshalb keine Schwarzen vor?
    ** Auch nicht Margo. Von ihr heisst es an der Party, zu der Ada Mary French mitschleppt, ihre Karriere sei zu Ende, da ihre Stimme für den Tonfilm nicht geeignet sei. (Was ja tatsächlich vielen Stummfilmstars passiert ist!)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo zusammen,
    hallo Sandhofer,


    Du hast gepostet:
    Es ist ein grosses Buch, sicher kein einfaches Buch. Mir persönlich zu 'naturalistisch'. (Ich lese auch nicht gern Zola.)


    Einverstanden,


    - ein großes Buch, sicher,


    - kein einfaches Buch, in dem Sinne, dass das Lesen nicht ganz einfach ist, aber m.M. nach, vom Verständnis her doch einfacher als Joyce oder Kafka. Also durchaus auch für Schüler geeignet.


    - Naturalistisch, ja in den erzählenden Teilen, stört mich aber nicht, ich lese auch Zola gern, darüber hinaus auch in manchen Teilen (Historischen Biografien, Kameraauge) sehr poetisch.


    Könnten die erzählenden Teile leben ohne die übrigen? M.M. nach nicht. Zu monoton würde das Ganze. Es ist, wie wenn man eine ganze Sammlung Short Stories von Hemingway aufs Mal liest


    Wenn die erzählenden Teile für sich stehen würden, als mehrere kleine Erzählungen, müsste man sie ja nicht auf einmal lesen, davon abgesehen könnte ich mir vorstellen, eine ganze Sammlung Short Stories von Hemingway auf einmal zu lesen.


    Mehr, wenn ich mit dem Buch durch bin.


    Gruß von Hubert