Kurzgeschichten

  • Ich versuche, ein neues Thema zu beginnen, weil unter "was lest Ihr sonst noch" gerade über russische Literatur diskutiert wird.
    Vielleicht könnte man den Strang ja unterteilen?


    Ingrid schrieb, dass sie keine Kurzgeschichten mag, weil ihr da immer was fehlt. Da ich mit Begeisterung Kurzgeschichten lese, möchte ich ihnen eine Lanze brechen.


    Kurzgeschichten sind eine wunderbare Lektüre für Menschen, die nicht viel Zeit haben - oder nicht viel Zeit am Stück haben.


    Kurzgeschichten erlauben es einem relativ rasch festzustellen, ob man einen Autor mag oder nicht.


    Mit Kurzgeschichten kann man neue Autoren entdecken.


    Ich lese Kurzgeschichten unter anderem auch weil ich viel reise und dabei viel "fragmentierte" Zeit habe. Wer kann sich schon die Namen der Figuren in einem russischen Roman merken... Die Probleme habe ich bei Kurzgeschichten nicht. :zwinker:


    Ich kaufe mir seit vielen Jahren jährlich im November "The best American Short Stories", s.
    http://www.amazon.co.uk/exec/o…2_3_1/026-2172482-0936446


    Die Reihe besteht schon sehr lange. Jedes Jahr schlägt die Herausgeberin der Serie einem wechselnden Autor 120 Kurzgeschichten vor, die anonymisiert wurden. Der Autor liest sie und wählt 20 aus, die dann in dem Buch veröffentlicht werden, nun nicht mehr anonym.


    Ich habe schon viele interessante zeitgenössische Autoren so entdeckt. Meine Favoriten ist Alice Munro. Sie hat eine wunderbare Art, in ein paar Sätzen eine Situation plastisch darzustellen. Außerdem entwickeln sich die Leute in ihren Geschichten auch.


    Deutsche Kurzgeschichten kenne ich nicht so viele. Ich habe "Sommerhaus, später" gelesen von Judith Herrmann und fand es nicht schlecht, aber die Hauptfiguren waren sich zu ähnlich.


    Wer kennt gute Kurzgeschichten oder Anthologien?


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen!
    Hallo atomium!


    Kurzgeschichten verlangen in meinen Augen vom Autor eine ganz andere Technik als Romane. Daher sind sie oft 'spannender' zu lesen. Daher gibt es aber auch Autoren, die nur das eine oder das andere 'können'.


    Gute Kurzgeschichten?


    Hm.


    Joyce: Dubliners. Böll (aber nur die aus der Zeit so um "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen" herum). Faulkner. Hemingway. Überhaupt im 20. Jh. jede Menge gute Iren. Die Kurzgeschichte scheint mir sowieso die Domäne der Angelsachsen zu sein...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo !


    Im großen und ganzen mag ich Kurzgeschichten eher nicht. Aber meine absolute Favoritin ist Jane Mansfield. Vor ein paar Monaten las ich F.Scott Fitzgerald - diese Kurzgeschichten haben mir auch gut gefallen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo.


    Was Kurzgeschichten/Erzählungen angeht, da ist mein liebster Autor eindeutig Julio Cortázar, knapp gefolgt von Jorge Luis Borges.


    Kaum ein Autor hat mich so süchtig gemacht wie diese beiden.


    Beste Grüße,


    Ralph

  • Hallo Atomium,


    einen neuen Thread für dieses Thema anzufangen war eine gute Idee. Der Begriff Kurzgeschichte ist ja nicht ganz eindeutig, manche verstehen darunter nur die im angelsächsischen Sprachraum erfundenen und dort häufigen „short stories“, andere bezeichnen auch allgemein jede kürzere Erzählung so.


    Bei den „short stories“ ging es mir auch lange so wie Ingrid, mir fehlte da oft der Schluß. Aber da Kurzgeschichten zum Sprachen lernen ideal sind, habe ich immer wieder welche gelesen (z.B. die bei dtv erschienenen zweisprachigen TB wie „Moderne italienische Kurzgeschichten“ oder „Argentinische Kurzgeschichten spanisch/deutsch usw) Bis ich dahinter kam, dass der oft offene Schluß gewollt ist und einem zum Nachdenken zwingt und seither lese ich wie Du mit Begeisterung „short stories“, und unterwegs auf Reisen sind sie wirklich ideal.


    Du hast geschrieben:
    Mit Kurzgeschichten kann man neue Autoren entdecken


    Nun, das kann man mit Romanen auch, eigentlich mit jeder Literaturgattung, aber, wie Sandhofer schon bemerkte, nicht jeder gute Schreiber von Kurzgeschichten schreibt auch gute Romane und umgekehrt.


    Ansonsten kann ich mich nur Sandhofer anschliessen:
    Joyce „Dubliner“ gehören für mich zum Besten auf diesem Gebiet, außerdem: Böll (z.B. „Wanderer, kommst Du nach ...“), Faulkner, Hemingway,


    und dann noch die Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert, der mit 26 Jahren starb und anscheinend wusste, dass er keine Zeit hat, große Romane zu schreiben und seine Verzweiflung aber auch seine Lebenslust in den für mich besten deutschsprachigen Kurzgeschichten festgehalten hat und noch zu erwähnen Ilse Aichinger, die z.B. mit ihrer „Spiegelgeschichte“ den Preis der Gruppe 47 gewann.


    Und international: die Neuseeländerin Katherine Mansfield, die als Erfinderin der „short stories“ gilt , wilde Jahre in London verbrachte und mit 34 Jahren starb, der Russe Anton Cechov und der Italiener Luigi Pirandello.


    Steffi
    Hallo Steffi, von Francis Scott Fitzgerald kenne ich nur “Der große Gatsby“. Sind seine Kurzgeschichten im gleichen Stil? Jane Mansfield, kenne ich nur als sehr blonde Schauspielerin, wusste gar nicht, dass die auch schreibt, oder hast Du die jetzt mit der o.a. Katherine verwechselt?


    @eRDe
    Hallo Ralph, Borges, sind das nicht eher philosoph. Erzählungen und Parabeln als typische „short stories“ und ich glaube ich habe das schon mal gefragt: Welche würdest Du empfehlen?


    Grüße von Hubert

  • Hallo Hubert.


    Man könnte das als "philosophische Erzählungen" betrachten oder einfach als phantastische Erzählungen. Ich habe es eher als Abenteuergeschichten für den Leser empfunden, in denen man nicht dem Protagonisten beim Abenteuer "zusieht", sondern selber das Abenteuer erlebt (das"Kämpfen durch den Dschungel der Fussnoten, Verbindungen herstellen etc.).
    Die beiden besten Bände von Borges sind eindeutig: Fiktionen und Das Aleph.
    Sehr zu empfehlen ist auch die wunderschöne Essay-Sammlung in der ANDEREN BIBLIOTHEK, dabei aber vor allem die limitierte (vergriffene) Fassung. So ein schönes Buch!!!!!


    Ralph

  • Hallo !


    Hubert:
    Ja, ich meinte natürlich Katherine Mansfield :redface: , sorry !


    "Der große Gatsby" kenne ich leider (noch) nicht. Besonder gefallen haben mir F.S.Fitzgeralds Kurzgeschichten - ich habe sie in englisch gelesen - wegen der großartigen Beschreibung des Lebens der upper class in New York in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Eher ein "Nicht"-Leben und eine unbeschreibliche Arroganz, die er schildert, die Vergnügungssucht aber auch die Hilflosigkeit dieser Gesellschaft einen wirklichen Sinn im Leben zu finden, wobei das wahre Leben in Form des 1. Weltkriegs außerhalb Amerikas stattfand. Besonders gut gefallen hat mir "May Day", "The Rich Boy" und "The Diamond As Big As The Ritz".


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen


    ich lese gern russische Autoren und ihre Erzählungen, wie Tolstoi, einiges von Lesskow.
    Sie verstehen zu erzählen.


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • ich kann die Kurzgeschichten von William Somerset Maugham sehr empfehlen. Bin aber ansonsten auch kein Freund von Kurzgeschichten - diese offenen Enden sind nichts für mich... Wenn man so gerade erst richtig warm mit den Figuren ist, ist es auch schon vorbei... Irgendwie unbefriedigend...


    Lucien

  • Danke für die vielen Empfehlungen!
    Ich freue mich schon auf meinen nächsten Besuch im Buchladen.


    Ich fasse vielleicht mal für alle die bisherigen Tips zusammen:


    William Somerset Maugham
    Raymond Carver
    Tolstoj und Lesskow
    Katherine Mansfield
    F. Scott Fitzgerald
    Borges
    Anton Cechov
    Luigi Pirandello
    Wolfgang Borchert
    James Joyce
    Heinrich Böll
    Faulkner
    Hemingway


    Ein paar der Autoren kenne ich, wenn auch nicht alle als Autoren von Kurzgeschichten. Ich bin gespannt.


    Zu den offenen Enden:
    Wenn man nur eine Geschichte am Tag liest, dann hat man Zeit, sich Gedanken über den möglichen Fortgang der Geschichte zu machen. Das ist Teil des Lesegenusses.


    Grüße
    Atomium

  • Für den literaturtheoretiker harold bloom sind die besten autoren von kurzgeschichten puschkin, balzac, gogol, turgenjew, maupassant, tschechow, henry james, und unter den modernen joyce, DH lawrence, issak babel, hemingway, borges, nabokov, thomas mann, endora welty, flannery o'connor, th. landolfi und italo calvino.
    Kafka sieht er als vorläufer von borges. Mir ist nicht ganz klar, ob kafka in dieser aufzählung nur zufällig fehlt, weil in diesem kapitel eine kurzgeschichte von kafka als exemplarisch für die gattung erwähnt wird. An anderer stelle zählt er kafka zu den bedeutensten autoren dieses jahrhunderts.
    Ich denke, kafka gehört in eine reihe mit borges und cortazar, weil bei allen das phantastische eine mehr oder weniger große rolle spielt.


    Unter den geschichten von borges favorisiert bloom tlön, uqbar, orbis tertius, pierre menard - autor des don quichote-, der tod und der kompass, der süden, der unsterbliche und das aleph.
    gruß hafis

  • Hallo zusammen,
    ich weiss nicht, ob es viel Sinn macht, ausser Prosa und Lyrik zu unterscheiden, auch noch zwischen Erzaehlungen, Novellen, Kurzgeschichten etc. zu unterscheiden. Wollte man jedoch dies machen, so dueften bei den Kurzgeschichten eigentlich nur Schriftsteller des zwanzigsten Jh. vorkommen. Aber auch Thomas Manns Erzaehlungen duerften nicht unter diese Rubrik fallen, da sie nicht die "typischen"Merkmale einer Kurzgeschichte aufweisen (wie "offenes" Ende, kurzer Einblick in ein Lebensbschnitt...)


    Gruss
    Antonio

  • Hallo,


    ja, Kurzgeschichten oder kurze Erzählungen oder wie man sie benennen möchte, sind ideal für diejenigen mit wenig und unregelmäßig Zeit. Und vor allem erlauben sie, mal schnell zwischendurch was zu lesen.
    Ich muss zugeben, bei irischen, englischen oder amerikanischen Kurgeschichten bin ich nicht so bewandert.
    Mein Favourit ist Helga Königsdorfs Kurzgeschichte "Bolero" aus der Sammlung "Meine ungehörigen Träume". Ich kann sie wieder und wieder lesen.
    Aber auch Borchert, er wurde ja schon genannt, oder Günter Kunert mit seinen sehr kurzen "Geschichten" (?) oder mit der etwas längeren Kurzerzählung "Adam und Evam". Oder Christa Wolfs Sammlung "Neue Lebensansichten eines Katers"


    Katy

  • Ich lese ab und an ganz gerne mal 'Kurzgeschichten'. Kurzegeschichten deshalb in Anführungsstrichen, weil ich die Gattungsabgrenzung hier für besonders schwierig halte.
    Neben Böll (Wanderer kommst Du nach Spa...) und Kafka, zähle ich auch Brechts Kalendergeschichten und die Werke Wladimir Kaminers großzügig dazu.

  • Ich lese immer wieder ganz gerne Kurzgescichten, gerade weil sie mich nicht so mitreißen und auch "mitnehmen" wie Romane. Man hat`s dann ja auch leichter, das Buch zwischendurch wegzulegen...
    Allerdings finde ich es eine große Kunst, eine Kurzgeschichte so sicht anzulegen, dass, wie es hier im Forum heißt, man mit den Figuren warm werden kann. Und das schafft gerade Judith Hermann, die bei dir ja nicht so gut weg kommt, meiner nicht nach hervorragend.
    Judith Hermanns Figuren sind nicht alltäglich. Sie sind Gestrandete, sie sind Außenseiter, und sie sind Persönlichkeiten. Ihre Geschichten spielen auf einer Insel in der Karibik, im Russland der vorletzten Jahrhundertwende, in einem New Yorker Absteigehotel, irgendwo an der Oder.
    Immer geht es um menschliche Begegnungen. Judith Hermann lässt oft eine Person über ihre Erlebnisse mit einer anderen erzählen. Der Leser lernt so eine rätselhafte, ungewöhnliche Figur aus der Perspektive eines anderen kennen und erfährt damit gleichzeitig Näheres über die Person des jeweils Erzählenden.
    Jede ihrer Gestalten hat etwas Besonderes, etwas Geheimnisvolles. Was ihnen zustößt, wirkt nie vorhersehbar, aber immer authentisch. Judith Herrmanns Geschichten sind voller Leben, auch oder gerade weil darin nichts Sensationelles geschieht. Ihre Figuren vergisst man nicht so schnell.