November 2003: Dante Alighieri: Die göttliche Komödie

  • Hallo zusammen


    ich scheine die langsamste Leserin unter euch zu sein. Eine Grippe hat mich von Dante entfernt und so bin ich erst im 6. Gesang.


    eure Beiträge sind beeindruckend und hilfreich.


    der 5. Gesang zeigte mir, daß die literarische Welt von Männern geprägt wurde, die die Frau als Verführerin ansahen. Das wurzelt höchstwahrscheinlich wieder in der Religion.


    ikarus: geht es dir gut?


    Viele Grüße
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Hallo zusammen !


    Hubert: Einmischung erwünscht und danke für deine Erklärungen ! Ja, ich muß mich wirklich mehr darum bemühen, das alles aus der Sicht der damaligen Zeit zu sehen. Es ist sehr schwierig, wie ja auch in den bisherigen Beiträgen deutlich wurde, abzugrenzen, was Dante wußte und was nicht. Leider bin ich auch nicht so bibelfest und fand deshalb deinen Hinweis auf Jeremias sehr hilfreich !


    @Alle: Ich bin, obwohl keine Grippe, auch noch nicht weiter als bis zum 10. Gesang gekommen. Erstmal wollte ich abwarten, wer alles mitliest (IKARUS, Ralf !!) und wie schnell und dann passiert mir folgendes, komisches beim lesen: ich könnte wahrscheinlich das inferno gleich in einem Rutsch durchlesen, es ist packend und interessant geschrieben - nur, ich würde wahrscheinlich nur 10 Prozent mitkriegen :breitgrins: Es steckt soviel darin und ich muß mir immer wieder über einzelne Sätze klarwerden, die plötzlich nach mehrmaligem lesen eine ganz andere Bedeutung haben. So lese ich also mehrmals Teile eines Gesanges und entdecke immer etwas anderes. Außerdem lasse ich die Atmosphäre auf mich wirken ...


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen


    Zitat

    ikarus: geht es dir gut?


    Danke der Nachfrage, Maria :smile:


    Ich bin ja so froh, daß ihr noch nicht allzu weit seit. Es hatte sich so gut angelassen mit Dante. Das ganze vorletzte Wochenende konnte ich mich mit der Göttlichen Komödie beschäftigen, habe die Manesse- und Weltbild-Ausgabe parallel gelesen, dazu noch etwas Sekundärliteratur und bin bis zum sechsten Gesang gekommen. Das war´s dann aber leider auch.
    Auf der Arbeit wurde unsere Abteilung umstrukturiert, was einiges an Mehrarbeit mit sich gebracht hat, einem Freund von mir hatte ich versprochen ihm bei seiner Wohnungsrenovierung zu helfen, womit er dann aber zu meiner Überaschung schon letzten Montag losgelegt hat, und das ganze letzte Wochenende war Familienfeier.
    So bin ich leider wieder ziemlich raus aus dem Buch und muß mich erstmal wieder hineinfinden. Aber auch diese Woche sieht´s eher schlecht aus :sauer: Ich hoffe mal auf´s nächste Wochenende. Aber lest ihr ruhig weiter.


    Viele Grüße
    ikarus

    "Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand" (Erasmus von Rotterdam)

  • Hallo alle!


    Ich bin wohl von allen am weitesten mit der Lektüre (20. Gesang des Purgatorio). Deshalb werde ich erst mal eine Pause einlegen.


    Mein Eindruck bis jetzt:


    Die vielen Verweise auf die Zeitgeschichte, insbesondere der von Florenz, tun dem Werk nicht gut. So aufregend es für die Zeitgenossen gewesen sein mag, ihnen bekannte Persönlichkeiten in der Hölle wiederzufinden, für den heutigen Leser ist es sehr mühsam, sich durch die Anmerkungen zu quälen, um mit den vielen Vorgeschichten bekannt zu werden, die einen sonst nicht interessieren würden.


    Ich glaube, Dante hätte besser daran getan, die Geschichten der Bewohner der drei Reiche frei zu erfinden (meinetwegen in Anlehnung an ihm bekannte Personen) und diese so in die Göttliche Komödie einzubetten, dass sie ganz aus dem Text heraus verständlich wären. Dann wäre der Text wesentlich autarker, als er es jetzt ist.


    Ich frage mich, warum die Göttliche Komödie immer noch so berühmt ist - berühmter z.B. als Der rasende Roland oder Das befreite Jerusalem - und vielleicht liegt es an einer Eigenschaft, die gerade wir am wenigsten wahrnehmen können: An Dantes poetischer Sprache, und historisch an der Tatsache, dass die Göttliche Komödie in Italienisch geschrieben ist und nicht in Latein.


    Wie auch immer, es gibt trotzdem einige beeindruckende Szenen. Z.B. der göttliche Bote, der Vergil und Dante die Stadt in der Hölle öffnet. Auch Der Vers: "Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren" (aus dem Gedächtnis zitiert) ist ja sehr berühmt, und vernichtender kann man die ewige Verdammnis für mein Gefühl nicht zum Ausdruck bringen.


    hafis50: Ja, die Unterhaltung mit Odysseus ist wirklich interessant, nicht nur wegen der Schilderung seiner Reise. Letztere geht ja offenbar bis zum Läuterungsberg, denn welcher Berg soll der von ihm geschilderte sonst sein? Und man hat den Eindruck von Dantes Versen, dass er beschreibt, was vor ihm schon jemand erlebt und geschildert hat. Ich habe noch nicht herausbekommen, ob zu Dantes Zeiten schon ein Europäer den Äquator überquert und davon berichtet hat. Wenn nicht, dann bedeutet das, dass Dante den Gedanken der Entdeckungsreise vorweggenommen hat.


    Soviel fürs Erste. Ich wünsche allen ein schönes Wochenende!


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!


    Harald hat geschrieben:

    Zitat

    Die vielen Verweise auf die Zeitgeschichte, insbesondere der von Florenz, tun dem Werk nicht gut. So aufregend es für die Zeitgenossen gewesen sein mag, ihnen bekannte Persönlichkeiten in der Hölle wiederzufinden, für den heutigen Leser ist es sehr mühsam, sich durch die Anmerkungen zu quälen, um mit den vielen Vorgeschichten bekannt zu werden, die einen sonst nicht interessieren würden.


    Ich glaube, Dante hätte besser daran getan, die Geschichten der Bewohner der drei Reiche frei zu erfinden (meinetwegen in Anlehnung an ihm bekannte Personen) und diese so in die Göttliche Komödie einzubetten, dass sie ganz aus dem Text heraus verständlich wären. Dann wäre der Text wesentlich autarker, als er es jetzt ist.


    Dann wäre es aber von Anfang an klar gewesen, dass es Fiktion ist. Dante wollte aber doch eindeutig, dass man die 'Divina Commedia' als real auffasste. Nicht zuletzt deshalb ist ja auch der Protagonist 'Dante'.


    Zitat

    Ich frage mich, warum die Göttliche Komödie immer noch so berühmt ist - berühmter z.B. als Der rasende Roland oder Das befreite Jerusalem - und vielleicht liegt es an einer Eigenschaft, die gerade wir am wenigsten wahrnehmen können: An Dantes poetischer Sprache,


    das sicherlich auch...

    Zitat

    und historisch an der Tatsache, dass die Göttliche Komödie in Italienisch geschrieben ist und nicht in Latein.


    das wohl weniger; historische Verdienste pflegt der Mensch schnell zu vergessen.


    Aber unabhängig davon, ob ich die jeweiligen Insassen kenne, halte ich Definition und Beschreibung der 3 jenseitigen Reiche für nach wie vor unerreicht.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Sandhofer,


    Zitat

    Dann wäre es aber von Anfang an klar gewesen, dass es Fiktion ist. Dante wollte aber doch eindeutig, dass man die 'Divina Commedia' als real auffasste. Nicht zuletzt deshalb ist ja auch der Protagonist 'Dante'.


    Glaubst Du das wirklich? Wann Du "realistisch" gesagt hättest, könnte ich Deine Aussage nachvollziehen. Aber "real" ist nicht "realistisch". Ist Dante ein Hochstapler, der den Zeitgenossen glaubhaft machen wollte, er sei <b>wirklich</b> in der Hölle, auf dem Läuterungsberg und sogar im Himmel gewesen und habe genau das alles erlebt, was er beschreibt? Ich glaube nicht.


    (Exkurs: Karl May hat so etwas behauptet: "Ich habe wirklich alles erlebt, was ich beschrieben habe." Und Viele haben es ihm geglaubt und waren enttäuscht, als die Wahrheit ans Licht kam. Und noch heute gibt es Apologeten, die die eine oder andere Lücke in seiner Biographie zu Spekulationen ausnutzen, er sei vielleicht <b>doch</b> in Amerika gewesen... Dabei ist es (jedenfalls für mich) viel beeindruckender, wenn ein Schriftsteller, ohne die entsprechende Lebenserfahrung zu haben, so überzeugend schreibt, dass die Illusion lebensecht erscheint. Aber Karl May war kein Dante. Er hatte in der Tat etwas von einem Hochstapler. Ende des Exkurses.)


    Zitat

    Aber unabhängig davon, ob ich die jeweiligen Insassen kenne, halte ich Definition und Beschreibung der drei jenseitigen Reiche für nach wie vor unerreicht.


    Bei "unerreicht" stimme ich Dir zu. Aber auch "überzeugend"? Und vor allem: Können wir mit seiner Vision etwas anfangen?


    Für mich ist vor allem die Beschreibung der Hölle eine Schreckensvision. Die Hölle ist bei Dante ein einziges, gnadenlos verwaltetes Konzentrationslager. Das Zitat: "Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren" kann man sich nur über dem Eingangstor eines Konzentrationslagers vorstellen. Und zwar eines solchen, in dem nicht einmal die Hoffnung auf die Erlösung durch den Tod besteht. (Ich glaube nicht, dass ich der Erste bin, der diesen Vergleich macht.)


    Ich gebe zu, dass ich keine Kenntnisse in Theologie habe. Deshalb frage ich ganz naiv: Ist die Vorstellung von einer ewigen Verdammnis überhaupt christlich? Hat Jesus Christus nicht alle Sünden der Menschheit auf sich genommen? Heißt er nicht deshalb "der Erlöser", weil er uns von unserer Schuld erlöst hat?


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammmen!
    Hallo Harald!


    Ich bin ja nun auch kein Theologe. Da war mal jemand im Forum...


    Ich habe ganz bewusst 'real' geschrieben. 'Real' ist etwas, das ich wirklich erlebt habe, 'realistisch' etwas, das so wirkt, wie wenn es 'real' wäre / sein könnte. Vielleicht brauche ich die Wörter auch falsch; also wenn Dir 'realistisch' lieber ist, will ich nicht darum streiten. Was für mich z.B. auch in 'real' enthalten ist, sind 'Erlebnisse' wie 'Visionen'. Und Dante scheint sich für mich eindeutig an Visions-Literatur anzulehnen. Der geführte Trip durch sämtliche Reiche des Jenseits ist eine typisch visionäre Erfahrung. Deshalb 'real': Dem Visionär ist seine Vision genau so real wie uns das Zähne Putzen am Morgen früh.


    Können wir mit Dantes Vision etwas anfangen? Wir können zumindest - und das halte ich für nicht unwichtig bei Literatur - die Kunst, die Ästhetik bewundern.


    Du fragst:

    Zitat

    Ist die Vorstellung von einer ewigen Verdammnis überhaupt christlich? Hat Jesus Christus nicht alle Sünden der Menschheit auf sich genommen?


    Wie gesagt, ich bin auch kein Theologe. Es gibt aber im Neuen Testament schon Stellen (z.B. Lukas 13, 22-28), wo Jesus selber davon spricht, dass nur wenige gerettet werden, und die anderen werden "draussen" stehen und "verzweifelt heulen und schreien". Ich nehme an, auf solche biblische Stellen stützen sich die Schilderungen der christlichen Hölle letztendlich.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo !


    Erstmal glaube ich auch, dass Dante dadurch, dass er das Ganze als Wahrheit darstellt, eine viel höhere Spannung erzeugen kann. Wenn man davon ausgeht, dass die Menschen damals ja an eine reale Existenz Gottes glaubten, an Hexen und so weiter, war es sicherlich für sie sehr realistisch. Vielleicht hatten sie auch ein so sehr differenziertes Bild, für mich war Hölle ja bisher nur Feuer und heiß, aber so richtig habe ich mir die Qualen, die Hierarchie usw. noch nie ausgemalt. Da Dante das aber auch eher emotionslos schildert, wirkt es noch viel echter. Aber ob er wirklich daran geglaubt hat, die Leser glauben, er habe das wirklich erlebt ? Am Anfang spricht er ja von Schlaf und ich glaube es wird schon deutlich, dass es eher eine Art Traum gewesen sein soll, eine Reise ins Ich ?
    Im übrigen finde ich die historischen Persönlichkeiten und deren Geschichte spannend - fast ein historischer Roman:zwinker:


    Harald schreibt:

    Zitat

    Ist die Vorstellung von einer ewigen Verdammnis überhaupt christlich?


    Das habe ich mich auch schon gefragt, bis jetzt hat niemand eine aktive Chance auf Erlösung, alle warten irgendwie auf das jüngste Gericht . Aber durch den vor der Stadt Dis auftauchenden Engel erfahren wir, dass der Himmel in der Hölle intervenieren kann. Also doch keine absolute Trennung ? Vielleicht hängt es auch mit der aristotelischen Auffassung zusammen, diese strenge Einteilung ? Eine wirkliche Antwort habe ich auch nicht. Vielleicht wurde die Vergebung auch erst so richtig während der Zeit der Ablasshandel von der Kirche eingeführt ?


    Nachdem ich nun den Schwachheitssünden und dem Unmaß entronnen bin, habe ich mich bis zu den Gewalttaten vorgelesen. In der erste aristotelische Stufe gibt es vorwiegend Beschreibungen, ja es ähnelt doch eher einem Tatsachenbericht (was einer der Gründe für mich ist, warum die "Komödie" so faszinierend ist).


    Aber während der 2. Stufe fällt mir doch vermehrt auf, dass immer mal wieder ganz vorsichtige Kritik geübt wird, vor allem bei den Sodomiten. Da der sexuelle Aspekt nicht dargestellt wird, denke ich, dass sie für Gewalttäter gegen die gottgegebene Natur stehen. Diese üben Gewalt gegen Gott, weil sie ihren persönlichen Egoismus über die sozialen Belange stellen. Überraschenderweise werden hier Gelehrte und Politiker genannt, die im heißen Sand ständig in Bewegung bleiben müssen. Aber Genugtuung empfindet Dante auch hier nicht, eher Mitleid mit seinem alten Lehrer, vielleicht denkt er auch daran, dass ihm das gleiche Schicksal blühen könnte? Und angesichts dieser Pflicht des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft denkt Dante auch wieder an Florenz. Diese biografischen Einblendungen kommen ja wiederholt vor - nun also analysiert Dante im 15. Gesang seinen Wunsch, wieder nach Florenz zurückzukehren. Sollte er sich dem Schicksal ergeben ? "... Daß, schilt mich anders nur nicht mein Gewissen, Ich auf das Schicksal, wie's auch sei gefaßt bin."


    Und im 16. Gesang macht er sich frei von seiner Vergangenheit, den Strick der Franziskaner wirft er hinab, wobei der Pardel mit seinem schwarzen und weißen Fell auch für die zwei Lager der florentinischen Guelfen stehen könnte. Aber wie soll die "schwimmende Gestalt" gedeutet werden ?


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen!
    Hallo Steffi!


    Ich kann mich einfach nicht klar ausdrücken... :rollen:


    Du schreibst:

    Zitat

    Aber ob er wirklich daran geglaubt hat, die Leser glauben, er habe das wirklich erlebt ? Am Anfang spricht er ja von Schlaf und ich glaube es wird schon deutlich, dass es eher eine Art Traum gewesen sein soll, eine Reise ins Ich ?


    Diese Reisen ins Ich, Träume, Visionen - wie immer man sie nennen will - waren für Dantes Zeitgenossen durchaus das gleiche wie die Realität, wie wir sie heute kennen: etwas, das wir im Wachzustand erleben. Erst langsam haben sich diese zwei Reiche zu trennen begonnen. Und ich habe Dante im Verdacht, daran mitgearbeitet zu haben - gerade dadurch, dass er etwas als Vision ausgibt, das es eben nicht (mehr) ist, leitet er die neuzeitliche Trennung ein. Noch im Mittelalter wurde bewusstes Imaginieren (also auch Schriftstellern!) als "Lüge" abqualifiziert. Eine Vision war aber gott-geschenkte Wahrheit. Obwohl natürlich der Teufel einem auch Visionen einflössen konnte :teufel:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • zur frage, ob die damalige welt den südhimmel kannte:
    zu purgatorium 1, zeile 24 schreibt mein kommentar, daß seit adam kein menschliches auge den südhimmel gesehen habe. Die nachfahren von adam und eva hätten also sich über die nordhalbkugel verteilt, während auf der südseite durch den höllensturz luzifers der läuterungsberg enstanden sei.


    Ich bin auch kein theologe, ich glaube aber, daß die konzeptionen von hölle und satan in der glaubensgeschichte eine entwicklung durchmachten. So soll satan die rolle eines bösen erst im verlaufe erhalten haben, ebenso wie die hölle ursprünglich nicht oder nicht in dieser form gedacht wurde.
    Ich glaube auch, daß das alte testament zahlreiche stellen enthält, die sünder in die ewige verdamnis schicken. Inwieweit der tod jesu jetzt erlösung bedeutet, ist die frage. Sichtbar wird diese problem auch am in der katholischen und protestantischen kirche unterschiedlich vertretenem gedanken der prädestination. Wenn sünde vorbestimmt ist, was bedeutet dann erlösung?
    In der bibel selbst soll es rudimentäre (?) stellen geben, die höllenfahrten jesu erwähnen. Es ist ja auch klar, daß ansonsten die verfasser der heiligen bücher des alten testamentes, da sie ja ungetauft waren, in der hölle hätten verbleiben müssen.
    Die platonische philosophie soll auch strafe, zB evtl. im gegensatz zum gott des alten testamentes, nicht als rache, sondern als reinigung angesehen haben. Vielleicht entstammt der gedanke des fegefeuers hieraus.


    die komödie nur ein traum?
    wenn ich mich richtig erinnere, wird sie eingeleitet durch eine anrufung der musen. Diese aber sind die götter des erinnerns oder der prophezeiung (?). Das spricht eher für die vermutung, das werk sei eine reale vision oder eine prohezeiung. So schreibt harold bloom: "Sein gedicht ist eine prophezeiung und übernimmt die funktion eines dritten testamentes (nach dem alten + neuen), das in keiner weise dem alten und neuen untergeordnet ist. Dante will nicht zugeben, dass die komödie eine fiktion sein muss, nämlich seine überragende fiktion. Eher ist das gedicht die wahrheit, und zwar die universelle und nicht nur die zeitweilige...Wir können annehmen, dass er an die realität seiner visionen glaubte; ein dichter seiner stärke, der sich selbst für einen wahren propheten hielt, würde seinen abstieg in die hölle nicht als bloße metapher gesehen haben..."
    Wenn das werk also keine fiktion sein soll, hätte eine erfindung der beschriebenen personen dieser absicht entgegengearbeitet. Weiter kann man annahmen, daß er beim schreiben nicht die leser klassischer literatur im auge hatte, -vielleicht weil er der welt gar nicht mehr soviel zeit bis zum jüngsten gericht gab-, sondern seine zeitgenossen, für die die bezüge noch ohne weiteres verstehbar waren.
    gruß hafis

  • Harald hat gepostet:
    Für mich ist vor allem die Beschreibung der Hölle eine Schreckensvision. Die Hölle ist bei Dante ein einziges, gnadenlos verwaltetes Konzentrationslager. Das Zitat: "Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren" kann man sich nur über dem Eingangstor eines Konzentrationslagers vorstellen. Und zwar eines solchen, in dem nicht einmal die Hoffnung auf die Erlösung durch den Tod besteht. (Ich glaube nicht, dass ich der Erste bin, der diesen Vergleich macht.)


    Hallo Harald,


    in der Tat bist Du nicht der erste, der Dantes Inferno mit einem Konzentrationslager vergleicht. Wie so oft gilt aber auch hier: ein falscher Vergleich wird durch Wiederholung nicht besser.


    Gruß von Hubert

  • Hallo Hubert,


    Zitat von "Hubert"

    ein falscher Vergleich wird durch Wiederholung nicht besser.


    Ich habe geschrieben "für mich ist dies eine Schreckensvision...". Ohne jetzt weiter ausholen und das näher begründen zu wollen: Wenn Du geschrieben hättest: "Auf mich wirkt es anders, nämlich so und so", hätte ich gesagt, OK, wir haben unterschiedliche Auffassungen, das ist in Ordnung.


    Wenn Du aber sagst, der Vergleich sei <b>falsch</b>, musst Du schon eine Begründung liefern. Du sagst damit nämlich, dass ich den Vergleich nicht hätte machen dürfen bzw. dass meine Empfindung "falsch" ist (aber wie kann eine Empfindung falsch sein?).


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Hafis,


    Zitat

    zu purgatorium 1, zeile 24 schreibt mein kommentar, daß seit adam kein menschliches auge den südhimmel gesehen habe. Die nachfahren von adam und eva hätten also sich über die nordhalbkugel verteilt, während auf der südseite durch den höllensturz luzifers der läuterungsberg enstanden sei.


    Das mag die Sicht aus der Fiktion der christlichen Mythologie sein, meine Frage zielte aber auf die tatsächlichen Verhältnisse ab. Tatsächlich gab es Adam und Eva nicht, es gibt auch keinen Läuterungsberg und keinen Luzifer. Daher noch einmal die Frage: Gab es zu Dantes Zeit Kenntnis von Europäern, die die Südhalbkugel erreicht hatten?


    Ich komme eben nicht über die Präzision von Dantes physikalischem Weltbild hinweg. Die Kugelgestalt der Erde, die Tatsache der Zeitzonen, die Zeitverschiebung zwischen Europa und dem Läuterungsberg (unsere Antipoden) um 12 Stunden, die Tatsachen, dass wenn man absteigend den Erdmittelpunkt erreicht hat und sich geradlinig weiterbewegen will, man sich <b>umdrehen</b> muss, um den Kopf wieder oben und die Füße wieder unten zu haben (weil nämlich die Schwerkraft jenseits des Erdmittelpunktes in entgegengesetzter Richtung wirkt), die exakte Beschreibung der astronomischen Daten, insbesondere die vier großen Sterne, die man auf der Südhalbkugel sieht (das Kreuz des Südens, woher kannte Dante es?), die "linksläufige Sonne", alles das ist für uns ganz klar, aber wir haben es sozusagen mit der Muttermilch eingesogen, weil es seit Generationen erwiesene und tradierte Tatsachen sind. Für Dante aber ist das eine wissenschaftliche Leistung, die ihn in eine Reihe mit den Großen der Naturwissenschaft von Galilei bis Einstein stellen würde, wenn er der erste wäre, der dies korrekt dargestellt hat. Es ist so, als hätte Goethe Effekte aus der Relativitätstheorie richtig beschrieben...


    Das alles ist mir rätselhaft. Nun, ich bin leider kein Experte in der Wissenschaftsgeschichte des Spätmittelalters. Aber mal anders gefragt: woher wissen wir eigentlich, dass die göttliche Komödie wirklich zu Dantes Zeit verfaßt wurde und nicht etwa 150 Jahre später? Von wann datiert die älteste Handschrift? Worauf beruht die Datierung?


    Fragen über Fragen :-)


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo alle und insbesondere Sandhofer,


    Ich würde gerne etwas Begriffsklärung betreiben.


    Zitat von "Sandhofer"

    'Real' ist etwas, das ich wirklich erlebt habe, 'realistisch' etwas, das so wirkt, wie wenn es 'real' wäre / sein könnte.


    Ja, genau diese Unterscheidung habe ich gemeint. Es gibt aber noch eine weitere Unterscheidung. Stellt Euch vor, jemand träumt, in Bonn (wo ich wohne) vor dem Rhein zu stehen. Er will hinüber. Also nimmt er Anlauf und springt auf die andere Seite.


    In diesem Fall ist der Traum real (er hat wirklich geträumt), aber der <b>Inhalt</b> des Traums ist <b>nicht</b> real, denn tatsächlich ist er nicht über den Rhein gesprungen. Der Inhalt des Traums ist nicht einmal realistisch, denn man kann nicht bei Bonn über den Rhein springen - selbst dann nicht, wenn man viel Anlauf nimmt... :-) Trotzdem kann der Traum als Traum eine große Bedeutung haben - z.B. ein Ausdruck dafür sein, dass der Träumende ein großes (psychisches) Hindernis überwindet.


    Zitat von "Sandhofer"

    Was für mich z.B. auch in 'real' enthalten ist, sind 'Erlebnisse' wie 'Visionen'


    Deshalb hier die Frage: Meinst Du, dass die Visionen als Visionen real sind oder das, was Du in der Vision zu sehen/zu erleben glaubst?


    Und jetzt zurück zu Dante: Wenn es Dantes Absicht war, die Göttliche Komödie als eine Art "reale" Vision oder Traum darzustellen, d.h. selbst innerhalb der Fiktion des Textes davon auszugehen, dass alles sich nur in seiner Psyche abspielt, was bleibt dann von der großartigen Schilderung der drei Jenseitsreiche? Wir hätten es dann nur mit den Einbildungen eines Mannes zu tun, und die Gestalten in der Hölle z.B. wären dann nur eine Projektion seines Hasses oder seiner Verachtung (was sie in Wirklichkeit wahrscheinlich sind, aber nicht innerhalb der Fiktion!!!).


    Und jetzt noch einige weitere Überlegungen (ihr seht, das Thema lässt mir keine Ruhe ;-)): Es liegt in der Natur eines Kunstwerkes, dass es auf verschiedene (nicht kompatible) Weisen interpretiert werden kann. Unterschiedliche Interpretationen haben ihre Berechtigung und schließen sich nicht gegenseitig aus, selbst wenn sie einander widersprechen. Das unterscheidet Kunst von Wissenschaft.


    Und noch einen Schritt weiter: Auch die Frage, was der Künstler mit dem Kunstwerk gemeint hat, ist von der eigentlichen Interpretation losgelöst zu betrachten. Anders gesagt, wir haben das Recht, uns bei der Interpretation nach unserem Koordinatensystem zu richten und nicht nach dem des Künstlers. So hat z.B. die Deutung der Hölle als Konzentrationslager ihre prinzipielle Berechtigung (hallo Hubert), auch wenn ganz klar ist, dass Dante das so nicht gemeint haben kann.


    Die Frage, was der Dichter selbst gemeint hat, ist für sich natürlich ebenso berechtigt, aber da sie sich auf den psychischen Zustand des Dichters zur Zeit der Abfassung der Dichtung bezieht, ist sie eine eher biographische Frage. Die Bedeutung des Kunstwerkes hängt davon nicht ab, denn vielleicht steckt viel mehr darin, als dem Künstler je bewußt war!


    Man findet überhaupt häufig bei Dichtern die Behauptung, dass die Dichtung eine Art Eigenleben führt, ja dass sie sich nur des Dichters bedient, um ins Leben zu gelangen, gewissermassen den Dichter für ihren eigenen Lebenswillen ausnutzt. Z.B. hat Goethe gesagt (ich zitiere aus dem Gedächtnis etwas salopper, als Goethe es wohl formuliert hat):


    "Die Deutschen sind lustige Leute. Da fragen sie mich, was der Faust bedeuten soll. Ja woher soll den <b>ich</b> das wissen?"


    Zurück zur Göttlichen Komödie: Einige Interpretatoren vertreten wohl die Vorstellung von übereinander geschichteten Lesarten:


    1. Die "faktische" Lesart: Es handelt sich um reale Ereignisse: Ein 35jähriger Mann verläuft sich im Wald, findet den Eingang zur Hölle, steigt mit Hilfe einer Seele (Vergil) hinab usw.


    2. Die "psychologische/symbolische" Lesart: Es handelt sich um die allegorische Darstellung eines Lebensschicksals: Ein Mann verstrickt sich in Sünden, gelangt durch Hilfe des Verstandes (Vergil) allmählich zur Erkenntnis der Sünden und der Strafen, die diese (schon im wirklichen Leben) nach sich ziehen, läutert sich durch diese Erkenntnis und durch seinen Willen zum Guten und zu Gott allmählich und wird schließlich durch die Liebe (Beatrice) erlöst.


    3. Die "mythische/religiöse" Lesart: Es handelt sich um die Darstellung des menschlichen Schicksals schlechthin, also um nichts weniger als die Bestimmung der Menschheit.


    In keiner dieser drei Lesarten handelt es sich um Visionen oder Träume!


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo zusammen!
    Hallo Harald!


    Du schreibst:

    Zitat

    Meinst Du, dass die Visionen als Visionen real sind oder das, was Du in der Vision zu sehen/zu erleben glaubst?


    Ich meine schon den 'Inhalt' der Vision. Das ist genau das, was für uns Heutige fast nicht mehr nachvollziehbar ist: Eine Vision, weil (oder besser: wenn!) von Gott eingegeben, ist die Realität. Ein Mystiker in seiner Ekstase sieht Himmel und Hölle, wie sie 'wirklich' sind, er sieht keine Traumgebilde! Dahinter steht auch der Gedanke, dass Gott uns ja nicht betrügt.


    Um es modern auszudrücken: Dante 'spielt' mit der Textsorte 'Vision', deren Anspruch auf Wahrheit und Realität er mitnimmt, obwohl er (und wahrscheinlich auch seine Leser) genau wusste, dass die 'Divina Commedia' eben keine Vision (mehr) ist.


    Zitat

    Und jetzt zurück zu Dante: Wenn es Dantes Absicht war, die Göttliche Komödie als eine Art "reale" Vision oder Traum darzustellen, d.h. selbst innerhalb der Fiktion des Textes davon auszugehen, dass alles sich nur in seiner Psyche abspielt, was bleibt dann von der großartigen Schilderung der drei Jenseitsreiche?


    Es ist eben die Realität, kein innerpsychischer Zustand! Dante spielt natürlich in sehr moderner Manier mit den verschiedenen Ebenen oder Auffassungen der Realität.


    Im übrigen stimme ich Dir völlig zu, wenn Du sagst:

    Zitat

    Es liegt in der Natur eines Kunstwerkes, dass es auf verschiedene (nicht kompatible) Weisen interpretiert werden kann. Unterschiedliche Interpretationen haben ihre Berechtigung und schließen sich nicht gegenseitig aus, selbst wenn sie einander widersprechen. Das unterscheidet Kunst von Wissenschaft.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Hallo Steffi,


    Zitat von "Steffi"

    Erstmal glaube ich auch, dass Dante dadurch, dass er das Ganze als Wahrheit darstellt, eine viel höhere Spannung erzeugen kann.


    Mir gefällt die Formulierung "dass er das Ganze als Wahrheit darstellt". Das impliziert nämlich, dass seine Erzählung innerhalb ihrer Fiktion als Wahrheit verstanden werden will, ohne dass Dante selber an die buchstäbliche Wahrheit geglaubt hat. Das ist in etwa das, was ich die "faktische" Lesart genannt habe. Man könnte sie auch die "naive" Lesart nennen (das ist nicht abwertend gemeint). D.h. man liest Dantes Geschichte so, wie man die meisten Romane liest, sagen wir z.B. "Robinson Crusoe": Man weiß zwar, dass die Geschichte erfunden ist, liest sie aber trotzdem wie einen Tatsachenbericht.


    Ich würde allerdings nicht von "Spannung" reden, sondern feststellen, dass die realistische Illusion durch die Detailgenauigkeit besonders überzeugend wird. Dante gibt sich z.B. Mühe, den Zeitablauf korrekt darzustellen. Es sind die vielen Details, die das Gesamtbild so überzeugend machen.


    Zitat

    Da Dante das aber auch eher emotionslos schildert


    Das ist mir nicht ganz klar... Dante schildert jedenfalls seine eigenen Emotionen sehr lebhaft. Zu Beginn ist er so erschüttert, dass er in Ohnmacht fällt. Später vergießt er Tränen über einzelne Schicksale, schämt sich seiner Neugier, verliert auf dem Grund der Hölle beinahe die Selbstkontrolle vor Wut usw.


    Zitat

    Aber während der 2. Stufe fällt mir doch vermehrt auf, dass immer mal wieder ganz vorsichtige Kritik geübt wird


    Das habe ich nicht verstanden. Wer übt welche Kritik an wem? Leider habe ich den Text im Moment nicht vorliegen.


    Gruß, Harald

    Aktuell: Altägyptische Literatur. Kafka. Theater des Siglo de Oro. Gontscharow. Sterne, Fielding, Smollett.

  • Hallo Harald,


    Du hast gepostet:
    Ich habe geschrieben "für mich ist dies eine Schreckensvision...". Ohne jetzt weiter ausholen und das näher begründen zu wollen: Wenn Du geschrieben hättest: "Auf mich wirkt es anders, nämlich so und so", hätte ich gesagt, OK, wir haben unterschiedliche Auffassungen, das ist in Ordnung.


    Wollen wir mal genau zitieren:
    Für mich ist vor allem die Beschreibung der Hölle eine Schreckensvision.
    hast Du gepostet und diese Deine Empfindung kann ich durchaus teilen. Wenn nicht hätte ich selbstverständlich genau so wie von Dir empfohlen geschrieben, dass dies auf mich anders wirkt. Aber Dante wäre ein schlechter Dichter, wenn er die Hölle nicht als Schreckensvision beschreiben würde. Dann aber ging es bei Dir nach einem Punkt wie folgt weiter:
    Die Hölle ist bei Dante ein einziges, gnadenlos verwaltetes Konzentrationslager


    Wenn ich sage, das ist falsch, meine ich nicht nur, dass Dante das so nicht gemeint haben kann (soviel historisches Wissen hatte ich bei Dir schon vermutet :zwinker: ), sondern, dass unser Koordinatensystem verschoben ist, wenn wir so interpretieren würden.


    Dantes Hölle ist vielmehr ein Werk der Gerechtigkeit Gottes: „Giustizia mosse il mio alto fattore“


    Diese dann mit einem Konzentrationslager gleichzusetzen halte ich deshalb nicht nur für falsch sondern auch für gefährlich. :entsetzt:


    Gruß von Hubert


    PS: Deine anderen Gedanken und Anregungen finde ich im übrigen sehr interessant und gut und bedauere nur, dass ich im Moment nicht die Zeit habe, hier mitzulesen..Insbesondere dem folgenden Satz würde ich bei Dantes „Göttlicher Komödie“ voll zustimmen:
    ....., denn vielleicht steckt viel mehr darin, als dem Künstler je bewußt war!

  • Hallo zusammen !
    Hallo Harald,


    mit "Spannung" meinte ich genau, wie du ja gepostet hast, dass durch diese lebenden Personen die Komödie besonders überzeugend wirkt - eben spannend für die Leser, insbesondere die zeitgenössischen, die sich bestimmt fragten, wer denn im nächsten Höllenabschnitt "schmort".


    Die Diskussion über Vision/Realität finde ich sehr interessant, besonders sandhofers Erläuterung über die Einstellung der Menschen des Mittelalters finde ich äußerst verblüffend, aber sehr gut nachvollziehbar. Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht und ich verstehe jetzt etwas besser, warum die Religion so stark verankert war - es kann ja durchaus beängstigend sein, wenn man seine Träume nicht als teilweise Fiktion/elektrische Impulse etc. erklären kann. Interessant dazu auch die psychologische Deutung von Harald, die ja erst Anfang unseres Jahrhunderts durch Freud so richtig populär wurde.


    Zu meinem posting über "Emotionen": Emotionen ist vielleicht wirklich nicht der richtige Ausdruck - aber ich weiß im Moment nicht, wie ich es besser ausdrücken könnte. Dante läuft durch die Hölle, aber er kritisiert die Menschen nicht, die er trifft, noch wird bewertet, warum sie gerade in diesem Kreis bleiben müssen. Erst als er seinen ehemaligen Lehrer trifft, meine ich etwas Bedauern bei Dante zu spüren und auch Furcht, sich ebenso zu verhalten (mit seinem Wunsch, unbedingt wieder nach seinen Vorstellungen in Florenz einzuziehen) und damit auch dort zu landen. Zum ersten Mal versteht er die Beweggründe und - vielleicht - zweifelt er daran, ob diese Einteilung gerecht ist. Gäbe es nicht auch Gründe, die in der Natur des Menschen und damit gottgegeben sind, um solche Verfehlungen zu erklären ? Diese Gedanken sind mir beim Lesen durch den Kopf gegangen...


    Gruß von Steffi

  • Zitat von "Harald"

    Das mag die Sicht aus der Fiktion der christlichen Mythologie sein, meine Frage zielte aber auf die tatsächlichen Verhältnisse ab. Tatsächlich gab es Adam und Eva nicht, es gibt auch keinen Läuterungsberg und keinen Luzifer. Daher noch einmal die Frage: Gab es zu Dantes Zeit Kenntnis von Europäern, die die Südhalbkugel erreicht hatten?


    Nach dem quellenmaterial kann man wohl annehmen, daß für dante diese vorstellungen real waren. Aus poetologischer sicht kann man sagen, daß dieses werk, ungleich der gewöhnlichen fiktiven literatur, keine fiktion sein will. Deswegen die anrufe zu kapitelbeginn an die musen, sich richtig zu erinnern. Oder sätze wie "...könnt' ich's noch erblicken!", in denen der erzählende dante die emotionen des dante's der komödie wieder erinnern will.
    Aus dem kommentar von gmelin zu purg 1:
    "Dann wendet sich der sinn des... wanderes...dem wiedergefundenen himmelsgewölbe zu, an dem im osten der erste lichtschimmer erscheint...Dann erscheint dem erstaunt umherblickenden auge ein überwältigend neues sternbild, das viergestirn der weltlichen kardinaltugenden, mit dem dante in einem moralisch-allegorischen phantasieakt das dem norden unbekannte kreuz des südens erraten zu haben scheint."
    und zu zeile 23: "Es ist nicht ausgeschlossen, daß dante kenntnis von der existenz des südkreuzes hatte, doch zog er es vor, dem sternbild seinen geheimnisvollen dichterisch-allegorischen charakter zu belassen, indem er betont, daß es seit den ersten menschen...kein mensch gesehen habe. dies entspricht auch der lehre von der unzugänglichkeit des südlichen meeres, die in der letzten fahrt des odysseus, inf 26, ausgeprägt ist."
    und zu 21: "Die astronomischen exordien sind seit homer ein topos der epik, virgil verwendet sie gerne zur hervorhebung wichtiger handlungselemente. Lukan hat eine vorliebe für besonders ausführliche astronomische zeitangaben. So konnte dante die entgegensetzung von tag und nacht bei ihm finden".


    Die entgegengesetzten zeiten, die richtung der schatten und die richtungswechsel können allein theoretisch abgeleitet werden. Ich wüßte aber nicht, woher dante das sternbild des südhimmels gekannt haben sollte. Waren nicht die südlichen meere erst viel später erreichbar? Wer sollte dann so weit nach süden gelangt sein und dieses wissens nach europa gegeben haben? Vielleicht arabische seeleute?
    Andererseits kann es auch nur zufall sein. Gmelin gibt zur sternbildfrage eine weiterführende literatur an.
    gruß hafis

  • -datierung: laut kindler keine handschriften aus dante's zeit (tod 1321). älteste handschrift 1350, erster druck 1472).


    -konzentrationslager
    Wenn mich mein gedächtnis nicht täuscht, haben manche kritiker die komödie tatsächlich mit einem konzentrationslager verglichen. Der unterschied ist aber, dass man im konzentrationslager noch hoffnung (auf den tod) hat':smile:'.


    -schlaf in inferno 1, zeile 11 ein hinweis darauf, daß nur ein traum geschildert wird:
    Nein. Visionen können in einem dem schlaf ähnlichen zustand (trance, rausch) empfangen werden. Der manesse-kommentar: "Auch in den paulusbriefen ist der schlaf der sinnbildliche ausdruck für ein von sünden verdunkeltes lebensbewußtsein.


    Zitat von "Harald"

    Wenn es Dantes Absicht war, die Göttliche Komödie als eine Art "reale" Vision oder Traum darzustellen, d.h. selbst innerhalb der Fiktion des Textes davon auszugehen, dass alles sich nur in seiner Psyche abspielt, was bleibt dann von der großartigen Schilderung der drei Jenseitsreiche? Wir hätten es dann nur mit den Einbildungen eines Mannes zu tun, und die Gestalten in der Hölle z.B. wären dann nur eine Projektion seines Hasses oder seiner Verachtung (was sie in Wirklichkeit wahrscheinlich sind, aber nicht innerhalb der Fiktion!!!).


    Das eigene bewußtsein kann nicht zwischen "realität" einerseits und traum oder vision andererseits unterscheiden. Und wir können letztlich auch nur darüber spekulieren, ob dante alles nur erfunden hat und dies auch so dachte. Eine reine erfindung im sinne als science-fiction-geschichte würde aber die frage nach dem zweck des werkes aufwerfen. Geschrieben, nur um zu unterhalten oder um seiner verachtung für gewisse zeitgenossen ausdruck zu verleihen? Allein der (zeit-)aufwand, er schrieb ja bis zu seinem tode daran, spricht dagegen. Dante war gläubig, deswegen kann man den jenseits- u. anderen vorstellungen den charakter realer , sujektiver wahrheiten zubilligen. Lt. kindler sah dante in einem brief den zweck des werkes nicht nur in einer moralischen unterweisung des einzelnen, sondern auch als aufruf zur wiederherstellung der gottgewollten ordnung. Schlegel und hegel sähen sie als "bild des universums". Der manesse-kommentar beschäftigt sich auch mit dem wirklichkeitswert von dante's welt, und weist die auffassung, daß nur philosophische studien und lebenserfahrung als erklärung hinreichend sind, zurück. "Die art und weise, wie dante das wort 'visione' gebraucht, zeigt mit sicherheit, daß die grundlage seines gedichtes in übersinnlichen erfahrungen liegt." Das deckt sich mit dem bloom-zitat, daß zumindest dante selbst an den wahrheitsgehalt glaubte. Dies muß nicht heißen, daß er auch seine höllenfahrt für real hielt. Es genügt, daß er die dargestellte welt für real hielt. Und dies weist dann auf die von einer rein-theologisch-philosophischen interpretationsschiene abweichende interpretation des werkes als einer prophezeiung: Bloom schreibt, daß robert curtius betont, daß dante sich selbst als apokalyptische figur und als propheten sah, mit der erwartung, daß sich die prophezeiung noch zu seinen lebzeiten erfüllen werde.


    Zitat von "Harald"

    Zurück zur Göttlichen Komödie: Einige Interpretatoren vertreten wohl die Vorstellung von übereinander geschichteten Lesarten:


    1. Die "faktische" Lesart: Es handelt sich um reale Ereignisse...
    2. Die "psychologische/symbolische" Lesart: Es handelt sich um die allegorische Darstellung eines Lebensschicksals...läutert sich durch diese Erkenntnis und durch seinen Willen zum Guten und zu Gott allmählich und wird schließlich durch die Liebe (Beatrice) erlöst.
    3. Die "mythische/religiöse" Lesart: Es handelt sich um die Darstellung des menschlichen Schicksals schlechthin, also um nichts weniger als die Bestimmung der Menschheit.
    In keiner dieser drei Lesarten handelt es sich um Visionen oder Träume!


    1.=empirischer bericht , 2.= interpretation, meinung, selbstreflexion , 3.= spekulative theorie. Natürlich kann man zu 2 u. 3 mittels visionen und träume gelangen! Dies gilt nicht nur für den autor, sondern auch für den interpreten.
    gruß hafis