Ich verwandele mich in einen Lesemuffel

  • Dieser Beitrag war der Hauptgrund, warum ich mich hier angemeldet habe. Ich brauche nämlich eure Hilfe.


    Seit einiger Zeit lese ich immer weniger. Literatur spricht mich nichtmehr so an, wie sie es einst tat. Während ich mich, während meiner Schulzeit, durchaus einige Stunden in ein Buch vertiefen konnte, muss ich es jetzt meist nach etwa 60 bis 90 Minuten zur Seite legen, weil ich unruhig werde und ganze Passagen überspringe zu denen ich dann zurückkehren muss. Teilweise verliere ich Zeilen oder muss einen Satz drei-, viermal lesen, bis ich ihn verstehe. Und dann habe ich auch Probleme bei der Auswahl der nächsten Lektüre. Da stehe ich vor meinen Regalen, starre die Buchrücken an und denke mir bei jedem "Nein, darauf habe ich jetzt keine Lust". Teilweise überbrücke ich solche Phasen mit relativ leichter Kost, wie E. Gaskell oder nicht-fiktionaler Literatur. Wenn ich dann etwas lese, enttäuscht mich das Werk meistens, da ich irgendwie immer ein ähnliches finde, das ich bereits gelesen und für besser befunden habe.


    Kennt das vielleicht jemand? Kann mir jemand helfen?

  • Moin, Moin!


    Oh Mann. Es ist, als hätte ich mich gerade selbst gelesen. Ich lese jetzt tageweise gar nicht, und dann nur seitenweise. Ich kann mich kaum für ein nächstes Buch entscheiden. Alles erscheint so unangemessen. Was mich betrifft, kenne ich wenigtsens die Ursache: Zeitknappheit. Denn sofort, wenn ich wieder über etwas Zeit verfüge, verschwindet das Problem. Ich habe nach sieben Wochen stupender Arbeit vier freie Tage und konnte in den letzten beiden Tagen auch wieder lesen. Was ich also brauche, ist ein Mäzen, der mich von meiner Brotarbeit erlöst. ;-)


    Was dich betrifft - ich weiß nicht. Es muß ja nicht immer ein Leseleben sein. Es gibt andere Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen. Ich selbst sehe gerne bestimmte Fernsehserien, die mir durchaus gefallen und die ich nicht bereue, gesehen zu haben. Wenn du die Tendenz, ein Nichtleser zu werden, bedauerst, steckt also der Wunsch dahinter, es möge nicht so sein. Was kann die Ursache dafür sein? Hast du danach geforscht?

  • Nunja, das ist schwer festzumachen. Ein sehr wichtiger Aspekt ist auch bei mir die Zeitknappheit. Einmal die Reale und dann die Virtuelle.
    Zum ordentlichen Lesen gehört für mich endlose Ruhe und Muße. Ich muss die Möglichkeit haben, wenn nötig, über jeden Satz, Abschnitt, jedes Kapitel oder auch am Ende über das ganze Werk nachzudenken. Sobald ich aber äußerlich "nichts" mache, schelte ich mich geistig selbst, denn die Zeit könnte ich ja auch sinnvoller nutzen als nur "rumzusitzen". Das sind keine rationalen Gedanken, aber sie sind trotzdem, bedingt durch den äußeren Druck, einfach da. Und das, ziemlich ununterbrochen seit, dem Abiturstress.


    Einen anderen Aspekt hatte ich angedeutet: vor Jahren habe ich große Werke gelesen, die mich endlos beeindruckt haben. Z.B. Den Idiot, Schuld und Sühne, Krieg und Frieden, Die Räuber, Wilhelm Tell, Soll und Haben, und viele, viele mehr. Wenn ich jetzt etwas lese kommt es mir meistens als nicht gut genug vor. Als "nicht Meisterwerk" genug. Wenn ich dann andererseits wiedermal zufällig ein hervorragendes Buch in die Hand bekomme (z.B. jüngst Homo Faber von Max Frisch oder Marlowe's Faust), dann will ich mehr und mehr davon haben, aber das nächste Buch ist dann wieder vergleichsweise mau und enttäuschend. Das ist wahrscheinlich auch der unbewusste Grund, warum ich immer wieder zu Goethe's Faust zurückkehre und dann wirklich die Vollkommenheit jeder Zeile bewusst genieße.


    Ich habe natürlich auch andere Hobbies, neben dem Lesen, aber ich will trotzdem wieder die ganze Freude wiederhaben, die ich einst hatte, als noch alles neu und frisch war.


  • Einen anderen Aspekt hatte ich angedeutet: vor Jahren habe ich große Werke gelesen, die mich endlos beeindruckt haben. Z.B. Den Idiot, Schuld und Sühne, Krieg und Frieden, Die Räuber, Wilhelm Tell, Soll und Haben, und viele, viele mehr. Wenn ich jetzt etwas lese kommt es mir meistens als nicht gut genug vor. Als "nicht Meisterwerk" genug. Wenn ich dann andererseits wiedermal zufällig ein hervorragendes Buch in die Hand bekomme (z.B. jüngst Homo Faber von Max Frisch oder Marlowe's Faust), dann will ich mehr und mehr davon haben, aber das nächste Buch ist dann wieder vergleichsweise mau und enttäuschend. Das ist wahrscheinlich auch der unbewusste Grund, warum ich immer wieder zu Goethe's Faust zurückkehre und dann wirklich die Vollkommenheit jeder Zeile bewusst genieße.


    Das Problem hatte ich auch eine Zeitlang. Manche Bücher haben mich dermaßen beeindruckt, dass nichts mehr an sie heran gekommen ist. Was zur Folge hatte dass ich eine Zeitlang fast gar nichts gelesen hatte, weil alles so unbedeutend schien.
    Meine Lösung war für mich dann ganz einfach und simpel: Nie mehr als zwei Klassiker hinter einander und immer abwechseln mit "seichter" Literatur wie einem Krimi oder einem Fantasy-Buch. Das klappt bei mir super. Denn wenn ich dann wieder zu einem Klassiker griff, konnte ich mich ganz in das Buch vertiefen.


    Katrin

  • Probiere aus, was Dir am ehesten etwas bringt. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein. Nur mal als Beispiel:


    Es gibt die Disziplinierungs-Masche. Die funktioniert - augenzwinkernd - bei mir ganz gut. Dazu nimmt man sich ein bestimmtes Programm vor. Also notiere Dir eine Liste mit Dingen, die Du schon immer mal gelesen haben wolltest. Oder such Dir einen Schwerpunkt, etwa einen bestimmten Autor, dessen Arbeiten Du in einem Jahr weitgehend gelesen haben willst, und dann wird jedes zweite Buch, das Du zur Hand nimmst, eines von diesem/dieser. Etwas Sekundärliteratur dazu, und es ergibt sich noch ein Vorteil: Du bekommst so etwas wie Expertise.


    Es gibt andererseits die Hedonisten-Masche: mach Dir einfach keinen Kopf draus, schau aber in den Feuilletons, ob Dich irgendetwas spontan anspricht. Und dann greifst Du zu! Wir haben übrigens gerade ein Jubiläumsjahr, nämlich 250 Jahre Geburtstag von Jean Paul und 200 Jahre Todestag von Christoph Martin Wieland. Auch so etwas kann Dir eine Idee in den Kopf setzen. Berührungsängste zu Klassikern kennst Du ja bekanntlich nicht. :zwinker:


    Und auch wenn's dem Schöngeist wehtut: das eine oder andere Sachbuch wirkt schon mal wie eine Querlüftung im Hirn.

  • Hallo,


    mir geht/ging es da absolut genauso. Bei mir lag es auch einfach daran, dass ich berufliche gestresst gewesen bin und mich dann nicht richtig konzentrieren konnte. Aber letztens bin ich wieder etwas rein gekommen. Ich denke dafür ist vor allem eine wirklich fesselnde Lektüre entscheidend. Aber das hängt ja vom persönlichen Geschmack ab. Ich kann aber auch empfehlen eines seiner Lieblingsbücher zu lesen, dass man vielleicht vor vielen Jahr schon mal gelesen hat und weiß, dass es einem gefällt.


    Grüße,
    Resi!

    „Ein klassisches Werk ist ein Buch, das die Menschen loben, aber nie lesen.“

  • Ich habe auch versucht leichtere Kost unterzumischen. Aber das führt eher dazu, dass ich dann plötzlich Probleme mit anspruchsvolleren Werken habe und die nicht mehr lese. Insbesondere auf sprachlicher Ebene, was mich regelrecht schockiert. Ich tendiere dazu eher modernere Autoren (in letzter Zeit viel Remarque) zu lesen, deren Sprache einfacher und moderner ist.


    Ich wollte schon immer mal Wallenstein lesen und habe es immer vor mir hergeschoben. Letztens habe ich es mal angefangen und es ist in einer Pflichtübung ausgeartet. Dabei sollte lesen doch Spaß machen und anregen. Soviel dann auch zur Liste an Pflichtlektüren.


    Feste Zeiten habe ich nicht, das wird aber wohl leider vorerst auch nicht klappen, weil mein studentischer Tagesplan so gut wie nie einem vorhergehenden gleicht. Einzig die halbe Stunde lesen vorm Schlafengehen ist relativ fix.


  • Ich habe auch versucht leichtere Kost unterzumischen. Aber das führt eher dazu, dass ich dann plötzlich Probleme mit anspruchsvolleren Werken habe und die nicht mehr lese.


    Bei mir hat das genau den gegenteiligen Effekt. Nach ein paar sehr seichten Romanen freue ich mich geradezu auf anspruchsvolle Literatur.


    Katrin

  • Hallo zusammen!


    Ich hab auch ein sehr großes Zeitproblem. An sich lese ich immer noch viel, berufsbedingt. Nur fehlt mir leider wirklich oft die Zeit, Klassiker zu lesen, obwohl ich große Lust dazu verspüre. Nur mag ich das nicht so reinquetschen in den Tag, bin oft supernervös durch den Stress und kann mich kaum konzentrieren. Dazu kommt mein eigenes Schreibbedürfnis, das im Konflikt zu meinem Lesebedürfnis steht. Das muss auch raus in meinem Tagebuch oder zwischendurch mal in einer Kurzgeschichte.

  • Kenne ich auch zu gut! Würde es aber ebenfalls nicht als lesefaul betiteln, sondern vielmehr der Zeit zuschreiben.

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  • Habe gerade momentan genau solch eine Phase! Das Gleiche gilt für das Schreiben! Bin einfach beruflich zu sehr eingespannt.

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  • Hallo,


    ich werde im neuen Jahr versuchen, andere Aufgaben und Verantwortlichkeiten abzubauen, um mehr Zeit für die Literatur freizusetzen, vor allem auch für das eigene Schreiben. Das ist mir nämlich schon sehr wichtig und ich vermisse auch zunehmend die Literaturforen. Werd also wieder öfter hier reinschauen. Alles Gute für das Neue Jahr wünsche ich euch! :winken:

  • Hallo Leute, ich konnte mich noch an mein Password hier erinnern... :zwinker: Nachdem ich wohl sehr lange nicht mehr hier war, ist es doch ein gutes Zeichen für das noch intakte und funktionierende Gehirn. :smile:


    Also der Titel war natürlich zu einladend, um zu antworten, schließlich war 2014 wohl mein bisher schlimmstes literarisches Lesemuffeljahr.


    Die Arbeit hat mich dieses Jahr in eine kleine Krise gestürzt, ein Warnschuss vor den Bug der MS Burnout, die gefählich nah an meinen Kahn vorbeigeschippert kam. Also Ratgeber lesen, mich in der wenigen verbliebenen Zeit mit bildender-Kunst-Ausstellungskatalogen erfreuen und aufpäppeln... und vor 4 Tagen dann eines der guten Vornehmen schon am Tage vor dem neuen Jahr wahrmachen: Erzählungen von Jean Paul aus dem Regal gezogen und losgelesen. Der Titel "Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht" erinnerte mich an alte Vorhaben, ich wollte das Büchlein schon letzten Jahreswechsel lesen...


    Und Ende des Jahres hat meine Lieblingsbuchhandlung geschlossen... :cry:


    Na denn, mal sehen, was 2015 so bringt. Also der SUB, den ich weiter aufgebaute habe in 2014, wird sicher noch so einige Zeit reichen. Komisch, obwohl ich keine Literatur las, habe ich doch noch Literatur gekauft... irgendwie glaubte ich noch daran, zur Literatur zurückzukehren.


    Also alles Gute für 2015! Viel Lesespaß und haltet die Ohren steif!


    FA

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10

  • Moin, Moin!


    schließlich war 2014 wohl mein bisher schlimmstes literarisches Lesemuffeljahr.


    Wem sagst du das. Und dann wird mir hier eingeredet, daß meine 73 gelesenen Bücher doch gar nicht so unstattlich daherkommen... Ich bitte euch: 73 Bücher, das ist in meinen Augen knapp am Analfabeten vorbeigeschrammt. Das ist nichts, wenn man bedenkt, daß es nur 50 dessen ist, was ich früher las. Rückgang ist Niedergang, ist Verlust, über den man zu Recht empört sein sollte.


    Ich hätte nicht übel Lust, einfach um es zu beweisen, mal ein Jahr lang nur zu lesen. So als Trotzreaktion. :breitgrins:

  • Mhm... ich habe meine Bücher nie gezählt... aber wenn ich das hier lese, bin ich vermutlich auch Analphabetin! :zwinker:
    Ich habe eine ganze Zeit lang kaum gelesen, eher Hörbücher gehört und da auch nichts zu anspruchsvolles. Das lag hauptsächlich an meiner langweiligen Arbeit und meiner uninspirierten, nicht lesenden Umgebung. Ich konnte die Arbeit und die Euphorie nach der Lektüre von großartiger Literatur einfach nicht vereinbaren. Dann wäre ich glaube ich, einfach nicht mehr arbeiten gegangen. :breitgrins:
    Aber inzwischen stürze ich mich wieder auf Bücher und lese so viel wie noch nie. Und ich merke auch wie sehr es mir gefehlt hatte. Also vielleicht ist eine Pause, ob länger oder kürzer, gar keine schlechte Idee. :smile:
    Viele Grüße,
    Alice

  • Au man, ich las gerade meinen Beitrag von 2014. Ich wusste dann aber noch nicht, dass es noch schlimmer kommen sollte. 2014 wahr wohl nicht nur nahe an Burnout, sondern erster kleiner Hirnschlag. Mit einem zweiten und Krebs Anfang 2017. Aber im Krankenhaus begann das Lesen und hat sich stabilisiert, je nach verfügbarer Zeit und Muße... Viel Geistiges hat sich eingeschlichen, wie Schamanismus, Mystik, Mythologie, energetisches Heilen, Bücher über Gehirn und Lernen, Gesundheit... Sehr eigenwillig, als ob es einen ganzen Rutsch hin zu geistig-spirituell-seelischem Lesestoff gab. Seitdem bin ich ein noch Suchender geworden (etwas war ich dies schon immer). Aber ich erlebe das Lesen zur Zeit als eine Art Meditieren und Mich-Finden. Der Nachtschrank liegt gestapelt voll und am Liebsten würde ich in mehreren Büchern gleichzeitig lesen. Die Moral von der Geschichte: es gibt auch beim Lesen Höhen und Tiefen, Auf und Ab, Suchen und Finden, wie bei allem im Leben. Wichtig ist nur, die Liebe zu Büchern nie ganz abreißen zu lassen. Also auch mal Lesemuffelperioden zulassen und sich dabei entspannen. Einfach treiben lassen. Das Gesetz der Anziehung wirken lassen und nur keine negativen Emotionen und Gefühle, wie dem der Schuld, aufkommen lassen.

    Daß man gegen seine Handlungen keine Feigheit begeht! daß man sie nicht hinterdrein im Stiche läßt! - Der Gewissensbiß ist unanständig. - Friedrich Nietzsche - Götzen-Dämmerung, Spruch 10