Oktober 2010 - Ovid: Metamorphosen

  • Es ist vollbracht.


    Großartig ist dieses letzte Buch – vor allem die Ausführungen des Pythagoras über das Wesen der Dinge: „Keinem bleibt seine äußre Gestalt, die Verwandlerin aller Dinge, die Natur, läßt aus dem Einen das Andere werden … Nichts in der Welt geht wirklich zugrunde, es wandelt sich nur, erneuert sein Gesicht … Nichts verharrt auf lange im gleichen Zustand ...“ usw. Hier haben wir also endlich den „programmatischen“ Teil, die alles umfassende Klammer.


    Ein wenig enttäuscht war ich über die ovidsche Darstellung der Hippolytus-Phädra-Geschichte. Hier ist Phädra die unselige Frevlerin, die lüsterne Versucherin ihres Stiefsohnes und somit die Verantwortliche der Katastrophe, die zur Verbannung Hippolytus' und dessen Tod führt. Racine hat das in seinem Drama „Phèdre“ sehr viel differenzierter dargestellt, in etwa so, wie Thomas Mann die Versuchung des Joseph durch Potiphars Frau beschrieben hat. Vielleicht hat Ovid der Phädra in seinen „Heroides“ mehr Verständnis entgegengebracht. Ich bin durchaus gewillt, es herauszufinden (mit anderen Worten: das zweisprachige Reclamheft ist bestellt; vielleicht wartest Du, Gontscharow, mit Deiner Lektüre auf mich ...).


    Recht kurz und knapp wird die unmittelbare Vergangenheit Roms abgehandelt. Die Verschwörung gegen Cäsar (sehr düsteres Szenario!) wird noch recht ausführlich „gewürdigt“, die Regentschaft des Augustus hingegen nur als kurze Pflichtübung abgehandelt.


    Und dann dieser Schluß: „Habe vollbracht nun ein Werk, das nicht Jupiters Zorn noch Feuer wird können zerstören … ich werde mich mit dem besseren Teil meines Selbst über die Sterne heben, auf ewig und unzerstörbar wird bleiben mein Name … für alle Jahrhunderte werde im Ruhme ich leben.“ Das ist der würdige und verdiente Triumph des verbannten Dichters über den in der Ferne grollenden Kaiser – und nebenbei eine ganz und gar richtige Prophezeihung.


    Zum Schluß zwei Zitate zur antiken Literatur und zu den „Metamorphosen“.

    Der Geist der Antike ...
    ... ist unser Denken selber; ist das, was den europäischen Intellekt geformt hat.
    ... ist der Mythos unseres europäischen Daseins, die Kreation unserer geistigen Welt ...
    ... ist kein angehäufter Vorrat, der veralten könnte, sondern eine mit Leben trächtige Geisteswelt in uns selber: unser wahrer innerer Orient, offenes, unverwesliches Geheimnis.


    Hugo v. Hofmannsthal


    Ovids Metamorphosen – das ist eine Aneinanderreihung von Geschichten, die sicher an Komplexität, geistiger Aussage, zeitgeschichtlicher Relevanz etc. hinter modernen Novellensammlungen zurücksteht, aber formal und im Umgang mit den vorgegebenen Stoffen ist das Werk so „gekonnt“ gemacht, dass es nach wie vor zu den größten der Weltliteratur gehört.


    Der Altphilologe Niklas Holzberg


    Noch etwas:
    Ob es sich bei Ransmayrs Ovid-Bearbeitung um reines Kunsthandwerk und teilweise sogar um Kitsch handelt, kann ich natürlich noch nicht sagen.



    Sie nahm ihren Sohn aus der Zeit und legte ihn zurück in ihr Herz. Diesen Satz fand ich bei Literaturschock zitiert als Beispiel für die Wucht der Ransmayr’schen Sprache. Für mich ist das Kitsch! Bei Bedarf erläutere ich, warum.


    Den Vorwurf kann ich nachvollziehen. Weitere Erläuterungen zu "Kitsch und Kunst" sind ausdrücklich erwünscht ... :zwinker:


    So long!


    Tom

  • Hallo!


    Ich nehme nicht übel :smile:. Wobei: Einzelne Sätze als Beleg für - z. B. - Kitsch zu zitieren ist immer ein wenig gefährlich (natürlich: Meine Wenigkeit kann sich manchmal solcher Gemeinheiten auch nicht enthalten ;)). Um deine Kritik zu entkräften müsste ich wohl ein Wiederlesen der "Letzten Welt", vielleicht keine so schlechte Idee. Ich habe den Ransmayr als ein sprachlich sehr gelungenes, homogenes Ganzes in Erinnerung, die "Detektivgeschichte" als unwichtig, viele Passagen natürlich aus dem Original übernommen, aber in gelungener Weise modernisiert. Wenn man mir Postmoderne endlich schlüssig definieren könnte, würde ich möglicherweise auch mit dem Lang-Zitat mehr anzufangen wissen. (Bei solchen Sätzen polemischen Zuschnitts habe ich - auch aus eigener Erfahrung ;) - manchmal den Eindruck, dass sie um ihrer selbst und nicht des besprochenen Werkes willen geschrieben werden.)



    Ich kann verstehen, dass jemand, der die Metamorphosen gelesen hat - und Ransmayr hat sie intensiv gelesen, ursprünglich wollte er sie nur übersetzen, hätte er es doch getan! - überall ovidische Reinkarnationen zu sehen meint.



    Das jemand, der die Metamorphosen nacherzählt, die Metamorphosen nacherzählt, kann ihm allerdings nicht vorgeworfen werden ;).


    Grüße


    s.


  • Es ist vollbracht.


    Ja, und ich bin stolz auf uns!
    Ohne das Stützkorsett der Leserunde hätte ich nicht durchgehalten. Wahrscheinlich hätte ich die Lektüre irgendwann abgebrochen und/oder mir nur einzelne Schmankerl rausgepickt..
    Ich bin froh, das Werk trotz stellenweiser Sprödigkeit und Kryptik in seiner Gesamtheit gelesen und dabei Ovids doch sehr eigenwillige Konzeption, mittels zeitloser Mythen geschichtliche Entwicklung zu beschreiben und darzustellen, kennengelernt zu haben.


    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Gestern um 09:03 »

    Großartig ist dieses letzte Buch – vor allem die Ausführungen des Pythagoras über das Wesen der Dinge: „Keinem bleibt seine äußre Gestalt, die Verwandlerin aller Dinge, die Natur, läßt aus dem Einen das Andere werden … Nichts in der Welt geht wirklich zugrunde, es wandelt sich nur, erneuert sein Gesicht … Nichts verharrt auf lange im gleichen Zustand ...“ usw. Hier haben wir also endlich den „programmatischen“ Teil, die alles umfassende Klammer.


    Und in welchem Gegensatz steht dieses pazifistisch vegetarisch utopische Manifest von der ewigen Wandlung und Wiederkehr( Zarathustra, ick hör dir…) zu Glanz und Gloria der jüngeren Geschichte Roms und des Augustus, um den es im Schlusskapitel eigentlich angeblich gehen soll.

    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Gestern um 09:03 »

    Recht kurz und knapp wird die unmittelbare Vergangenheit Roms abgehandelt. Die Verschwörung gegen Cäsar (sehr düsteres Szenario!) wird noch recht ausführlich „gewürdigt“, die Regentschaft des Augustus hingegen nur als kurze Pflichtübung abgehandelt.


    Ist dir auch aufgefallen, dass die Zeichen vor und bei der Ermordung Caesars eine eklatante Ähnlichkeit zu denen beim Kreuzestod Jesu aufweisen? Erdbeben, Verfinsterung der Sonne, nur dass hier kein Vorhang zerreißt.
    Die Lobhudeleien auf die göttlichen Herrscher sind fast unerträglich, besonders die Darstellung des Augustus als filius divi : Damit dieser nicht einem sterblichen Geschlecht entstamme, musste also jener ein Gott werden. Und damit Rom in den Genuss der Herrschaft Augustus’ komme, musste der Vater sterben. Fast eine Heilsgeschichte, nur dass hier der Vater und nicht der Sohn sterben muss.
    Man weiß und Ovid wird es auch nicht verborgen geblieben sein, dass Augustus seit Machtantritt die dauerhafte Etablierung seiner Alleinherrschaft betrieb und die Devise von der Wiederherstellung der Republik eine Propagandalüge war. Daher finde ich es interessant, dass Ovid Augustus’ Regentschaft zwar quasi als Ziel römischer Geschichte in den Himmel hebt, er aber als Kontrapunkt(?) nicht nur die Rede des gewaltlosen Spinners Pythagoras davorsetzt, sondern auch die seltsame Geschichte des Prätor Cipus, dem ein Geweih(!) als Zeichen seines Anspruchs auf die Königswürde wächst, der aber als vorbildlicher Republikaner lieber ins Exil geht, als diese anzunehmen.( Tipp an Augustus, sich ein Beispiel zu nehmen?)
    Der Leser erlebt so in diesem Kapitel ein Wechselbad an unterschiedlichen,teils kontroversen Eindrücken in Bezug auf Ovids Intentionen und Meinungen.

    Hier wie im ganzen Werk konnte ich es nicht lassen, nach subversiven, politisch unkorrekten, anti-augusteischen Tendenzen und damit letztlich nach Hinweisen und Gründen für seine Verbannung zu suchen. Man muss als Leser Ovids aber damit leben, dass diese Fragen nicht schlüssig beantwortet werden können und sich davor hüten, dem Werk und der Biographie heutige Vorstellungen überzustülpen! Alle Andersartigkeit und Fremdheit des aus der Tiefe der Jahrhunderte zu uns sprechenden Textes geht dann verloren. Bei Ransmayr z.B. sind alle Lücken zugepappt, Naso ist ein Dissident, ein Oppositioneller, ein Fürsprecher der Entrechteten punktum. Das hätten wir wohl gern. Deshalb sprach ich von Ovid light.


    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Gestern um 09:03

    Vielleicht hat Ovid der Phädra in seinen „Heroides“ mehr Verständnis entgegengebracht. Ich bin durchaus gewillt, es herauszufinden (mit anderen Worten: das zweisprachige Reclamheft ist bestellt; vielleicht wartest Du, Gontscharow, mit Deiner Lektüre auf mich ...).


    O.K. mach ich. Gib bitte Bescheid, wenn dein Text angekommen ist und wann wir anfangen können.


    @scheichsbeutel:



    Ich nehme nicht übel :smile:.



    Danke! Ich bin so erleichtert! Schon die bei dir sonst unübliche inflationäre Verwendung von Smilies zeigt mir, dass ich beruhigt sein kann, oder?



    Das jemand, der die Metamorphosen nacherzählt, die Metamorphosen nacherzählt, kann ihm allerdings nicht vorgeworfen werden ;).


    In der Tat nicht, tut das jemand? Ich wollte damit sagen: die Metamorphosen beflügeln die Phantasie, das muss aber ja nicht gleich in ein Buch ausarten. Ich schreib ja auch nicht über den Piccolo-Abruzzo- Betreiber. Es war zudem ein nicht ganz ernst gemeinter Einwurf!


    Ansonsten: Wie gesagt, mich stört vor allem die Verwurstung des armen Ovid und die Beliebigkeit und Bescheidenheit des Endprodukts.


  • Ja, und ich bin stolz auf uns!
    Ohne das Stützkorsett der Leserunde hätte ich nicht durchgehalten. Wahrscheinlich hätte ich die Lektüre irgendwann abgebrochen und/oder mir nur einzelne Schmankerl rausgepickt..


    Du sprichst eine große Wahrheit sehr gelassen aus ...



    Ist dir auch aufgefallen, dass die Zeichen vor und bei der Ermordung Caesars eine eklatante Ähnlichkeit zu denen beim Kreuzestod Jesu aufweisen? Erdbeben, Verfinsterung der Sonne, nur dass hier kein Vorhang zerreißt.


    Nein, es ist mir nicht aufgefallen. Aber wenn man solche Mitstreiterinnen hat, kann man sich diesen Luxus leisten, nicht wahr?



    Gib bitte Bescheid, wenn dein Text angekommen ist und wann wir anfangen können.


    Wahrscheinlich trifft das Buch am Freitag oder Samstag ein. Ich melde mich. Am Wochenende möchte ich loslegen.


    Sollen wir der Einfachheit halber diesen Ordner für die Heriodes "missbrauchen"?


    By the way: Du hast Ransmayr "Kitsch" vorgeworfen und angeboten, diesen Begriff ein wenig aus Deiner Perspektive zu erläutern. Kommt da noch etwas? Ansonsten verfluch einfach meine Hartnäckigkeit ... :breitgrins:


    Viele Grüße


    Tom


  • @scheichsbeutel:




    Danke! Ich bin so erleichtert! Schon die bei dir sonst unübliche inflationäre Verwendung von Smilies zeigt mir, dass ich beruhigt sein kann, oder?


    Kannst du ;). Die durchaus bewusste Inflation der Grinsegesichter sollte das tatsächlich klar machen. Ich neige überhaupt relativ wenig zum Übelnehmen, manchmal aber zur Ignoranz, wenn ein Urteil über ein Buch mir seitens des Betreffenden einen Zugang zur Literatur offenbart, der wenig oder gar nichts mit meiner Rezeption zu tun hat. Denn das führt zu fruchtlosen Grundsatzdiskussionen. Ansonsten sind solche unterschiedlichen Urteile eher befruchtend, zeigen Sichtweisen, die - aus welchen Gründen auch immer - andere Lesarten nahelegen (wenn man diesen auch nicht unbedingt zustimmen muss - aber selbst der Widerspruch zwingt den Schreiber, sich mit eigenen Meinungen noch einmal auseinanderzusetzen, was denn wohl zum Sinn und Zweck von Foren gehört).


    In der Tat nicht, tut das jemand? Ich wollte damit sagen: die Metamorphosen beflügeln die Phantasie, das muss aber ja nicht gleich in ein Buch ausarten. Ich schreib ja auch nicht über den Piccolo-Abruzzo- Betreiber. Es war zudem ein nicht ganz ernst gemeinter Einwurf!


    Ansonsten: Wie gesagt, mich stört vor allem die Verwurstung des armen Ovid und die Beliebigkeit und Bescheidenheit des Endprodukts.


    Das mit dem "überall anzutreffenden Reinkarnationen" Ovidscher Provenienz klang schon nach einem solchen Vorwurf. Was die Bescheidenheit betrifft sind wir verschiedener Meinung, ich fand - wie erwähnt - diese Art der Neufassung sehr gelungen, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Bescheiden würde ich in einem positiven Sinn verwenden: Ransmayr erzählt sehr zurückhaltend, spielt mit den doppelten Figuren, nirgends aufdringliche Sinngebung, bemühtes Anbiedern an den philologisch Gebildeten (der man, um die Geschichte schätzen zu können, auch nicht zu sein braucht). Die doppelten (dreifachen? - denn einiges sieht erst in der Zukunft seiner Erfüllung entgegen) Zeitebenen sind sehr gelungen, spielen mit dem Ewigkeitstopos der Literatur, sind wohl auch als Hommage an die Metamorphosen zu verstehen.


    Vielleicht ist deine ablehnende Haltung auch darin begründet, dass du es nach der eben erfolgten Lektüre als eine Art Sakrileg empfindest, dass sich da einer an die "Verwurstung" des Themas gemacht hat (allerdings gibt es - vielleicht von der Bibel abgesehen - kein Werk, das öfter eine solche Verarbeitung erfuhr - ob in Literatur, Malerei oder Musik).


    Grüße


    s.


    Nachtrag 1: Ob mit "Trivia" nicht einfach eine bekannte Segeljachtform gemeint war? http://www.trivia.de/


    Nachtrag 2: Kitsch kann man Ransmayr m. E. nicht vorwerfen. Ein schöner Ausgangspunkt für eine solche Diskussion bietet Musil in den Unfreundlichen Betrachtungen, allerdings ist mir's jetzt zuviel, das alles abzutippen (und gemeinfrei wird der Kerl erst in zwei Jahren). Endet aber in folgenden Syllogismen:


    "Die Kunst blättert den Kitsch vom Leben.
    Der Kitsch blättert das Leben von den Begriffen.
    Und: Je abstrakter die Kunst wird, desto mehr wird sie Kunst.
    Je abstrakter der Kitsch wird, desto mehr wird er Kitsch.


    Zwei herrliche Syllogismen. Wer sie auflösen könnte!


    Nach dem zweiten scheint es, dass Kitsch = Kunst ist. Nach dem ersten aber ist Kitsch = Begriff - Leben. Kunst = Leben - Kitsch = Leben - Begriff + Leben = zwei Leben - Begriff. Nun ist aber, nach II, Leben = 3 x Kitsch und daher Kunst = 6 x Kitsch - Begriff.


    Also was ist Kunst?"


    Tatsächlich aber gehen seine Ausführungen weiter, er geht von einer Aufführung von Donkosaken aus und stellt diese in die Wirklichkeit eines Schützengrabens. Dann beginnt sich die Kitschdimension zu verändern und zu verlaufen, ähnlich vielleicht, wie es die meisten schon erlebt haben bei und mit Liebesgeschichten, die einzig dadurch, dass sie erlebt worden sind, plötzlich nicht mehr nur kitschig sind. "Das Leben ist gut, soweit es der Kunst standhält: was nicht kunstfähig am Leben ist, ist Kitsch!


    Aber was ist Kitsch?"


    Nochmals Grüße


    s.

  • Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Gestern um 15:37 »

    By the way: Du hast Ransmayr "Kitsch" vorgeworfen und angeboten, diesen Begriff ein wenig aus Deiner Perspektive zu erläutern. Kommt da noch etwas? Ansonsten verfluch einfach meine Hartnäckigkeit ... :breitgrins:


    Mein Angebot bezog sich nur auf den von mir zitierten Satz:


    Zitat von Autor: Gontscharow« am: 6. Dezember 2010

    Sie hatte ihren Sohn aus der Zeit genommen und zurück in ihr Herz gelegt. Diesen Satz fand ich bei Literaturschock zitiert als Beispiel für die Wucht der Ransmayr’schen Sprache. Für mich ist das Kitsch! Bei Bedarf erläutere
    ich,warum


    Darauf du:


    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: 7. Dezember 2010

    Den Vorwurf kann ich nachvollziehen.


    Dann ist ja gut. Evidenz ist auf diesem Gebiet immer noch die beste Erläuterung und der beste „Beweis“!



    Zitat von Autor: Sir Thomas« am: Gestern um 15:37 »

    Sollen wir der Einfachheit halber diesen Ordner für die Heriodes "missbrauchen"?


    Ja, wenn der Moderator nichts dagegen hat.



    Mein Text ist da! Es gibt ausführliche Anmerkungen und Erläuterungen und ein Nachwort von Detlev Hoffmann, das gut und kompetent zu sein scheint. Dort heißt es im Kapitel Fortwirken der Heroides:


    …Vielleicht hat gerade die Zurückhaltung im deutschsprachigen Raum ihren Grund in der Geringschätzung Ovids durch die klassische Philologie des 19.Jahrhunderts. Auch wenn man seine virtuose Sprachbeherrschung mitunter anerkannte, als Dichter, nachgerade als Klassiker, wurde er nicht geschätzt. Besonders an den Heroides wurde in hohem Maße Anstoss genommen. Das ging schließlich so weit, dass Ovid sogar als Autor der Heroides in Frage gestellt wurde, man die Heroides bestenfalls als „verifizierte rhetorische“ Stilübung gelten ließ….
    :freu: Mit anderen Worten: die von uns mit einer gewissen Irritation zur Kenntnis genommenen „Zweifel an der Echtheit der Heroides“ (Wikipedia) scheinen eine vernachlässigbare Marginalie der Ovid-Rezeption zu sein!
    Dann steht ja unserer Lektüre nichts mehr im Wege.


  • Evidenz ist auf diesem Gebiet immer noch die beste Erläuterung und der beste „Beweis“!


    O.K., geschenkt, ma chère.



    Dann steht ja unserer Lektüre nichts mehr im Wege.


    Du Glückliche! Ich habe noch keine Lieferung erhalten, obwohl die Kohle längst vom Konto eingezogen wurde! :grmpf:
    Hoffentlich ist da mal nichts schief gelaufen ...


    Ich habe heute eine lange Zugfahrt genutzt, um ein wenig in der "Letzten Welt" zu lesen. Sooo schlimm find ich das Buch nicht, auch wenn ich mich nicht überschlagen muss vor lauter Lob und Jubel. Nun ja: Ich gestehe kleinlaut, dass ich aufgrund einer gewissen Monotonie des Erzählens beinahe im Sitzen eingeschlafen bin. Vielleicht war ich aber auch einfach nur ziemlich kaputt nach einem 14-Stunden-Arbeitstag ...


    Ich leg Ransmayr erstmal wieder weg. Es gibt Wichtigeres zu Lesen.


    So long


    Tom

  • Zitat von Autor: scheichsbeutel^« am: 8. Dezember 2010

    Vielleicht ist deine ablehnende Haltung auch darin begründet, dass du es nach der eben erfolgten Lektüre als eine Art Sakrileg empfindest, dass sich da einer an die "Verwurstung" des Themas gemacht hat (allerdings gibt es - vielleicht von der Bibel abgesehen - kein Werk, das öfter eine solche Verarbeitung erfuhr - ob in Literatur, Malerei oder Musik).


    Ja, die Metamorphosen sind wohl neben Homers Epen und der Bibel das wichtigste Buch Europas, Stoff- und Motiv-Liferant für die gesamte abendländische Kultur! Wir haben das ja während der Lektüre hinlänglich erfahren: Mit jeder Geschichte tut sich eine (manchmal erdrückende) Fülle von Bezügen und Querverbindungen zu Literatur, bildender Kunst und Musik von der Antike bis heute auf.
    Aber es waren einzelne Motive, einzelne von Ovid erzählte Mythen, die Eingang in Literatur und Kunst fanden. Das Werk in seiner Gesamtheit, seine Person und Biographie zum Thema zu machen, ist neu und hat vor Ransmyr noch niemand unternommen.


    Zitat von Autor: scheichsbeutel^« am: 8. Dezember 2010

    Kitsch kann man Ransmayr m. E. nicht vorwerfen.


    Danke für den Hinweis auf Musils Überlegungen zum Kitsch. Klingt interessant. In den Unfreundlichen Betrachtungen kann man das im Zusammenhang nachlesen? Scheint ein Projekt für lange Winterabende.


    Nun denn, auf vielfältigen Wunsch: Wie ist das mit dem Kitsch bei Ransmayr?


    Die Biographie des historischen Ovid gibt Rätsel auf, während sein Hauptwerk, die Metamorphosen,
    erhalten, bekannt und jedem zugänglich sind. In Ransmayrs Roman ist es umgekehrt. Ovids Leben wird ausgebreitet, die Gründe für seine Verbannung aufgedeckt: Ovid ist ein Dissident, ein glühender Verfechter der Freiheit, ein Opfer der Tyrannei. Die (unvollendeten) Metamorphosen lässt Ransmayr in Flammen aufgehen. (Im wahren Leben hat zwar Ovid auch so etwas wie eine Verbrennung seiner Bücher veranstaltet, aber der fiel nur eine Abschrift der M. zum Opfer.) Durch diese Umkehrung ist aus der widersprüchlichen historischen Person eine gefällige, dem Wunschdenken der Nachgeborenen entsprechende Person geworden und der Leser ist in der schmeichelhaften Position, mehr zu wissen als der herumtappende Protagonist Cotta, der sich auf die Suche nach seinem Freund und den- wie er hofft- rekonstruierten und vollendeten Metamorphosen gemacht hat. Am Verbannungsort stößt er auf mysteriöse Zeichen und bedeutungsschwangere Hinweise, da wird gerätselt und geraunt und Cotta mit seltsamen Dingen konfrontiert und der Leser kann ständig die Nachtigall trapsen hören : Aha, da ist der im Winter Früchte tragende Maulbeerbaum, dessen Früchte durch Pyramus’ Blut dunkel gefärbt sind, da ist Echo, natürlich wird das nichts mit Cotta, sie ist ja nicht liebesfähig, und da Arachne, natürlich ist sie Weberin und Fama, wie sinnig, ist Betreiberin eines Klatsch-und Tratschzentrums und so fort. Schon die Namen der Prokne, Philomela, Maryas, Battus, Thies(Dis)und wie sie alle heißen – sogar Jason als skrupelloser Menschenschlepper kommt auf seiner Argos vorbeigeschippert - wecken jede Menge Assoziationen und Gefühle, die aber von der mehr oder weniger großen Vertrautheit der Leser mit ihrem mythischen Schicksal herrühren, denn trotz „Modernisierung“ sind sie eigentlich nur Namensträger, Pappkameraden ohne Eigenleben.


    Der Leser wandelt durch einen Metamorphosen- Erlebnispark, durch ein Disney-Land ovidischer Personen und Situationen .


    Das ist für mich Kitsch: Diese Häufung der Effekte, die bedeutungsschwangeren Andeutungen, das künstliche Mystifizieren, die Durchsichtigkeit der Machart und der Wirkungsabsichten. Dieses unverbindliche Spielen mit Textbausteinen und Versatzstücken, ihre Beliebigkeit (denn warum z. B. gerade diese Personen und Verwandlungen und nicht andere) und damit ihr offenbar werdender Deko-Charakter, ja und auch die Reduzierung der Komplexität und Widersprüchlichkeit der historischen Person und ihres Werkes zu "Ovid light".


    Das von mir Beschriebene betrifft jetzt nur die Verarbeitung der Biographie Ovids und der Metamorphosen, für das zweite Standbein des Romans, die Endzeitszenarien, Modethema der „katastrophilen“ 80er, gilt m.E. Ähnliches.


    Ich bitte sich durch meine Ausführungen nicht dahingehend beinflussen zu lassen, die Letze Welt nicht zu lesen, Sir Thomas!
    Die Toleranzschwelle für Kitsch ist bei verschiedenen Menschen verschieden hoch. Außerdem gibt es gut gemachten und schlechten Kitsch. Die letzte Welt würde ich dem gut gemachten Kitsch zurechnen. Ich muss zugeben, dass ich einige Passagen schön und das Buch insgesamt auch nicht unspannend fand. Außerdem möchte ich noch erwähnen, dass ich jetzt schon mehrere Male in altphilologischen Texten gelesen habe, durch Ransmayrs Buch sei das Interesse an Ovid erheblich gestiegen!


    Noch eine Anmerkung zum „Übelnehmen“, scheichsbeutel:
    Ich glaube, dass es einen nicht so kalt lässt, wie man gerne möchte, wenn ein Werk, das man selber gut findet und das einem etwas bedeutet, von einem anderen negativ beurteilt wird. Der Kritisierende, der über etwas, was wir schön finden, die Nase rümpft, wertet damit ja auch uns als Beurteilende irgendwie ab. Das kann einen fast kränken und wütend machen. Ich habe ganz tief in mich hineingehorcht und muss gestehen :redface:, dass die Schärfe meines Urteils in diesem Fall vielleicht auch ein ganz kleines bisschen mit der „ätherischen Zuckerwatte“ und deinen anderen Urteilen über Rilkes Malte zu tun hat. Malte ist ein Text, den ich ganz besonders schätze!
    Lost hat mir ja auch schon Revanche angeboten für seinen geliebten Grass. :zwinker:


  • Die Biographie des historischen Ovid gibt Rätsel auf, während sein Hauptwerk, die Metamorphosen, erhalten, bekannt und jedem zugänglich sind. In Ransmayrs Roman ist es umgekehrt.


    Diesen Ansatz finde ich gar nicht einmal so unpassend. Das von Dir geschilderte Spiel mit der Biographie Ovids ist jedenfalls vergnüglicher zu lesen als all die mythologischen Versatzstücke mit Pappkameraden, die arg bemüht daherkommen.


    Ein Satz auf Seite 39 enthält eine interessante Spekulation zur Biographie Ovids: Metamorphoses – Verwandlungen: Allein schon der Titel dieses Buches war in der Residenzstadt des Imperators Augustus eine Anmaßung gewesen, eine Aufwiegelei in Rom, wo jedes Bauwerk ein Denkmal der Herrschaft war, das auf Bestand, auf die Dauer und Unwandelbarkeit der Macht verwies. So ähnlich haben wir uns auch in unserer Leserunde über die rätselhaften Gründe für die Verbannung des Dichters geäußert.



    Der Leser wandelt durch einen Metamorphosen- Erlebnispark, durch ein Disney-Land ovidischer Personen und Situationen ...


    ... und eine untergehende Welt, die Ransmayr und dem fiktiven Ovid als Material für eine wahnhafte Fortsetzung der Metamorphosen dient: War denn dieser Narrenzug nicht auch ein Beweis dafür, dass Ovid die Gestalten seiner Poesie mit sich in die Verbannung genommen hatte und am Ort seines Unglücks nicht verstummt war, sondern seine Geschichte weitererzählte? (S. 83) Auch diesen Aspekt finde ich gelungen.



    ... durch Ransmayrs Buch sei das Interesse an Ovid erheblich gestiegen!


    Mit diesem Satz wollen wir es bewenden lassen.


    Gontscharow, hast Du schon mit den "Briefen der Heldinnen" angefangen? Ich bin leider noch nicht dazu gekommen.


    Viele Grüße


    Tom

  • Sollen wir der Einfachheit halber diesen Ordner für die Heriodes "missbrauchen"?


    Nichts ist so einfach, dass es sandhofer [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4299.0.html]nicht kompliziert machen könnte[/url] ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zu Ransmayr und Kitsch:


    Bei der Kritik an Ransmayr monierst du (wie schon in einem früheren Posting) die Tatsache, dass er die Ovidschen Figuren verwendet (die er teilweise modifiziert, aber in ihren Grundhaltungen kaum ändert). Das, wie schon erwähnt, lässt sich bei der Aufarbeitung eines alten Stoffes nun mal nicht ändern, konstituiert im Gegenteil sogar eine solche Aufarbeitung. Und dass diese Figuren jene Eigenschaften beibehalten, für die sie teilweise namensgebend wurden, ist nun auch nicht wirklich überraschend. Famas Gemüseladen als Tratschzentrale ist einer ähnlichen Überlegung geschuldet, die es den meisten Don Juan Nachdichtern gefallen ließ, denselben nicht als Zölibatär auftreten zu lassen. Tereisias bleibt meist Seher, Ödipus hat einen Hang zu älteren Damenm häufig verwandt. Ad infinitum.


    Nicht die Tatsache an sich, sondern das Wie der Darstellung kann einzig kritisiert werden. Im Gegensatz zu dir empfand ich es als keineswegs platt, sondern sorgfältig durchkomponiert. Mir gefiel dieses Spiel mit den "ewigen" Geschichten, die sich da immer mit nur geringfügigen Veränderungen wiederholen, eine implizite Anerkennung der zeitlosen Schönheit der Metamorphosen, die alles Menschliche abzudecken vermögen. Und mir gefällt auch Ransmayrs Sprache, die sehr genau zu sein pflegt, keineswegs eine Art Kunstprosa (auch im Sinne des Malte) darstellt (dem man im übrigen den Kitschvorwurf sehr viel leichter zu machten vermöchte - denn teilweise erinnert er doch auch an den "Cornet" - und dieser ist nun wirklich süßlich).


    Ransmayr behandelt m. E. auch kein Modethema, er bedient sich zumeist ähnlicher Szenarien: Das Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber einer fühllosen Natur, spezifisch Menschliches angesichts einer Umwelt, einer Ewigkeit, vor der alle diese Eitelkeiten sich ein wenig lächerlich ausnehmen. Gerade auch die Landschaftsdarstellungen, Stimmungen dieser Gegend sind - m. E. - hervorragend beschrieben, Beschreibungen, die mich wohl auch deshalb beeindruckten, weil ich längere Zeit auf einer Ägäisinsel zugebracht habe und die Unwirtlichkeit dieser Gegend jenseits aller Touristenzentren in der kalten Jahreszeit erfahren habe. Die Gegenüberstellung Mensch - Natur ist charakteristisch für Ransmayrs Bücher (Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Morbus Kitahara, Der fliegende Berg).


    Der Musilsche Text über den Kitsch hat nur wenige Seiten (allzu lang sollten als die in Frage kommenden Winterabende nicht sein). Ich habe ihn v. a. deshalb zitiert, weil er auf treffende Weise die Schwierigkeit der Definition von "Kitsch" mit seiner mathematisch anmutenden Umschreibung zeigt. Vor allem scheint Kitsch (und darauf will Musil u. a. hinaus) keine Sache an sich zu sein, sondern muss im entsprechenden Zusammenhang gesehen werden. Das man den von dir zitierten Satz als Kitsch bezeichnen könnte, liegt auf der Hand: Solche Beispiele ließen sich aber immer finden - so könnte allein der Titel des zweiten Buches der Recherche (Im Schatten junger Mädchenblüte) auch für ein Werk Hedwig Courths-Mahlers dienen. Und mit kitschverdächtigen Rilkezitaten kann man Hundertschaften erschlagen.


    Aber nicht nur der textuelle Kontext ist gemeint. Musils Beispiel der singenden Donkosaken, die er als reines Gemälde, dann lebendes Bild sieht und schließlich in den Schützengraben des Ersten Weltkrieges versetzt ist ein gut gewähltes Beispiel. Ich habe auf Verliebtheiten hingewiesen. Die Tatsache des Erlebens macht aus dem Kitsch Wirklichkeit - und indem er Wirklichkeit wird, bleibt seine Kitschigkeit auf der Strecke. So blättert das Leben den Kitsch vom Leben - und ob aus ihm Kunst wird, ist wieder eine ganz andere Frage. Wenn er aber Kunst wird, muss er eine Art Mehrwert für sich beanspruchen können, ein etwas, das über das bloße Faktum hinausweist, sonst wird die Geschichte von Frau Pilcher geschrieben und dem ZDF verfilmt. <b>Alles</b> nun eignet sich für eine solche Kunst, wenn es denn einen Künstler gibt - nochmal das Recherche-Beispiel: Warum kann Proust den Leser mit seinen pubertären Eifersüchteleien faszinieren, mit diesen eigentlich mehr als langweiligen Beziehungen zwischen Swann und Odette, dem Erzähler und Gilberte (was für eine im Grunde trivial-dümmliche Jugendliebe) bzw. Albertine? Weil er eben die Sprache, die geeigneten Bilder findet, Nuancen zutage fördert und so die eigentlich profane Qual des verliebten Pubertierenden auf eine höhere Ebene stellt.


    Und natürlich gibt es individuelle Unterschiede des Kitschempfindens (in der Kunst als auch im Leben). Was vor allem in der Kunst ein Mensch als Kitsch empfindet, ist sehr stark davon abhängig, inwieweit dem Kunst- bzw. Kitschkonsumenten "nichts Menschliches" fremd ist, inwieweit er sich auf sich selbst einzulassen vermag (wobei manchmal halt auch wenig da ist, worauf der/die Betreffende sich einlassen kann), inwieweit er seine Beweg- und Abgründe analysiert, dies will und kann (wobei ein temporär - etwa durch Alkohol - beeinträchtigter Geisteszustand durchaus aus einem an und für sich nicht zu Trivialitäten neigenden Menschen einen dumm-kitschigen Zeitgenossen zu machen vermag, der dann auf genau so einfach-reduzierte Weise funktioniert wie es für viele Leute der Normalzustand ist). Broch (glaub ich) hat Hitler als kitschig bezeichnet (und also den Kitschbegriff auf andere Vereinfachungen angewandt), womit etwa Tageszeiungen wie BILD, Kronenzeitung oder Österreich als Inbegriff des Kitsches zu verstehen werden.


    Grüße


    s.

  • Zitat von Autor: scheichsbeutel^« am: Gestern um 20:19

    …Österreich als Inbegriff des Kitsches ...


    Kein Smilie? :breitgrins:


    Du hast recht. Bevor man über die Qualität von Werken diskutiert, sollte man verwendete Begriffe, in diesem Fall den des Kitsches, definieren und klären. Und das ist ein weites Feld , wie du uns hier eindrücklich an interessanten Beispielen gezeigt hast, und würde, wie auch eine weitere Analyse des Werkes, den Rahmen des Ovid-Threads sprengen.
    Auf zumindest zweierlei können wir uns aber in Bezug auf Ransmayrs Leistung, glaube ich, in jedem Fall einigen:


    Nämlich, dass Die letzte Welt ...
    .

    Zitat von Autor: scheichsbeutel^« am: Gestern um 20:19

    ..eine implizite Anerkennung der zeitlosen Schönheit der Metamorphosen (ist), die alles Menschliche abzudecken vermögen …


    und dass...

    Zitat von Autor: Gontscharow« am: 8. Dezember 2010

    ... durch Ransmayrs Buch das Interesse an Ovid erheblich gestiegen ist


    :winken:


  • Kein Smilie? :breitgrins:


    Mein Fehler :smile: - ich meinte die Tageszeitung "Österreich", die das Unglaubliche geschafft hat, das Niveau der Kronenzeitung oder der BILD noch zu unterbieten. - Österreich (das Land) als Gesamt"Kitsch"-Werk? In weiten Teilen (Lederhosenarchitektur und Lippizanergehopse mit Sisy-Rufen untermalt; zwischen schneebedeckten Berggipfeln lässt man noch Thomas Bernhard mit Gamsbarthut erscheinen) möglich - und wohl ganz ohne Smilie.


    Grüße


    s.

  • Zur Kitsch-Debatte:


    Kitsch ist sicher nicht einfach zu definieren, vielfach jedoch auf den ersten Blick zu erkennen. Kitsch hat für mich immer etwas mit unangemessener Vereinfachung, manchmal auch Verniedlichung zu tun. Kitsch entsteht durch die ungewollte Diskrepanz zwischen dem (oft komplizierten) Gegenstand und dessen (simplifizierender) Beschreibung/Darstellung. Kitsch hat, mal mehr, mal weniger, mit Verlogenheit zu tun. Insofern stimme ich zu, dass BILD-Zeitung etc. in großen Teilen Kitschprodukte sind.


    Was bedeutet das für Ransmayrs „Letzte Welt“?



    Der Leser wandelt durch einen Metamorphosen- Erlebnispark, durch ein Disney-Land ovidischer Personen und Situationen. ... Dieses unverbindliche Spielen mit Textbausteinen und Versatzstücken, ihre Beliebigkeit ... und damit ihr offenbar werdender Deko-Charakter, ja und auch die Reduzierung der Komplexität und Widersprüchlichkeit der historischen Person und ihres Werkes zu "Ovid light".


    Ich schließe mich dieser Wertung an, denn eine bessere Formulierung fällt mir nicht ein.



    Das Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber einer fühllosen Natur, spezifisch Menschliches angesichts einer Umwelt, einer Ewigkeit, vor der alle diese Eitelkeiten sich ein wenig lächerlich ausnehmen. Gerade auch die Landschaftsdarstellungen, Stimmungen dieser Gegend sind - m. E. - hervorragend beschrieben ...


    Diese ökologischen Endzeitszenarien füllen mittlerweile sicher einige Regalmeter, was die Ransmayersche Kunst nicht abwerten soll, denn: Trotz aller Kritik habe ich große Teile der "Letzten Welt" durchaus gern gelesen.


    Manchmal muss es eben "Kitsch" sein ... :zwinker:


    LG


    Tom


  • Diese ökologischen Endzeitszenarien füllen mittlerweile sicher einige Regalmeter, was die Ransmayersche Kunst nicht abwerten soll, denn: Trotz aller Kritik habe ich große Teile der "Letzten Welt" durchaus gern gelesen.


    Manchmal muss es eben "Kitsch" sein ... :zwinker:


    Hmm - als "ökologisches Endzeitszenario" hab ich das gar nicht empfunden. Ich zweifle auch, ob es so gemeint war, allerdings müssten wir, um dies zu verifizieren, Ransmayr eine Anfrage schicken.


    Diesen Ethnokitsch für den aufgeschlossenen Sozialarbeiter habe ich etwa bei Aitmatov gefunden (z. B. in dieser unsäglichen Lagerfeuerliebesgeschichte Dshamilja, die als ach so romantische figuriert, sprachloses Gitarrengeklimper mit verträumt tiefsinnigem Blick wie bei einem Jungscharzeltlager; der "Schneeleopard", mir nur in Teilen bekannt, soll noch schlimmer sein). Aber du hast schon Recht: Manchmal muss es Kitsch sein - und wenn er in Ransmayrscher Verkleidung daherkommt, so ist das so schlimm nun gar nicht ;).


    Grüße


    s.