Februar 2003: Stefan Zweig - Maria Stuart

  • Hallo zusammen,
    ich habe heute endlich einmal Zeit, länger zu lesen und bin, wie so oft, von der Erzählweise Zweigs gefangen genommen. Mich beeindruckt, mit wieviel kritischer Sympathie bzw. wohlwollender Kritik er mit seinen Titelfiguren umgeht. Das fällt mir besonders bei der Begegnung mit John Knox auf.


    Wisst Ihr, unter welcher Krankheit Franz II. litt. "Sein Blut bleibt unheilbar matt und vergiftet, schlimmes Erbteil seines Großvaters Franz I. ....."


    Bis bald!
    Erika


    :blume:

    Wer Klugheit erwirbt, liebt das Leben und der Verständige findet Gutes.
    <br />Sprüche Salomo 19,8

  • Hallo zusammen !


    Ich muß zugeben, dass ich zeitweilig so meine Probleme mit Stefan Zweig habe. Von der gepriesenen Objektivität war nichts zu spüren als er das Verhältnis Marias zu Katharina de Medici und Elizabeth I schildert. Da schlüpft er ganz in die Rolle der Protagonistin und erzählt aus ihrem vermeintlichen Blickwinkel.



    "...es scheint, daß Maria Stuart einmal diese hochfahrende und heimtückische Mediceerin durch ein törichtes Wort beleidigt hat ... "


    Katharina de Medici kam ebenfalls jung an den französischen Hof, durch Machtspiele ihres katholischen Onkels. Heinrich II brüskierte sie mit seiner langjährigen Geliebten, Diana von Poitiers, die er offen bevorzugte und die auch offen hofiert wurde. Katharina, ebenfalls humanistisch gebildet, mußte sich an diesem fremden intriganten Hof ohne Freunde behaupten. Kein Wunder, dass sie Maria Stuart, deren Hochzeit sie sicherlich befürwortet hatte, als wichtige Verbündete wieder in Schottland haben wollte, sollte sie doch von dort den Katholizismus verteidigen und ein Bollwerk gegen England bilden ! Nicht zu vergessen, gehörte Maria zur Familie der Guise, mächtig, intrigant und scharf auf den französischen Thron !


    Auch bei Elizabeth I spricht Zweig eher von einem Zickenduell als von politischen Erwägungen:

    "Um die Königin zu treffen, beleidigt sie die Frau. Statt der kraftvollen Geste der Kampfandrohung wählt sie die boshafte und kraftlose der persönlichen Kränkung."


    Elizabeth läßt Maria nicht durch England reisen, als sie zurück nach Schottland muß.
    Warum wird Maria beleidigt, wenn Elizabeth verlangt, sie solle ihren Thronanspruch anerkennen? Warum sollte das boshaft sein ? Oder hättet ihr Maria durchfahren lassen ?


    Das war ja wohl die einzig vernünftige Entscheidung, da ein großer Teil des englischen Volkes noch katholisch und auf der Seite von Marias Thronanspruch war. Ihre Durchreise hätte, wie zweifellos beabsichtigt, womöglich einen Bürgerkrieg ausgelöst. Den Wunsch Marias, auf diese Weise mit Elizabeth zu sprechen, sich als Gast quasi in die Hände der englischen Königin zu begeben halte ich entweder für dumm oder sehr überheblich.


    Also an diesen Stelle gefiel mir das Frauenbild, das Stefan Zweig da beschreibt, gar nicht und ich wollte spontan aufhören mit lesen ! Attribute wie logisch, vernünftig oder ehrlich haben sie nicht, dafür weich, lässig, leichtsinnig, eifersüchtig - eben die typischen Klischees !


    Aber zum Glück habe ich weitergelesen, denn nachdem Maria nun in Schottland ist, wird ihre Ankunft und ihr Charakter, die herrschenden politischen Zustände, doch wieder einigermaßen objektiv dargestellt. Leider fehlen mir die Gründe und Argumente John Knox', damals hatten die Calvinisten ja doch einige gute Gründe für ihre Opposition. Wie immer allerdings besser in der Theorie als in der Realität !


    Wie findet ihr nun Maria ? Ehrlich gesagt halte ich sie für ziemlich naiv und dumm mit einer extremen Hybris, die vielen absolutistischen Herrschern zu eigen war. Glaubt sie wirklich, den fanatischen John Knox durch ihre königliche Anwesenheit kontollieren zu können ? Sie zeigt nicht gerade viel Durchblick in politischen Dingen, aber ich kann das nicht wie Zweig mit ihrer unschuldigen Jugend entschuldigen. Offensichtlich macht sie keine Pläne, wie sie ihr Volk einen könnte sondern heult bei jeder Gelegenheit (Zweig schildert das immer sehr mitleidig !).


    Ich bin gespannt, ob ich mit Stefan Zweig noch zu einem Waffenstillstand komme ! :rollen:


    Gruß von Steffi

  • Hallo


    Ob man tatsächliche Objektivität von jemanden erwarten darf, der eine Biografie schreibt, möchte ich bezweifeln. Speziell im Fall der Maria Stuart von Zweig hab´ ich da so meine Zweifel.
    Ein professioneller Historiker müsste sich dichter an belegbare Fakten halten, ansonsten er von seinen fachkundigen Kollegen demontiert wird.
    Zweig schreibt dicht an der Grenze zur Schwärmerei wenn es um Maria Stuart geht, zumindest sehr wohlwollend. Aber das möchte ich ihm, dem Künstler, gestatten.
    Was aber auffällt, und mich ein wenig irritiert, ist die Art, wie Zweig über die beiden Protagonistinen schreibt. Steffi sprach es bereits an. Und ehrlich gesagt, habe ich eine sollche Reaktion (wie die von Steffi zum Frauenbild) auch erwartet. Zweig´s Frauenbild zu kennen wäre in diesem Zusammenhang sicher interessant.
    Steffi´s "Zickenduell" ist eine sehr gute Beschreibung, wie Zweig mit dem Zwist dieser beiden Frauen umgeht. Von Oben herab, in einer Herr/lichen Art:" Sind doch nur Frauen! Ja, bei Männern, da wär´s ganz anders abgegangen!"
    Dazu nur ein Beispiel (deren gibt es mehrere):


    "Denn trotz ihrem überragenden Format bleiben diese beiden Frauen immerhin Frauen, sie können die Schwäche ihres Geschlechts nicht überwinden, Feindschaften, statt aufrichtig, immer nur mesquin und hinterhältig auszutragen. Ständen statt Maria Stuart und Elisabeth zwei Männer, zwei Könige einander gegenüber, es käme sofort zu scharfer Auseinandersetzung, zu klarem Krieg. ... Der Konflikt Maria Stuarts und Elisabeths dagegen entbehrt dieser hellen männlichen Aufrichtigkeit, er ist ein Katzenkampf, ein sich-Umschleichen und Belauern mit verdeckten Krallen, ein hinterhältiges und durchaus unredliches Spiel."


    Feindschaft: statt aufrichtig, hinterhältig!
    Soll heißen: statt auf die mänliche, auf die weibische Art???
    Wenn Könige sich gegenüber ständen, käme es "zu klarem Krieg"!!!
    Starker Tobak!
    Seh´ ich das jetzt Falsch? Oder zu Eng? Oder habe ich was verpasst?


    So weit, Maria als dumm und naiv zu bezeichnen, möchte ich (noch?)nicht gehen. Die Regierungsgeschäfte lagen bei ihrem Stiefbruder; lernen aus den Tagesgeschäften der Politik war also noch nicht angesagt.
    Für eine Königin grober Leichtsinn!? Wahrscheinlich.
    Das Treffen mit Knox war der Versuch einer friedlichen Lösung! Es war Marias erstes Treffen mit Knox, sie kannten sich bis dahin nur vom hörensagen, waren bis dahin auf Informationen dritter angewiesen. Auf Grund der Wichtigkeit war´s sicher einen Versuch wert.
    Vor Königen/Königinen sind sicher schon ganz andere in die Knie´ gegangen!

    Gruß
    Rainer

  • Hallo Rainer !


    Da bin ich froh, dass es bezüglich des Frauenbildes nicht nur mir so geht :smile:



    Ich habe inzwischen weitergelesen und mein Bild von Maria hat sich doch stark verbessert! So, wie Zweig sie schildert, war sie eher unerfahren und unüberlegt in ihren Handlungen, sie handelte wohl sehr emotional und war sich den politischen Konsequenzen ihrer Handlungen wohl nicht bewußt.


    An und zu streut Zweig immer noch sein Frauenbild ein - ich versuche, darüber hinwegzulesen :breitgrins: . Aber es irritiert mich sehr, da seitenlang logische und nachvollziehbare Argumente und Interpretationen der geschichtlichen Ereignisse erzählt werden, sehr interessant und auch sehr analytisch, die mich auich sehr begeistern und dann kommt wieder so ein Abschnitt, bei dem ich nur noch den Kopf schüttele. Es kommt mir vor, als wenn zwei verschiedene Personen das Buch geschrieben hätten !


    Zum Beispiel wird der Aufstieg Rizzios geschildert, der vom Sänger zum engsten Berater Marias aufsteigt. Zweig schildert, dass Rizzio diesen Aufstieg durch seine Bildung und sein "französisches" Auftreten geschafft hat. Rizzio, ein Ausländer, noch dazu katholisch und wahrscheinlich Anhänger der Gegenreformation, übt nach wenigen Wochen das höchste Staatsamt aus. Für mich ist das ein Zeichen, dass Maria keinerlei politisches Gespür hatte und sich wieder naiv einer Person anvertraute (nach Darnley !), die sie nicht kannte und über deren Absichten sie nichts wußte. Wieder ließ sie sich, wie von ihrem Stiefbruder vorher, in allen ihren Handlungen beeinflußen - Stefan Zweig empfindet dies jedoch als positiv und meint, dass dies Marias Selbständigkeit zeige !


    Du schreibst:

    Zitat

    Zweig schreibt dicht an der Grenze zur Schwärmerei wenn es um Maria Stuart geht, zumindest sehr wohlwollend. Aber das möchte ich ihm, dem Künstler, gestatten.


    Ich werde künftig versuchen, es ebenso zu sehen.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen


    Ja, so manche Begebenheit aus dieser Zeit wird uns immer ein Rätsel bleiben. Der Lebensalltag der Angehörigen des Königshofes würde vielleicht etwas Aufschluss geben, einiges ein wenig klarer werden. Neben dem Aufstieg Rizzios, der ja geradezu unglaublich klingt, ist für mich auch sein blutiges Ende schwer nachvollziehbar:
    Lord Patrick Ruthven marschiert in voller Rüstung in ein Souper der Königin und greift sich einen der Gäste (Rizzio), weitere Rebellen kommen hinzu. Wie ist sowas möglich? An einem Königshof! Der König selbst ist zwar Helfer, hat aber bei Hofe selber keinen Rückhalt mehr! Was ist mit den Edelleuten, die mit Maria und Rizzio zusammen waren? Was mit all den anderen, die an so einem Hofe leben? Gab es da nur noch Bothwell und Huntly, die eh nichts ausrichten konnten, weil sie nicht mehr zur Königin vorrücken konnten?
    Wie bei einem Kaffeekränzchen in einem Damenstift, dass von Rowdies überfallen wird! Und nicht wie beim Souper einer Königin in ihrem eigenen Schloss!
    Spätestens hier kam mir der Gedanke, dass Steffi doch nicht so ganz Unrecht haben kann, wenn sie Maria als dumm bezeichnet.
    Aber es kommt ja alles noch viel schlimmer!
    Erika beschrieb Zweigs Haltung zu seinen Titelfiguren als "kritische Sympathie", aber was in Kapitel 11 und in den folgenden zum Mord am König geschrieben wird, grenzt an (Zweigs)Mittäterschaft :zwinker: .


    Stefan Zweigs Erzählweise ist wunderbar. Es wird nie langweilig, wie man es in manch anderen Biographien mit diesem Umfang erleben kann. Ob die eine oder andere Begebenheit nun tatsächlich sich so ereignet hat wie beschrieben, ist m.E. gar nicht mal so wichtig.
    Wenn neben der Freude am Lesen so viel Historie gelehrt wird: Was will ich mehr?


    Rainer

  • Hallo !


    Ich bin jetzt im 11. Kapitel. Das Lesen, wie schon Rainer sagte, ist sehr vergnüglich, über manche patethische Ausdrucksweise Zweigs muß ich fast lachen. Es stimmt, über das allgemeine Leben am Hofe wird fast nichts berichtet. Der Versuch, die Hauptpersonen psychologisch zu analysieren steht im Vordergrund - ich glaube, das ist es, was das ganze so fesselnd macht.


    Zweig nimmt ja einige Male auf Shakespeare Bezug und es kommt einem wirklich so vor, als sei man in einem Theaterstück. Rizzio dramatisch umgebracht, vorher ja schon dieser andere Dichter hingerichtet, Darnley ist die reine Witzfigur und nun tritt Bothwell auf: männlich und animalisch. Durch diese Eigenschaften fallen ihm die Frauen reihenweise zu ! :breitgrins: Und offensichtlich auch die Königin - wieder nichts aus den vorherigen Ereignissen gelernt. Oder empfinden nur wir die Dramaturgie ? Hinrichtungen und Tod, Leidenschaft und Ausschweifungen, war das damals selbstverständlich ? Und was sagt die katholische Kirche zu so einer Königin ? Kein Wunder, dass damals die Reformation einsetzte !


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen,
    ich habe gerade erst das sechste Kapitel fertig gelesen :rollen: ... Aber die Lektüre gefällt mir dennoch ganz gut (es liegt momentan eher an der Zeit), obwohl ich noch nicht so gefesselt bin wie von anderen Zweig-Büchern.
    Diese ganze Hochzeitsgeschichte ist ja wohl wirklich die reinste Farce, wer in Frage kommt, wer von den Anhängern Maria Stuarts vorgeschlagen wird, wer von denen Elisabeths.. Besonders frappierend fand ich denn auch Elisabeths Vorschlag, Maria sollte doch ihren abgelegten Liebhaber Dudley heiraten - wenn so etwas heute passieren würde, das käme ja einem Skandal mit mehreren Tagen Titelseite in der Bildzeitung gleich. Ich habe mich darüber köstlich amüsiert, dieses ganze Ränkespiel, bei dem jeder versucht, den anderen hintenrum auszutricksen ohne jemals offen zu brüskieren. Wie anstrengend!
    Steffi: Ich finde es auch etwas merkwürdig, dass diese ganzen Freizügigkeiten am Hofe einer katholischen Königin möglich waren, aber ich glaube, dass die Moral schon damals durchaus doppelzüngig war (nach dem Motto "Aussen hui, innen pfui :zwinker: ). Heute ist das ja nicht anders - und schon gar nicht in der katholischen Kirche.
    Ich habe schon mal ins 7. Kapitel gelunst, um zu sehen, wer den jetzt der Auserwählte Maria Stuarts ist - anscheinend ja Darnley, bei dem sich lt. Zweig zum ersten Mal die Leidenschaft in Maria entfacht, zum ersten Mal die Frau (die erwachsene) in ihr erwacht.
    Na, das kann ja heiter werden :breitgrins: !


    Viel Spass weiterhin beim Lesen wünscht
    Nele

  • Hallo zusammen


    Nele schreibt:" ...ich glaube, dass die Moral schon damals durchaus doppelzüngig war ..." (die beiden kleinen Wörter "schon damals" finde ich sehr gelungen) :smile: .
    Stefan Zweig zweig schreibt weiter hinten zur Moral:
    Denn jenes Jahrhundert ist keineswegs moralisch gesinnt und sonderlich heikel wegen eines einzelnen Menschenlebens.


    Gruß
    Rainer

  • Mann, mann, mann!
    Das muss ja unglaublich spannend gewesen zu sein, all die Nachforschungen anzustellen, derer es für die Entstehung dieser Biographie bedurfte! Ich würde für mein Leben gerne all diese Quellen und Dokumente sehen, in denen all diese Intrigen gesponnen wurden und gleichzeitig sehen, was sich auf der englischen und auf der schottischen Seite abgespielt hat.
    Unglaublich - da reiht sich eine (wie Zweig es nennt) Komödie an die nächste: zuerst die Rehabilitation Elisabeths, nachdem sie sich mit dem Vorschlag, dass Maria ihren abgelegten Liebhaber heiraten solle, in die Nesseln gesetzt hat, durch Moray, die jeder durchschaut; dann der Aufstand, von Moray angeführt, den Maria ja glücklicherweise an der Seite ihres frischgebackenen Gatten niederschlagen kann; und schliesslich dann die wundersame Wandlung dieser für nur kurze Zeit glücklichen Ehe: ich kann mir Darnley so richtig vorstellen - beleidigt, verwöhnt, uneinsichtig, unreif - klar, dass er bei dem Komplott gegen Maria Stuart und Rizzio, ihren Geheimsekretär, sofort dabei ist, um seiner Gattin eins auszuwischen. Der hatte wohl gar keinen Stolz.
    Aber es geht ja noch weiter, weiter bin ich nur noch nicht :zwinker: , aber ich ahne es schon, denn so schwankende Naturen, wie Darnley eine ist, hängen ihr Fähnchen schön nach dem Winde...
    Diese ganzen unfassbaren Geschehnisse machen den Roman eigentlich so spannend und lesenswert, finde ich!
    Ich komme mir wirklich vor wie in einem Bühnenstück über diese zeit, man kann sich gar nicht vorstellen, dass das wirklich alles passiert ist, tstststs (*schüttel den Kopf*)...
    Viele Grüsse,
    Nele

  • Ja, Leute,
    ich hab´ keine Ahnung, wie weit ihr seid, aber es wird immer doller im Tollhaus Hollyrood!
    Sowas kann man sich gar nicht ausdenken. Musste gestern weiterlesen, bis mir die Augen zufielen (bis zum Schluss des 14. Kapitels). Unglaublich!
    Shakespeares Anspielungen (wenn sie denn gezielt gemacht wurden!?) im Hamlet b.z.w. Macbeth geben die wirkliche Tragödie Maria Stuarts nur ansatzweise wieder. Die Wirklichkeit ist nicht zu toppen!
    Werd´ mir danach wohl Schillers Maria Stuart vornehmen.


    Rainer

  • Hallo zusammen !


    Ja, in dramatischer und emotionaler (schwülstiger?) Erzählweise steht Stefan Zweig Shakespeare in nichts nach ! Ich könnte mir schon vorstellen, dass sich Shakespeare dadurch inspieren ließ, wenn der "Fall Maria Stuart" damals schon allgemein bekannt war.


    Allerdings ist mir das ganze schon fast zu dramatisch und ich versuche immer noch eine für mich realistischere "Wahrheit" zu finden !


    Darnley soll ja ebenfalls Syphilis gehabt haben, die Krankheit kurz vor seiner Ermordung wohl das Endstadium ? Da hätten sich Bothwell und Co gar nicht so beeilen brauchen :zwinker:
    Darnley war sehr ehrgeizig und wollte unbedingt regieren und er hatte viele Liebschaften - das passt so gar nicht zum schwachen, hörigen, verliebten Darnley Stefan Zweigs ! Nach einer anderen Theorie soll der Mord an Rizzio und die Flucht Marias zu Pferd inszeniert worden sein, um eine Fehlbegurt und dadurch wahrscheinlich auch Marias Tod zu provozieren. Darnley hätte dann regieren können ! Genauso unglaublich wie Zweigs Darstellung.


    Die größte Frage stellt sich bei mir in Bezug auf Bothwell. Sollte Maria diesem brutalen, ebenfalls ehrgeizigen Mann, der sie vielleicht sogar vergewaltigt hatte (wie kann so etwas bei Hof passieren?) hörig gewesen sein ? Darauf baut Zweig ja seine ganze Darstellung auf ! Das passt vielleicht zu Stefan Zweigs Frauenbild aber nicht zu meinem !


    Die Kassettenbriefe sind ja nur in Abschriften erhalten, möglich auch, dass Bothwell darin nicht nur Marias Briefe sondern auch Briefe seiner anderen Liebschaften aufbewahrte. Waren sie wirklich nicht gefälscht ? Aber wie kam Maria dazu, Bothwell zu heiraten ? Was kann sie dazu gebracht haben ? Hörigkeit - für mich unglaublich, Zwang durch die schottischen Adligen - möglich; war Darnleys Ermordung eine Intrige, um sie durch ihre Mitschuld zur Heirat zu zwingen, sie ins Abseits von allen anderen königlichen Häusern zu stellen ? Warum hatte sie in Frankreich bzw. überhaupt in Europa nicht mehr Verbündete ? Wirklich, weil sie sich immer nur mit den falschen Männern eingelassen hat ? Selbst wenn man nur die Fakten berücksichtigt, das alles ist einfach UNGLAUBLICH !


    Gruß von Steffi

  • Ja,
    man kann ich schwer vorstellen, dass sich damals alles so ereignet hat, kein Wunder, dass sich gleich mehrere Dramatiker an diesem Thema versucht haben.
    Ich sehe keinen Widerspruch in der Tatsache, dass Darnley so wild auf´s Regieren war und gleichzeitig so ein schwacher Geist. Ich denke einfach, er war etwas einfach gestrickt, fühlte sich von Macht unglaublich angezogen und es war ihm anscheinend egal, welche Mittel er dafür aufbringen musste, hat sein Fähnchen immer schön nach dem Wind gedreht, je nach dem, von wem er sich die grösste Gunstbezeugung und Macht erhoffen konnte. Ein guter Teil der Anhänglichkeit gegenüber Maria Stuart rührt wahrscheinlich daher, dass sie mächtig und Königin ist, und der andere Teil daher, dass er sie, in seinem Stolz verletzt, wieder zurückerobern wollte. Eine echt widerliche Kreatur! :evil:
    Ich finde es aber wirklich schlau eingefädelt, wie Maria sich dem ganzen Schlamassel durch die Flucht entzogen hat - ich würde nur tatsächlich gerne wissen, ob diese Flucht echt war, oder wie Du sagst, Steffi, von den Rebellen in Szene gesetzt wurde, um eine Fehlgeburt zu provozieren. Das würde aber dann auch nicht mit Zweigs Schilderung übereinstimmen, weshalb sie Maria unverschont liessen und so dem ungeborenen König Schottlands ihren Respekt oder ihre Ehrfurcht zollten.
    Ich denke, Zweig´s Biographie ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss, wie wir ja alle schon festgestellt haben, und man bekommt vielleicht ein umfassenderes, aber nicht unbedingt klareres Bild, wenn man weitere Biographien liest. Denn da man leider die so weit zurückliegende Geschichte nicht mehr nachvollziehen kann, wird es wohl nie so objektiv und genau wie eine Biographie über Helmut Kohl oder so :zwinker: .
    Bin schon gespannt, was jetzt wieder als Nächstes passiert, nachdem der kleine Jacon geboren wurde und Elisabeth darüber einen regelrechten Anfall bekam...
    Viele Grüsse,
    Nele

  • Hallo !


    Das ist eine wirklich wichtige Frage - gibt es objektive Biografien ? Bisher stand für mich der Begriff Biografie für objektiv und die subjektive Seite sehe ich in historischen Romanen vertreten. Es kommt wohl darauf an, wieviel "Dichtung" dahintersteht. Da man als Leser kaum alle Fakten kennen kann, ist es schwierig, die Qualität zu beurteilen. Es gibt aber schon "objektive" Biografien z.B. habe ich vor kurzem eine sehr gute über Eleonore von Aquitanien gelesen - hauptsächlich Fakten, wobei es dann schwierig ist, Langeweile zu vermeiden :smile:


    Was mir bei Zweig auffällt ist, dass er trotz seines ausschmückenden, romantischen Stils sich nicht von den Fakten zu weit entfernt. Er hat eine straffe Linie, die er durchzieht, so entsteht die Spannung ! Jede unnütze Ausschmückung, sofern sie nicht die Charaktere der Personen betrifft, wird vermieden - es konzentriert sich alles auf die Personen und die Vorfälle ! Keine Kleidung, keine Nebenpersonen, auch nicht die vier Marys, keine Beschreibung der Schlösser, der Landschaft usw. beeinflussen das Bild. Das finde ich schon beachtlich und auch faszinierend.


    Gruß von Steffi

  • Hallo zusammen


    Ob Zweigs "Maria Stuart" nun eine Biographie ist oder (wohl weniger) ein historischer Roman, darüber hat sich der Autor, vermute ich, am wenigsten Gedanken gemacht. Ich würde es eher als eine historische Erzählung bezeichnen.
    Aber da sind wir wieder bei den berühmten Schubladen, über die man so trefflich streiten kann.
    Wenn Wahrheit und Dichtung so eng verwoben ist, Stefan Zweig der Wahrheit einen so hohen Stellenwert einräumt wie es einem subjektiven Individuum möglich ist, und durch die Kunst des Dichters eine solche Faszination erreicht wird, wie es bei "Maria Stuart" der Fall ist, dann ist es ganz große Kunst und etwas ganz besonderes!
    Etwas besonderes, weil der Unterschied zu "akademischen" Biographien (Langeweilig, Anhäufung von Fakten und Querverweisen, die nur den Experten interessieren) so eklatant ausfällt, dass der Stellenwert der "Maria Stuart" für den historisch interessierten Laien wie auch für den literarisch interessierten sehr groß ist.
    Stefan Zweig zeichnet uns ein Bild der Maria Stuart, das uns ein Historiker wohl nie hätte zeichnen können. Und darin liegt m.E. auch ein hoher Verdienst! Denn so kurzweilig unterhalten und gleichzeitig belehrt zu werden ist sehr, sehr selten.


    Angenehmes Wochenende
    Rainer

  • Hallo Rainer !


    Zitat

    Wenn Wahrheit und Dichtung so eng verwoben ist, Stefan Zweig der Wahrheit einen so hohen Stellenwert einräumt wie es einem subjektiven Individuum möglich ist, und durch die Kunst des Dichters eine solche Faszination erreicht wird, wie es bei "Maria Stuart" der Fall ist, dann ist es ganz große Kunst und etwas ganz besonderes!


    Schön gesagt, auch wenn ich das "ganz" für mich weglassen würde :smile:
    Faszinierend aber auf jeden Fall, die Person Marias steht einem ganz nah und damit auch die Zeit, in der sie lebte. Und das ohne belehrende und erdichtete Ausschmückungen !


    Maria ist inzwischen nach England geflüchtet, wieder hat sie einen Mann betört, wieder ihm vielleicht Hoffnungen gemacht und wieder hat ein Mann alles für sie und/oder die Krone Schottlands riskiert. Der Prozeß gegen Maria beginnt, Intrigen sind an der Tagesordnung, Opportunisten muß damals nicht besonderes gewesen sein. Wie auch Zweig einmal schreibt, die Werte der Gesellschaft waren doch sehr unterschiedlich zu heute (hoffentlich). Maria hat keinen Einfluß auf den Ausgang des Prozesses, wie immer hat sie ihr Schicksal in die Hände von anderen gelegt. Es scheint, dass sie immer nur reagiert anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. Besonders vorausschauend ist sie nicht, aber wahrscheinlich vertraute sie einfach dem bisher so freundschaftlichen Briefwechsel mit Elisabeth.


    Ich freue mich nun auf die letzten 50 Seiten - wieder wird sie jemand finden, der ihr um der Macht willen hilft, wieder wird intrigiert werden und den Schluß kennen wir ja alle ! Tragisch, romantisch, dramatisch ...


    Gruß von Steffi