zeitgenössische deutschsprachige Literatur

  • hallo zusammen,
    hallo sandhofer!


    Zitat von "sandhofer"


    Punkt a) ist etwas, das auch für Nicht-Klassiker gelten sollte, ja selbst für einen Journalisten der Bild-Zeitung, selbst für Mit-Diskutanten dieses Forums ...
    Punkt b) erste Hälfte: s. Punkt a); zweite Hälfte: "neu entwickelte Mittel" - damit raubst Du jedem, der bewusst sich einer prätentiösen, ungewöhnlichen oder was auch immer Sprache enthält, die Möglichkeit, ein Klassiker zu werden. Da 'Klassiker' aber auch immer Vorbilder der nächsten Generationen sind, führt dieses Argument sich auch ein bisschen ad absurdum. Demzufolge müsste Arno Schmidt der 'bessere' Klassiker sein als z.B. Musil. Eine Entwicklung der Literatur, so etwas wie eine Literatur- oder Geistesgeschichte würde unmöglich.
    Punkt c) Das sind Werte, wie sie erst das 20. Jh., und da v.a. die zweite Hälfte, entwickelt hat. Du darfst aber - finde ich - nicht mit zeitlich bedingten Werten ein Werk beurteilen, das - als Klassiker - überzeitlich 'funktionieren' sollte.


    zu punkt a)
    "gelten sollte" - ein blick in verschiedene aktuelle journalistische und belletristische publikationen zeigt jedoch, dass dieses mindestmass an sprachbeherrschung schon lange nicht mehr vorausgesetzt werden kann. und ob man in einem diskussionsforum unbedingt "sprachliches virtuosentum" erwarten sollte, das sei dahingestellt...


    zu punkt b)
    der einsatz neuer stilistischer mittel muss nicht zwangsläufig einen prätentiösen schreibstil hervorbringen. oft werden neue erzählerische mittel (z.b. die perspektivische polyphonie bei dostojewski oder der wegfall auktorialer erzählperspektiven zugunsten einer eher szenischen darstellung in der modernen literatur) von der leserschaft gar nicht als störendes novum aufgefasst. im gegenteil: neue erzählerische techniken werden oft als das ergebnis einer natürlichen weiterentwicklung der epischen ausdrucksmöglichkeiten empfunden und deshalb begrüßt - erst duch die weiterentwicklung seiner erzählerischen mittel kann ein schriftsteller den veränderungen bzgl. der selbstwahrnehmung des individuums in einer sich wandelnden gesellschaft überhaupt gerecht werden.
    ein werk, das keinerlei erzählerische inventionen aufweist, hat eigentlich nur dann die chance, eine "klassiker" zu werden, wenn in ihm die konventionelle erzählweise derart perfektioniert wird, dass eine "steigerung der konventionellen schreibweise" nicht mehr möglich ist und (durch die nachfolgende schriftstellergeneration) zwangsläufig überwunden werden muss. als beispiel in diesem zusammenhang möchte ich den (für seine entstehungszeit eher konventionell erzählten) "zauberberg" anführen.


    zu punkt c)
    die tradition der kritischen spiegelung und analyse ist definitiv keine erfindung des 20. jahrhunderts. kritik an der dekadenz des adels, an den auswüchsen bürgerlichen spießertums etc. findet sich in der großen literatur der gesamten neuzeit. dass offene gesellschaftskritik v.a. in den werken des 20, jahrhunderts hörbar wird, liegt wohl eher daran, dass eine solche kritik in den modernen demokratisch(er)en gesellschaften gefahrlos(er) verbalisiert werden kann.


    gruß
    Settembrini

    "Herr Settembrini, du pädagogischer Satana - du bist zwar ein Windbeutel und Drehorgelmann, aber du meinst es gut..."

  • Hallo


    Ich denke, uns alle hat es aus mehr oder weniger ähnlichen Gründen auf diese Seite verschlagen, nämlich weil wir gerne Klassiker lesen.
    Wahrscheinlich hatte jeder eigene Vorstellungen, was etwa ein Klassiker ist, aber so weit ich es sehe, fühlen sich auch die Menschen mit unterschiedlichen Ansichten hier wohl.
    Settembrini, ich weiß nicht, woher Du Deine Mindestanforderungen nimmst und warum Du sie für objektiv hältst, ich möchte das aber für mich auch eigentlich nicht weiter ausdehnen.
    Mein "Wissen des 20. Jahrhunderts" jedenfalls gibt noch eine ganz andere Definition.


    Zitat

    ...so glaube ich, wir leser tun gut daran, uns während der lektüre immer wieder zu fragen: "was fasziniert mich an diesem buch? warum rührt es mich an, macht es mich weinen, zornig, glücklich?". fehlt dieses mindestmaß an reflektion, so können wir uns gleich vor die glotze setzen. je einfacher wir es uns mit der beurteilung eines buches machen, desto leichter machen wir es auch den autoren, uns mit mittelmäßigen geschichten zu "unterhalten" - und pauschalurteile wie "dieses buch ist einfach genial!" gehören eigentlich nicht in ein literaturforum.


    Das finde ich schlicht gesagt, ein wenig anmaßend. Jede/r hat das Recht, zu lesen wie er oder sie möchte und ich weiß nicht, wer beurteilen darf, inwieweit sich Leser und Leserinnen mit ihren Büchern auseinandersetzen oder auseinandersetzen sollten.
    Jeder der liest, wird seinen eigenen Grund haben, warum er eben nicht vor der Glotze sitzt und das sei ihm doch selbst überlassen :zwinker:


    Lassen wir uns doch gegenseitig ein wenig mehr Freiheit und jeden seinen Eindruck eines Buches so ausdrücken, wie er es empfindet und nicht wie es uns genehm ist :smile:


    liebe Grüße


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving

  • hallo Daniela! :winken:


    zunächst eine klarstellung vorab:
    ich möchte mit meinen diskussionsbeiträgen hier niemals jemandem persönlich "auf den schlips" treten - die beiträge sind vielmehr ausdruck meines allgemeinen unbehagens über eine (vermeintliche?) beliebigkeit der rezeption von literatur in unserer gesellschaft.
    zudem liegt es mir nicht besonders, wenn es in diskussionsforen zu schnell zu "kuschligen kompromissen" kommt... :zwinker:


    so, nun zu deiner antwort:


    Zitat von "elahub"

    Settembrini, ich weiß nicht, woher Du Deine Mindestanforderungen nimmst und warum Du sie für objektiv hältst, ich möchte das aber für mich auch eigentlich nicht weiter ausdehnen.


    da hast du mich falsch verstanden: letztlich gebe nicht ICH die 3 kriterien vor, sondern die bisher geschriebenen klassiker selbst. die von mir genannten kriterien sind qualitätsmerkmale, die meines erachtens alle heute als klassiker verehrten werke als minimalkonsens erfüllen. dieser minimalkonsens ist das ergebnis aufmerksamer lektüre einer großen zahl "klassischer" werke - und bei einer hinreichend großen "stichprobenzahl" kann man durchaus von einer gewissen objektivität der beobachtung sprechen (im urtext habe ich zudem nur von einer "groben annäherung" gesprochen).


    Zitat von "elahub"

    Das finde ich schlicht gesagt, ein wenig anmaßend. Jede/r hat das Recht, zu lesen wie er oder sie möchte und ich weiß nicht, wer beurteilen darf, inwieweit sich Leser und Leserinnen mit ihren Büchern auseinandersetzen oder auseinandersetzen sollten.


    ich kann nicht verstehen, warum du meinen appell an die aufmerksamkeit und kritikfähigkeit der leser als anmaßend empfindest. natürlich darf jeder lesen wie oder was er mag - keine frage! aber sobald man die öffentliche beurteilung eines buches vornimmt, sollte sich diese schon auf ein gewisses maß an aufmerksamer auseinandersetzung mit inhalt und stil des werkes stützen können - sonst ist die beurteilung beliebig, und DAS finde ich anmaßend (dem autor und dem werk gegenüber).


    liebe grüße an daniela
    und alle mitdiskutanten
    Settembrini
    :blume:

    "Herr Settembrini, du pädagogischer Satana - du bist zwar ein Windbeutel und Drehorgelmann, aber du meinst es gut..."

  • Hallo Daniela & Settembrini,


    wenn ich mich mal kurz einmischen darf. :breitgrins:
    Ich glaube, ich weiss, was Settembrini ausdrücken möchte. Ich erhalte jeden Monat so viele Rezensionen für Literaturschock, die ich genau aus diesen Gründen aussortiere. Zwar habe ich früher selbst nicht sehr viel zu Büchern geschrieben (zwei Sätze höchstens *g*), aber inzwischen möchte ich doch, dass man bei der Rezension auch ausdrückt, was genau einem am Buch gefallen hat. Rezensionen, die nur den Satz "Das Buch ist Schrott" oder "Das Buch ist geil" (typische Rezensionen von 13jährigen - ich merke an den Rezensionen oft, welche Schullektüre gerade dran ist. Zur Zeit muss es Dürrenmatt sein :zwinker: ) beinhalten, werden auf der Webseite erst gar nicht veröffentlicht. Das gehört tatsächlich nicht auf eine Literaturseite, von der ich hoffe, dass sie einen gewissen Anspruch (trotz Unterhaltungsliteratur) darstellt.


    Trotzdem würde ich nie jemandem vorschreiben, wie er nun ein Buch zu lesen hat!


    Liebe Grüße
    nimue

  • Hallo,


    für mich ist bei der Beurteilung, welches Buch ein Klassiker ist, auch wichtig, ob es ihm gelingt, jede Generation anzusprechen. Deshalb gefällt mir nimues o.g. Zitat von Calvino besonders gut. Damit dieser Anspruch auch gelingt, ist m.E. natürlich Stil und Sprache ebenfalls wichtig.


    Gruß von Steffi

  • Hallo an Alle .. besonders an Settembrini :smile:


    Wenn ich Dich jetzt richtig verstanden habe und nach dem, was Nimue erläutert hat, haben wir aneinander vorbeigeredet oder Du an mir :breitgrins:


    Natürlich sollten Rezensionen, Buchbesprechungen, Veröffentlichungen für alle ..... schon etwas genauer sein und auch auf irgendwelchen Grundlagen basieren, vollkommen einverstanden.


    Andererseits möchte ich, wenn ich Owen Meany für ein Meisterwerk halte, Euch das einfach mal so sagen dürfen, privaterweise :smile:
    (Ich stelle mir gerade Sandhofers Gesicht vor haha)


    liebe Grüße


    :winken:


    Daniela

    "Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde." - John Irving


  • des lieben friedens mit daniela und des vermutlichen gesichtes sandhofers wegen gebe ich hiermit schwarz auf grau zu protokoll:


    Owen Meany IST ein klassiker!


    (hm, ich sollte das buch jetzt vielleicht noch lesen...hmm... :elch: )


    liebe grüße
    - Settembrini

    "Herr Settembrini, du pädagogischer Satana - du bist zwar ein Windbeutel und Drehorgelmann, aber du meinst es gut..."

  • Hallo!


    Zitat von "Steffi"

    Was sollte ich in nächster Zeit unbedingt mal lesen ? Zeitgenössisch vielleicht so im Sinne der letzten 50 Jahre ?


    Gruß von Steffi


    Da gäbe es schon einige, z.B.


    Thomas Bernhard
    Uwe Johnson
    Markus Werner
    Wolfgang Hilbig
    W.G. Sebald


    CK

  • Mir fallen noch ein paar lesenswerte Bücher ein:


    Christa Wolf: Kassandra, Störfall,
    Christoph Hein: Drachenblut
    Stefan Heym: Der König David Bericht
    Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W., Die Legende von Paul und Paula,
    Günther de Bruyn: Buridans Esel
    Reiner Kunze: Die wunderbaren Jahre
    Jurek Becker: Jakob der Lügner


    Kassandra ist ein wunderbares Buch. Jeder kennt die Geschichte des Trojanischen Krieges, aber immer nur aus der Perspektive der "edlen Helden" und Krieger. Christa Wolf beschreibt den Krieg aus der Perspektive derer, die darunter leiden. Ich habe das Buch zum Beginn des dritten Golfkriegs wieder gelesen. Mein Lieblingszitat: "Wann Krieg beginnt, das kann man wissen. Aber wann beginnt der Vorkrieg? Wenn es da Regeln gäbe, müßte man sie weitersagen."


    Drachenblut ist die sehr beklemmende Geschichte einer einsamen Frau ohne Perspektive. Ärztin, geschieden - verbringt sie Weihnachten bei ihren Eltern, mit denen es keinen Austausch geben kann weil nichts sie verbindet. Nichts außer dem Eingeschlossensein in einen persönlichen Panzer und in einen gepanzerten Staat.


    Der König David Bericht erzählt ebenfalls eine bekannte Geschichte, die des biblischen David. Erzählt aus der Perspektive des Geschichtsschreibers, der den Bericht für die Nachwelt anfertigt zieht die Darstellung der Intrigen und Machtspiele in ihren Bann. Es bleibt die Frage, warum dieses Buch in der DDR veröffentlicht werden konnte. Haben die zuständigen Zensoren wirklich gedacht, es handele sich nur um Kritik an der Kirche?


    Die wunderbaren Jahre sind wirklich wunderbar, da gibt es kein besseres Adjektiv. Die oft kurzen Geschichten erzählen die Probleme von Jugendlichen mit Erwachsenen, Staat, Partei, Freunden.


    Gruß
    Atomium

  • Hallo zusammen,


    Settembrini hat gepostet:
    ich bin der meinung, dass die qualität von literarischen werken (und damit die entscheidung, ob ein besonders gelungenes werk als "klassiker" zu bezeichnen ist) definitiv keine frage des persönlichen geschmacks des einzelnen lesers sein kann und darf.


    Und ich bin der Meinung, dass die Bedeutung eines Wortes (sofern sie nicht bekannt ist) definitiv in Wörterbüchern nachzulesen ist und nicht von einzelnen Personen festgelegt werden kann und darf.


    Nachfolgend zitiere ich deshalb Wahrigs Wörterbuch Deutsch und das Fremdwörterbuch zur Bedeutung des Wortes „Klassiker“, wobei die Unterschiede unbedeutend sind:

    'Klas|si|ker <m. 3> Vertreter der Klassik; Künstler od. Wissenschaftler, dessen Werke über seine Zeit hinaus als mustergültig u. als von bleibendem Wert anerkannt worden sind; die Werke selbst; die Klassiker


    Klas|si|ker <m.; -s, -> 1 Vertreter der Klassik 2 Künstler od. Wissenschaftler, dessen Werke über seine Zeit hinaus als mustergültig anerkannt worden sind 3 <Pl.> die Werke selbst


    Da es nicht jedem gegeben scheint, ein Wörterbuch zu lesen, sei es mir erlaubt folgendes zu erklären:


    1. Da wir hier das Wort „Klassiker“ nicht für eine Person, sondern für ein Werk verwenden, ist die dritte Bedeutung „Die Werke selbst“ entscheidend.
    2. Mit „die Werke selbst“ ist gemeint, die Werke von 1. Vertreter der Klassik oder 2. von Künstlern, dessen Werke über seine Zeit hinaus als mustergültig und von bleibendem Wert anerkannt werden
    3. Werke von Vertretern der Klassik sind in Deutschland die Werke von Goethe und Schiller, in anderen Ländern stimmt die klassische Periode der Literatur zeitlich nicht mit der „Weimarer Klassik“ überein, liegt aber z.B. in Italien, Spanien, England und Frankreich zeitlich noch davor.
    4. Neben diesen Klassikern im engeren Sinn, gibt es aber noch die Klassiker i.w.S., also Werke, die über ihre Zeit hinaus als mustergültig und von bleibendem Wert anerkannt werden.


    Die Entscheidung, ob ein Werk als Klassiker zu bezeichnen ist, hängt also in erster Linie davon ab, ob es die Zeit überdauert oder wie Sandhofer bereits ausgeführt hat:


    Klassiker kommen m.E. nur durch den jahrelangen Konsens fleissiger Leser zustande.


    Die Qualität, spielt zunächst keine Rolle, sondern das Überdauern von Zeit. Natürlich hat es ein Werk mit Qualität leichter, die Zeit zu überdauern (andererseit kann Qualität aber auch im Einzelfall hinderlich sein). Ein Buch und sei es von höchster Qualität, kann aber in seiner Zeit (Jahrhundert?) noch kein Klassiker sein.


    Settembrini hat gepostet:
    in grober annäherung würde ich 3 mindestkriterien definieren, die ein prosastück erfüllen muss, um als "klassiker" zu gelten


    gebe nicht ICH die 3 kriterien vor, sondern die bisher geschriebenen klassiker selbst. die von mir genannten kriterien sind qualitätsmerkmale, die meines erachtens alle heute als klassiker verehrten werke als minimalkonsens erfüllen. dieser minimalkonsens ist das ergebnis aufmerksamer lektüre einer großen zahl "klassischer" werke


    Davon abgesehen, dass man w.o. ausgeführt, ein Wort nicht einfach umdefinieren darf, halte ich die Definition von Klassikern durch eine „Erfüllung von Mindestkriterien“ für abenteuerlich. Warum will ich an einem Beispiel verdeutlichen:


    Ich kenne hübsche Frauen, die blond sind und welche die dunkelhaarig sind, welche die schlank sind und welche mit Rubensfiguren, manche sind hellhäutig, manche dunkelhäutig, manche haben blaue Augen und manche grüne. Als Ergebnis aufmerksamer Beobachtung einer großen Zahl "hübscher" Frauen konnte ich aber feststellen, dass alle zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf hatten. Diesen Minimalkonsens als Qualitätsmerkmale für eine hübsche Frau festzulegen wäre aber am Ziel vorbei geschossen. Genauso geht es mir bei den 3 Mindestkriterien für Klassiker.


    Gruß von Hubert


  • Das würde ich differenzieren. Erstens wird der begriff klassiker in diesem sinne für hochkultur reserviert. Qualität spielt also von anfang an eine rolle. Ergo muß es unabhängig von der beobachtungsperiode qualität besitzen oder nicht. Zweitens variiert der klassikerstatus mit der zeit, wenn man diesen von der tatsächlichen lektüre abhängig macht - wer liest heute noch klopstock?. Andere würden dann erst später als andere den klassikerstatus erlangen (celine ? versus camus). Einen solchen relativismus halte ich für bedenklich, gilt es doch 2 fragen auseinanderzuhalten: Gilt ein autor zu einem bestimmten zeitpunkt als klassiker oder nicht? Und was ist die ursache, daß er einen klassikerstatus erhält (oder verliert)?
    Wenn die erste frage durch die zahl der lektüren beantwortet wird, ist es möglich, daß klopstock gestern ein klassiker war, heute aber keiner mehr ist. Dieser relativismus bereitet mir probleme.
    Wenn man den klassikerstatus dagegen an objektive qualitätskriterien hängt, kann die popularität schwanken, nicht aber qualität und klassikerstatus. Letztere wären dann unveränderliche platonische wahrkeiten ':zwinker:'.


    Zitat von "Hubert"

    Davon abgesehen, dass man w.o. ausgeführt, ein Wort nicht einfach umdefinieren darf, halte ich die Definition von Klassikern durch eine „Erfüllung von Mindestkriterien“ für abenteuerlich.


    Warum ein werk den klassikerstatus erhält, muß ja eine ursache, eben gewisse mindestanforderungskriterien, haben. Das überdauern in der zeit und die "mustergültigkeit" sind doch selbst solche kriterien. Es richtet sich aber auf die frage, was einen klassiker definiert, nicht aber auf die, was einen klassiker zum klassiker macht. Die genannten mindestkriterien könnte man um das des wettbewerbes erweitern:
    ein klassiker ist der, der sich in den augen der nachkommenden gegen jene konkurrenten durchgesetzt hat, die diesen status nicht erhielten. ZB hält bloom dante und shakespeare für die alle anderen überragenen autoren, welche nichtsdestoweniger ihren klassikerstatus weiter behalten- unabhängig davon, ob sie noch gelesen werden oder nicht.
    Ein klassiker in diesem sinne wäre ein buch, daß sich über objektive qualitätskriterien über seine konkurrenten hinweggesetzt hat. Damit wäre der klassikerstatus aber nicht mehr von heti und pleti diagnostizierbar. Das überdauern in der zeit wäre dann folge der fehlenden konkurrenz, und der klassikerstatus wäre folge des letzteren. Es wäre aber nicht nötig, daß einigkeit der fachgelehrten über die mindestkriterien existiert. Die meinung darüber, ob etwas ein klassiker ist, ist nichts weiter als der gewichtete durchschnitt aller fachkundigen meinungen darüber. Ob diese meinung richtiger oder falscher ist, bzw. wie nahe sie an der wahrheit liegt, ist unbeobachtbar. In der meinung der effizienzmarkthese der ökonomie sagt man, der marktpreis ist immer der richtige, weil er nicht mehr hinterfragbar ist. Voraussetzung dafür ist aber, daß die marktteilnehmer aktiv erforschen, was der richtige preis ist. Das heißt, den status eines klassikers definieren diejenigen, die sich gedanken darüber machen, ob es ein klassiker ist! Wenn die meinung hinreichend groß ist, wird der autor wiederaufgelegt bzw. in kanons aufgenommen.
    gruß hafis

  • Hallo zusammen!


    hafis50 schrieb:

    Zitat

    Erstens wird der begriff klassiker in diesem sinne für hochkultur reserviert. Qualität spielt also von anfang an eine rolle.


    Ja.

    Zitat

    Ergo muß es unabhängig von der beobachtungsperiode qualität besitzen oder nicht.


    Wieso "ergo"? Auch der Begriff 'Qualität' ist m.E. in aestheticis relativ.

    Zitat

    Zweitens variiert der klassikerstatus mit der zeit, wenn man diesen von der tatsächlichen lektüre abhängig macht - wer liest heute noch klopstock?. Andere würden dann erst später als andere den klassikerstatus erlangen (celine ? versus camus). Einen solchen relativismus halte ich für bedenklich,


    Nun, ich nicht.

    Zitat

    gilt es doch 2 fragen auseinanderzuhalten: Gilt ein autor zu einem bestimmten zeitpunkt als klassiker oder nicht? Und was ist die ursache, daß er einen klassikerstatus erhält (oder verliert)?


    Ich sehe, ehrlich gesagt, Dein Problem mit diesen 2 Fragen nicht ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • hallo zusammen.
    Ich habe probleme mit der lexika-definition des klassikers ebenso mit der relativierung von ästethik und klassikerstatus:
    Angenommen, von den autoren a,b,c,... der periode 1 gelte in periode 2 nur a als klassiker (ist im kanon, expertenurteil, noch gelesen). In periode 3 seien dann a und b klassiker.
    Wenn die urteile in a und b richtig waren, hat jede periode ihre eigenen klassiker. Dies deckt sich auch mit einer nomativen definition von klassikern a la schülerkanon a la MRR. Da mit jede generation die zahl der werke zunimmt, müssen laufend die werke der vergangenheit ausgedünnt werden. Klassiker ist der, der gelesen werden soll. Der, der übe den klassikerstatus entscheidet, ist nicht der leser, sonder eine kompetenz-macht-instanz. Natürlich nutzt diese gewisse anforderungskriterien. D.h. die mustergültigkeit als definitionskriterium ist zeitlich beschränkt, und das gelesen-werden und das überleben sind folge und nicht ursache oder definition des klassikerstatus. Niemand kommt auf die welt mit kenntnis der klassiker. Was klassiker sind, übernimmt der leser von der entscheidungsinstanz. Klassiker nur normativ zu definieren, ist wohl zu eng. Und eine zeitliche begrenztheit des klassikerstatus stößt sich etwas mit dem begiff des klassikers.
    Man könnte wie zB hesse die "schätze de weltliteratur" als klassiker bezeichnen, was den status unabhängiger vom zeitgeschmack oder vom noch-gelesen-werden machen könnte. Wieviele der werke aus hesse's biliothek de weltliteratur werden heute noch gelesen? Und wenn sie nicht mehr gelesen werden, in welche hinsicht sind sie dann "mustergültig". Wenn ich diese werke dennoch als klassiker gesehen werden, sind die obigen definitionen von klassiker unzureichend.
    Der knackpunkt liegt in der zuordnung von ursache und wirkung: Ist ein klassiker ein klassiker, weil er noch gelesen wird und mustergültig ist, oder ist er mustergültig und wird noch gelesen, weil er ein klassiker ist? Im zweiten fall müßte eine neue definition her.
    Ein klassiker ist
    1- ein werk der hochliteratur (konvention),
    2- das sich in bestimmten -ästhetischen- entscheidungskriterien gegen die konkurrenz duchsetzte, und
    3- in dessen erhalt investiert wird (via bestandspflege).
    In diesem sinne könnten die entscheidungen in periode 2 und 3 falsch oder richtig sein, wenn man seine qualität verkannte.
    Einer, der ebenso für nicht relativistische zuordnungskiterien plädiet, ist bloom im "westen canon" (canon nicht normativ, canonisch ist superior zu klassiker):
    "Was macht ein werk kanonisch? Ein seltsamkeit, eine art von originalität, die entweder nicht assimiliert werden kann, oder die uns so assimiliert, daß wir sie nicht länger als seltsam empfinden...unheimlichkeit, deren fähigkeit, sich zuhause seltsam zu fühlen". Bloom sieht den grund für den status nur im werk selber, nicht in sozialen einflüssen auf das werk und nicht in der rezeption(-sfähigkeit) der leser. "literaturkritik als eine kunst war und wird immer ein ein elitäres phänomen bleiben" (läßt dies relativismus zu?). "Der kanon, sobald wir ihn als beziehung zwischen dem einzelnen leser und dem autor zu dem, was aus all dem geschriebenem bewahrt wurde, sehen, und sobald wir den kanon nicht als empfohlene lektüre sehen, wird gesehen werden als identisch mit der literarischen kunst der erinnerung, nicht mit dem religiösen sinn eines kanons...In jeder ära werden einige genres als kanonischer als andere gesehen...Nichts ist so essentiell für den westl. kanon wie seine prinzipien der selektivität, die elitär in dem masse sind, daß sie auf stark kunstverständigen kriterien gründen." Er argumentiert also gegen die, die kanons als sozial konstruiert sehen. "Alle starke literarische originalität wird kanonisch...Die antwort auf die frage, wer kanonisierte milton, lautet in erster linie milton selbst, aber fast in erster linie lautet sie andere starke dichter...aber milton...übermannte die tradition und faßte sie zusammen...Unser ältester test fü kanonische werke bleibt bestehen. Solange ein werk nicht nach einer zweiten lektüre ruft ("demands rereading"), qualifiziert es sich nicht...Der kanon exisistiert genau dazu, grenzen zu setzen, um einen satz von standard-messungen festzulegen...Ästhetische autorität, gleich ästhetischer macht, ist...eine formation für energien, die essentiell einzig sind anstatt sozial... Niemand hat die autorität zu sagen, was der westliche kanon ist."
    guß hafis

  • Hallo Hubert


    Zitat

    Diesen Minimalkonsens als Qualitätsmerkmale für eine hübsche Frau festzulegen wäre aber am Ziel vorbei geschossen.


    Ich hätte allerdings nichts dagegen, genauso wie die meisten Frauen wahrscheinlich :zwinker:


    :winken:


    Daniela

    &quot;Kunst und Unterhaltung sind verschwistert und keine Feinde.&quot; - John Irving

  • Zitat von "hafis50"

    hallo zusammen.


    Hallo!

    Zitat

    Ich habe probleme mit der lexika-definition des klassikers ebenso mit der relativierung von ästethik und klassikerstatus:
    Angenommen, von den autoren a,b,c,... der periode 1 gelte in periode 2 nur a als klassiker (ist im kanon, expertenurteil, noch gelesen). In periode 3 seien dann a und b klassiker.
    Wenn die urteile in a und b richtig ...


    Ich denke hier nicht in den Kategorien 'richtig' oder 'falsch'. 'Gültig' kommt meinem Verständnis näher.

    Zitat

    ... waren, hat jede periode ihre eigenen klassiker.


    Wenn wir an das Verschwinden Klopstocks denken: ja.

    Zitat

    D.h. die mustergültigkeit als definitionskriterium ist zeitlich beschränkt, und das gelesen-werden und das überleben sind folge und nicht ursache oder definition des klassikerstatus.


    Das Ganze funktioniert in meinem Verständnis eher zirkulär: Sowohl bestimmen die aktuell gültigen Definitionen die aktuell gültigen Klassiker, was aber aktuell als Klassiker gilt, beeinflusst natürlich seinerseits die Definition.

    Zitat

    Niemand kommt auf die welt mit kenntnis der klassiker. Was klassiker sind, übernimmt der leser von der entscheidungsinstanz. Klassiker nur normativ zu definieren, ist wohl zu eng.


    Entspricht auch nicht meinem Verständnis.

    Zitat

    Und eine zeitliche begrenztheit des klassikerstatus stößt sich etwas mit dem begiff des klassikers.


    Um Dein Argument ad absurdum zu führen: Wo sind dann die Klassiker der Steinzeit hingekommen?

    Zitat


    Man könnte wie zB hesse die "schätze de weltliteratur" als klassiker bezeichnen, was den status unabhängiger vom zeitgeschmack oder vom noch-gelesen-werden machen könnte.


    Gerade Hesses Auswahl - soweit ich sie in Erinnerung habe - ist stark von seiner Persönlichkeit und seiner Epoche geprägt.

    Zitat

    Wieviele der werke aus hesse's biliothek de weltliteratur werden heute noch gelesen? Und wenn sie nicht mehr gelesen werden, in welche hinsicht sind sie dann "mustergültig". Wenn ich diese werke dennoch als klassiker gesehen werden, sind die obigen definitionen von klassiker unzureichend.


    Warum? Selbstverständlich darfst Du, darf jeder Leser Werke und Autoren in die Runde werfen, die den Klassikerstatus 'verdient' hätten. Falls genügend Leute Deinen Input aufnehmen, wird aus 'Deinem' Autor ein Klassiker.

    Zitat

    Der knackpunkt liegt in der zuordnung von ursache und wirkung:


    bzw. darin, dass Du diese Zuordnung linear und nicht zirkulär haben willst.

    Zitat

    Ist ein klassiker ein klassiker, weil er noch gelesen wird und mustergültig ist, oder ist er mustergültig und wird noch gelesen, weil er ein klassiker ist?


    Eben: beides. Und: beides zugleich.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen? - Karl Kraus

  • Zitat von "sandhofer"

    Ich denke hier nicht in den Kategorien 'richtig' oder 'falsch'. 'Gültig' kommt meinem Verständnis näher.


    Sicher, aber das ist nur eine semantische frage.


    Zitat von "sandhofer"


    Wenn wir an das Verschwinden Klopstocks denken: ja.


    Das Ganze funktioniert in meinem Verständnis eher zirkulär: Sowohl bestimmen die aktuell gültigen Definitionen die aktuell gültigen Klassiker, was aber aktuell als Klassiker gilt, beeinflusst natürlich seinerseits die Definition.


    Hier bin ich immer noch so altmodisch und stelle mich auf die seite von bloom und glaube, daß es einen einigermaßen objektivierbaren und von modeströmungen unabhängigen qualitätsbegriff gibt.


    Zitat von "sandhofer"


    Um Dein Argument ad absurdum zu führen: Wo sind dann die Klassiker der Steinzeit hingekommen?


    Ich hatte den klassiker als werk definiert, das als bewahrenswert gilt. Daß aus einer periode (sicher nicht die steinzeit) etwas nicht überliefert ist, heißt ja nicht, daß es keine klassiker gab. Wieviel schließlich ist durch zerstörung verloren gegangen, was heute uU eben so wie zB ovid als klassiker gälte?
    Wenn man sich heute entschiede, alle schriften von klopstock, der mal als klassiker galt, dem zerfall und verschwinden preiszugeben, wäre er nach obiger definition ab heute kein klassiker mehr. Das kann man so sehen. Genausogut könnte man ihn als klassiker, der nicht mehr gelsen wird, sehen. Oder man könnte von strikten zeitunabhängigen qualitätskriterien ausgehen, und dann einen beurteilungsfehler feststellen.
    Eine analogie: Wieviele wissenschaftler wurden für etwas ausgezeichnet, was spätere generationen als unvollständig oder gar als falsch bewiesen? Gelten sie deswegen heute als schlechte wissenschaftler? Das denke ich nicht. (Wieso sind nicht längst die naturwissenschaftlichen schriften des aristoteles zu altpapier recycelt?)


    Zitat von "sandhofer"

    Gerade Hesses Auswahl - soweit ich sie in Erinnerung habe - ist stark von seiner Persönlichkeit und seiner Epoche geprägt.


    Ich denke, hesse's auswahl ist viel umfassender als zB die kanons von MRR oder ZEIT-bibliothek. Und er betont wiederholt, daß diese liste niemals die leseliste für ein reales individuum sein kann, weil jeder andere vorlieben hat. Dies unterstreicht wieder einen vom lesegeschmack unabhängigen klassiker-status-qualitätsbegriff bei hesse.
    Zu seinen kommentaren trifft die feststellung sicher zu.

    Zitat von "sandhofer"


    Falls genügend Leute Deinen Input aufnehmen, wird aus 'Deinem' Autor ein Klassiker.


    Nein. Weil über den klassikerstatus nicht die tatsache der einigung entscheidet, sondern etwas anderes!
    Die lexika-definition, auf die das zitat anspielt, hieß:
    Ein klassiker ist
    1- ein buch, das überdauerte:
    Die eigenschaft "klassiker" ist identisch mit der eigenschaft "überdauern".
    Das ist unzureichend. Ein beispiel: ein auto gibt das signal, in 15 minuten werde das auto liegen bleiben, falls nicht gehandelt wird. Sinnhafter wäre das signal, wenn nicht getankt wird...Wir sehen die sonne aufgehen, fragen uns aber warum...
    Nicht das überdauern, sondern die gründe für das überdauern, liefern erkenntnis. Diese definition ist nur eine deskriptive feststellung, aber keine klärung einer kausalbeziehung. ZB kann ich nicht herleiten, wie sich das werk eines klassikers von dem eines nichtklassikers unterscheidet. Aber genau das will der mensch doch wissen (besonders der ambitionierte jungschriftsteller':zwinker:')
    2- und das mustergültig ist.
    Mustergültig kann etwas immer nur in bezug auf etwas anderes sein.
    Dieses dritte ist aber ungenannt (s.o.).
    Deswegen ist die definition unzureichend. Bloom's text versucht, diese faktoren zu identifizieren (unterstrichen im zitat).


    Es könnte sein, daß ein werk geschrieben wurde, das aber nie sehr viel gelesen wurde. Ist es deswegen kein klassiker? Ich denke doch (upanischaden, homer, faust II, dante, ulysses, der mann ohne eigenschaften...).
    Die erwähnte zirkularität sehe ich eher bei der kommerziellen literatur: geschrieben wird, was am meisten gelesen/verkauft wird.
    gruß hafis

  • Hallo Hafis


    Du hast gepostet:
    Erstens wird der begriff klassiker in diesem sinne für hochkultur reserviert. Qualität spielt also von anfang an eine rolle


    So sollte es m.M. nach sein, tatsächlich findet man unter den heute anerkannten Klassikern aber auch Werke, die zu ihrer Zeit nicht der Hochkultur zugerechnet wurden und denen ich auch heute noch jede literarische Qualität abspreche.(aber das mag Geschmackssache sein)


    Zweitens variiert der klassikerstatus mit der zeit, wenn man diesen von der tatsächlichen lektüre abhängig macht - wer liest heute noch klopstock?.


    Selbstverständlich variiert der Klassikerstatus mit der Zeit, obwohl ich ihn nicht von der tatsächlichen Lektüre abhängig machen will. (Klopstock wird zwar m.M. nach noch gelesen, scheint aber seinen Klassikerstatus langsam zu verlieren, zumindest ist er in der „Bibliothek Deutscher Klassiker“ des Deutschen Klassiker Verlag (gehört jetzt zu Suhrkamp) m. W. nicht mehr enthalten. Dagegen ist Seume (eine Zeitgenosse Goethes und Schiller), den noch vor zwanzig Jahren in der BRD niemand kannte, inzwischen zum Klassiker aufgestiegen (und zu Recht) und in der „Bibliothek Deutscher Klassiker“ enthalten.


    Aber ein besseres, weil älteres und dadurch deutlicheres Beispiel:
    Lies mal im „Gemeinsames Lesen-Forum“ was ich im Thread Montaigne zum Kapitel „Über die Bücher“ geschrieben habe:
    „An zeitgenössischer Literatur findet Montaigne nur den Decamerone des Boccaccio, den Rabelais und die Basia des Johannes Secundus, ... des Verweilens würdig.“
    Zu Goethes Zeiten waren diese drei Werke alles (noch) Klassiker. M.M. sind dies heute nur noch zwei, oder hast Du schon mal was von Johannes Secundus gehört, geschweige den gelesen. – An Qualität, sofern es welche hatte, hat das Werk aber sicher nichts eingebüßt.


    Wenn man den klassikerstatus dagegen an objektive qualitätskriterien hängt, kann die popularität schwanken, nicht aber qualität und klassikerstatus. Letztere wären dann unveränderliche platonische wahrkeiten


    Dies würde mir Probleme bereiten, zumal es objektive Qualitätskriterien nicht gibt. Gäbe es solche, und wären diese tatsächlich entscheidend um Klassiker zu werden, könnte man heute schon voraussagen, welche heute zeitgenössischen Werke in 500 Jahren Klassiker sind. Lies dazu mal den Thread „Klassiker in 500 Jahren?“ (auf der 2. Seite dieses Forums), da haben Steffi, Sandhofer, ich u.a. schon einige interessante Gedanken vorgelegt


    Warum ein werk den klassikerstatus erhält, muß ja eine ursache, eben gewisse mindestanforderungskriterien, haben. Das überdauern in der zeit und die "mustergültigkeit" sind doch selbst solche kriterien. Es richtet sich aber auf die frage, was einen klassiker definiert, nicht aber auf die, was einen klassiker zum klassiker macht


    Richtig, „Überdauern ihrer Zeit“ und „Mustergültigkeit“ sind Kriterien die definieren, was ein Klassiker ist (das war ja auch das Thema). Kriterien, was einen Klassiker zum Klassiker macht (eine neues von Dir eingebrachtes Thema), gibt es m.M. nach dagegen nicht, sonst könnte man ja tatsächlich voraussagen, welche heutigen Werke in 500 Jahen Klassiker sind. Das sind jetzt aber zwei verschiedene Diskussionen, hier ging es nur um die erste Frage (Definition eines Klassikers). Wenn dich die zweite Frage interessiert, können wir ja den Thread „Klassiker in 500 Jahren?“ wieder aufleben lassen? Dieser Thread hier war ja eher der zeitgen. Literatur, nicht den Klassikern gewidmet.


    Deine weiterführenden Anmerkungen, Fragen usw. haben ja auch, wenn ich sie recht verstehe, eher mit der Fragte „Wie erkenne ich Kunst“ zu tun, als mit der Frage „Wie lautet die Definition für Klassiker?“


    Wenn man übrigens bestimmte einzelne Werke der klassischen Literatur untersucht, stellt man fest, dass jedes Werk einen bestimmten für andere Werke nicht geltenden Grund hat (oder Bündel von Gründen) um als Klassiker zu gelten. Es gibt also keine Regel, deshalb irrt Bloom m.M. nach. Wir können das ja mal untersuchen? (Aber bitte nicht in diesem Thread)


    Gruß von Hubert

  • Hallo an alle,


    die ursprüngliche Frage von Steffi, welche zeitgenössische Literatur man unbedingt mal lesen sollte, ist ja etwas "ausgeartet" in einen literaturtheoretischen Disput. Ich gebe es zu, ich habe mich nicht bis zum letzten Beitrag durchgekämpft.
    Ich will eher mal wieder auf das ursprüngliche Thema zurückkommen:
    Sandhofer hat irgendwann mal hier gesagt, dass wir differenzieren müssen zwischen mittlerweile "klassisch" gewordener Nachkriegsliteratur und "wirklich" zeitgenössischer Literatur. Damit hat er m.E. vollkommen recht. Wenn man "zeitgenössisch" halbwegs synonym für Literatur des 20.Jh. nimmt, dann weiß ich schon einige wirklich gute deutsche Bücher. Ab den 90ern hört es dann bei mir auf. Da fallen mir nicht wirklich so viele Bücher ein, und wenn dann von "etablierten" Autoren, bei denen man eigentlich immer auf Neuerscheinungen wartet. Also zumindest mir geht es so, dass ich mich nicht wirklich "traue", mal ins Blaue hinein ein neuerschienenes Buch zu lesen, weil ich denke, na ja gut, es gibt so viele "ältere" Bücher, die lesenswert sind... Also ich will sagen, dass mir die Autoren der gängigen Bestsellerlisten (wohl wissend, dass diese nichts über Anspruch aussagen) eher fremd sind.


    Als lesenswerte zeitgenössische Literatur der letzten 50 Jahre fallen mir schon einige ein. Es hat mich gefreut, dass Atomium auch mal ein paar ostdeutsche Autoren und Autorinnen genannt hat. (Diese sind eben eher meine Lesegewohnheit...).
    Christa Wolf gehört für mich definitiv zu den lesenswerten Autorinnen mit "Kassandra", "Kein Ort. Nirgends", aber auch das neueste Buch "Leibhaftig" ist lesenswert. Sie beschreibt da sehr eindrucksvoll die Geschichte einer Krankheit, ein sehr persönliches Buch, was mich tief beeindruckt hat.
    Oder auch Hermann Kant: "Die Aula".
    Wer sich durchkämpfen will, aber allemal amüsant: Irmtraud Morgner: "Das Leben der Trobadora Beatrix".
    Gut fand ich auch Peter Härtling: "Kleine, große Schwester", das ist nun mal eins aus den 90ern, aber eben auch von einem "etablierten" Autor, dessen Name mir was sagte und ich es deswegen gelesen habe.


    Außerdem: Klaus Mann "Mephisto", "Blechtrommel" wurde ja schon genannt, muss man einfach gelesen haben, oder?


    Außerdem definitiv lesenswert, zwar nicht deutsch, aber zeitgenössisch:
    Aitmatov: Die Richtstatt


    Vielleicht kann mir ja mal jemand einen Tipp für wirklich zeitgenössische deutsche Literatur, d.h. erschienen so in den letzten 5 Jahren, geben. Was kann/soll man da lesen?


    Katy

  • Hallo Katy,


    ich finde es schön, dass außer mir noch jemand zum ursprünglichen Thema dieses Strangs zurückgekehrt ist.


    Deutsche Literatur der letzten fünf Jahre?


    Judith Herrmann: Sommerhaus, später - es gibt noch einen neueren Titel, den ich nicht gelesen habe.
    Ich fand die Geschichten zum Teil sehr gut, zum Teil eher weniger gelungen, aber insgesamt kann ich das Buch empfehlen.


    Ingo Schulze: Simple Stories, 33 Augenblicke des Glücks
    Beides ebenfalls kurze Geschichten, im zweiten Buch allerdings alle miteinander verbunden.


    Wladimir Kaminer: Russendisko, Mein deutsches Dschungelbuch, Militärmusik, Schönhauser Allee, ...
    vieles auch als Hörbuch
    Als Einwanderer sieht und hört Kaminer Dinge, die die Eingeborenen als gottgegeben hinnehmen. Wird wahrscheinlich kein Klassiker, ist aber amüsant.


    Falls jemand nun mal was anderes als Kurzgeschichten empfehlen kann - BITTE!


    Gruß
    Atomium

  • Also, ich hab gerade mal gestöbert und noch folgendes gefunden:


    Wilhelm Genazino, z. B "Ein Regenschirm für diesen Tag"
    s. auch: http://www.deutscheautoren.de/autor.asp?ID=61
    Ich habe das Buch vor kurzem gelesen, es liest sich leicht und ist nicht lang, man kann es gut einmal einschieben. Die Sprache ist schön, die Geschichte ungewöhnlich. Wenn ich das Lebensgefühl der Hauptperson beschreiben sollte: Gescheiterter Nach-68er, der in den Tag hineinlebt, aber das mit viel Sprachgefühl.


    Dadurch kam ich dann auf folgende Seite:
    http://www.deutscheautoren.de/index.asp
    , die u.a. W.G. Sebald und Wolf Wondraschek nennt, oder Raoul Schrott,
    ich habe allerdings von keinem dieser Autoren etwas gelesen.


    Und hier noch ein Link zum Perlentaucher:
    http://www.perlentaucher.de/artikel/1250.html
    Unter den "Büchern der Saison" sind danach viele von deutschen Autoren, links gibts wie immer zu den Besprechungen der überregionalen Zeitungen.


    Gruß
    Atomium