Literaturnobelpreis 2008

  • Literaturnobelpreis 2008


    auch in diesem Jahr werden es die amerikanischen Autoren schwer haben. Horace Engdahl, der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, brachte seine Kritik an der nordamerikanischen Literatur zum Ausdruck:


    Crash an der Literaturbörse


    Im Schlußsatz des Artikels heißt es:

    Man könne der Tatsache, dass Europa immer noch das Zentrum der literarischen Welt ist, einfach nicht entkommen, sagt Engdahl im Gestus des triumphierenden Vereinsvorsitzenden und vergisst über dem berechtigten Stolz auf Europas kulturellen Reichtum eine Kleinigkeit: Wenn ein Land am Boden liegt, sollte man nicht ausgerechnet seine Schriftsteller treten. Philip Roth und seine Kollegen werden es verkraften: Amerikas Autoren sind zur Zeit stabiler als Amerikas Banken. Hubert Spiegel


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

  • Das klingt doch sehr nach einem kalkulierten Skandal bzw. - wie der Artikel andeutete - nach einer Botschaft an die eigenen Leute. Ich kann mir jedenfalls nur schwer vorstellen, dass ein (promovierter?) Literaturwissenschaftler so einen Mumpitz wirklich glaubt - und wenn doch, dann kann ich nicht mehr, als den Kopf über solch ein hanebüchenes Literaturverständnis schütteln. Allerdings gilt auch zu bedenken, dass das Nobelkomitee bei den Preisträgern nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen hat und (Komitee)Politik wenigstens im Hintergrund rumort...

  • Hallo,


    die USA hat seit Jahren schon einen Literaturnobelpreis verdient, weil dort einige literarische Schwergewichte schreiben. Engdahl betreibt Provokation, vielleicht aus der Laune heraus, weil die anderen Gerontokollegen in weisem Entschluss sich für einen Amerikaner entschieden haben, und er allein driftet dagegen. Wenn Engdahl wirklich so kleinkariert ist, sollte man ihn aus dem Nobelkomitee hinauswerfen.


    "Die Welt" schrieb auch: hier.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Die "Welt" ist nun nicht unbedingt die literarische Welt für mich, denn dieser Zeitungspopulismus:


    Zitat

    Denn in Engdahls Amerikakritik klingt bloß eine mausetote Romantik von anno Donnerkeil nach. In Amerika sängen keine Nachtigallen, urteilte etwa ein nicht sonderlich begabter Lyriker namens Nikolaus Lenau im 19 Jahrhundert. Für so viel blinde Weltanschauung bekäme er heute gewiss die Nobelpreis-Million.


    ist der Nabel der literarischen Meinungsansichten nun auch wieder nicht. Und - ich frage mich nun, soll nun ein Land den Nobelpreis bekommen, oder ein Autor? Und wenn ein Autor, wofür dann nun wirklich?
    Und sitzen in Amerika nun wirklich die Fünfsterneliteraten, Sprachgenien und Prosaathleten in Legion herum? Alles wirklich soviel besser als in Europa, Asien, Afrika?


    Aber vielleicht braucht des Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in den Zeiten des Niedergangs und der finanziellen Apokalypsen jedenfalls, dann ein kleines Hätschelpflästerchen, und warum auch nicht.


    Grüße


    Peter

  • Hallo,


    in dem hier diskutierten Zusammenhang tut sich mir nicht so sehr Aspekt von der Werthaftigkeit der amerikanischen Literatur auf, sondern die unglaubliche Borniertheit Engdahls in seiner Rolle als ständiger Sekretär des Nobelpreiskomittees eine solche Pauschalverurteilung von sich zu geben. Es ist nicht an den Literaturwissenschaftlern und erst recht nicht an denen in öffentlichkeitswirksamer Stellung die Preiswürdigkeit von Nationen zu bezweifeln. Schließlich sind wir nicht bei den olympischen Literaturspielen!
    Gerade als Literaturwissenschaftler und -liebender sollte man nicht in nationalen Kategorien denken, sondern die Autoren für sich an ihren Werken und dem darin enthaltenen künstlerischen und überzeitlichen Wert messen.


    HG
    finsbury

    Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. (Kafka)

  • Horace Engdahl hat seine Pauschalisierung über Amerika revidiert. Der Literaturnobelpreisträger wird am 09. 10. 2008 (wohl wieder um 13.00Uhr) belanntgegeben. Sier hier!

  • Ein Lichtblick scheint zu sein, dass die Jury sich nun doch schneller geeinigt hat. Na mal sehen, wer es in diesem Jahr schafft.


    Gruß
    Maria

    In der Jugend ist die Hoffnung ein Regenbogen und in den grauen Jahren nur ein Nebenregenbogen des ersten. (Jean Paul F. Richter)

    Einmal editiert, zuletzt von JMaria ()

  • Die Literaturpäpste in Stockholm müssen aufpassen, dass sie mit ihren Totschlagargumenten gegen die amerikanische Literatur nicht den letzten Rest von Glaubwürdigkeit verlieren, dessen sie sich noch erfreuen dürfen. Wenn sie so weitermachen, wird aus der Preisverleihung bald eine Lachnummer. Dann muss man sich nicht wundern, wenn die Autoren, die etwas auf sich halten, froh sind, wenn ihnen der "Beruf" des Nobelpreisträgers erspart bleibt. Der Preis hat in den letzten Jahren eh schon erheblich an Attraktivität eingebüßt. Das liegt vor allem daran, dass er zu einem gesellschaftspolitischen Gesinnungspreis verkommen ist (wie leider viele Literaturpreise). Ausgezeichnet werden nicht mehr die Autoren, die die besten Bücher schreiben, sondern jene, welche am besten der Political Correctness entsprechen, was immer man in Stockholm darunter versteht. Anders sind die vielen fragwürdigen Entscheidungen, der dogmatische Hochmut des Komitees und die völlig veraltete Satzung nicht mehr zu erklären. Aus diesem Grund wird auch ein Autor wie z.B. Peter Handke nie den Nobelpreis erhalten, denn er hat sich mit seinen Äußerungen zum Jugoslawien-Konflikt zu weit und zu radikal von der Political Correctness entfernt. Da kann er so gut sein, wie er will. Die Stockholmer Richter verzeihen alles, sogar mittelmäßige Bücher, nur das nicht. Sobald einer es wagt, wirklich frei zu denken und zu schreiben, kann er den Nobelpreis abhaken.
    Dürrenmatt hatte Recht, als er vor Jahrzehnten klagte, die Preisverleihung sei reine Lotterie. Er schlug daher vor, gleich den Zufall entscheiden zu lassen, dann hätte jeder wenigstens eine faire Chance. Sicher hatte er Recht, aber ein solches Vorgehen käme einer Entmachtung des Komitees gleich, und das werden seine selbstgefälligen Mitglieder natürlich niemals zulassen. Daher ist zu befürchten, dass die Serie von Fehlgriffen bei den Kandidaten so schnell nicht abreißen wird. Alles andere wäre ein Wunder. Man kann nur hoffen, dass es bald geschieht ...

  • Was meinst Du denn mit dem Hinweis auf die veraltete Satzung? Ich war mir bisher gar nicht bewusst, dass Ideologie ein verbriefter Bestandteil des Literaturnobelpreises ist (sofern ich Dich richtig verstanden habe) - auch wenn die Wahl, seit ich den Zirkus verfolge, selbstverständlich eher aus gesellschaftspolitischem Kalkül als zur Ehre der 'reinen' Literatur (im Sinne von textimmanenter Größe) getroffen wird.

  • Hallo Glahn,


    das klingt so, als spielten die Texte nur eine Rolle unter "ferner liefen". Dabei sind sie es, die den Autor zum dem machen, was er ist. Ich bin der altmodischen Meinung, dass die wichtigste Aufgabe eines Schriftstellers darin besteht, gute Bücher zu schreiben. Das ist sein Beruf. Alles andere können andere auch. Der/die beste soll dann den Nobelpreis erhalten. Das wäre die fairste Lösung.
    Dass heute die Political Correctness die Entscheidungen so extrem beeinflusst, liegt schon in der Satzung begründet. Nach dem Willen von Alfred Nobel geht der Preis an denjenigen Autor, Zitat:
    "der in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat". Das Werk:
    "soll von sehr hohem literarischen Rang sein und dem Wohle der Menschheit dienen."
    Muss ein Kunstwerk wirklich idealistisch sein und dem Wohle der Menschheit dienen? Wer bestimmt denn, ob und wann das der Fall ist? Ist z.B. Peter Handke weniger erbaulich als Elfriede Jelinek oder umgekehrt? Soll man den größten Teil der modernen Literatur ignorieren, weil ihre Autoren partout nicht idealistisch sein und dem Wohl der Menschheit oder zumindest dem ihrer Leser dienen wollen? Die Satzung klingt wie eine Losung aus den Zeiten des deutschen Idealismus, und sie ist auch mindestens so antiquiert. Gut, dass es da noch die Forderung nach dem "hohen literarische Rang" des Werkes gibt. Es wäre schön, wenn sich das Komitee wieder mehr darauf besinnen würde. Dann wären auch die lächerlichen ideologischen Voruteile gegen die amerikanische Literatur überflüssig, und der Nobelpreis könnte seine einstige Strahlkraft zurückgewinnen. Vielleicht ist es ja am Montag schon so weit.


    Gruß


    Fortissima


  • Wieder ein Gewinner, den kein Schwein kennt: Jean-Marie Gustave Le Clézio.


    Hi BigBen,


    Die Jury bleibt halt ihren Grundsätzen treu ... :breitgrins: Vermutlich müssen die Preisträger ein wichtiges Kriterium erfüllen: Nur echten Insidern dürfen sie bekannt sein.


    LG


    Tom


  • Wieder ein Gewinner, den kein Schwein kennt: Jean-Marie Gustave Le Clézio.


    Noch nie von ihm gehört, aber der Artikel in Zeit online macht mich neugierig. Ich hatte zwar einen Amerikaner prognostziert, wenn einigermaßen sicher ist, dass die Republikaner nicht den nächsten Präsidenten stellen; das Komitee scheint sich da aber nicht sicher zu sein und wartet bis nächstes Jahr :zwinker:


    Mir ist eine persönliche Neuentdeckung recht !

  • Hallo Fortissima,


    danke für Deine erklärung. Ich war mir zwar bewusst, dass die Stiftung des Nobelpreises ethisch/humanistisch motiviert war, doch bin ich stets davon ausgegangen, dass der Literaturnobelpreis als solches ganz ohne moralische Überfrachtung nur "den Besten" auszeichnen sollte - schade, dass dem nicht so ist.


    Deinen übrigen Ausführungen kann ich übrigens nur vollständig beipflichten, auch wenn ich fürchte, dass der (Literatur)Nobelpreis sich immer mehr darin genügt. Kasperletheater zu sein...


    Beste Grüße,
    Glahn

  • Hallo BigBen,


    von einer französischen Bekannten habe ich gehört, das Jean-Marie Gustave Le Clézio zu den weltweit am meisten gelesenen französischen Autoren gehört. Offenbar schläft nur Deutschland. Ich habe mir zwei Werke geordert: "Das Protokoll" und "Revolutionen". Der Mann hat eine interessante Biografie. Siehe [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,2820.msg33610.html#msg33610]hier[/url]. Ich bin gespannt auf seine Bücher.


    Liebe Grüße
    mombour


    PS: J. M. Coetzee haben viele auch erst durch seinen Nobelpreis kennengelernt. Für mich war er z.Zt . seiner Preisverleihung ein großer Unbekannter. Was für ein großartiger Autor, wie ich später sah. Franz Schubert war zu seinen Lebzeiten ziemlich unbekannt, und was für Musik hat er komponiert. :smile: